<9:1>‘Dum medium silentium tenerent
omnia.’
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<9:2>Wie begehen hier in der Zeit die
ewige Geburt, die Gott, der Vater, hervorgebracht hat und in Ewigkeit
unablässig hervorbringt, dass dieselbe Geburt nun in der Zeit in Menschennatur
hervorgebracht wurde. Der Heilige Augustinus sagt: „Was
hilft mir das, dass diese Geburt immer geschieht, wenn sie aber nicht in mir
geschieht? Doch dass sie in mir geschehe, daran hängt alles“.
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<9:3>Nun ist es mein Auftrag, von
dieser Geburt zu handeln, wie sie in uns geschehen und in der guten Seele
vollbracht werden kann, wo Gott, der Vater sein ewiges Wort sei, das in die
vollkommene Seele spricht. Denn, was ich hier sage, soll von dem guten,
vollkommenen Menschen gelten, der „auf dem Weg
Gottes wandelte und noch wandelt“, nicht von dem naturhaften, ungeübten
Menschen, denn dieser ist völlig fern und weiß überhaupt nichts von dieser
Geburt.
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<9:4>Der weise Mensch bietet einen Vers: „Wenn
alle Dinge mitten im Schweigen sind, dann kommt von oben, vom königlichen
Thron das geheime Wort in mich“. Aus diesem [Schweigen] heraus soll die
Predigt ihren Ausgang nehmen.
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<9:5>Drei Dinge sollen hier beachten.
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<9:6>Das erste ist, wo Gott, der
Vater, sein Wort in der Seele spricht, wo diese Geburt statt findet und wo
sie [sc. die Seele] diese empfängt. Denn dies muss in dem allerreinsten,
edelsten und feinsten Teil dessen die Seele fähig ist, geschehen. Wenn Gott
wirklich in seiner ganzen Allmacht die Seele mit etwas edlerem ausstatten
könnte, und wenn die Seele von ihm etwas edleres hätte empfangen können, dann
hätte der Vater die Geburt verschieben müssen bis auf die Ankunft eben dieses
Adels. Darum muss die Seele, in der diese Geburt stattfinden soll, sich
selbst in voller Reinheit bewhren und ein äußerst edles Leben leben,
vollkommen vereint und völlig innerlich, und sie darf nicht mit ihren fünf
Sinnen nach draußen eilen in die Mannigfaltigkeit der Geschöpfe; stattdessen
sollsie vollkommen innerlich sein und sie soll eins sein; und ihr Ort ist in
diesem reinsten Teil, er verschmäht jegliches Geringere.
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<9:7>Das zweite Moment dieser Predigt
beschäftigt sich mit der Frage, wie der Mensch auf dieses Werk reagieren
soll, bzw. zu dieser Einrede und diesem Gebären, ob es nützlicher sei, ein
Mitwirkender hierfür zu sein und so mittue und mitverdiene, auf dass diese
Geburt in ihm geschehe und hervorgebracht werde, auf dass der Mensch in ihm
ein Bild in seinem Intellekt und in seinem Denken schaffe und sich an ihm probiere
und dabei denken: Gott ist gut, weise, allmächtig, ewig und was er alles von
Gott denken mag, ob dies nützlicher sei und die väterliche Geburt befördern
würde, oder ob man sich von sich zurückziehe und sich frei mache von allen
Gedanken und allen Worten und allen Werken und von allen Bildern und allem
Denken, und man sich gänzlich in einem reinen Gotterleiden ergehe, und sich
müssig verhalte und Gott in sich wirken lasse, worin der Mensch am meisten
dieser Geburt dienen könne.
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<9:8>Das dritte Moment ist, wie groß
der Gewinn ist, der aus dieser Geburt resultiert.
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<9:9>Nun beachtet, was das erste
betrifft: Ich möchte diese Überlegung für Euch stützen mit gewöhnlichen
Argumenten, damit ihr sie selbst begreifen könnt, [und] dass es sich so
verhält, wie behauptet, denn ich vertraue der Schrift letztlich mehr als mir
selbst. Aber es wird euch eingängiger und besser erreichen durch ein
stützendes Argument.
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<9:10>Greifen wir nun den ersten
Ausdruck heraus, wo es heißt: „mitten im
Schweigen“ „wurde in mich hinein ein
geheimes Wort gesprochen“. Ach Herr, wo ist Schweigen und wo ist der
Ort, in den das Wort hineingesprochen wird? Doch sehet, wie ich zuvor sagte: Es ist in dem reinsten Teil, dessen die
Seele fähig ist, in dem edelsten, im Grund, ja im Sein der Seele. Dort ist „die
Mitte des Schweigens“, in das hinein weder ein Geschöpf noch ein
Bild hineinreichen, noch kann die Seele dort wirken oder verstehen, weiß um
ein kein Bild, weder von ihr selbst noch von irgendeinem Geschöpf.
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<9:11>Alle Werke, die die Seele wirkt,
die wirkt sie mit ihren Kräften: Was sie versteht, versteht sie durch den
Intellekt. Wenn sie sich erinnert, so
tut sie dies durch die Erinnerung. Wenn sie liebt, tut sie es durch den
Willen. Sie wirkt folglich vermittels der Kräfte und nicht durch ihr Sein. Jede
äußere Aktivität hängt an einer Vermittlung. Die Sehkraft gibt es nicht ohne
Augen, anders kann sie auf keine Weise Sehen bewirken oder Sehend machen. Und
so verhält es sich mit allen anderen Sinnen. All ihre äußere Aktivitäten
geschehen durch eine Art Vermittlung. Hingegen gibt es im Sein kein
Werk. Mehr noch, die Kräfte Kräfte, mit denen sie wirkt, fließen aus dem
Grund des Seins. Und darüberhinaus, im Grund,
dort ist „die Mitte [das Mittel] des Schweigens“,
hier ist alleine Ruhe und ein Feiern anlässlich dieser Geburt und
dieses Werks, dass Gott, der Vater, sein Wort hier spreche. Denn dieser Teil
ist von Natur aus ausschließlich empfänglich für das göttliche Sein ohne
jegliche Vermittlung.
<9:12>Hier geht Gott in die Seele mit
all dem Seinen, nicht mit Teilen von ihm. Hier geht Gott in den Grund der
Seele. Niemand außer Gott kommt in den Grund der Seele. Die Geschöpfe können
nicht in den Grund der Seele gelangen. Sie müssen hier draußen in den
Kräftenbleiben. Dort betrachtet es [sc. das Geschöpf] klar sein Bild, durch
das es hineingezogen ist und Wohnung erhalten hat. Denn wenn die Käfte der Seele die Geschöpfe
berühren, nehmen sie von den Geschöpfen und schaffen Bilder und Gleichnisse
und absorbieren diese. Und auf diesem Weg erkennen sie die Geschöpfe. Ein
Geschöpf kann nicht tiefer in die Seele kommen, und die Seele nähert sich
keinem Geschöpf, es sei denn sie hat zuerst willentlich sein Bild in ihr
empfangen. Aufgrund der in ihr anwesenden Bilder nähert sie sich den
Geschöpfen, denn ein Bild ist etwas, das die Seele von den Dingen vermittels
der Kräfte schafft, sei es ein Stein, eine Rose,ein Mensch oder was auch
immer sie kennen mag.
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<9:13>Wenn jedoch ein Mensch auf diese
Weise ein Bild erhält, kommt es notwendigerweise von außen, durch die Sinne
vermittelt. Und darum ist der Seele nichts so unbekannt wie sie sich selbst.
Entsprechend sagt ein Meister, dass die Seele kein Bild von sich selbst
schaffen oder machen kann. Deshalb kann sie sich selbst überhaupt nicht
kennen, da alle Bilder durch die Sinne hineinkommen, weshalb sie kein Bild
von sich besitzen kann. Folglich kennt sie alle anderen Dinge, doch nicht
sich selbst. Und wegen der Vermittlung weiß sie von nichts so wenig wie von
ihr selbst.
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<9:14>Und das sollt Ihr auch wissen,
dass sie innen so nackt und frei von jeglichem Mittel und jeglichen Bildern
ist. Und dies ist auch der Grund dafür, dass Gott sich nur mit ihr vereinen
kann, ohne Bilder und Gleichnisse. Du kannst es nicht bestreiten: was auch
immer Du einem Handwerker an Fähigkeiten zuschreiben kannst, das müsstest Du ohne
Einschränkung auch Gott zuschreiben. Je begabter und fähiger nun aber ein
Meister ist, desto unmittelbarer wird sein Werk ausgeführt und desto
einfacher ist es. Der Mensch benutzt viele Mittel bei seinen äußeren Werken. Bevor
er diese gemäß den Bildvorgaben, die er in sich kreiert hat, ausführen kann,
ist eine intensive Vorbereitung der Materialien vonnöten. Im Unterschied dazu
wirkt die Sonne in ihrer Souveränität und ihrer Sonnenstrahlung sehr schnell.
Sobald sie ihren Strahl aussendet, ist die Welt bis an all ihre Enden sofort
voller Licht. Darüber hinaus jedoch ist der Engel: Er braucht noch weniger
Mittel für sein Wirken and besitzt sogar noch weniger Bilder. Je höher der
Engel ist, desto weniger Bilder besitzt er. Der höchste Seraph besitzt nur
ein einziges Bild: was auch immer diejnigen, die sich unter ihm befinden als Vielfalt aufnehmen, nimmt
er alles als eines. Doch Gott bedarf keines Bildes, noch hat er ein Bild. Gott
wirkt in der Seele ohne Mittel, Bild oder Gleichnis, ja, in den Grund kam nie ein Bild, nur er selbst mit
seinem eigenen Sein. Das kann kein Geschöpf tun.
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<9:15>Wie gebärt Gott, der Vater,
seinen Sohn im Grund der Seele? Ist es so, wie die Geschöpfe es tun in
Bildern und Gleichnissen? Nein, gewiss nicht! Im Gegenteil, auf dieselbe
Weise wie er in der Ewigkeit gebärt, nicht weniger nicht mehr. Doch, wie
gebärt er ihn dort? Beachtet dies! Seht, Gott, der Vater, hat einen
vollkommenen Einblick in sich selbst und eine abgründige Kenntnis seiner
selbst, durch und durch, nicht durch ein Bild. Und auf diese Weise gebärt der
Vater seinen Sohn in wahrer Einheit der göttlichen Natur. Seht, auf dieselbe
Weise und in keiner anderen gebärt Gott, der Vater, seinen Sohn in der Seele
Grund und in ihrem Sein und vereinigt sich so mit ihr. Wenn da ein Bild
existierte, könnte keine Einheit sein. Doch in der wahren Einheit liegt all
ihre Seligkeit.
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<9:16>Nun wollt Ihr vielleicht sagen,
in der Seele sei nichts als Bilder der Natur. Nein, dem ist nicht so! Denn,
wenn dies wahr wäre, könnte die Seele nie selig sein, weil Gott kein Geschöpf
machen will, durch das Du vollkommene Seligkeit empfangen könntest. Sonst
wäre Gott nicht die höchste Seligkeit und das letzte Ziel, was seine Natur
ist, und er will Anfang und Ende aller Dinge sein. Kein Geschöpf kann Deine
Seligkeit sein; deshalb kann auch keines hier Deine Vollkommenheit sein, denn
die Vollkommenheit dieses Lebens, d.h. von allen Tugenden, ist gefolgt von
der Vollkommenheit von jenem Leben. Und dieser Art musst Du notwendigerweise
sein und Wohnung neben im Sein und im Grund. Dort muss Dich Gott berühren mit
seinem einfachen Sein ohne Vermittlung eines Bildes. Kein Bild gibt sich
selbst wider oder deutet auf sich selbst hin. Es zieht den Blick und richtet
ihn völlig nach dem aus, von dem es Bild ist. Und wie man sieht, dass man nur ein Bild
von etwas Äußerem besitzt, das von den Geschöpfen durch die Sinne innerlich
aufgenommen und daraufhin ausgerichtet wird, von dem es Bild ist, ist es
folglich unmöglich, dass man je vermittels eines Bildes selig werden kann.
Das ist der Grund dafür, dass dort Schweigen und Ruhe sein muss; dort muss
der Vater ohne jegliches Bild sprechen, seinen Sohn gebären und sein Werk
schaffen.
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<9:17>Der zweite Teil lautet: was ist des Menschen eigener
Beitrag zu diesem Wirken, damit er mittue und mitverdiene, dass diese Geburt
in ihm geschieht und vollbracht werde? Ob es nicht besser wäre, der Mensch
trage selbst etwas zu diesem Werk bei, etwa sich Gott vorzustellen oder über
ihn nachzudenken, oder ob der Mensch in Schweigen verharren solle, in Stille
und Ruhe, und Gott in ihm sprechen und wirken lasse, alleine auf Gottes Werk
in ihm wartend.
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<9:18>Doch ich sage, was ich zuvor
bereits gesagt habe: Was hier gesagt ist und diese Wahrheit
bezieht sich ausschließlich auf die guten und vollkommenen Menschen, die dort
in sich und zu sich das Sein aller Tugenden gezogen haben, auf dass diese
Tugenden substantiell ohne ihr Zutun ausfließen, und, noch wichtiger, dass
das würdige Leben und die edle Lehre unseres Herrn Jesus Chrisuts in ihnen
lebe. Sie sollen wissen, dass das allerbeste und aller edelste, was der
Mensch in diesem Leben erreichen kann, das Folgende ist: Dass Du schweigen
sollst und Gott wirken und sprechen lässt.
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<9:19>Wenn all die Kräfte von all
ihren Werken und Bildern abgezogen sind, dann wird dies Wort gesprochen. Darum
sagte er sehr richtig: „In der
Mitte des Schweigens“ steigt dieses Wort innerlich in
mich hinab. Je mehr Du also all Deine Kräfte hin zu einem Vergessen aller
Dinge und ihrer Bilder ziehst, die Du je in Dich aufgenommen hast, und je
mehr Du Dich von allen Geschöpfen und ihren Bildern zurückziehst, desto näher
bist Du ihm und je empfänglicher für ihn. Möchtest Du alle Dinge völlig
vergessen wollen, ja, möchtest Du Deinen eigenen Leib und und Dein eigenes
Leben vergessen, wie es Paulus geschah, als er sagte: „Ob ich im Leib oder nicht, das weiß ich nicht, Got, der weiß es“. Dort hatte der Geist alle
Kräfte so sehr in sich gezogen, dass er seinen Leib vergaß. Dort wirkten
weder Erinnerungen, Absichten, Sinne noch die Kräfte, die auf den Leib hätten
einwirken, ihn bestimmen oder schmücken können. Das Verbrennen und Erhitzen
hatte aufgehört, so dass der Leib, während er in diesen drei Tagen nichts aß
oder trank, nichts von sich gab.
<9:20>Das geschah auch Mose, alser für vierzig Tage auf dem Berg
fastete, doch wurde er deshalb keinesfalls schwächer. Er war am letzten Tag
so gekräftigt wie er am ersten war. Folglich soll der Mensch all den Sinnen
entrinnen, seine Kräfte heim bringen und ein Vergessen aller Dinge und seiner
selbst entwickeln.
<9:21>Hiervon sprach ein Meister über
die Seele: „Ziehe Dich von der Ruhelosigkeit
äußerer Werk zurück. Dann flieh und verbirg Dich vor dem Sturm innerer
Gedanken, denn sie bereiten Unfriede.“ Wenn also Gott sein Wort in die Seele
sprechen soll, muss sie sich in Ruhe und Friede befinden. Denn dann spricht
er sein Wort und sich selber in die Seele, doch nicht ein Bild, sondern
vielmehr sich selbst.
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<9:22>Der Heilige Dionysius sagt: Gott hat weder Bildnoch Gleichnis seiner
selbst, denn er ist dem Sein nach alles Gute, die Wahrheit und das Sein.
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<9:23>In einem Augenblick wirkt Gott
all sein Werk in ihm selbst und aus ihm selbst. Denke nicht, dass Gott, als
er Himmel und Erde und alle Dinge erschaffen hat, an einem Tag das eine und
am nächsten Tag etwas anderes geschaffen hat, auch wenn es Mose so
beschreibt. In Wahrheit wusste er es besser, doch er tat es der Menschen
willen, die es nicht anders verstanden hätten. Gott tat nicht mehr als er tun
wollte, er sprach und sie entstanden. Gott wirkt ohne Mittler und
ohne Bild. Je weniger Du mit einem Bild bist, desto mehr bist Du empfänglich
für sein innerliches Wirken, und desto mehr Du auf das Innere hin
ausgerichtet und zum Vergessen gelangt bist, desto näher bist Du ihm.
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<9:24>Hierzu ermuntert Dionysius
seinen Schüler Timotheus, indem er sagt: „Mein
lieber Sohn, Timotheus, Du sollst mit verkehrten Sinnen Dich aufschwingen
über dich selbst und über alle Kräfte, über Verstand und Intellekt, über Werk,
Ausgestaltungen und Sein, hineinin die verborgene, stille Dunkelheit, auf
dass Du zur Erkenntnisdes unbekannten übergöttlichen Gottes kommst“. Es bedarf eines
Sich-Entziehens von allen Dingen. Gott verschmäht es, durch Bilder zu wirken.
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<9:25>Nun magst Du vielleicht fragen:
Was wirkt Gott ohne Bilder im Grund und im Sein? Das kann ich nicht wissen,
denn die Kräfte können nur in Bildern empfangen, da sie alle Dinge empfangen
und mit ihren eigenen Bildern erkennen müssen. Sie können ein Pferd nicht
durch das Bild eines Menschen erkennen und begreifen. Und weil alle Bilder in
sie von außen gelangen, deshalb ist sie [die
Kenntnis] ihr verborgen. Doch ist dies für sie äußerst nützlich. Das
Nichtwissen zwingt sie dazu, sich zu wundern und ihr nachzujagen, denn sie
spürt sehr wohl, dass sie existiert, auch wenn sie nicht weiß, was und wie
sie ist. Sobald ein Mensch den Grund von etwas kennt, wird er der Sache müde
und will eine andere erkunden und kennenlernen, quält sich und jammert immer
mehr im Wunsch etwas zu wissen, doch er bleibt nicht dabei. Folglich
hält ihn dieses nichtwissende Wissen dabeizubleiben und lässt ihn diesem nachjagen.
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<9:26>Hiervon spricht der Weise: „Mitten in der Nacht, wenn alle Dinge in Stille und Schweigen
sind, da wurde mir ein geheimes Wort zugesprochen, das kam wie ein Dieb beim
Stehlen“. Warum nannte er es ein Wort,
wenn es geheim war? Das Wesen des Wortes ist es, zu offenbaren, was verborgen
ist. Es offenbarte mir sich selbst und machte mir deutlich, dass es etwas
Offenbarendes war. Und es tat mir Gott kund. Daher wird es ein Wort genannt. Doch was es
war, blieb mir verborgen. Das war sein verstohlenes Kommen in einer
flüsternden Stille, um sich zu offenbaren. Darum müssen und sollen wir nach
ihm jagen, während es verborgen ist. Es schien und war doch verborgen. Das heißt, wir jammern ihm hinterher und
quälen uns nach ihm. Hierzu ermuntert uns der Heilige Paulus, dass wir diesem nachjagen bis wir es
erspüren, und dass wir niemals aufhören, bis wir es ergriffen haben. Als er
in den dritten Himmel emporgehoben wurde zur Kunde Gottes und alle Dinge
gesehen hatte, und als er wieder zurückkam, hatte er alles vergessen; mehr
noch, es war so tief drinnen im Grund, dass sein Intellekt nicht eindringen
konnte. Es war verdeckt. Aus diesem Grund, musste er ihm nachjagen, und es in
seinem Innern, nicht außerhalb seiner selbst verfolgen. Es ist vollkommen im
Innern, nicht draußen, vielmehr ist alles drinnen. Und weil er dies wusste,
sagte er: „Darum bin ich überzeugt, dass weder
Tod noch irgendeine Anfechtung mich von dem trennen kann, was ich in mir
finde“.
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<9:27>Hiervon äußerte ein heidnischer
Meister ein rechtes Wort gegenüber einem anderen
Meister: „Ich wurde mir einer Sache in mir
gewahr, die in meinem Intellekt aufscheint. Ich kann deutlich erkennen, dass
es etwas ist, doch was es ist, kann ich nicht greifen. Doch ich denke, wenn
ich es nur erfassen könnte, würde ich die ganze Wahrheit kennen“. Dann
sagte der andere Meister: „Nun denn, folge ihm!
Denn könntest Du das begreifen, dann hättest Du die Summe alles Guten und
hättest ewiges Leben“. Hiervon sprach auch der Heilige Augustinus: „Ich werde mir einer Sache gewahr, die spielt und lukt
vor meiner Seele hervor. Würde dies vervollkommnet und in mir gefestigt, das
wäre gewiss ewiges Leben.“ Es verbirgt sich und zeigt
sich dennoch.
<9:28>Es kommt, aber wie ein Dieb mit
der Absicht, von der Seele alle Dinge zu nehmen und zu stehlen. Doch indem es
sich etwas zeigt und offenbart, will es hiermit die Seele reizen, sie zu ihm
hinziehen, und sie des ihren berauben und ihr nehmen. Davon sprach der
Prophet: „Herr, nimm ihren Geist von ihnen“. Dies meinte auch die liebende Seele, als
sie sagte: „Meine Seele löste sich auf und
schmolz dahin, als der Geliebte sein Wort sprach“. Als er eintrat, musste ich
loslassen. Das meint auch Christus, als er sagte: „Wer
irgendetwas um meinetwillen lässt, wird hundertfach belohnt“, und wer
mich auch besitzen will, der „muss sich selbst
und alle Dinge verleugnen, und wer mir dienen will, der muss mir folgen“, er soll nicht den Sinnen
folgen.
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<9:29>Nun willst Du vielleicht sagen:
Sehr wohl, Herr, Sie wollen den natürlichen Gang der Seele umkehren und gegen
ihre Natur gehen! Ihrer Natur nach empfängt sie durch die Sinne und in
Bildern. Willst Du diese Ausrichtung ändern?
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<9:30>Nein! Was weißt Du, welcher Adel
Gott in die Natur gelegt hat, die noch nicht völlig beschrieben, sondern
vielmehr verborgen ist? Als sie überden Adel der Seele schrieben, sind sie
nicht weiter gekommen als wohin sie ihr natürlicher Intellekt führte. Sie
sind nie in den Grund gelangt. Er muss ihnen völlig verborgen und unbekannt
geblieben sein. Aus diesem Grund sagte der Prophet: „Ich
will sitzen und will schweigen“ und „will
hören, was Gott in mir spricht“, denn es ist so verborgen. Darum
kam das Wort in der Dunkelheit der Nacht. Hierüber schreibt der Heilige Johannes: „Das Licht leuchtet in der Dunkelheit“ „Es kam in sein Eigen, und alle die es empfingen,
wurden mächtige Söhne Gottes: ihnen wurde die Macht gegeben, Gottes Söhne zu
werden“.
|
<9:31>Nun bedenke den Gewinn und die
Frucht des verborgenen Wortes und dieser Dunkelheit! Nicht alleine ist der
Sohn des himmlischen Vaters in dieser Dunkelheit geboren, die „sein Eigen“ ist, mehr noch, dort bist auch Du
geboren als das Kind des himmlischen Vaters, nicht als das eines anderen, und
er gibt Dir die Macht.
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<9:32>Nun beachte den Gewinn. Die
gesamte Wahrheit, die je von allen Meistern vermittels ihrer eigenen Vernunft
und ihrem eigenen Verstand gelehrt wurde, oder was auch immer mehr bis an den
jüngsten Tag [gelehrt werden wird], sie hatten nie das Allergeringste von
diesem Wissen und diesem Grund verstanden. Und auch wenn es ein Nichtwissen
hei-t und ein Nichtkennen, so besitzt es doch mehr als alle äußere Weisheit
und Kenntnis. Denn dieses Nichtwissen reizt und zieht Dich weg von allen
Dingen, die man wissen kann, und auch von dir selbst. Das meinte Christus,
als er sagte: „Wer sich nicht verleugnen will und
will weder Vater noch Mutter und alles Äußere verlassen, der ist meiner nicht
wert“. Er will sagen: Wer nicht alles Äußere der
Geschöpfe verlässt, derkann diese göttliche Geburt weder empfangen, noch kann
er geboren werden. Zudem: Was Du von Dir stiehlst und all das Äußere, in
Wahrheit, das gibt es [sc. das Nichtwissen] Dir. Und bei der Wahrheit selbst, glaube ich und
bin mir dessen sicher, dass der Mensch, der rechtens hierin stünde, niemals
und in keiner Weise von Gott geschieden würde. Ich sage, er könnte auf keine
Weise in eine Totsünde geraten. Sie würden eher den allerschändlichsten Tod
erleiden, wie es auch den Heiligen widerfuhr, statt die kleinste Todsünde zu
tun.
<9:33>Ich sage, sie könnten sogar
keine lässliche Sünde tun oder solche willentlich bei sich selbst oder
anderen Menschen zulassen, wenn sie sie verhindern könnten. So sehr werden
sie hierzu gereizt und gezogen und daran gewöhnt, dass sie jemals einen
anderen Weg wählen könnten. Sie kehren um und rennen unaufhörlich auf es hin.
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<9:34>Möge Gott, der jetzt auf menschliche Weise
geboren ist, uns dazu verhelfen, dass wir schwache Menschen in ihm göttlich
geboren werden. Amen.
Predigt
10* [S 88] In circumcisione Domini – „Post dies octo vocatum est
nomen eius Iesus“
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<10:1>„Post dies octo vocatum est
nomen eius Iesus“.
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<10:2>„Am achten Tag erhielt er den
Namen Jesus“. „Der Name
Jesus kommt niemand zu, es sei denn der Heilige Geist mache es möglich.“
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<10:3>Ein Meister sagt: In welcher
Seele der Name Jesus gesprochen werden soll, dass wird am achten Tag
geschehen.
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<10:4> Der erste Tag, dass er seinen
Willen in Gottes Willen gibt und für ihn lebt.
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Der zweite Tag ist eine erleuchtende
Erleuchtung des göttlichen Feuers.
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Der dritte Tag, das ist eine Seele, die
umherrennt und sich nach Gott hin quält.
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<10:5>Am vierten Tag sind alle Kräfte
des Menschen auf Gott hin ausgerichtet. Ein Meister sagt: Wenn die
Seele von ewigen Dingen berührt wird, wird sie bewegt. Und von der Bewegung
wird sie heiß. Und von der Erhitzung wird sie geweitet, auf dass sie viel
Gutes empfangen kann.
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Der fünfte Tag ist ein Stehen in Gott.
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Am sechsten Tag schmilzt Gott die Seele hin.
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Am siebten Tag vereinigt sich die Seele mit
Gott.
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Der achte Tag ist ein Genießen Gottes.
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<10:6>Auf diese Weise wird dem Kind
der Name Jesus gegeben.
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