Predigt 1* [S 87] Dominica I
in Adventu Domini - ‘Ecce, dies veniunt, dicit dominus, et suscitabo David
germen iustum’
<1:1>‘Ecce, dies veniunt, dicit
dominus, et suscitabo David germen iustum’.
|
<1:2>Dieses Wort spricht der Prophet
Jeremias: „Erkennet, die Tage
kommen, sagt der Herr, und ich werde die gerechten Wurzeln Davids erwecken.“[1]
|
<1:3>Salomon spricht: „Ein guter Bote von einem fernen Land
ist wie kaltes Wasser für eine durstige Seele.“[2]
Hinsichtlich der Sünde ist der Mensch fern
von Gott. Darum ist für ihn das Himmelreich wie ein fernes, fremdes Land und
war dieser Bote vom Himmel. Der Heilige Augustinus spricht über sich selbst,
als er noch nicht bekehrt war, dass er „sich
fern von Gott befand in einem fremden Land der Ungleichheit“.[3]
|
<1:4>Es ist beklagenswert, dass der
Mensch entfernt ist von demjenigen,[4] ohne den er nicht glücklich sein kann.
Nähme man die allerschönsten Geschöpfe, die Gott geschaffen hat, aus dem
göttlichen Licht heraus, unter welchem sie standen – denn so weit alle Dinge
unter dem göttlichen Licht stehen, so weit sind sie wünschenswert und
angenehm –, und wäre es Gottes Wille und erlaubte er es, dass man sie aus dem
göttlichen Licht herausnähme und sie einer der kleinsten Seele zuwiese, sie
würde keinen Wert und nichts Angenehmes in ihnen finden, sondern es würde
ihre vor ihnen grauen.
|
Am stärksten beklagenswert ist es, dass er
fern von demjenigen ist, der sein ewiges Glück ist, und dass er so schwach
geworden ist, dass er aus seiner eigenen Kraft nie wieder zu Gott zu kommen
vermag und auch nicht weiß, wie er wieder zu ihm kommen soll. Dies beklagt
Herr David und spricht: „Ich
bin fern von Gott denn ich bin in Sünden geboren und bin so schwach geworden,
da ich aus eigener Kraft nicht wieder zu Gott zu kommen vermag. Auch habe ich
die Augen verloren, so dass ich nicht mehr weiß, auf welchem Weg ich wieder
zu ihm zu kommen vermag.“ Ein guter Mensch spricht in Buch des Herrn Jakob:[6] Wenn ein Mensch mit dem anderen
zusammenstößt, mag er einen Menschen dabei finden, der ihm hilft, sich wieder
zusammenzufinden. Doch wenn der Mensch mit Gott zusammenstößt, der so hoch
und unermesslich ist, wird man keinen Menschen finden können, der sie zusammenfinden
lässt. Denn an der Stellung des Herrn, den man verletzt hat, bemisst sich die
Wiedergutmachung.“
|
<1:5> Darum war es eine gute
Nachricht, dass der Prophet spricht: „Sehet,
die Tage kommen, sagt der Herr“,[7] an denen Gott geboren werden wird aus dem
Samen Davids. Dass es Gott selbst gesagt hat, ist eine bedeutende Sache: „Es ist eher möglich, dass sich
Himmel und Erde verändern, als dass das Wort unseres Herrn verändert werden
wird“.[8] Als die Altväter ihre beklagenswerte
Situation, in der sie sich befanden, erkannten, schrien sie ihr Anliegen in
das Himmelreich hinein und wurden in Gott hineingezogen mit ihrem Geist und
ließen in göttlicher Weisheit zu, dass Gott geboren werden sollte in
menschlicher Natur, der uns aus all unserem Klagezustand befreien sollte.
|
<1:6>Darum war die gute Botschaft
nämlich „ein kaltes Wasser für[9] eine durstige Seele“. Denn es ist wahr,[10] dass jedem, der einem Mitchristen in der
ewigen Liebe, in welcher Gott Mensch geworden ist, einen Schluck kaltes
Wasser gibt,[11]alle seine Sünden vergeben werden.[12] Und ich halte meine Seele dagegen: Wer
einen guten Gedanken unserem Herrn, Gott, in der ewigen Liebe opfert, der
wird gerettet.
Darum darf der Mensch weder Teufel noch Welt
noch sein eigenes Fleisch fürchten, noch darf er unseren Herrn, Gott,
fürchten. Denn Sankt Paulus spricht:[13] Der Sohn, der eine „Weisheit” des Vaters ist, ist uns „als Fürsprecher” gegeben, und er soll weise[14] fürsprechen trotz all unserer Fehler und
Fehltritte. Sankt Paulus sagt denn auch:[15] Er wurde uns als Vorkämpfer gegeben, der
für uns siegreich verteidigen[16] soll in all unserem Elend.
Wisst Ihr, wie der Mensch eigentlich verstehen und beten soll? Er
soll sich vor jeden, für den er beten will, zusammen mit seinen Sünden und
seiner Gebrechlichkeit in die Wunden unseres Herrn Jesus Christus legen und
von sich selbst denken, dass er unwürdig ist, und soll sich dem würdigen
Zeugen unseres Herrn Jesus Christus empfehlen, und er soll sich dem
himmlischen Vater in seinem heiligen Sohn opfern. Der himmlische Vater muss
entweder beide oder keinen aufnehmen.[17]
Wollte der Vater gegen uns kämpfen, er
könnte es nicht, denn dieselbe Macht und Weisheit, die der Vater besitzt, die
er hat der Sohn in gleicher Weise mit ihm, der uns gänzlich als Vorkämpfer
gegeben ist und uns zu einem so hohen Preis erworben hat, dass er uns nicht
loslassen will. Und der Vater kann ihm dies nicht versagen, da er seine
Weisheit ist. Er kann auch nicht gegen ihn kämpfen, da er seine Macht ist.
Darum darf der Mensch Gott nicht fürchten, sondern soll mutig mit all seinen
Anliegen zu Gott gehen.[18]
|
<1:7>Als der Mensch aus dem Paradies
verstoßen wurde, da setzt Gott drei Arten von Hütern vor das Paradies.[19] Der erste war von engelhafter Natur, der
andere ein glühendes Schwert, der dritte ein zweiseitiges Schwert, von denen
der Mensch keines besitzt.
Die engelhafte Natur bedeutet Reinheit. Als
Gottes Sohn auf die Erde kam, der ein „reiner
Spiegel ohne Flecken ist, und ein Antlitz und Bild des himmlischen Vaters“,
an welchem man gänzlich Gottes Willen ablesen kann, der brachte den ersten
Hüter auf und brachte in menschlicher Natur auf Erden Unschuld und Reinheit.
Salomon sagt zu Christus: „Er
ist ein reiner Spiegel ohne Flecken“.[20]
|
Das glühende Schwert bedeutet göttliche
glühende Liebe, ohne das der Mensch nicht in das Himmelreich kommen kann. Die
brachte Christus selbst mit und brachte den zweiten Hüter auf. Denn er hatte
mit derselben Liebe den Menschen lieb, noch bever er ihn geschaffen hatte. Et
in caritate perpetua dilexi te. Jeremias spricht: „Mit ewiger Liebe hat dich Gott geliebt“.[21]
|
Die göttliche Liebe brachte er mit sich auf
die Erde.
Der dritte Hüter war ein schneidendes
Schwert, nämlich der menschliche Klagezustand. Den nahm unser Herr vollends
auf sich, wie Jesaja sagt:[22] „vere languores nostros ipse tulit“,
„sicher wird er unsere Trauer tragen“.[23]
Darum ist er auf Erden gekommen, um die
Sünden des Menschen auf sich zu nehmen, um sie zu vernichten und den Menschen
zu retten. Doch nun steht das Himmelreich ohne jegliche Hüter offen; darum
kann der Mensch mutig zu Gott gehen.
|
<1:8>Wir müssen noch das Wort
bedenken, das er ebenfalls spricht: „Ich will den Samen oder die Frucht[24] Davids erwecken“.
Hierbei ist zu bachten, dass der Engel das
Wasser zu einer bestimmten Tageszeit aufrühte.[25] Daraus erhielt es eine solche Macht, dass
die Menschen von allen möglichen Krankheiten heilte.
Bedeutender ist es aber, dass Gottes Sohn
die menschliche Natur im Leib unserer Frau berührte. Hiervon ist die gesamte
menschliche Natur glücklich geworden.
|
Noch größeres Glück ist es, dass Gott durch
seine eiggene Natur das Wasser des Jordans berührt hat, als er getauft wurde.
Dadurch hat er alle Wasser bemächtigt, so dass der Mensch, wenn er getauft wird,
von all seinen Sünden gereinigt wurd und ein Kind unseres Herrn, Gott, wird.
|
Das allergrößte Glück ist es, dass Gott in
der Seele in einer geistlichen Einung geboren und offenbar wird. Hiervon wird
die Seele glücklicher als der Leib unseres Herrn Jesu Christi ohne seine
Seele und ohne seine Gottheit, denn eine jede glückliche Seele ist edler als
der tote Leib unseres Herrn Jesu Christi war.
|
<1:9>Die innere Geburt Gottes in der
Seele ist ein Vollzug all ihres Glückes und das Glück bereitet ihr mehr als
die Tatsache, dass unser Herr Mensch wurde im Leib unserer Frau, der heiligen
Maria, und dass er das Wasser berührte. Was Gott je erwirkt und getan hat
durch den Menschen, das dient ihm nicht mehr als eine Bohne, es sei denn er
vereine sich mit Gott in einer geistlichen Einung, da Gott geboren wird in
der Seele und die Weele in Got geboren wird, denn darum hat Gott all sein
Werk geworkt.[26]
|
Predigt 2* [Q
24] Dominica I in Adventu Domini - Sant Paulus sprichet: ‘întuot
iu’, inniget iu ‘Kristum’
|
<2:2>Dadurch, dass der Mensch sich
selbst entledigt, tut er Christus, Gott, Glück und Heiligkeit hinein.
Auch wenn ein Junge über Fremdartiges
spricht, glaubt man es ihm, doch wenn Paulus große Dinge verspricht, glaubt
Ihr ihm kaum. Er verspricht Dir Glück und Heiligkeit, sobald Du Dich Dir
entledigt hast. Es ist etwas verwunderlich, dass der Mensch sich selbst
entledigen soll, um Christus, Heiligkeit und Glück hineinzutun und sehr groß
enden wird.
|
<2:3>Der Prophet[28] verwundert sich über zwei Dinge. Das erste:
Was Gott mit den Sternen, dem Mond und der Sonne tut.[29] Das zweite Wundersame betrifft die Seele,
dass Gott so große Dinge mit ihr und für[30] sie getan
hat und tut, denn er tut, was er will, für sie. Er tut viele große Dinge für
sie, und doch ist er gänzlich unfrei von ihr, was von ihrer Größe stammt, in
der er sie geschaffen hat.
|
<2:4>Nimm wahr, wie groß er sie
gemacht hat! Ich gestalte einen Buchstaben nach dem Bild, das dieser
Buchstabe in meiner Seele besitzt und nicht nach meiner Seele. So ist es auch
mit Gott. Gott hat alle Dinge generisch[31] gemacht dem Bild aller Dinge entsprechend,
das er in sich hatte, doch nicht nach ihm selbst. Manche schuf er speziell
gemäß bestimmter Eigenschaften, die sie von ihm erhielten, etwa Güte,
Weisheit und was sonst man von Gott aussagt. Jedoch die Seele hat er nicht
allein nach dem Bild geschaffen, das in ihm ist, noch danach, was von ihm
empfangen und von ihm ausgesagt wird; stattdessen schuf er sie sich selbst
gemäß, tatsächlich gemäß allem, was er der Natur nach ist, dem Sein nach,
gemäß seinem herausfließenden, in ihm verbleibenden Wirken und dem Grund
gemäß, in welchem er in ihm selber bleibend ist, in welchem er derjenige ist,
der seinen eingeborenen Sohn gebiert, in welchem der Heilige Geist
herausblüht: Gemäß diesem ausfließenden, in ihm verbleibenden Wirken hat Gott
die Seele geschaffen.
|
<2:5>Natürlich ist allen Dingen, dass
immer in die Niedersten die Obersten hineinfließen, so lange die Niedersten
mit den Obersten zusammengefügt sind; Denn die Obersten empfangen niemals von
den Niedersten, sondern die Niedersten hingegen empfangen von den Obersten.
Wenn nun also Gott über der Seele ist, so ist Gott immer derjenige, der in
die Seele hineinfließt und der der Seele niemals mehr entfallen kann. Die
Seele fällt eher von ihm, doch so lange sich der Mensch unter Gott aufhält,
so lange empfängt er unmittelbar den göttlichen Einfluss, allerdings
außerhalb Gottes und unter keinen anderen Dingen seiend: weder unter der
Furcht, noch unter der Liebe, noch unter Leid, nocht unter irgendeinem Ding,
das nicht Gott ist. Nun, unterwirf Dich völlig Gott, so wirst Du den göttlichen
Einfluss gänzlich und bloß empfangen.
Wie empfängt die Seele von Gott? Die Seele empfängt von Gott nicht wie von einem Fremden, wie die Luft das Licht von der Sonne empfängt: denn diese empfängt aus etwas Fremden. Im Gegensatz dazu empfängt die Seele Gott nicht als etwas Fremdes, noch als unter ihm stehend, denn, was unter etwas anderem steht, das ist etwas Fremdem und Entferntem ausgesetzt. Die Meister[32] sagen, dass die Seele wie Licht vom Licht empfängt, weil da nichts Fremdes oder Entferntes ist. |
<2:6>Es gibt Eines in der Seele, in
welchem Gott bloß ist, und die Meister sagen,[33] es sei namenlos, und es besitze keinen
eigenen Namen. Es ist und besitzt doch kein eigenes Sein, denn es ist weder
dies noch das, noch ist es hier noch da; denn es ist, was es ist, in einem
anderen und jenes in diesem; denn, dass es ist, ist es in jenem und jenes in
diesem; denn jenes fließt in dies und dies in jenes –
<2:7>Und hier, meint er,[34] fügt Euch in Gott,[35] in das Glück! Denn hierin nimmt die Seele
all ihr Leben und Sein, und hieraus saugt sie ihr Leben und Sein; da dies
gänzlich in Gott ist und das andere hier draußen, darum auch ist die Seele
dementsprechend in Gott, es sei denn, sie trägt dies nach draußen oder es
verlöscht in ihr.
|
<2:8>Ein Meister sagt[36] dass dies Gott so gegenwärtig sei, dass er
sich niemals von Gott abkehren möge und ihm Gott immer gegenwärtig und in ihm
sei. Ich sage, dass Gott ohne Unterbrechung ewig in diesem gewesen ist, und
in diesem der Mensch mit Gott eins ist, wo Gnade nicht hinzu gehört, da Gnade
etwas Geschaffenes ist, und dort kein Geschöpft hinein gehört; denn in dem
Grund des göttlichen Wesens, da ist sie[37] eins dem Grund gemäß. Wenn du folglich
willst, dann gehören alle Dinge Dir und Gott. Das heißt: gib Dich selbst,
alle Dinge und alles, das Du für Dich selbst bist, auf und nimm Dich[38] dem gemäß, das Du in Gott bist.
|
<2:9>Die Meister sagen,[39] dass die menschliche Natur nichts mit Zeit
zu tun habe und dass sie gänzlich dem Menschen unberührbar und viel intimer
und näher sei als er sich selbst sei. Darum auch nahm Gott die menschliche
Natur an sich und vereinigte sie mit seinen Personen. Da wurde die
menschliche Natur Gott, da er die menschliche Natur als solche und nicht einen
Menschen an sich annahm. Willst Du also derselbe Christus und Gott sein, so
sei gib all das auf, das das ewige Wort an sich nicht annahm. Das ewige Wort
nahm keinen Menschen als solchen an; darum gib auf, was das individuell
Menschliche an Dir sei und was Du bist, und nimm Dich an allein als
menschliche Natur, so bist Du dasselbe wie das ewige Wort, das die
menschliche Natur selbst ist. Denn da zwischen deiner menschliche Natur und
der seinen kein Unterschied besteht, ist sie eine, denn die sie in Christus ist,
ist sie in Dir.
|
<2:11>Wie soll es recht um Dich
stehen? Das lässt sich dem Wort des Propheten[44] gemäß auf zwei Weisen verstehen, wenn er
sagt: „In der Fülle der Zeit wurde der Sohn gesandt“. Die „Fülle der Zeit“
ist zwiefältig. Dann ist eine Sache vollkommen, wenn es an seinem Ziel
angelangt ist, wie der Tag voll ist an seinem Abend. Wenn folglich alle Zeit
von Dir abfällt, ist die Zeit erfüllt. Die andere Bedeutung lautet: Wenn die
Zeit an ihr Ende gelangt, nämlich in der Ewigkeit, denn da hat alle Zeit ein
Ende, denn es gibt weder vorher noch nachher. Da ist alles, das dann ist,
gegenwärtig und neu, und dann hast Du in einer gegenwärtigen Intuition[45] alles, was je geschah und je geschenen
soll. Da gibt es kein vorher oder nachher, dann ist alles gegenwärtig; und in
dieser gegenwärtigen Intuition besitze ich alles. Das ist die „Fülle der
Zeit“, und dann steht es mit mir recht, und ich bin dann wirklich der eine
Sohn und Christus.
|
<2:12>Dass wir zu dieser „Fülle der
Zeit“ kommen, dazu helfe uns Gott! Amen.
|
Homily 3* [Q 68]
Dominica II in Adventu Domini - ‘Scitote, quia prope est regnum dei’
<3:1>‘Scitote, quia[46]
prope est regnum dei’.
|
<3:3>Erstens sollen wir „wissen“, in welcher Weise „das Reich Gottes“ uns
„nahe“ ist; zweitens, wann „das Reich Gottes“ uns „nahe“ ist. Darum sollen wir um die Bedeutung dessen „wissen“.
|
Wenn ich ein König wäre und nicht darum
wüsste, wäre ich kein König. Doch wäre ich davon völlig überzeugt, dass ich
ein König wäre, und alle Leute um mich wären mit mir überzeugt, und ich
hielte es für wahr, dass all diese Leute überzeugt davon wären, dann wäre ich
ein König, und folglich wäre der ganze Reichtum des Königs der meine, und mir
würde nichts fehlen. Die folgenden drei Dinge gehören notwendigerweise für
mich dazu, ein König zu sein. Und wenn mir eines
davon fehlte, wäre ich kein König.
|
<3:4>Ich bin so sicher wie ich
[sicher] bin, dass ich ein Mensch bin, dass mir nichts so „nahe“ ist wie Gott. Gott ist mir näher als ich
mir selber bin; mein Sein hängt daran, dass Gott mir nahe und gegenwärtig
ist. Und so ist er auch einem Stein oder einem Stück Holz [nahe],[53] auch wenn diese es nicht wahrnehmen. Wenn
das Holz von Gott wüsste und wahrnähme, wie nahe er ihm ist, so wie der
höchste Engel es weiß, er wäre so selig wie der höchste Engel. Doch darum ist
der Mensch seliger als ein Stein oder ein Holz, denn er weiß um Gott und
erkennt, wie nahe er ihm ist. Desto seliger bin ich, je mehr ich dies weiß,
und desto weniger bin ich selig, desto weniger ich dies weiß. Ich bin nicht
deshalb selig, weil Gott in mir ist, dass er mir nahe ist und dass ich ihn
besitze, sondern dadurch, dass ich weiß, wie nahe er mir ist und dass ich
jemand bin, der Gott kennt. Der Prophet sagt in einem Psalm: „Du sollst nicht so unwissend sein wie ein Maulesel
oder ein Pferd“.[54] Ein anderer Spruch stammt von dem Patriarchen
Jakob: „Gott ist an diesem Ort, doch ich bemerkte
es nicht“.[55] Man soll jemand sein, der Gott kennt,[56] und man soll wissen, dass „das Reich Gottes nahe ist“.
|
<3:5>Wenn ich über das „Reich Gottes“ nachdenke, dann bin ich oft völlig
sprachlos, weil es so groß ist; denn „das
Reich Gottes“ ist Gott selbst mit all seinem Reichtum. Gottes Reich
ist keine kleine Sache. Wer die gesamte Welt bedächte, die Gott hatte
schaffen wollen, das ist „das Reich Gottes“. Manchmal
pflege ich zu sagen: In welcher Seele auch immer „das
Reich Gottes“ erscheint, die weiß´, dass „Gottes
Reich“ ihr nahe ist, die braucht niemanden, der ihr predigt oder sie
lehrt: sie wird dadurch unterrichtet und des ewigen Lebens versichert, und
sie weiß und erkennt, wie „nahe Gottes Reich“[57] ist. Und die mag sagen, was Jakob sagte: „Gott ist an diesem Ort, auch wenn ich nicht darum
wußte“,[58] vielmehr: jetzt weiß ich es.
|
<3:6>Gott ist gleichermaßen[59] allen Geschöpfen „nahe“.[60] Der Weise sagt in Jesus Sirach: „Gott hat seine Nezte ausgebreitet“[61] und seine Stricke um alle Geschöpfe gelegt,
so dass man in ihm einen jeden von ihnen finde; der all das auf den Menschen
werfen könnte, so dass er das als Gott sieht und darunter Gott erkennt.
<3:7>Ein Meister sagt:[62] Derjenige kennt Gott in rechter Weise, der
in gleichermaßen in allen Dingen erkennt. Ich hatte auch einmal gesagt,[63] dass es gut sei, Gott unter Furcht zu
dienen, dass es better sei, ihm in Liebe zu dienen, doch es ist das Beste,
wenn man unter Furcht die Liebe greifen kann. Denn dass ein Mensch ein
ruhiges Leben führt, ist gut, doch es ist besser, dass ein Mensch geduldig
ein schwieriges Leben hat, doch es ist das Beste, wenn ein Mensch Friede in
einem schwierigen Leben hat. Ein Mensch mag aufs Feld gehen und sein Gebet
sprechen und um Gott wissen, oder in einer Kirche sein und um Gott wissen:
Wenn er Gott mehr gewahr ist, weil er an einem friedlichen Ort ist, wie dies
gewöhnlich der Fall ist, dann ist dies so wegen seiner Gebrechlichkeit, nicht
wegen Gott; denn Gott ist gleichermaßen in allen Dingen und an allen Orten,
und er will sich selbst gleichermaßen geben, soweit es an ihm liegt; und der
kennt Gott in rechter Weise, der Gott gleichermaßen kennt.
|
Der heilige Bernhard sagt: „Was ist der
Grund, dass mein Auge um den Himmel weiß, aber nicht mein Fuß. Der Grund
hierfür liegt darin, dass mein Auge dem Himmel ähnlicher ist als meine Füße
es sind“[64] Wenn die Seele Gott kennen soll, muss sie
himmlich sein.[65]
<3:8>Was bringt die Seele dazu, dass
sie Gott in ihr selbst erkennt und wahrnimmt, wie how „nahe“ ihr Gott ist?
Die Meister[66] sagen, dass der Himmel keine fremden
Eindrücke zulässt; er lässt nicht zu, dass ein schwieriges Problem ihm
eingedrückt wird, das ihn entsetzen würde. Folglich soll die Seele, die Gott
zu bekennen hat, gefestigt und ausdauernd sein, so dass weder Hoffnung, noch
Furcht, noch Freude, noch Jammer, noch Liebe, noch Leid sich in sie
eindrücken, auf dass sie nicht entsetzt werde.
|
<3:9>Der Himmel ist an allen seinen
Enden gleich weit von der Erde entfernt. Folglich soll auch die Seele gleich
weit entfernt von allen irdischen Dingen sein, so dass sie dem einen nicht
näher als dem anderen sei. Wo die edle Seele[67] ist, soll sie eine gleiche Entfernung von
allen Dingen von allen irdischen Dingen einnehmen, von Hoffnung, Freude und
Jammer. Über das, was auch immer von dieser Art ist, soll sie vollkommen
erhaben sein.[68]
<3:10>Der Himmel ist auch so rein und
klar, ohne jegliche Flecken, mit Ausnahme des Mondes. Die Meister[69] nennen ihn eine Hefe[70] des Himmels, der der Erde am nächsten ist.
Der Himmel wird von Raum oder Zeit nicht berührt. Kein körperliches Ding hat
da einen Ort; und wer die Schrift[71] voll ergründen kann,[72] der weiß sehr wohl, dass der Himmel keinen
Ort besitzt. Er ist auch nicht in der Zeit. Sein Umlauf ist unglaublich
schnell. Die Meister sagen,[73] dass sein Umlauf zeitlos ist, und dass die
Zeit vielmehr von seinem Umlauf herrührt. Nichts hindert die Seele so sehr in
der Erkenntnis Gottes als Zeit und Raum. Zeit und Raum sind Aufteilungen,
während Gott eins ist. Wenn folglich die Seele Gott bekennen soll, dann muss
sie ihn jenseits von Zeit und jenseits von Raum erkennen, denn Gott ist weder
dies noch das wie diese vielfältigen Dinge, denn Gott ist eins. Wenn die
Seele Gott erkennen möchte, so soll sie auf nichts schauen, was in der Zeit
ist; denn sobald die Seele um Zeit oder Raum oder ähnlicheds weiß,[74] wird sie nie im Stande sein, Gott zu
erkennen.
<3:11>Da das Auge die Farbe erkennen soll, muss es von jeglicher
Farbe geschieden sein.[75] Ein Meister sagt:[76] wenn die Seele Gott kennen soll, darf sie
„nichts mit irgendetwas gemein haben“. Wer Gott erkennt, der erkennt, dass
alle Geschöpfe nichts sind. Wenn man ein Geschöpf mit einem anderen
vergleicht, ist es schön und etwas besonderes, doch wenn man es mit Gott
vergleicht, ist es nichts.
|
Ich pflegte bisweilen zu sagen:[77] möchte die Seele Gott erkennen, muss sie
sich selbst vergessen und muss sich selbst aufgeben; denn erkennt sie sich
selbst, dann erkennt sie Gott nicht, mehr noch, in Gott findet sie sich.
Indem sie Gott erkennt, erkennt sie sich selbst und alle Dinge in ihm, wovon
sie sich getrennt hatte. Nachdem sie sich davon getrennt hatte, erkennt sie
sich vollständig.
Möchte ich wirklich das Gute erkennen, muss
ich es dort bekennen, wo das Gute in sich selbst ist, nicht dort, wo das Gute
aufgeteilt ist. Wenn ich wirklich das Sein erkennen möchte,[78] muss ich es dort erkennen, wo das Wesen in
ihm selbst ist, d.h. in Gott, nicht dort, wo es aufgeteilt ist. Dort erkennt
sie[79] das ganze Sein. Wie ich früher schon recht
gesagt habe,[80] ist in einem Menschen nicht die gesamte
Menschheit, denn ein einzelner Mensch ist nicht alle Menschen. Dort erkennt
die Seele in höchster Weise die ganze Menschheit und alle Dinge, wenn sie sie
dem Sein nach erkennt. Wäre ein Mensch in einem Haus, das schön gestrichen
wäre, und ein anderer, der nie in es gekommen wäre, der kann vielleicht gut
von ihm reden, doch der, der darin gewesen ist, der weiß [wie] es [ist].
<3:12>Ich bin mir dessen so sicher wie
[die Tatsache], dass ich lebe und dass Gott lebt: möchte die Seele Gott
erkennen, muss sie ihn jenseits von Zeit und Raum erkennen. Und die Seele,
die dazu kommt und die fünf Elemente hat, die erkennt Gott und weiß, wie
„nahe Gottes Reich ist“, d.h. Gott mit all seinem Reichtum, und das ist
„Gottes Reich“.
|
<3:13>Die Meister behandeln wichtige
Fragen im Kolleg,[81] wie es der Seele möglich werde, dass sie
Gott erkennen kann.
<3:14>Das geschieht nicht aus Gottes
Gerechtigkeit oder Strenge, wonach er viel vom Menschen verlangt, sondern
vielmehr aus seiner großen Barmherzigkeit will er, dass sich die Seele weite,
auf dass sie viel empfange [und] dass er ihr viel geben könne.
|
<3:15>Niemand soll denken, dass es
schwer sei, so weit zu kommen, es klingt nur schwer und außergewöhnlich.
Zugegebenermaßen ist es anfangs etwas schwer, sich zu lassen.[82] Doch je mehr man darin voranschreitet,
[desto mehr wird man erkennen], dass das Leben nie leichter, erfreulicher und
lebenswerter war; und Gott ist außerordentlich eifrig, allzeit bei dem
Menschen zu sein und ihm beizubringen, ihn aufzunehmen, wenn nur der Mensch
bereit ist, ihm zu folgen. Niemand wollte jemand etwas so sehr, wie Gott es
wünscht, den Menschen dazu zu bringen, dass er ihn kennt. Gott ist allzeit
bereit, auch wenn wir völlig unvorbereitet sind. Gott ist uns „nahe“, auch
wenn wir so fern von ihm sind. Gott ist in uns, auch wenn wir draußen sind;[83] Gott ist zuhause, auch wenn wir Fremde
sind. Der Prophet[84] sagt: Gott führt die Gerechten durch die
engen Gassen auf die breite Straße, damit sie in die Weite und das Offene
kommen.
|
<3:16>Auf dass wir ihm alle folgen,
damit er uns in sich bringe, wo wir ihn wirklich erkennen, dazu helfe uns
Gott. Amen.
Homily 4* [Q 77] Dominica III in Adventu Domini – ‘Ecce, mitto angelum
meum’
|
<4:2>Dies ist in dem Evangelium[85] geschrieben
und heißt verdeutscht: „Seht, ich sende meinen Engel“.
|
<4:3>Zuerst soll man wissen, was ein
Engel ist, denn es heißt in der Schrift, dass „wie wie Engel sein sollen“.[86] Ein Meister
meint, „der Engel sei ein Bild Gottes“.[87] Ein anderer
sagt, dass er im Bild Gottes gemacht sei. [88] Ein dritter
trägt vor, dass er ein „reiner Spiegel sei“,[89] der „in ihm
sei“ und „in ihm“ das Gleichnis Gottes „bewahre“[90], nämlich „so
viel als möglich“ „Gottes Gutsein und Gottes Reinheit“, „Gottes Ruhe und
Verborgenheit“. Einer aber sagt, er sei „ein intelligibles, reines Licht“,
getrennt von jeglichem materiellen Ding.[91] Diesen
Engeln sollten[92]
wir gleich werden.
<4:4>Alles, das erkennt, muß im Lichte
der Zeit erkennen, denn was ich glaube, glaube ich im Licht der Zeit, welches
zeitgebunden ist. Doch der Engel erkennt in einem Licht, das jenseits von
Zeit ist und ewig ist. Darum erkennt er in einem ewigen Nun. Der Mensch
jedoch erkennt in einem Nun der Zeit.[93] Das kleinste
Maß[94] ist das Nun
der Zeit. Nimmst Du aber das Nun der Zeit weg, dann bist Du überall und hast
alle Zeit. Dies oder das Sein meint nicht alle Dinge,[95] denn so
lange ich dies oder das bin, oder dies oder das besitze, bin ich weder alle
Dinge noch besitze ich alle Dinge. Schneide ab, dies oder das zu sein, oder
dies oder das zu besitzen, dann bist Du alle Dinge und hast alle Dinge. Und
folglich bist Du weder hier noch da, sondern überall. Und wenn Du weder dies
noch das bist, dann bist Du alle Dinge.
Der Engel ist und wirkt mit seinem Intellkt
an seinem Ort und schaut unablässig, und sein Gegenstand ist ein
intelligibles Sein. Aus diesem Grund ist sein Sein weit von jeglichem Ding
entfernt. Was irgendeine Summe[96] oder Zahl
ist, davon ist er ferne.
|
<4:5>Sprechen wir ein bisschen über
den Vers, in welchem er sagt: „Ich sende“. Das eine Evangelium[97] verschweigt das
Wort „Ich“ nicht, das andere[98] erwähnt das
Wort „Ich“. Der Prophet[99] sagt: „Ich
sende meinen Engel“, doch der Evangelist[100] verschweigt
das Wort „Ich“ und sagt: „Seht, sende meinen Engel“.
Welche Bedeutung hat es nun, dass das eine
Evangelium das Wort „Ich“ verschweigt?[101]
Erstens verdeutlicht dies die
Unaussprechlichkeit Gottes, dass Gott nicht benannt werden kann und über jede
Sprache in der Reinheit seines Grundes ist, wo Gott keine Worte noch Sprache
haben kann, wo er unaussprechlich ist für alle Geschöpfe und wortlos.
Zweitens bedeutet dies, dass die Seele
unaussprechlich ist und ohne Sprache; wo sie sich in ihrem eigenen Grund
erfasst, da ist sie wortlos und unbenennbar, noch kann sie dort Worte haben,
da sie über Begriffen und über jeder Sprache ist. Das bedeutet es, dass das
Wort „Ich“ verschwiegen wird, denn dort hat sie weder Begriff noch Sprache.
<4:6>Drittens, dass Gott und die Seele
so sehr eins sind,[102] dass Gott
keine Eigenschaft besitzt, mit dem er sich von der Seele unterscheiden kann,
so dass er etwas anderes wäre und folglich sagen könne: „Ich sende meinen
Angel“, als ob er etwas anderes wäre als die Seele. Denn wenn er „Ich“ sagte,
würde er bedeuten, dass er gegenüber der Seele ein anderer wäre. Darum wird
das Wort „Ich“ verschwiegen, denn er und die Seele sind so sehr eins, dass
Gott keine Eigenschaft besitzen kann, so dass weder etwas noch nichts von
Gott gesagt werden kann, das auf Unterschied oder Anderssein hindeuten könne.
|
<4:7>Andererseits, dass das Evangelium[103] das Wort
„Ich“ anführt, so bedeutet dies erstens Gottes Seinsheit:[104] dass
alleine Gott ist; denn alle Dinge sind in Gott und von ihm, weil außerhalb
von ihm und ohne ihn in Wahrheit nichts ist. Denn alle Geschöpfe sind ein zu
vernachlässigendes Ding und ein nacktes Nichts verglichen mit Gott. Was sie
folglich in Wahrheit sind, das sind sie in Gott, und darum ist in Wahrheit
alleine Gott. Und darum bedeutet das Wort „Ich“ die Seinsheit göttlicher
Wahrheit, denn es beweist[105] die
Seinsheit.[106]
Das beweist, dass er alleine ist.
<4:8>Zweitens bedeutet es, dass Gott
ununterschieden ist von allen Dingen, denn er ist in allen Dingen, weil er
ihnen innerlicher ist, als sie sich selber sind. Darum ist Gott
ununterschieden von allen Dingen. Folglich soll auch der Mensch
ununterschieden sein von allen Dingen, d.h. dass der Mensch für sich selbst
nichts sei und vollkommen von sich abzusehen habe. Auf diese Weise ist er
ununterschieden von allen Dingen und ist alle Dinge. Denn sofern Du nicht in
Dir selbst bist, bist Du so fern von allen Dingen und ununterschieden von
allen Dingen. Und so weit Du ununterschieden bist von allen Dingen so fern
bist Du von Gott und allen Dingen, denn Gottes Gottheit setzt voraus, dass er
ununterschieden ist von allen Dingen ist. Folglich ergreift der Mensch, der
ununterschieden von allen Dingen ist die Gottheit darin, wo Gott selbst
derjenige ist, der seine Gottheit ergreift.
<4:9>Drittens bedeutet das Wort „Ich“
eine gewisse Vollkommenheit[107] des
Begriffes „Ich“, weil es nicht eigentlich ein Nomen ist;[108] es steht
für ein Nomen und für die Vollkommenheit des Begriffes und bedeutet eine
Unveränderlichkeit und Ungreifbarkeit, und darum bedeutet es, dass Gott
unveränderlich, unbegreifbar und von ewiger Beständigkeit ist.
<4:10>Viertens[109] bedeutet es
das nackte und reine, göttliche Sein, welches nackt ist ohne jegliches
Akzidenz.[110]
Denn Gutsein, Weisheit und was man noch von Gott sagen mag, all das sind
Akzidentien von Gottes nacktem Sein; denn alle Akzidentien sind dem Sein
fremd. Und darum bedeutet das Wort „Ich“ Gottes reines Sein, das da in ihm
selbst nackt und ohne alle Akzidentien ist, die es fremd und unterschieden
machen würden.
|
<4:11>Nun sprechen wir endlich von den
Engeln, wie ich gerade zuvor sagte,[111] dass sie „ein
Bild Gottes“ sind und dass sie „ein Spiegel“ sind, der in sich „so viel als
möglich“ ein Gleichnis „von Gutsein und Reinheit“ „von Gottes Ruhe und
Verborgenheit“ ist. Nun sollen wir gleich den Engeln sein,[112] und darum
ein Bild Gottes, denn Gott hat uns geschaffen als ein Bild seiner selbst. Der
Künstler, der das Bild eines Menschen schaffen will, der schafft nicht eines
von Konrad oder Heinrich. Und macht er doch ein Bild von Konrad oder
Heinrich, so will er doch nicht den Menschen, sondern Konrad oder Heinrich
abbilden. Und schafft er ein Bild von Konrad, so soll es nicht eines von
Heinrich sein. Doch möchte und könnte[113] er, würde
Konrad vollkommen abbilden und ihn als denselben [wie Heinrich][114] und ihn
völlig ihm gleich.[115] Nun vermag
dies Gott vollkommen und er ist fähig dazu; darum hat Gott Dich vollkommen
wie ihn selbst geschaffen und als ein Bild von sich. Doch „wie ihn“ verweist
auf Fremdheit und Unterschiedenheit. Nun ist aber zwischen Mensch und Gott
nichts Fremdes noch Unterschiedenheit; und darum ist er ihm nicht gleich,
sondern er ist ihm vollkommen gleich und genau derselbe, der er ist.
|
<4:12>Mehr weiß und kann ich nicht
wissen. So findet diese Predigt ihr Ende.
<4:13>Allerdings hatte ich unterwegs
einen Gedanken, dass der Mensch so sehr von seiner Intention abgeschieden[116] sein
sollte, dass er an niemand und nichts anderes denken sollte als an die
Gottheit in ihr selbst, nicht an Seligkeit, noch an dies oder das, außer
allein an Gott als Gott und die Gottheit in ihr selbst; denn alles andere, an
das Du denkst, sind alles Akzidentien der Gottheit. Darum, schneide[117] all die
Akzidentien der Gottheit ab und ergreife sie nackt in ihr selbst.
|
<4:14>Dass wir hierzu gelangen mögen,
dazu verhelfe und Gott! Amen.
|
Predigt 9* [S
101] Dominica infra octavam nativitatis Domini – „Dum medium silentium tenerent omnia“
<9:2>Wie begehen hier in der Zeit die
ewige Geburt, die Gott, der Vater, hervorgebracht hat und in Ewigkeit
unablässig hervorbringt, dass dieselbe Geburt nun in der Zeit in Menschennatur
hervorgebracht wurde. Der Heilige Augustinus sagt: „Was
hilft mir das, dass diese Geburt immer geschieht, wenn sie aber nicht in mir
geschieht? Doch dass sie in mir geschehe, daran hängt alles“.[119]
|
<9:3>Nun ist es mein Auftrag, von
dieser Geburt zu handeln, wie sie in uns geschehen und in der guten Seele
vollbracht werden kann, wo Gott, der Vater sein ewiges Wort sei, das in die
vollkommene Seele spricht. Denn, was ich hier sage, soll von dem guten,
vollkommenen Menschen gelten, der „auf dem Weg
Gottes wandelte und noch wandelt“,[120] nicht von dem naturhaften, ungeübten
Menschen, denn dieser ist völlig fern und weiß überhaupt nichts von dieser
Geburt.
|
<9:5>Drei Dinge sollen hier beachten.
|
<9:6>Das erste ist, wo Gott, der
Vater, sein Wort in der Seele spricht, wo diese Geburt statt findet und wo
sie [sc. die Seele] diese empfängt.[123] Denn dies muss in dem allerreinsten,
edelsten und feinsten Teil dessen die Seele fähig ist, geschehen. Wenn Gott
wirklich in seiner ganzen Allmacht die Seele mit etwas edlerem ausstatten
könnte, und wenn die Seele von ihm etwas edleres hätte empfangen können, dann
hätte der Vater die Geburt verschieben müssen bis auf die Ankunft eben dieses
Adels. Darum muss die Seele, in der diese Geburt stattfinden soll, sich
selbst in voller Reinheit bewhren und ein äußerst edles Leben leben,
vollkommen vereint und völlig innerlich, und sie darf nicht mit ihren fünf
Sinnen nach draußen eilen in die Mannigfaltigkeit der Geschöpfe; stattdessen
sollsie vollkommen innerlich sein und sie soll eins sein; und ihr Ort ist in
diesem reinsten Teil, er verschmäht[124] jegliches Geringere.
|
<9:7>Das zweite Moment dieser Predigt
beschäftigt sich mit der Frage, wie der Mensch auf dieses Werk reagieren
soll, bzw. zu dieser Einrede und diesem Gebären, ob es nützlicher sei, ein
Mitwirkender hierfür zu sein und so mittue und mitverdiene, auf dass diese
Geburt in ihm geschehe und hervorgebracht werde, auf dass der Mensch in ihm
ein Bild in seinem Intellekt und in seinem Denken schaffe und sich an ihm probiere
und dabei denken: Gott ist gut, weise, allmächtig, ewig und was er alles von
Gott denken mag, ob dies nützlicher sei und die väterliche Geburt befördern
würde, oder ob man sich von sich zurückziehe und sich frei mache von allen
Gedanken und allen Worten und allen Werken und von allen Bildern und allem
Denken, und man sich gänzlich in einem reinen Gotterleiden ergehe, und sich
müssig verhalte und Gott in sich wirken lasse, worin der Mensch am meisten
dieser Geburt dienen könne.
|
<9:8>Das dritte Moment ist, wie groß
der Gewinn ist, der aus dieser Geburt resultiert.
|
<9:9>Nun beachtet, was das erste
betrifft: Ich möchte diese Überlegung für Euch stützen mit gewöhnlichen
Argumenten, damit ihr sie selbst begreifen könnt, [und] dass es sich so
verhält, wie behauptet, denn ich vertraue der Schrift letztlich mehr als mir
selbst. Aber es wird euch eingängiger und besser erreichen durch ein
stützendes Argument.
|
<9:10>Greifen wir nun den ersten
Ausdruck heraus, wo es heißt: „mitten im
Schweigen“ „wurde in mich hinein ein
geheimes Wort gesprochen“.[125] Ach Herr, wo ist Schweigen und wo ist der
Ort, in den das Wort hineingesprochen wird? Doch sehet, wie ich zuvor sagte:[126] Es ist in dem reinsten Teil, dessen die
Seele fähig ist, in dem edelsten, im Grund, ja im Sein der Seele.[127] Dort ist „die
Mitte des Schweigens“,[128] in das hinein weder ein Geschöpf noch ein
Bild hineinreichen, noch kann die Seele dort wirken oder verstehen, weiß um
ein kein Bild, weder von ihr selbst noch von irgendeinem Geschöpf.
|
<9:11>Alle Werke, die die Seele wirkt,
die wirkt sie mit ihren Kräften: Was sie versteht, versteht sie durch den
Intellekt.[129] Wenn sie sich erinnert, so
tut sie dies durch die Erinnerung. Wenn sie liebt, tut sie es durch den
Willen. Sie wirkt folglich vermittels der Kräfte und nicht durch ihr Sein. Jede
äußere Aktivität hängt an einer Vermittlung. Die Sehkraft gibt es nicht ohne
Augen, anders kann sie auf keine Weise Sehen bewirken oder Sehend machen. Und
so verhält es sich mit allen anderen Sinnen. All ihre äußere Aktivitäten
geschehen durch eine Art Vermittlung.[130] Hingegen gibt es im Sein kein
Werk. Mehr noch, die Kräfte Kräfte, mit denen sie wirkt, fließen aus dem
Grund des Seins.[131] Und darüberhinaus, im Grund,
dort ist „die Mitte [das Mittel] des Schweigens“,
hier ist alleine Ruhe und ein Feiern anlässlich dieser Geburt und
dieses Werks, dass Gott, der Vater, sein Wort hier spreche. Denn dieser Teil
ist von Natur aus ausschließlich empfänglich für das göttliche Sein ohne
jegliche Vermittlung.
<9:12>Hier geht Gott in die Seele mit
all dem Seinen, nicht mit Teilen von ihm. Hier geht Gott in den Grund der
Seele. Niemand außer Gott kommt in den Grund der Seele. Die Geschöpfe können
nicht in den Grund der Seele gelangen. Sie müssen hier draußen in den
Kräftenbleiben. Dort betrachtet es [sc. das Geschöpf] klar sein Bild, durch
das es[132] hineingezogen ist und Wohnung erhalten hat.[133] Denn wenn die Käfte der Seele die Geschöpfe
berühren, nehmen sie von den Geschöpfen und schaffen Bilder und Gleichnisse
und absorbieren diese. Und auf diesem Weg erkennen sie die Geschöpfe. Ein
Geschöpf kann nicht tiefer in die Seele kommen, und die Seele nähert sich
keinem Geschöpf, es sei denn sie hat zuerst willentlich sein Bild in ihr
empfangen. Aufgrund der in ihr anwesenden Bilder nähert sie sich den
Geschöpfen, denn ein Bild ist etwas, das die Seele von den Dingen vermittels
der Kräfte schafft, sei es ein Stein, eine Rose,ein Mensch oder was auch
immer sie kennen mag.
|
<9:13>Wenn jedoch ein Mensch auf diese
Weise ein Bild erhält, kommt es notwendigerweise von außen, durch die Sinne
vermittelt. Und darum ist der Seele nichts so unbekannt wie sie sich selbst.
Entsprechend sagt ein Meister,[134] dass die Seele kein Bild von sich selbst
schaffen oder machen kann. Deshalb kann sie sich selbst überhaupt nicht
kennen, da alle Bilder durch die Sinne hineinkommen, weshalb sie kein Bild
von sich besitzen kann. Folglich kennt sie alle anderen Dinge, doch nicht
sich selbst. Und wegen der Vermittlung weiß sie von nichts so wenig wie von
ihr selbst.
|
<9:14>Und das sollt Ihr auch wissen,
dass sie innen so nackt und frei von jeglichem Mittel und jeglichen Bildern
ist. Und dies ist auch der Grund dafür, dass Gott sich nur mit ihr vereinen
kann, ohne Bilder und Gleichnisse. Du kannst es nicht bestreiten: was auch
immer Du einem Handwerker an Fähigkeiten zuschreiben kannst, das müsstest Du ohne
Einschränkung auch Gott zuschreiben. Je begabter und fähiger nun aber ein
Meister ist, desto unmittelbarer wird sein Werk ausgeführt und desto
einfacher ist es. Der Mensch benutzt viele Mittel bei seinen äußeren Werken. Bevor
er diese gemäß den Bildvorgaben, die er in sich kreiert hat, ausführen kann,
ist eine intensive Vorbereitung der Materialien vonnöten. Im Unterschied dazu
wirkt die Sonne in ihrer Souveränität und ihrer Sonnenstrahlung sehr schnell.
Sobald sie ihren Strahl aussendet, ist die Welt bis an all ihre Enden sofort
voller Licht. Darüber hinaus jedoch ist der Engel: Er braucht noch weniger
Mittel für sein Wirken and besitzt sogar noch weniger Bilder. Je höher der
Engel ist, desto weniger Bilder besitzt er. Der höchste Seraph besitzt nur
ein einziges Bild: was auch immer diejnigen, die sich unter ihm befinden[135] als Vielfalt aufnehmen, nimmt
er alles als eines. Doch Gott bedarf keines Bildes, noch hat er ein Bild. Gott
wirkt in der Seele ohne Mittel, Bild oder Gleichnis, ja, in den Grund kam nie ein Bild, nur er selbst mit
seinem eigenen Sein. Das kann kein Geschöpf tun.
|
<9:15>Wie gebärt Gott, der Vater,
seinen Sohn im Grund der Seele? Ist es so, wie die Geschöpfe es tun in
Bildern und Gleichnissen? Nein, gewiss nicht! Im Gegenteil, auf dieselbe
Weise wie er in der Ewigkeit gebärt, nicht weniger nicht mehr. Doch, wie
gebärt er ihn dort? Beachtet dies! Seht, Gott, der Vater, hat einen
vollkommenen Einblick in sich selbst und eine abgründige Kenntnis seiner
selbst, durch und durch, nicht durch ein Bild. Und auf diese Weise gebärt der
Vater seinen Sohn in wahrer Einheit der göttlichen Natur. Seht, auf dieselbe
Weise und in keiner anderen gebärt Gott, der Vater, seinen Sohn in der Seele
Grund und in ihrem Sein und vereinigt sich so mit ihr. Wenn da ein Bild
existierte, könnte keine Einheit sein. Doch in der wahren Einheit liegt all
ihre Seligkeit.
|
<9:16>Nun wollt Ihr vielleicht sagen,
in der Seele sei nichts als Bilder der Natur. Nein, dem ist nicht so! Denn,
wenn dies wahr wäre, könnte die Seele nie selig sein, weil Gott kein Geschöpf
machen will, durch das Du vollkommene Seligkeit empfangen könntest. Sonst
wäre Gott nicht die höchste Seligkeit und das letzte Ziel, was seine Natur
ist, und er will Anfang und Ende aller Dinge sein. Kein Geschöpf kann Deine
Seligkeit sein; deshalb kann auch keines hier Deine Vollkommenheit sein, denn
die Vollkommenheit dieses Lebens, d.h. von allen Tugenden, ist gefolgt von
der Vollkommenheit von jenem Leben. Und dieser Art musst Du notwendigerweise
sein und Wohnung neben im Sein und im Grund. Dort muss Dich Gott berühren mit
seinem einfachen Sein ohne Vermittlung eines Bildes. Kein Bild gibt sich
selbst wider oder deutet auf sich selbst hin. Es zieht den Blick und richtet
ihn völlig nach dem aus, von dem es Bild ist.[136] Und wie man sieht, dass man nur ein Bild
von etwas Äußerem besitzt, das von den Geschöpfen durch die Sinne innerlich
aufgenommen und daraufhin ausgerichtet wird, von dem es Bild ist, ist es
folglich unmöglich, dass man je vermittels eines Bildes selig werden kann.
Das ist der Grund dafür, dass dort Schweigen und Ruhe sein muss; dort muss
der Vater ohne jegliches Bild sprechen, seinen Sohn gebären und sein Werk
schaffen.
|
<9:17>Der zweite Teil[137] lautet: was ist des Menschen eigener
Beitrag zu diesem Wirken, damit er mittue und mitverdiene, dass diese Geburt
in ihm geschieht und vollbracht werde? Ob es nicht besser wäre, der Mensch
trage selbst etwas zu diesem Werk bei, etwa sich Gott vorzustellen oder über
ihn nachzudenken, oder ob der Mensch in Schweigen verharren solle, in Stille
und Ruhe, und Gott in ihm sprechen und wirken lasse, alleine auf Gottes Werk
in ihm wartend.
|
<9:18>Doch ich sage, was ich zuvor
bereits gesagt habe:[138] Was hier gesagt ist und diese Wahrheit
bezieht sich ausschließlich auf die guten und vollkommenen Menschen, die dort
in sich und zu sich das Sein aller Tugenden gezogen haben, auf dass diese
Tugenden substantiell ohne ihr Zutun ausfließen, und, noch wichtiger, dass
das würdige Leben und die edle Lehre unseres Herrn Jesus Chrisuts in ihnen
lebe. Sie sollen wissen, dass das allerbeste und aller edelste, was der
Mensch in diesem Leben erreichen kann, das Folgende ist: Dass Du schweigen
sollst und Gott wirken und sprechen lässt.[139]
|
<9:19>Wenn all die Kräfte von all
ihren Werken und Bildern abgezogen sind, dann wird dies Wort gesprochen. Darum
sagte er sehr richtig:[140] „In der
Mitte des Schweigens“ steigt dieses Wort innerlich in
mich hinab. Je mehr Du also all Deine Kräfte hin zu einem Vergessen aller
Dinge und ihrer Bilder ziehst, die Du je in Dich aufgenommen hast, und je
mehr Du Dich von allen Geschöpfen und ihren Bildern zurückziehst, desto näher
bist Du ihm und je empfänglicher für ihn. Möchtest Du alle Dinge völlig
vergessen wollen, ja, möchtest Du Deinen eigenen Leib und und Dein eigenes
Leben vergessen, wie es Paulus geschah, als er sagte: „Ob ich im Leib oder nicht, das weiß ich nicht, Got, der weiß es“.[141] Dort hatte der Geist alle
Kräfte so sehr in sich gezogen, dass er seinen Leib vergaß. Dort wirkten
weder Erinnerungen, Absichten, Sinne noch die Kräfte, die auf den Leib hätten
einwirken, ihn bestimmen oder schmücken können. Das Verbrennen und Erhitzen
hatte aufgehört, so dass der Leib, während er in diesen drei Tagen nichts aß
oder trank, nichts von sich gab.
<9:20>Das geschah auch Mose,[142] alser für vierzig Tage auf dem Berg
fastete, doch wurde er deshalb keinesfalls schwächer. Er war am letzten Tag
so gekräftigt wie er am ersten war. Folglich soll der Mensch all den Sinnen
entrinnen, seine Kräfte heim bringen und ein Vergessen aller Dinge und seiner
selbst entwickeln.
<9:21>Hiervon sprach ein Meister über
die Seele: „Ziehe Dich von der Ruhelosigkeit
äußerer Werk zurück. Dann flieh und verbirg Dich vor dem Sturm innerer
Gedanken, denn sie bereiten Unfriede.“[143] Wenn also Gott sein Wort in die Seele
sprechen soll, muss sie sich in Ruhe und Friede befinden. Denn dann spricht
er sein Wort und sich selber in die Seele, doch nicht ein Bild, sondern
vielmehr sich selbst.
|
<9:22>Der Heilige Dionysius sagt:[144] Gott hat weder Bildnoch Gleichnis seiner
selbst, denn er ist dem Sein nach alles Gute, die Wahrheit und das Sein.
|
<9:23>In einem Augenblick wirkt Gott
all sein Werk in ihm selbst und aus ihm selbst. Denke nicht, dass Gott, als
er Himmel und Erde und alle Dinge erschaffen hat, an einem Tag das eine und
am nächsten Tag etwas anderes geschaffen hat, auch wenn es Mose so
beschreibt. In Wahrheit wusste er es besser, doch er tat es der Menschen
willen, die es nicht anders verstanden hätten. Gott tat nicht mehr als er tun
wollte, er sprach und sie entstanden.[145] Gott wirkt ohne Mittler und
ohne Bild. Je weniger Du mit einem Bild bist, desto mehr bist Du empfänglich
für sein innerliches Wirken, und desto mehr Du auf das Innere hin
ausgerichtet und zum Vergessen gelangt bist, desto näher bist Du ihm.
|
<9:24>Hierzu ermuntert Dionysius
seinen Schüler Timotheus, indem er sagt: „Mein
lieber Sohn, Timotheus, Du sollst mit verkehrten Sinnen Dich aufschwingen
über dich selbst und über alle Kräfte, über Verstand und Intellekt, über Werk,
Ausgestaltungen und Sein, hineinin die verborgene, stille Dunkelheit, auf
dass Du zur Erkenntnisdes unbekannten übergöttlichen Gottes kommst“.[146] Es bedarf eines
Sich-Entziehens von allen Dingen. Gott verschmäht es, durch Bilder zu wirken.
|
<9:25>Nun magst Du vielleicht fragen:
Was wirkt Gott ohne Bilder im Grund und im Sein? Das kann ich nicht wissen,
denn die Kräfte können nur in Bildern empfangen, da sie alle Dinge empfangen
und mit ihren eigenen Bildern erkennen müssen. Sie können ein Pferd nicht
durch das Bild eines Menschen erkennen und begreifen. Und weil alle Bilder in
sie[147] von außen gelangen, deshalb ist sie [die
Kenntnis] ihr verborgen. Doch ist dies für sie äußerst nützlich. Das
Nichtwissen zwingt sie dazu, sich zu wundern und ihr nachzujagen, denn sie
spürt sehr wohl, dass sie existiert, auch wenn sie nicht weiß, was und wie
sie ist. Sobald ein Mensch den Grund von etwas kennt, wird er der Sache müde
und will eine andere erkunden und kennenlernen, quält sich und jammert immer
mehr im Wunsch etwas zu wissen,[148] doch er bleibt nicht dabei. Folglich
hält ihn dieses nichtwissende Wissen dabeizubleiben und lässt ihn diesem nachjagen.
|
<9:26>Hiervon spricht der Weise: „Mitten in der Nacht, wenn alle Dinge in Stille und Schweigen
sind, da wurde mir ein geheimes Wort zugesprochen, das kam wie ein Dieb beim
Stehlen“.[149] Warum nannte er es ein Wort,
wenn es geheim war? Das Wesen des Wortes ist es, zu offenbaren, was verborgen
ist. Es offenbarte mir sich selbst und machte mir deutlich, dass es etwas
Offenbarendes war. Und es tat mir Gott kund.[150] Daher wird es ein Wort genannt. Doch was es
war, blieb mir verborgen. Das war sein verstohlenes Kommen in einer
flüsternden Stille, um sich zu offenbaren. Darum müssen und sollen wir nach
ihm jagen, während es verborgen ist. Es schien und war doch verborgen.[151] Das heißt, wir jammern ihm hinterher und
quälen uns nach ihm.[152] Hierzu ermuntert uns der Heilige Paulus,[153] dass wir diesem nachjagen bis wir es
erspüren, und dass wir niemals aufhören, bis wir es ergriffen haben. Als er
in den dritten Himmel emporgehoben wurde zur Kunde Gottes und alle Dinge
gesehen hatte, und als er wieder zurückkam, hatte er alles vergessen; mehr
noch, es war so tief drinnen im Grund, dass sein Intellekt nicht eindringen
konnte. Es war verdeckt. Aus diesem Grund, musste er ihm nachjagen, und es in
seinem Innern, nicht außerhalb seiner selbst verfolgen. Es ist vollkommen im
Innern, nicht draußen, vielmehr ist alles drinnen. Und weil er dies wusste,
sagte er: „Darum bin ich überzeugt, dass weder
Tod noch irgendeine Anfechtung mich von dem trennen kann, was ich in mir
finde“.[154]
|
<9:27>Hiervon äußerte ein heidnischer
Meister[155] ein rechtes Wort gegenüber einem anderen
Meister: „Ich wurde mir einer Sache in mir
gewahr, die in meinem Intellekt aufscheint. Ich kann deutlich erkennen, dass
es etwas ist, doch was es ist, kann ich nicht greifen. Doch ich denke, wenn
ich es nur erfassen könnte, würde ich die ganze Wahrheit kennen“. Dann
sagte der andere Meister: „Nun denn, folge ihm!
Denn könntest Du das begreifen, dann hättest Du die Summe alles Guten und
hättest ewiges Leben“. Hiervon sprach auch der Heilige Augustinus: „Ich werde mir einer Sache gewahr, die spielt und lukt
vor meiner Seele hervor. Würde dies vervollkommnet und in mir gefestigt, das
wäre gewiss ewiges Leben.“[156] Es verbirgt sich und zeigt
sich dennoch.
<9:28>Es kommt, aber wie ein Dieb mit
der Absicht, von der Seele alle Dinge zu nehmen und zu stehlen. Doch indem es
sich etwas zeigt und offenbart, will es hiermit die Seele reizen, sie zu ihm
hinziehen, und sie des ihren berauben und ihr nehmen. Davon sprach der
Prophet: „Herr, nimm ihren Geist von ihnen“.[157] Dies meinte auch die liebende Seele, als
sie sagte: „Meine Seele löste sich auf und
schmolz dahin, als der Geliebte sein Wort sprach“.[158] Als er eintrat, musste ich
loslassen. Das meint auch Christus, als er sagte: „Wer
irgendetwas um meinetwillen lässt, wird hundertfach belohnt“, und wer
mich auch besitzen will, der „muss sich selbst
und alle Dinge verleugnen, und wer mir dienen will, der muss mir folgen“,[159] er soll nicht den Sinnen
folgen.
|
<9:29>Nun willst Du vielleicht sagen:
Sehr wohl, Herr, Sie wollen den natürlichen Gang der Seele umkehren und gegen
ihre Natur gehen! Ihrer Natur nach empfängt sie durch die Sinne und in
Bildern. Willst Du diese Ausrichtung ändern?
|
<9:30>Nein! Was weißt Du, welcher Adel
Gott in die Natur gelegt hat, die noch nicht völlig beschrieben, sondern
vielmehr verborgen ist? Als sie überden Adel der Seele schrieben, sind sie
nicht weiter gekommen als wohin sie ihr natürlicher Intellekt führte. Sie
sind nie in den Grund gelangt. Er muss ihnen völlig verborgen und unbekannt
geblieben sein. Aus diesem Grund sagte der Prophet: „Ich
will sitzen und will schweigen“ und „will
hören, was Gott in mir spricht“,[160] denn es ist so verborgen. Darum
kam das Wort in der Dunkelheit der Nacht.[161] Hierüber schreibt der Heilige Johannes: „Das Licht leuchtet in der Dunkelheit“ „Es kam in sein Eigen, und alle die es empfingen,
wurden mächtige Söhne Gottes: ihnen wurde die Macht gegeben, Gottes Söhne zu
werden“.[162]
|
<9:31>Nun bedenke den Gewinn und die
Frucht des verborgenen Wortes und dieser Dunkelheit! Nicht alleine ist der
Sohn des himmlischen Vaters in dieser Dunkelheit geboren, die „sein Eigen“ ist, mehr noch, dort bist auch Du
geboren als das Kind des himmlischen Vaters, nicht als das eines anderen, und
er gibt Dir die Macht.
|
<9:32>Nun beachte den Gewinn. Die
gesamte Wahrheit, die je von allen Meistern vermittels ihrer eigenen Vernunft
und ihrem eigenen Verstand gelehrt wurde, oder was auch immer mehr bis an den
jüngsten Tag [gelehrt werden wird], sie hatten nie das Allergeringste von
diesem Wissen und diesem Grund verstanden. Und auch wenn es ein Nichtwissen
hei-t und ein Nichtkennen, so besitzt es doch mehr als alle äußere Weisheit
und Kenntnis. Denn dieses Nichtwissen reizt und zieht Dich weg von allen
Dingen, die man wissen kann, und auch von dir selbst. Das meinte Christus,
als er sagte: „Wer sich nicht verleugnen will und
will weder Vater noch Mutter und alles Äußere verlassen, der ist meiner nicht
wert“.[163] Er will sagen: Wer nicht alles Äußere der
Geschöpfe verlässt, derkann diese göttliche Geburt weder empfangen, noch kann
er geboren werden. Zudem: Was Du von Dir stiehlst und all das Äußere, in
Wahrheit, das gibt es [sc. das Nichtwissen][164] Dir. Und bei der Wahrheit selbst, glaube ich und
bin mir dessen sicher, dass der Mensch, der rechtens hierin stünde, niemals
und in keiner Weise von Gott geschieden würde. Ich sage, er könnte auf keine
Weise in eine Totsünde geraten. Sie würden eher den allerschändlichsten Tod
erleiden, wie es auch den Heiligen widerfuhr, statt die kleinste Todsünde zu
tun.
<9:33>Ich sage, sie könnten sogar
keine lässliche Sünde tun oder solche willentlich bei sich selbst oder
anderen Menschen zulassen, wenn sie sie verhindern könnten. So sehr werden
sie hierzu gereizt und gezogen und daran gewöhnt, dass sie jemals einen
anderen Weg wählen könnten. Sie kehren um und rennen unaufhörlich auf es hin.
|
<9:34>Möge Gott, der jetzt auf menschliche Weise
geboren ist, uns dazu verhelfen, dass wir schwache Menschen in ihm göttlich
geboren werden. Amen.
Predigt
10* [S 88] In circumcisione Domini – „Post dies octo vocatum est
nomen eius Iesus“
|
<10:1>„Post dies octo vocatum est
nomen eius Iesus“.
|
<10:3>Ein Meister sagt:[167] In welcher
Seele der Name Jesus gesprochen werden soll, dass wird am achten Tag
geschehen.
|
<10:4> Der erste Tag, dass er seinen
Willen in Gottes Willen gibt und für ihn lebt.
|
Der zweite Tag ist eine erleuchtende
Erleuchtung des göttlichen Feuers.
|
Der dritte Tag, das ist eine Seele, die
umherrennt und sich nach Gott hin quält.
|
<10:5>Am vierten Tag sind alle Kräfte
des Menschen auf Gott hin ausgerichtet. Ein Meister sagt:[168] Wenn die
Seele von ewigen Dingen berührt wird, wird sie bewegt. Und von der Bewegung
wird sie heiß. Und von der Erhitzung wird sie geweitet, auf dass sie viel
Gutes empfangen kann.
|
Der fünfte Tag ist ein Stehen in Gott.
|
Am sechsten Tag schmilzt Gott die Seele hin.
|
Am siebten Tag vereinigt sich die Seele mit
Gott.
|
Der achte Tag ist ein Genießen Gottes.
|
<10:6>Auf diese Weise wird dem Kind
der Name Jesus gegeben.
|
Predigt 11* [S
89] In vigilia epiphaniae Domini – „Angelus domini apparuit“
<11:1>„Angelus domini apparuit“ etc.
|
<11:2>„Der Engel offenbarte sich Joseph
im Schlaf und sprach zu ihm: nimm das Kind“[169] etc.
|
<11:3>Ein Meister sagt,[170] dass die
Schrift nach eigenem Verständnis ein fließendes Wasser ist, das nach beiden
Seiten ausbricht und tiefe und nützliche Seen schafft, aber dennoch selbst
weiterfließt. Der heilige Augustinus sagt:[171]
Die Schrift ist nützlich dunkel, was den
Sinn betrifft, so dass man nicht unmittelbar die erste Wahrheit treffen kann.
Das ist der Grund, warum man viele nützliche und wohlgefällige
Interpretationen findet, die der ersten Wahrheit nahe kommen; wenn Moses
sagt,[172]
dass es Wasser über uns und unter uns gibt, wer kann sich darauf einen Reim
machen?
|
<11:4>Die Heiligen fragen,[173] warum unser
Herr, Gott, den Menschen als letztes schuf, nachdem er alle Geschöpfe
geschaffen hatte? Das mag einen verborgensten und zwar einen wahren Grund
haben, dass er die Vollkommenheit aller Geschöpfe gänzlich im Menschen
geschaffen hatte. Darum beriet sich die heilige Trinität, als sie den
Menschen schaffen wollte und sprach: „Lasst uns den Menschen nach unserem
Bild machen“.[174] Dies
beweist, dass das Bild der heiligen Trinität in der Seele geschaffen wurde.
Eine andere Erklärung: Die engelhafte Natur, die sie[175] gänzlich mit
der Ähnlichkeit und der Vollkommheit der Engel und aller Geschöpfe gemeinsam
hat, wurde im Menschen geschaffen, so dass Gott seine Vollkommenheit und die
aller Geschöpfe im Menschen betrachten und gespiegelt zu sehen vermag. Und
das zeigt,[176]
dass der Mensch das beste aller Geschöpfe ist.
<11:5>Moses hatte vier Bücher
verfasst, die nützlich waren. Dann schuf er ein fünftes. Dies war das
kleinste und beste, und es wurde die Wahrheit der ganzen Schrift genannt.
Gott hatte dem Mose geboten,[177] dieses in
die Arche zu legen. Der heilige Augustinus schuf auch viele Bücher. Zuletzt
verfasste er auch ein kleines Büchlein,[178] in welchem
er all das notiert hatte, was man in den anderen nicht verstehen konnte. Dieses
hatte er allzeit mit sich und bei sich und es war ihm das liebste. Ganz so
ist es um den Menschen bestellt: Ihn hat Gott geschaffen als ein Handbuch, in
das er schaut, mit dem er spielt und an dem er Freude hat. Darum begeht der
Mensch eine große Sünde, wenn er diese heilige Ordnung zerstört. Am Tag des
Gerichts müssen all Geschöpfe demjenigen, der dies tut, „Halt!“ entgegen
schreien.
|
<11:6>Nun müssen wir bedenken, dass
nach dem Tod des Herodes Joseph in das Land zurückkehren sollte, in welchem
Gott von denen Raum gegeben wurde, die ihn gehindert hatten. Folglich muss
statt Sünden Raum gegeben werden für Gott, so dass die Seele gerecht sei, damit
Gott in ihr wohnen kann. Der heilige Johannes sagt: „Das wahre Licht kam in
die Welt, doch die Welt hatte es nicht erfasst“.[179] Er will
sagen, dass es keinen Raum gab, wo es bleiben konnte. Darum wurde es nicht
erfasst.[180]
Ein Meister sagt: „Wenn Du mit einem reinen Herz Gott empfangen und erkennen
willst, dann vertreibe aus Dir Freuden, Furcht und Hoffnungen“.[181]
Soviel zu dem ersten, wie man Gott Raum
schaffen kann.
|
<11:7>Das andere ist der Friede, der
in dem Land herrschte, in welchem Gott geboren war. Das beweist man damit,
dass die gesamte Welt dem einen Kaiser gehörig und ihm unterworfen war.[182] Ich beweise
es auch mit den drei Königen, die von einem so fernen Land kamen.[183]
Gleichermaßen soll vollkommener Friede in der Seele sein. Dort ist rechter
Friede, wo das Niederste dem Obersten untertänig ist.[184]
|
Predigt 13* [S
102] In epiphania Domini – „Ubi est, qui natus est rex Iudaeorum?“
<13:1>„Ubi est, qui natus est rex Iudaeorum?“
|
<13:2>„Wo ist derjenige, der als König
der Juden geboren wurde?“[185] Nun beachtet hier zur Geburt,
wo sie stattgefunden hat. „Wo ist derjenige, der
geboren wurde?“ Ich antworte jedoch, wie ich zuvor sagte,[186] dass diese ewige Geburt in
der Seele geschieht, und zwar auf dieselbe Weise, wie sie in der Ewigkeit
geschieht, nicht weniger und nicht mehr, denn es ist eine einzige Geburt. Und
diese Geburt geschieht im Sein und im Grund der Seele.
|
<13:3>Seht, jetzt rieselt es Fragen.
|
<13:4>Erstens: Indem Gott dem Intellekt nach in allen Dingen ist,
und er den Dingen innerlicher ist als die Dinge in sich selbst sind, und da
er natürlicher in ihnen ist – und wo Gott ist, dort muss er wirken, sich
kennen und sein Wort sprechen –, welche eigene Eigenschaft hat die Seele mit
Blick auf Gottes Wirken, das über die anderen mit Intellekt begabten
Geschöpfe hinaus geht, in denen Gott ebenfalls ist?
|
<13:5>Versteht diesen Unterschied! Gott ist in allen Dingen dem
Sein nach als der Wirkende und Mächtige;[187] mehr noch, er alleine ist
derjenige, der in sich in der Seele gebärt. Während alle Geschöpfe ein
Fußstaphen Gottes sind, ist die Seele ihrer Natur nach Gott gemäß geschaffen.
Dieses Bild muss verziert und vollendet werden mit dieser Geburt. Weder
dieses Werk noch diese Geburt kann von irgendeinem Geschöpf empfangen werden,
außer von der Seele. In Wahrheit, welche Vollkommenheit auch immer in die
Seele gelangen soll, sei es das göttlich einförmige Licht, Gnade oder Seligkeit,
es muss notwendigerweise mit dieser Geburt in die Seele gelangen, in nichts
anderes und auf keine andere Weise. Wenn Du allein auf diese Geburt in Dir
wartest, dann findest Du alles Gut, allen Trost, alle Freude, Sein und
Wahrheit. Wenn du diese verpasst, verpasst Du alles Gut und alle Seligkeit. Doch
was durch diese in Dich gelangt, bringt reines Sein und Beständigkeit. Und
was Du außer ihr erstrebst oder liebst, will verderben. Dies jedoch alleine
wird Sein geben, denn alles andere verdirbt. Doch in dieser Geburt wirst Du
des göttlichen Einflusses und aller seiner Gaben teilhaftig. Dies können die
Geschöpfe, in denen das Bild Gottes nicht existiert, nicht empfangen, denn
das Bild der Seele gehört speziell zu dieser Geburt, die eigentlich und
speziell in der Seele stattfindet, geboren vom Vater im Grund und im
innersten Sein der Seele, indas nie ein Bild hineinleuchtete und keine Kraft
hineinsah.
|
<13:6>Die zweite Frage lautet: Insofern dieses Werk dieser Geburt
im Sein und im Grund der Seele stattfindet, geschieht sie auch rechtens in
einem Sünder wie in einem guten Menschen? Welche Gnade und welcher Gewinn
kommt mir mit ihr zu, wenn der Grund der Natur beider derselbe ist; ja, sogar
derjenige derer, die in der Hölle sind, bleibt der Adel der Natur ewig?
|
<13:7>Nun versteht diesen Unterschied![188] Es ist eine Eigentümlichkeit
dieser Geburt, dass sie immer mit neuem Licht geschieht. Sie bringt immer ein
großes Licht in die Seele, wie es auch die Art der Gnade ist, dass sie sich
immer auszugießen hat, wo immer sie ist. In dieser Geburt gießt sich Gott
selbst mit einem solchen Licht in die Seele, so dass das Licht im Sein und im
Grund der Seele groß wird, auf dass es es sich selbst herausschleudert und
überfließt in die Kräfte und auch in den äußeren Menschen. Das geschah dem
heiligen Paulus, als ihn Gott mit seinem Licht auf dem Weg berührte und zu
ihm sprach. Ein Abbild des Lichts scheint äußerlich, so dass seine Gefährten
es sahen, und es umgab den Paulus.[189]
<13:8>So spreche ich von denen, die selig im überfließenden Licht
sind, das im Grund der Seele ist, welches sich
über den Leib ergießt, und der dadurch völlig transparent wird. Dies kann der
Sünder nicht empfangen, noch ist er würdig, da er voller Sünde und Bosheit
ist, was da „Dunkelheit“ heißt. Das ist der Grund, warum er sagt: ‘„Die
Dunkelheit soll das Licht weder empfangen noch verstehen“.[190] Die Schuld kommt mit dem Weg,
das das Licht einschlagen soll, doch der verstellt ist[191] und versperrt durch Falschheit und
Dunkelheit, weil Licht und Dunkelheit nicht koexistieren können, noch können
Gott und die Geschöpfe. Soll Gott hineingehen, muss das Geschöpf zur selben
Zeit herausgehen.[192]
<13:9>Der Mensch wird dieses Lichts wohl gewahr. Sobald er sich
Gott zuwendet, beginnt ein Licht in ihm zu glimmen und zu scheinen und lässt
ihn erkennen, was er zu tun hat und was er lassen soll, und es gibt eine
Fülle guter Hinweise mit Blick auf Dinge, von denen er zuvor nichts wusste
und verstand. Woher und wie weißt Du dies? Siehe, bemerke dies! Dein Herz
wird oft berührt und von der Welt gekehrt. Wie anders könnte dies geschehen,
es sei denn durch Erleuchtung? Diese ist so zart und frohmachend, dass Dir
all das zum Verdruss wird, was nicht Gott oder göttlich ist. Es reizt Dich
hin zu Gott, Du wirst vieler guter Hinweise gewahr, doch Du weißt nicht,
woher diese kommen. Die innere Neigung stammt keineswegs von einem Geschöpf
noch von einem Hinweis desselben, denn was Geschöpfe ordnen oder bewirken,
all das kommt von außen. Jedoch der Grund allein wird von diesem Wirken
berührt. Und je mehr Du nackt dastehst, desto mehr findest Du Licht, Wahrheit
und Unterschiedenheit.[193] Und darum geht der Mensch aus
keinem anderen Grund jemals fehl als aus dem, dass er ihn anfangs verlassen
hatte und dann zu sehr auf äußere Hilfe stützte.
<13:10>Darum sagt der heilige Augustinus:[194] Viele haben nach Licht und
Wahrheit gesucht, doch alle draußen, wo diese nicht waren. Schließlich sind
sie so weit hinausgegangen, dass sie niemals mehr nach hause kommen und wieder
ihren Weg dorthin finden. So haben sie die Wahrheit nicht gefunden, da die
Wahrheit innen im Grund ist und nicht draußen. Wer nun Licht und
Unterschiedenheit aller Wahrheit finden will, muss warten und diese Geburt in
ihm selbst und im Grund wahrnehmen, so dass alle Kräfte und der äußere Mensch
erleuchtet werden. In der Tat, sobald Gott den Grund innen berührt hat, wirft
sich das Licht selbst in die Kräfte, und der Mensch wird bisweilen zu mehr
fähig, als jemand anderes ihm zu tun lehren könnte.
Darum sagt der Prophet: „Ich bin zu größerem
Verständnis gelangt, als alle, die mich jemals unterrichtet haben“.[195]
Seht, weil dieses Licht nicht im Sünder scheinen oder leuchten kann, ist
es unmöglich, dass diese Geburt in ihm stattfinden kann. Diese Geburt kann
nicht zusammen mit der Dunkelheit der Sünder koexistieren, da sie nicht in
den Kräften stattfindet, sondern im Sein und im Grund der Seele.
|
<13:11>Nun kommt noch eine weitere Frage: Indem Gott, der Vater,
allein im Sein und im Grund der Seele, jedoch nicht in den Kräften die Geburt
stattfinden lässt, was hat diese dann mit den Kräften zu tun? Was tragen
diese dazu bei, sollen sie sich ihr unterwerfen und müßig sein? Was ist
notwendig, da sie nicht in den Kräften geschieht? Das ist recht gefragt.
|
<13:12>Nun versteht diesen Unterschied! Jedes Geschöpf wirkt sein
Werk mit Blick auf ein Ziel. Das Ziel ist immer die erste Sache einer Absicht
und die letzte einer Handlung.[196] So beabsichtigt Gott in all
seinen Werken deutlich ein seliges Ziel, nämlich ihn selbst, und dass er die
Seele zusammen mit ihren Kräften sie zu diesem Ziel bringt, d.h. zu sich
selbst. Gott tut all sein Werk durch den Vater, der den Sohn in der Seele
gebärt, so dass alle Kräfte der Seele in dieselbe gelangen. Er wartet alleine
auf das, was in der Seele ist, und lädt sie alle zu diesem Gasthaus und
diesem Hof ein.
Nun hat sich die Seele selbst mit den Kräften geweitet[197] und jegliche in ihr Werk
zerstreut: die Kraft des Sehens in das Auge, die Kraft des Hörens in die Ohren,
die Kraft des Sprechens in die Zungen; folglich wirken ihre Werke
entsprechend schwächer im Innern, da jegliche zerstreute Kraft unvollkommen
ist. Will sie folglich innen kräftig[198] wirken, muss sie alle ihre
Kräfte von den zerstreuten Dingen weg wieder heim rufen und sie sammeln für
ein inneres Wirken. Denn der heilige Augustinus sagt: „Die Seele ist eher, wo sie liebt, denn dort, wo sie dem Leib Leben
schenkt“.[199]
<13:13>Ein Beispiel:[200] Es gab einen heidnischen
Meister, der sich auf die Kunst der Mathematik verlegt hatte. Er hatte all
seine Kräfte auf sie verwandt, und saß vor Eschen, zählte und praktizierte
die Kunst.[201] Da kam jemand und zog ein
Schwert, ohne zu wissen, dass es der Meister war, und sagte: „Schnell, wie heißt Du, oder ich töte Dich“. Doch der
Meister war so sehr hingerissen, dass er den Feind weder sah noch hörte, noch
vernahm, was er meinte; er war unfähig, ein Wort zu äußern, wenigstens
zu sagen: „Ich heiße soundso“. Doch da der
Feind lange und öfters gerufen hatte, er jedoch nicht reagierte, da schlug er
ihm den Kopf ab. Und dies geschah, um eine natürliche Kunst zu erwerben. Um
wieviel mehr sollten wir uns von all diesen Dingen entfernen und all unsere
Kräfte sammeln, um zu schauen und die eine, unvergleichliche, ewige Wahrheit
zu erkennen!
Für dieses Ziel sammele all Deine Kräfte, all Deine Sinne, Deinen ganzen
Intellekt[202] und Deine gesamte Erinnerung;
kehre diese zu und in den Grund, in dessen Innern dieser Schatz verborgen
ruht. Wenn dies geschehen soll, musst Du von all Deinen Werken ablassen und
in ein Nichtwissen gelangen, wenn Du diesen finden willst.
|
<13:14>Nun mag eine Frage gestellt werden: Wäre es nicht edler,
dass jegliche Kraft ihr eigenes Werk besäße und dass die eine die andere bei
ihrem Werk nicht behinderte, und dass sie auch Got nicht an sienem Werk
behinderte? Kann in mir keine Art geschöpflichen Wissens existieren, das kein
Hindernis ist, so wie Gott alle Dinge ohne Hindernis kennt, wie es auch die
Seligen tun? Dies ist eine dienliche Frage.
|
<13:15>Nun versteht diesen Unterschied! Die Seligen sehen ein Bild
in Gott und in diesem Bild erkennen sie alle Dinge, ja, Gott selbst sieht so in
sich und erkennt in sich alle Dinge. Er braucht sich nicht von einem Ding zum
anderen zu kehren, wie wir es müssen. Hätten wir in diesem Leben allzeit
einen Spiegel vor uns, in welchem wir augenblicklich in dem Bild alle Dinge
sähen und erkennten, dann gäbe es keine Hindernisse für Wirken und Erkennen. Da
wir jedoch uns von einem Ding auf das andere hin kehren müssen, können wir
uns nur einem Ding unter Absehung von einem anderen zuwenden. Denn die Seele
ist so fest gebunden an die Kräfte, dass sie mit ihnen fließen muss, wohin
auch immer sie hinfließen, denn in allen Werken, die sie wirken, muss die
Seele mit ihnen sein, und zwar mit Aufmerksamkeit, oder sie würden überhaupt nicht
wirken. Wennsie folglich mit Aufmerksamkeit in äußeres Wirken fließt, muss
sie notwendigerweise innerlich bei ihrem inneren Wirken schwächer sein, doch
für diese Geburt, will und muss Gott eine nackte, unbekümmerte, freie Seele
haben, in welcher sich nichts anderes befindet als er alleine, und die nach nichts
und niemand anderes strebt, als nach ihm allein.
<13:16>Hierzu sagt Christus: „Wer etwas
anderes liebt als mich und Vater und Mutter oder viele andere Dinge liebt,
ist meiner nicht wert“. „Ich kam nicht auf
die Erde, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert, auf dass ich alle Dinge
wegschneide und Schwester, Bruder,
Mutter Kind und Freund abscheide, die wahrlich Deine Feinde sind“.[203] Denn was Dir vertraut ist und
Dir innerlich nahe ist, das ist in Wahrheit Dein Feind. Wenn Dein Auge alle
Dinge sehen und Dein Ohr alle Dinge hören und Dein Herz alle Dinge bedenken
will, in Wahrheit, in all diesen Dingen muss Deine Seele zerstreut werden.
Darum sagt ein Meister:[204] Wenn der Mensch ein inneres
Werk wirken soll, muss er all seine Kräfte wie in einem Winkel seiner Seele konzentrieren
und sich vor jeglichen Bildern und Formen hüten, und dann kann er dort wirken.
Hier muss er vergessen und zu einem Nichtwissen gelangen. Es muss Stille und
Schweigen herrschen, wenn dieses Wort gehört werden soll. Man kann diesem
Wort nicht dienen, es sei denn mit Stille und Schweigen. Dann kann man es
hören und auch recht in Nichtwissen verstehen. Da man nicht von ihm weiß,
zeigt es sich und offenbart es sich.[205]
|
<13:17>Nun mag eine Frage gestellt werden. Ihr mögt sagen: Herr,
Sie setzen all unser Heil auf ein Nichtwissen. Das klingt wie eine Schwäche.
Gott den Menschen geschaffen, damit er wisse, wie der Prophet spricht: „Herr, mache sie zu Wissenden!“[206] Wo Nichtwissen ist, da ist
Schwäche und Faulheit ... ein tierischer Mensch, eher ein Affe und ein Tor.
<13:18>Das ist wahr, so lange er im Nichtwissen verharrt. Doch man
soll hier in ein überformtes Wissen gelangen. Dieses Wissen soll nicht aus
dem Nichtwissen stammen, sondern vielmehr soll man vom Wissen zum Nichtwissen
gelangen. Dann sollen wir Wissende mit göttlichem Wissen werden und dann wird
unser Nichtwissen mit übernatürlichem Wissen veredelt und geschmückt. Und
hier, da wir uns als Empfangende verhalten, sind wir vollkommener, als wenn
wir wirken würden.[207]
|
<13:19>Darum sagt ein Meister,[208] dass die Kraft des Hörens
viel edler sei als die Kraft des Sehens, denn man lernt mehr Weisheit durch
Hören als durch Sehen, und lebt so mehr in der Weisheit.
Man findet[209] bei einem heidnischen Meister:[210] als er da lag und Sterben wollte,
berieten sich seine Schüler in seiner Gegenwart darüber, was man wirklich
können sollte. Und er hob seinen Kopf, um zu hören, und, obwohl er im Sterben
lag, sagte er: „Ach, lasst mich noch diese
Fähigkeit lernen, dass ich sie in Ewigkeit nutzen kann“. Hören bringt mehr
ein, während Sehen nach außen weist, ja, die Tatsache des Sehens selbst. Und
darum sollen wir durch die Kraft des Hörens viel seliger sein, als durch die Kraft
des Sehens, zumal das Werk des Hörens auf das ewige Wort in mir geschieht,
während das Werk des Sehens von mir ausgeht. Wenn ich höre, bin ich der
Empfangende, aber wenn ich Sehe bin ich es, der wirkt.
|
<13:20>Doch unsere Seligkeit besteht nicht in unserem Wirken,
sondern in dem wir empfänglich für Gott sind. Denn wie Gott edler ist als die
Geschöpfe, um so viel nobler ist das Wirken Gottes als mein eigenes. Ja, aus
unvergleichlicher Liebe hat Gott unsere Seligkeit in die Empfänglichkeit
verlegt, wenn wir mehr empfänglich als wirkend sind und unvergleichlich mehr
empfangen als geben. Jegliche göttliche Gabe bereitet die Empfänglichkeit und
intensiviert das Verlangen für eine neue und größere Gabe. Aus diesem Grund
sagen manche Meister,[211] dass die Seele darin Gott
ebenbürdig sei. Denn so sehr Gott unvergleichlich im Geben ist, ist die Seele
unvergleichlich im Nehmen und Empfangen. Und wie Gott allmächtig im Wirken ist,
ist die Seele ein Abgrund im Empfangen. Und darum wird sie überformt von Gott
und in Gott. Gott soll wirken und die Seele soll empfangen: Er soll sich in
ihr erkennen und sich in ihr lieben, sie soll mit seiner Erkenntnis erkennen und
mit seiner Liebe lieben. Und darum ist sie um so viel glücklicher mit dem,
was das Seine ist, als mit dem, was ihr eigen ist. Folglich liegt auch ihre
Seligkeit mehr in seinem Wirken als in dem ihren.
|
<13:21>Der heilige Dionysius wurde einmal von seinen Schülern
gefragt, warum Timotheus sie alle an Vollkommenheit übertraf. Und Dionysius antwortete:[212] Timotheus ist ein
gottempfänglicher Mensch. Wer immer darin kundig ist, der überträfe alle
Menschen.
|
<13:22>Folglich ist unser Nichtwissen keine Schwäche, sondern Deine
höchste Vollkommenheit, und Dein Empfangen ist Dein höchstes Wirken. Darum
musst Du all Dein Wirken weghauen und all Deine Kräfte zum Schweigen bringen,
solltest Du wirklich die Geburt in Dir erfahren wollen. In Dir sollst Du den
Geborenen finden. Über alles andere, das Du vielleicht findest, musst Du
hinweggehen und zurückweisen.
|
<13:23>Dass wir über all das hinweggehen und verlassen, was diesem
neugeborenen König nicht gefällt, dazu verhelfe uns derjenige, der ein
Menschenkind geworden ist, auf dass wir ein Gotteskind werden. Amen.
|
[1] Ier. 23,5: „Ecce
dies veniunt, dicit Dominus: et suscitabo David germen iustum.“ Der liturgische
Kontext steht in Collectarium, Arch.
f. 43va–b: „Dominica
prima in adventu domini, ad utrasque vesperas et ad laudes et ad IIIa
capitulum: Ecce dies veniunt, dicit Dominus: et suscitabo David germen iustum:
et regnabit rex, et sapiens erit: et faciet iudicium et iustitiam in terra.“ Breviarium, Arch. f. 87ra–b: „Dominica prima in adventu domini
sabbato precedenti … Capitulum: Ecce dies veniunt, dicit Dominus: et suscitabo
David germen iustum: et regnabit rex, et sapiens erit: et faciet iudicium et
iusticiam in terra. R/ Missus est.“
[2] Lo4
beginnt: „Von
dauidis samen irweckunge. Der prophete Jeremias spricht: Set dy tage sint
komen, spricht got, ich wel irwecken dy frücht adir den samen dauid vnd dy frucht sal wise sind vnd
sal vinden orteil vnd machen gerechtikeit in ertriche“; Prov. 25,25: „Aqua
frigida animae sitienti, et nuncius bonus de terra longinqua.“ Die Antiphon des Magnificat der Vesper: Breviarium, Arch. f. 87rb: „III. Ymnus. Conditor … V/: Rorate …
Ad Magn. antiphona: Ecce nomen domini venit de longinquo et claritas eius
replet orbem terrarum.“
[3]
Aug., Confessiones VII 10, 16, ed.
Verheijen, 103, 17: „et
inveni longe me esse a te in regione dissimilitudinis“.
[4] Auch
wenn es nicht ausdrücklich gesagt wird, muss das „von
dem“ doch als „fern
von dem“ gelesen werden, so auch
L. Sturlese.
[6] Dies scheint kein Zitat zu sein, erinnert aber an Jak. 4,11-12 (vgl. auch Röm. 14,4),
falls der Text nicht aus einer unbekannten Rechtsquelle entnommen ist, so F. Löser,
LE IV 158.
[7] Ier. 23,5; vgl. den unterschiedlichen
Anfang des Zitats in n. 2, „nemet
war“/„erkennet“; hier beginnt Eckhart das Zitat
mit „sehet“/„sehet“; der Schluss folgt Lo4.
[8] Vgl. Matth. 24,35 und Luc. 21,33; vgl. auch Matth. 5,18 und Luc. 16,17.
[9] Eckhart versteht den Genitiv in einem doppelten Sinn „von“ und „anstelle von“. Das kalte Wasser, das jemand aus Liebe einem anderen bietet, der
durstig ist, ist das kalte Wasser, das Gott durch die Inkarnation dem Menschen
gibt, der es der durstigen Seele anbietet. Aus sich selbst heraus hätte die
sündige Seele dieses Wasser nicht. Der Gebende (die anbietende Person und Gott) ist zugleich Geber und
doppelter Empfänger (der Durstige und der Anbieterthe).
[12] Ein
strukturelles Gliederungsmerkmal im Text, dass der Autor mit seiner
Interpretation von Prov. 25,25 zuende
gekommen ist.
[13] Vgl.
I Cor. 1:24; I Ioh. 2:1–2: „advocatum
habemus apud Patrem, Iesum Christum iustum: et ipse est propitiatio pro
peccatis nostris“.
Lo4 hat: „Andirswo
spricht dy schrift“.
[15]
DW IV bezieht sich auf Ps.–Cyprian, zitiert in Eckhart, Sermo XLV n. 461 (LW IV 382): „Christus,
qui semel vicit pro nobis, semper vincit in nobis“,
vgl. auch die nächste Anm.
[16] L. Sturlese ad loc. verweist auf das Opfer Christi als „propitiatio“ (I Ioh. 2:1–2 ) und sein Selbstopfer; hierzu vgl. auch Eckhart, Sermo V/2, n. 49 (LW IV 47) „‘vita’, non solum est vita unius hominis, sed, quantum in se est, totius „mundi”, ad quam sufficiens est mors Christi, Ioh. 2: „ipse est propitiatio pro peccatis nostris“ etc.’
[17] DW IV auf
der Basis des Paradisus bietet: „Wir suln beiten, der himelische
vater muoz unser gebet enpfâhen oder niht“.
[18] „mit allen sînen sachen“ bezieht
sich auf die obige Metapher von Christus als des Menschen „Verteidiger“.
[19] Vgl.
Gen. 3,24: „Eiecitque Adam: et collocavit ante paradisum voluptatis
Cherubim, et flammeum gladium, atque versatilem“ („versatilis“ verstanden als „zweischneidig“ findet man auch in der Summa Britonis, s.v. „Versatilis“, ed. Daly 825–6: „qui
nomine gladii non cuiuslibet sed versatilis dicitur, id est utrobique secantis“. Eine abweichende Deutung bietet
Hugo a Sancto Caro, Postilla, ad loc., I, f. 12a: „gladius versatilis dicitur quia
potest removeri“.
[20] Sap. 7,26: „speculum sine macula“ (von Christus ausgesagt in Eckhart, In Ioh. n. 27 [LW III 21]: „Sap. 7, … dicitur de sapientia sive verbo
dei quod est ‘speculum sine macula’, ‘emanatio’ ‘dei sincera’“. Vgl. auch die Glossa Ordinaria i. h. l.:
„ [speculum]
In quo videtur pater. Qui videt me videt et patrem“). Auf den Engel bezogen in
Ps.–Dionys., v. infra Hom. 4* [Q 77],
n. 3.
[23] Is. 53:4: „Vere languores nostros ipse tulit“. Man beachte Eckharts futurische
Aussage anstelle des Perfekts der Vulgata.
[25] Ioh. 5:4: „Angelus autem Domini descendebat secundum tempus in
piscinam: et movebatur aqua. Et qui prior descendisset in piscinam post
motionem aquae, sanus fiebat a quacumque detinebatur infirmitate“.
[26] Lo4 bietet anstelle von ‘Waz got ie … werk geworht’ einfach: ‘Alle die
ding mochten ör nicht gefromen, sy worde voreint mit gote’.
[27] Röm.
13,14: ‘Sed induamini Dominum Iesum Christum’. The Glossa Interlinearis, ad loc.:
‘induimini, id est formam Christi’. A different interpretation is given by
Hugo, Postilla, ad loc., VII, f. 60va: ‘Induimini per conformitatem, vel ut vestem
Gal. III d. Quicumque in christo baptizati estis christum induistis’. Der
liturgische Kontext: Epistolarium, Arch.
f. 422ra–b: ‘Dominica prima in adventu domini. Lectio epistole beati Pauli
apostoli ad Romanos [13:11–3]. Fratres. Scientes [Et hoc scientes tempus Vg.]: quia hora est iam nos de somno surgere. Nunc enim propior est nostra salus, quam
cum credidimus. Nox precessit, dies autem appropinquavit. Abiciamus ergo opera
tenebrarum, et induamur arma lucis. Sicut in die honeste ambulemus: non in
commessationibus, et ebrietatibus, non in cubilibus, et impudicitiis, non in
contentione, et emulatione: sed induimini Dominum Ihesum Christum’.
[28] Ps.
8,2.4–9: ‘Domine Dominus noster, quam admirabile est nomen tuum, in universa
terra … Quoniam videbo caelos tuos, opera digitorum tuorum: lunam et stellas,
quae tu fundasti. Quid est homo, quod memor es eius? aut filius hominis,
quoniam visitas eum? Minuisti eum paulominus ab angelis, gloria et honore
coronasti eum: et constituisti eum super opera manuum tuarum. Omnia subiecisti
sub pedibus eius, oves et boves universas: insuper et pecora campi. Volucres
caeli, et pisces maris, qui perambulant semitas maris’.
[29] Im
erhaltenen Textbestand ist das Thema nicht weiter entwickelt.
[30] Mittelhochdeutsch „durch“ kann
sowohl „durch“ wie auch „für“ heißen, beide Nuancen scheinen mir hier
vorzuliegen, auch wenn man im Neuhochdeutschen sich für eine Option entscheiden
muss.
[31] Das
‘gemeinlîche’ meint ‘generisch’ und kontrastiert mit ‘sunderlîche’ oder ‘einzel’.
Doch gehören beide zu einer ersten Art Schöpfung „dem Bild nach“, was eine
Art zweite Ableitung von Gott bedeutet. Was durch Gott „im Bild“ geschaffen wurde, hat ihn zwar immernoch als Ursprung,
doch stammt nicht unmittelbar von ihm. Diese Vermittlung bezieht sich
nicht nur auf die generische Schöpfung, sondern gerade auf die einzelnen
Geschöpfe, die allerdings dennoch an den göttlichen Perfektionen wie Güte und
Weisheit teilhaben. Wie L.
Sturlese erläutert, mag dieser Gedanke sich vielleicht auf die Engel beziehen.
Im Unterschied zu der zweiten, abgeleiteten Schöpfung, fügt Eckhart die
unmittelbare Abkunft von Gott hinzu, die der Seele bzw. dem Intellekt
eigentlich ist und die nicht mehr nur ein Abbild Gottes darstellt, sondern
unmittelbar von Gott selbst stammt. Dies klingt wie eine Verschärfung des
Gedankens, der bei Dietrich von Freiberg in seiner Theorie der Emanation zu
finden ist, nach der der Intellekt „im Bild“ aus Gott fließt,
während die Engel sich von den göttlichen Perfektionen nähren (De visione beatifica, 1.2.1.1.4.–5., ed.
Mojsisch, 39–41; ein solches „fließen in der
Gleichheit von Gott“ erwähnt Eckhart weiter unten in Pr. 4* [Q
77], n. 3. Wir kontrastieren das hier Gesagte nicht mit dem, was bei Eckhart in
In Gen. I n. 115 (LW I/2, 155) zu
finden ist, wenn auch eine gewisse Spannung zu dem hier Gesagten besteht, vgl. L.
Sturlese, ‘Dietrich di Freiberg lettore di Eckhart?’ (2006), 437–53.
[32] ‘Die
meister’: vgl. Liber de causis, prop.
5 (6), n. 58, ed. Pattin, 59: ‘… causa prima non cessat illuminare causatum
suum et ipsa non illuminatur a lumine alio’.
[33] ‘die
meister sprechent’: das nach Quint nicht belegte Zitat erinnert nach L.
Sturlese an Avicenna, De anima I 1,
ed. Van Riet, 15, 78–9: ‘imponimus ei nomen ‘anima’. Et hoc nomen est nomen
huius rei non ex eius essentia …’
[34] ‘er’:
der heilige Paulus.
[35] ‘fügt Euch in Gott’: das biblische ‘induimini’ erinnert
an den Säugling, der zurück in den Mutterschoß gegeben wird, nachdem er gerade
geboren wurde, und sein Leben und Sein von der Mutter ersaugt.
[36]
Quint stellt den Bezug zu Augustinus als mögliche Quelle her; vgl. Augustinus, De Trinitate XIV 7,9, ed. Mountain and
Glorie, 433, 19 – 434, 26 und XIV 14,18, ed. Mountain and Glorie, 445, 5–7 (‘abditum
mentis’), vielleicht vermittelt durch Dietrich von Freiberg, vgl. seine De visione beatifica, vgl. hierzu Anm. 5.
[37] ‘sie’:
die Seele.
[38] ‘nim
dich’: versteh Dich.
[39]
J. Quint bezieht die Stelle auf Th. Aqu., De
ente et essentia 3, doch nach L. Sturlese ist es eher Anselm, De incarnatione Verbi 1, ed. Schmitt,
10, 9–13: ‘qui non potest intelligere aliquid esse hominem nisi individuum,
nullatenus intelliget hominem nisi humanam personam … Quomodo ergo iste
intelliget hominem assumptum esse a verbo, non personam, id est naturam aliam,
non aliam personam assumptam esse?’ Vgl. auch Honorius Augustodunensis, Clavis physicae 416, ed. Arfè, 147,
2785–8: ‘ipsa (uidelicet natura) ubique in se ipsa et in omnibus eam
participantibus bona, salua, integra, illesa, incontaminata, incorruptibili,
inpassibili, inmutabili participatione summi boni permanente …’ Vgl. auch
Eckhart, In Ioh. n. 289 (LW III 241).
[40] Hier beginnt ein weiterer Teil der Predigt, die auf den
Gedanken der „Fülle der Zeit“ führt und etwa nicht im Sermo
LII zu finden ist. Es ist schwer zu beurteilen, ob dieser Gedanken von Gal. 4:4 aus dem liturgischen Kontext
des Sonntags der Oktav von Weihnachten herrührt. Vgl. weiter unten zu Pr. 6* [Q 38]. Eckharts These wurde
verurteilt in In agro dominico durch
Johannes XXII., art. 12: ‘Duodecimus articulus. Quicquid dicit sacra scriptura
de Christo, hoc etiam totum verificatur de omni bono et divino homine’ (vgl. LW
V 598).
[41] Eine
weitere Paronomasia: ‘ervüllet’ / ‘volheit der zît’.
[42] ‘von
Kristô’ ist eine unnötige und leicht missverständliche Korrektur des
Herausgebers J. Quint auf der Basis von Proc.
Aven.
[43] ‘ist
dir reht’ ist ein oft von Eckhart gebrauchter Ausdruck, auch wenn er schwierig
zu übersetzen ist. J. Quint übersetzt: ‘bist du recht daran’.
[44] Gal. 4:4: ‘At ubi venit plenitudo
temporis, misit Deus Filium suum …’ Dieser Satz ist erstaunlicherweise dem
Propheten zugeschrieben, wohingegen in Pr.
6* [Q 38], n. 5 Eckhart korrekter schreibt: ‘Sant Paulus sprichet: “in der
vüllede der zît sante got sînen sun”‘. Zum Inhalt vgl. Pr. 77* [Q 11], n. 3.
[45] ‘anesehenne’:
wohl als “Intuition” zu interpretieren.
[46] Entsprechend
Lk. 21,31: „quoniam“. Bezüglich des „scitote quia“ vgl. man Lk. 10,11 („hoc scitote, quia appropinquavit regnum
Dei“). Der liturgische Kontext: Evangelistar., Arch. f. 436ra–b: „Dominica
secunda. Secundum Lucam [21, 25–33]. In illo tempore dixit Ihesus discipulis
suis. [In … suis: Et Vg.] Erunt signa in sole, et luna, et stellis, et in
terris pressura gentium pre confusione sonitus maris, et fluctuum: arescentibus
hominibus pre timore, et expectatione, que supervenient universo orbi: nam
virtutes celorum movebuntur: et tunc videbunt filium hominis venientem in nube
cum potestate magna, et maiestate. His autem fieri incipientibus, respicite, et
levate capita vestra: quoniam appropinquat redemptio vestra. Et dixit illis
similitudinem: Videte ficulneam, et omnes arbores: cum producunt iam ex se
fructum, scitis quoniam prope est estas. Ita et vos cum videritis hec fieri, scitote quoniam prope est regnum Dei.
Amen dico vobis, quia non preteribit generatio hec, donec omnia fiant. Celum,
et terra transibunt: verba autem mea non transibunt“.
[47] Lk.
21,31. J. Quint übersetzt: „Wisset,
daß …“ Der
Text findet sich nirgends sonst bei Eckhart zitiert. Weder die Glosse zur
Stelle, noch die Postille von Hugo (vol. VI, f. 134r) diskutiert die
Deklaration des „quia“.
[49] Der
Meister ist nicht bekannt. J. Quint denkt an Aristoteles, Ethica ad Nicomachum X 7, 1177a12ff., doch L. Sturlese schlägt Augustinus
vor, De moribus ecclesiae catholicae et
de moribus Manichaeorum I 25, n. 47, ed. Bauer, 52, 10–1, zitiert bei
Eckhart in In Ioh. n. 673 (LW III
587): „… Aeterna
ergo uita est cognitio ipsa ueritatis“. Das „bekennen“ and „Daz man bekenne und wizze“ scheinen keine
Verdoppelungen zu sein (pace L.
Sturlese ad loc.), da durch die
gesamte Predigt hindurch „bekenne“ für erkennen oder kennen
steht und „wizze“ für das Gewahrwerden, das
über die intellektuelle Erkenntnis hinausgeht. „Wizze“ ist die körperliche
Realisation der Erkenntnis, verdeutlicht durch Eckharts Bild vom König, der
drei Dinge braucht, wobei die beiden letzten (das individuelle Begreifen und
die Bestätigung durch die Umgebung) das bezeichnet, was mit „wizze“
gemeint ist. Eckhart kritisiert öfters die Lehre
von der Seligkeit als einer reinen Reflexion, wie sie etwa von John Quidort
vorgetragen wurde: vgl. Eckhart, In Ioh. n. 679 (LW III 594); hierzu vgl. man A. de Libera, ‘On Some
Philosophical Aspects of Master Eckhart’s Theology’ (1998), 161–3 mit weiterer
Lit.
[50] „Die besten unserer Meister“: Er
denkt wohl an andere intellektuelle Magister wie Thomas von Aquin, Dietrich von
Freiberg oder Albert den Großen; vgl. zu diesen A. de Libera in der
voranstehenden Fußnote.
[51] „ist einiu
nôt ze der wârheit“:
J. Quint übersetzt: „es
besteht ein nötigender Drang nach Wahrheit“; zu dem „drang“ vgl. man Eckhart,
In Gen. II n. 86 (LW I/1, 550): „… in agibilibus finis praecipit et necessitatem imponit his, quae
ad finem sunt. Item ipsum superius hoc ipso et hoc ipsum, quod imprimit et
inspirat, praecipit et imponit inferiori“.
[53] Vgl R. Shah-Kazemi, ‘Eckhart’s Image of the Eye and the Wood: An analogy which
explains “all that I have preached about”’ (2003).
[55] Genb.
28,16: „Cumque evigilasset Iacob de somno, ait:
Vere Dominus est in loco isto, et ego nesciebam“.
[57]
J. Quint fügt ein überflüssiges „ir“ hinzu, das jedoch in Lo1 fehlt (vermutlich mit Blick auf das „ime“ in
KT).
[58] Gen.
28,16 (vgl. Nr. 9).
[60] Vgl.
weiter unten, was über Bernhard gesagt wird, wonach Sein das Fundament von
Erkenntnis ist.
[61] „Ecclesiasticô“: kursiv in DW, alleine nachgewiesen in Lo1; der richtige Bezug ist wohl Hos. 7,12:
„Et cum
profecti fuerint, expandam super eos rete meum …“
[63]
J. Quint ad loc. p. 145 n. 1 verweist
auf fünf mögliche Predigten.
[64]
Bernhard, Sermones super Cantica
canticorum, Sermo 31, n. 2, ed. Leclerq, Talbot, Rochais, 220, 15–8: „Non
denique alterum membrum corporis capax est luminis ob multam utique
dissimilitudinem. Sed nec ipse oculus, cum turbatus fuerit, lumini
propinquabit, nimirum ob amissam similitudinem“.
[65] Die
Schwierigkeit dieser Passage mit Blick auf die himmlische Seele ist dargelegt
in N. Largier (664). Eckhart greift womöglich das Thema von Nr. 9 auf, wo er
von der „anima
nobile“ spricht (vgl.
auch Anm. 21).
[66] ‘Die
meister’: unbekannt. Man vgl. aber Auctoritates
Aristotelis 3, n. 17, ed. Hamesse, 160: „Caelum non potest suscipere peregrinas
impressiones“ (=
Arist., De caelo I 3, 270a27–35). Das
Zitat findet sich bei Albert,
Quaestiones, De sensibus corporis gloriosi a. 1, ed. Fries, 112), Ulricus
de Argentina, De summo bono II, tr.
5, c. 12, ed. Beccarisi, 72; Theodericus de Vriberg, De luce 18, 1, ed. Wallace, 23: „et non videtur verum, quod dicitur, quod
caelum non recipit peregrinas impressiones“. Vgl. auch Eckhart, In Ioh. n. 602 (LW III 525): „Caeli … non recipiunt peregrinas
impressiones …“
[67] „diu edel
sêle“: Der
Ausdruck findet sich wiederholt in Hom. 21*
[Q 49], Nr. 12ff. und bezieht sich auf die menschliche Seele Marias, könnte
aber auch ein Hinweis auf die edle Seele sein, die die Seele des Himmels ist in
De causis, prop. 3, n. 27, ed. Pattin, 51.
[68] „ûferhaben“: J.
Quint übersetzt: „ihr
völlig entrückt sein“;
aber in Hom. 27* [Q 25] bedeutet „Mose“, dass er „aus den Wassern
gehoben wurde“.
[69] Vgl.
Macrobius, In Somnium Scipionis
commentarii I 12, n. 15, ed. Willis, 51, 1–2: „corpus enim hoc (globus lunaris) sicut
faex rerum divinarum est“. Cicchus
Aesculanus, In tractatum de sphaera
c. 4, ed. Thorndike, 407: „sicut
terra est faex aliorum elementorum, ita luna est faex omnium caelestium“. Eckhart, Serm. XXXVIII n. 385 (LW IV 331).
[70] „hefe“: J.
Quint korrigiert zu „hebeamme“; „hefe“ ist
aber die richtige Lesart, wie gezeigt wurde von F. Löser, ‘Einzelpredigt und Gesamtwerk. Autor- und Redaktortext bei
Meister Eckhart’ (1992), 46–8.
[71] „Scripture“, bedeutet nach L. Sturlese hier nicht nur
die Heilige Schrift, sondern eher generell jegliches Buch; vgl. auch Eckhart, Von abegesch. (DW V 400, 3–4): „der
geschrift vil gelesen, beidiu von den heidenischen meistern und von den
wîssagen und von der alten und niuwen ê“.
[72] „volgründen“ ist eine
Konjektur von J. Quint, man findet „wail gründen“ in Lo1 und eine
Lücke in KT.
[73] „Die
meister sprechent“:
Vgl. Theodericus de Vriberg, De natura et
proprietate continuorum 5.1, ed. Rehn, 264: „… manifestum est, quod primaria et
simpliciter prima causa (temporis), sed remota et non immediata est motus
caeli, in quem omnes motus et mobilium proprietates et passiones reducuntur
tamquam in primam et per se causam in genere mobilium et motorum secundum
Philosophum in VIII Physicorum“.
Albertus, Physica IV, tr. 3, c. 10,
ed. Hossfeld, 277, 88–278, 2: „Mensuramus
etiam motum viginti quattuor horarum et dicimus, quod ille est motus diei
naturalis. Facimus autem hoc primo motu primi mobilis, eo quod ille
aequalissimus et simplicissimus est in partibus“; tr. 3, c. 16, p. 290, 38: „tempus ut
in causa et ut in subiecto est in primo mobili“. Th. Aqu., Contra Gentiles III 84: „(tempus) est numerus primi
motus caelestis“.
[75] Vgl.
Averroes, De anima III, comm. 4, ed.
Crawford, 386, 93: „recipiens
debet esse denudatum a natura recepti“, gefolgt von (385, 70–3) „necesse
est ut sensus recipiens colorem careat colore et recipiens sonum careat sono“, vgl.
auch Auctoritates Aristotelis 6 n.
122, ed. Hamesse 184, 2, zitiert von Albertus, De anima III, tr. 2, c. 2, ed. Stroick, 179, 23–7 und Th. Aqu., Quaestio disputata de anima, q. 14, ed.
Leonina, 126, 193–4: „recipiens
debet esse denudatum a natura recepti, sicut pupilla caret colore“; vgl.
auch Th. Aqu., Sentencia libri de anima
III 1 (203, 131–6): „omne
enim quod est in potencia ad aliquid et receptiuum eius caret eo ad quod est in
potencia et cuius est receptiuus, sicut pupilla que est in potencia ad colores
et receptiua eorum est absque omni colore…“ J. Quint verweist auch (vgl. auch Eckhart,
In Ioh. n. 100 [LW III 86, 10]) auf
Arist., De anima II 7, 418b26, doch
wie L. Sturlese heraushebt, ist an dieser Stelle das „recipiens“ das transparente Medium, nicht
das Auge. Zu „Auge“ vgl. den obengenannten
Artikel von R. Shah-Kazemi, ‘Eckhart’s Image of the Eye and the Wood: An analogy which
explains “all that I have preached about”’ (2003).
[76] „Ein meister sprichet“: unbekannt nach DW; vgl. aber Arist., De anima III 4, 429b23–4: „intellectus simplex est et impassibilis et nulli nihil habet
commune, sicut dixit Anaxagoras“,
man vgl. auch Averroes in der voranstehenden Anm. Vgl. auch Eckhart,
In Ioh. n. 38 (LW III 32) (and Nr. 5).
[77] „underwîlen“ ist eine Konjektur von J. Quint: „som tzijt“ schreibt Lo1 (Ich … sprechenne: ich spriche mêr KT), der Bezug ist nicht geklärt.
[80] „ê“: J.
Quint übersetzt: „schon
früher“. Der
Bezug scheint Hom. 2* [Q 24], Nr. 9
zu sein, wo Eckhart über die von Christus angenommene Menschennatur spricht.
[81] „Die
meister … in der schuole“:
vgl. Th. Aqu., Summa theologiae I, q.
12, a. 1–13: „Quomodo
deus a nobis cognoscatur“.
[82] „abescheidenne“: Eckhart scheint zu einer Hörerschaft zu
sprechen, die mit seinem Vokabular nicht vertraut ist, vgl. weiter oben Nr. 11.
[83] Vgl.
Augustinus, Confessiones
X 27, n. 38, ed. Verheijen, 175, 12: „Et ecce intus eras et ego foris“.
[84] Sap.
10,10: „Haec profugum irae fratris iustum deduxit
per vias rectas, et ostendit illi regnum Dei …“
[85]
Lk. 7,27: „Ecce
mitto angelum meum“; Matth.
11,10 wie Mal. 3,1 jedoch benutzen „ego“: „Ecce ego
mitto angelum meum“.
The liturgical context: Evangelistar.,
Arch. f. 436rb: „Dominica
tertia. Secundum Matheum [11, 2–10]. In illo tempore cum audisset Iohannes [In
… Iohannes: Iohannes autem cum audisset Vg.] in vinculis opera Christi, mittens duos
de discipulis suis, ait illi: Tu es, qui venturus es, an alium expectamus? Et
respondens Ihesus ait illis: Euntes renuntiate Iohanni que audistis, et
vidistis. Ceci vident, claudi ambulant, leprosi mundantur, surdi audiunt,
mortui resurgunt, pauperes evangelizantur: et beatus est, qui non fuerit
scandalizatus in me. Illis autem abeuntibus, cepit Ihesus dicere ad turbas de
Iohanne: Quid existis in desertum videre? arundinem vento agitatam? Sed quid
existis videre? hominem mollibus vestitum? Ecce qui mollibus vestiuntur, in
domibus regum sunt. Sed quid existis videre? prophetam? Etiam dico vobis, et
plusquam prophetam. Hic est enim, de quo scriptum est: Ecce [+ ego Vg.]
mitto angelum meum ante faciem
tuam, qui preparabit viam tuam ante te“.
[86] „ein geschrift“: J. Quint denkt an Lk. 20,36: „aequales enim angelis sunt“, doch, wie L. Sturlese zeigt, hat Eckhart wohl Matth. 22,30 im Blick,
wieetwa in Serm. XLIV 1, n. 436 (LW IV 366): „Quarto, quia similes erimus angelis, Matth. 22: ‘erunt sicut
angeli’“. Vgl. auch Ps.–Dionysius, De divinis nominibus, c. 1, § 4 (PG 3,
col. 592C); Dionysiaca, p. 31: „Nam
aequales erimus angelis, ut veritas dicit Eloquiorum“.
[87] „Ein
meister sprichet“:
Ps.–Dionysius, De divinis nominibus, c. 4, § 22 (PG 3, col. 724B),
Dionysiaca, p. 269: „imago
dei est angelus“.
[88] „Der ander
… nâch gote gebildet“:
lat. „ad
imaginem“. Pace J. Quint, Eckhart zitiert nicht
mehr Ps.–Dionysius, sondern wher, wie L. Sturlese vorschlägt, Albertus, De creaturis IV, c. 26, ed. Borgnet,
491: „Et si invenitur, quod quidam sancti dicunt
quod angeli sunt ad imaginem Dei, hoc intelligitur, secundum quid. Dicunt tamen
quidam, quod angelus habet expressiorem similitudinem
quam imago sit“.
Gregorius, Homiliae in Evangelia,
hom. 34, ed. Étaix, 305, 168–71: „non
ad similitudinem Dei factus, sed signaculum similitudinis dicitur, ut quia in
eo subtilior est natura, eo in illum imago Dei similius insinuetur expressa“.
[89] „der dritte sprichet“: Ps.-Dionysius, De divinis nominibus, c. 4,
§ 22 (PG 3, col. 724B), Dionysiaca pp. 269, 3–270, 3: „manifestatio occulti luminis, speculum
purum suscipiens totam … pulchritudinem boniformis deiformitatis et munde
resplendere faciens in se ipso, quemadmodum possibile est, bonitatem silentii,
quod est in adytis“ (vielleicht
nutzt Eckhart eine Textgrundlage mit der Lesart „abditis“, vgl. Albertus, Super Dionysii De divinis nominibus, c. 4 n. 182, ed. Simon, 268,
13–4: „quod est
in abditis, idest in occultis divinitatis, vel in aditis, idest quae adiri non
possunt“).
[90] „glîcheit“: wie L.
Sturlese zeigt, ist die Quelle nicht „similitudinem“, sondern
„pulchritudinem“.
[91] „einer sprichet“:
Iohannes Damascenus, De fide orthodoxa
II 3 (17), tr. Burgundionis, ed. Buytaert, 70, 31–2: „Lumina
secunda intellectualia, ex primo et sine principio lumine“. See
Eckhart, In Gen. I n. 72 (LW I/2, 119, 8–9): „per lucem productam primo die secundum Augustinum intelligitur
productio vel formatio angelicae naturae intellectualis et deo proximae“. Augustinus, De Genesi ad
litteram I 17. 19, ed. Zycha, 23, 20–4, 10;
27, 21–4; Confessiones
XII 15, n. 20, ed. Verheijen, 225, 34–6;
XIII 3, n. 4, 243, 1–3; De civitate Dei XI 32, ed. Dombart/Kalb, 351, 1–352, 15.
[93] „in einem
nû der zît“:
lat. „nunc
temporis“, vgl.
etwa Theodericus de Vriberg, De mensuris 2,
24, ed. Rehn, 221: „ipsum nunc, quod est mensura mobilis secundum Philosophum IV Physicorum (IV, c. 11, 220a3–4), currit
per diversa nunc temporis, quae sunt termini temporis inquantum continuum“.
[94] „Daz allerminste“ meint das kleinste Maß; zu „momentum“, vgl. Isidorus,
Etymologiae V 29, n. 1: „Tempora
autem momentis, horis, diebus, mensibus … dividuntur. Momentum est minimum
atque angustissimum tempus, a motu siderum dictum“.
[95] „Diz …
dinc“: J.
Quint übersetzt: „Dieses
zu sein oder jenes bedeutet nicht alles <zu sein>“, vgl.auch
seine Anmerkung zu p. 336.
[96] „alheit“, hier ist (wie L. Sturlese richtig
gesehen hat) nicht die Totalität im metaphysischen Sinn gemeint, sondern an die
Summe von Zahlen, pace B. Hennig, Kleines
Mittelhochdeutsches Wörterbuch [2001],
7 s.v.: „Vollkommenheit“.
[100] Lk.
7,27.
[101]
J. Quint notiert: „…
Eine ähnliche mystisch willkürlich gezwungene Interpretation der Unterdrückung
eines grammatisch im Lateinischen überflüssigen Bestandteiles eines
Schrifttextes findet sich in DW 1 S. 357,6f …“
[104] „isticheit“: J.
Quint übersetzt diesen eckhartschen Neologismus als „Seinsheit“. Vgl.
hierzu A. Beccarisi, „Philosophische
Neologismen zwischen Latein und Volkssprache: ‘istic’ und ‘isticheit’ bei
Meister Eckhart“
(2003), und die Bemerkungen in LE III
110–3.
[108]
J. Quints Interpunktion lautet „ez enist kein eigen name: ez ist …“, doch
nach L. Sturlese sollte man eher parataktisch interpungieren: „kein
eigen name, ez ist“.
[109] Das
„ego“ bedeutet
reine Substanz ohne Akzidentien; vgl. etwa Eckhart, In Ex. n. 14 (LW II 20): „Li ‘ego’ pronomen est primae personae. Discretivum pronomen meram
substantiam significat: meram, inquam, sine omni accidente, sine omni alieno,
substantiam sine qualitate, sine forma hac aut illa, sine hoc aut illo. Haec
autem deo et ipsi soli congruunt“. Zu dieser modalen Thematik vgl. Priscianus, Institutiones grammaticae, ed. Keil, II 131, 5: „pronomina et finita uolunt esse et loco propriorum accipiuntur et
substantiam solam sine qualitate significant“.
[110] „mitewesen“: dies
ist die einzige Stelle in Eckharts Werk, an der er diesen Begriff benutzt. Im
weiteren Verlauf des Textes wird deutlich, dass er spezifisch an Akzidentien
denkt.
[111] Der
Bezug dürfte oben Nr. 3 sein.
[113] „möhte und künde“: J. Quint übersetzt: „vermag und kann“; man vgl. BMZ I 806, s.v. „kinne“, wo
bemerkt wird, dass in dieser Kombination „mugen“ auf
„potere“, „kunnen“ oder
„sapere“ hin zu lesen ist.
[115] „alzemâle
… glîch“, lat. „similitudo perfecta“. Vgl. Hom.
103* [Q 6], Nr. 11: „Sant
Johannes sprichet: ‘daz wort
was bî gote’. Ez was alzemâle glîch
und was bî neben, noch undenân noch obenân, sunder glîch“. Vgl.
Eckhart, In Ioh. n. 5 (LW III 7): „Non ait:
sub deo, nec ait: descendit a deo, sed ait: verbum erat apud deum. Li enim apud
deum sonat in quandam aequalitatem“.
[116] „abegescheiden“: J. Quint übersetzt: „selbstlos“, doch
vgl. Nr. 33 und weiter unten: „Dar umbe scheit abe allez mitewesen“ (vgl.
Anm. 33). Wie John Connolly richtig bemerkt, erinnert dies an Plotinus, Ennead V 3[49].17: ἄφελε πάντα.
[118] Sap.
18,14–5: „Cum enim
quietum silentium contineret omnia, et nox in suo cursu medium iter haberet,
omnipotens sermo tuus de caelo a regalibus sedibus, durus debellator in mediam
exterminii terram prosilivit“.
Eckhart benutzt die Lesung des Officiums,
Introitus dom. infra oct. Nativ. Domini, Arch.
f. 395ra: „Dum
medium silentium tenerent omnia, et nox in suo cursu medium iter haberet,
omnipotens sermo tuus, Domine, de celis a regalibus sedibus venit“. Eckhart kennt den Unterschied zwischen
den beiden Versionen, doch er bevorzugt die zweite, vgl. Eckhart, In Sap. n. 285 (LW II 618, 5–9): „Et hoc
est quod cantat ecclesia: ‘dum medium silentium tenerent omnia’, id est: dum
omnia tenerent ipsum medium, et omne medium silentium, id est silens“. Vgl.
Hugo, Postilla III, f. 151vb: „Cum enim quietum silentium id est
conticinius noctis…“, zur dreifachen Interpretation von „Stille“:„Cum enim
medium silentium contineret omnia etc. Et notatur ibi triplex silentium.
Primum, medium et ultimum. Primum fuit ante legem, scilicet ignorantia
languoris propter quam solebant a quaerendo medico … Medium fuit sub lege
scilicet desperatio sanitatis, propter quam silebant a quaerendo medico…
Ultimum est sub evangelio, scilicet adeptio sanitatis, propter quam silebant a
quaerimonia et planctu… Vel aliter: Primum silentium fuit in casu Luciferi …
Medium silentium fuit in casu Adae … Tertium silentium erit in fine saeculi …
Et hoc est: Cum medium silentium contineret omnia, id est cum nihil fieret
secundum legem“.
Wie man im nächsten Satz lesen kann, ist „geburt“ schwer
zu übersetzen. Normalerweise bedeutet das Wort „Geburt“, doch in der Eröffnungspassage,
denkt Eckhart offenkundig an denjenigen, der in dieser Geburt geboren wurde,
was ebenfalls mit „geburt“
bezeichnet werden kann. Außerdem könnte man an einigen der
Stellen eher „Zeugen“
schreiben statt „Gebären“, doch soll hier der Konsistenz wegen beim
Begriffsfeld des Gebärens festgehalten werden.
[119] „Sant
Augustînus“:
vgl. jedoch Origenes, Homiliae in Lucam,
c. 22, ed. Rauer, 144, 12–5: „Quid
enim tibi prodest, si Christus quondam venit in carne, nisi ad tuam quoque
animam venerit? Oremus, ut illius cotidie nobis adventus fiat …“
[121] Sap.
18,14–5, vgl. Anm. 1.
[125] Vgl.
oben Sap. 18,14 und Iob 4,12. Zur Übersetzung von „enmitten“ vgl.
den Anfang der Predigt.
[126] Vgl.
oben Nr. 6.
[127] „in dem
wesene der sêle“:
vgl. Eckhart, Serm. XXV/2, n. 267 (LW IV 243, 10–1): „[gratia non est in potentia
animae, sed] in substantia, in intimo scilicet vel potius in ipso esse animae“.
[129] „verstantnisse … genugnisse … willen“:„intelligentia,
memoria, voluntas“; diese
dreifache Struktur der Seele findet sich auch etwa bei Augustinus, De trinitate X, c. 11, n. 18, ed.
Mountain and Glorie, 330, 29–331, 63. Vgl. auch Hom. 12* n. 3.
[130] Die
beiden Sätze „Diu
kraft des sehennes“
und „durch
etwaz mittels“ sind leichter nach dem kritischen Text zu
verstehen, wie er in LE I hergestellt ist. Unsere Übersetzung folgt diesem
Text, auch wenn wir eine andere Interpunktion vorgenommen haben.
[131] „Dar umbe
hât diu sêle in dem wesene kein werk. Mêr: die krefte, dâ si mite würket, die
vliezent ûz dem grunde des wesens“: Serm.
XLV, n. 448 (LW IV 374, 9–10): „Caput vocat intellectivum sive mentem vel etiam ipsam substantiam animae, de qua omnes fluunt potentiae“. Das nachfolgende Wortspiel zwischen „Mitte des Schweigens“ und
„Mittel“ (im Mittelhochdeutschen dasselbe Wort) kann man im Neuhochdeutschen leider
nicht nachbilden.
[133] Den
Kräften der Seele entsprechend findet das Geschöpf die vermittelnden Bilder,
die der Seele eingegeben sind und sich in ihrem Gedächtnis verhängen.
[134] Vgl.
Aristotle, De anima III, c. 4,
430a2–3, Averroes, De anima III,
comm. 15, ed. Crawford, 434, 6–20. Vgl. auch Theodericus de Vriberg, De visione beatifica 1.1.1.3.4., ed.
Mojsisch, 21: „[intellectus]
intelligit se, inquantum intelligit se olim factum in actu per aliam
intellectionem, et sic intelligit se sicut alia secundum Philosophum et exponit
Commentator, quod, sicut alia intelligit per actus et formas suas, quibus talia
sunt aliquid in actu, sic intelligit se, inquantum aliquando factus est in actu
per speciem intelligibilem aliam ab ea, qua nunc intelligit …“ Auctoritates Aristotelis, 6, n. 147, ed. Hamesse, 186: „Intellectus noster intelligit se sicut
alia per species aliarum“;
Eckhart, In Ioh. n. 658 (LW III 573,
11–2).
[136] Vgl.
Eckhart, In Ioh. n. 23 (LW III 19): „Imago enim, inquantum imago
est, nihil sui accipit a subiecto in quo est, sed totum suum esse accipit ab
obiecto, cuius est imago“.
[138] Vgl.
oben Nr. 3.
[139]
Die Interpunktion von DW wurde geändert (vgl. auch LE I).
[140]
Eckhart kombiniert zwei Zitate, von denen das erste wörtlich ist („enmitten
in einem swîgenne“);
vgl. für das zweite Zitat Iob 4,12: „Porro ad me dictum est verbum absconditum“.
[141]
II Cor. 12,2: „sive in
corpore nescio, sive extra corpus nescio, Deus scit, raptum huiusmodi usque ad
tertium caelum“ (das
vollständige Zitat „raptum ad tertium caelum“ begegnet nirgends in Eckharts
Werken).
[142] Exod.
24,18; 23,28.
[143]
Anselmus, Proslogion, c. 1, ed.
Schmitt, 97, 4–5: „Eia
nunc, homuncio, fuge paululum occupationes tuas, absconde te modicum a
tumultuosis cogitationibus tuis. Abice nunc onerosas curas“.
[144] Ps.-Dionysius,
De divinis nominibus, c. 9, § 6 (PG
3, 913C), Dionysiaca 467: „Theologi
autem existentem super omnia deum, secundum quod ipse est, nulli dicunt similem
…“; 4, § 3
(PG 3, 697A), Dionysiaca 158: „in
ipso solo non existens substantiae excessus … et sine mente existens excellens
sapientia et quaecumque in bono non formatorum sunt excedentis formationis“.
[146] Ps.-Dionysius,
De mystica theologia, c. 1, § 1 (PG
3, 997B), Dionysiaca 557–69: „Tu
autem, amice Thimothee, circa
misticas visiones forti contritione et sensus
derelinque et intellectuales operationes, et omnia sensibilia et
intelligibilia et omnia existentia et non existentia, et sicut est possibile, ignote consurge ad eius unitionem qui est
super omnem substantiam et cognitionem. Et enim excessu tui ipsius et
omnium irretentibili absolute, et munde ad supersubstantialem divinarum
tenebrarum radium, cuncta aufferens et a cunctis absolutus sursum agens“. Das Zitat könnte noch bis zu „allen
dingen“ erweitert werden.
[147] „sie“ im
Plural bezeichnet die Kräfte der Seele, wohingegen „sie“ im Singular sich auf die Seele
bezieht.
[150] Gott
als Wort ist der verborgene Offenbarer.
[152] Vgl.
Anm. 31.
[153] Vgl.
die nachfolgende Anm.
[154] Röm.
8,38–9: „Certus
sum enim quia neque mors, neque vita … poterit nos separare a caritate Dei“. Der
letzte Teil „des
ich in mir bevinde“
ist nicht Teil des Zitats („a
caritate Dei“).
[156]
Augustinus, Confessiones X, c. 40, n.
65, ed. Verheijen, 191, 21–3: „Et
aliquando intromittis me in affectum multum inusitatum introrsus ad nescio quam
dulcedinem, quae si perficiatur in me, nescio quid erit, quod vita ista non
erit“.
[159] Matth.
19:29: „Et omnis, qui reliquit domum, vel fratres, aut sorores,
aut patrem, aut matrem, aut uxorem, aut filios, aut agros propter nomen meum,
centuplum accipiet, et vitam aeternam possidebit“. Matth. 16:24: „si quis
vult post me venire, abneget semet ipsum, et tollat crucem suam, et sequatur me“; Lk. 9,23: „si
quis vult post me venire, abneget se ipsum, et tollat crucem suam cotidie, et
sequatur me“.
[160] Lam.
3,28: „Sedebit
solitarius, et tacebit“;
Ps. 84:9: ‘Audiam quid loquatur in me Dominus Deus“.
[161] Die
Übersetzung folgt einer Interpunktion, die von DW verschieden ist.
[162] Ioh.
1,5: „lux in
tenebris lucet“; 1,11–2:
„In
propria venit, et sui eum non receperunt. quotquot autem receperunt eum, dedit
eis potestatem filios Dei fieri“.
[165] Luc. 2,21. Der liturgische Kontex: Evangelistar., Arch. f. 437rb: „In
circumcisione, secundum Lucam [2, 21]. In illo tempore [Et postquam Vg.] consummati sunt dies octo ut
circumcideretur puer: vocatum est nomen eius Ihesus, quod vocatum est ab angelo
priusquam in utero conciperetur“.
[167] „Ein
meister sprichet“:
vielleicht Iohannes Damascenus, De fide
orthodoxa I, c. 7, ed. Buytaert, 25, 1–27, 30.
[168] „Ein
meister sprichet“:
vielleicht Augustinus, Enarrationes in
Psalmos 83, n. 3, ed. Dekkers and Fraipont, 1148, 31–5: „Desiderium
eorum differtur, ut crescat; crescit, ut capiat … Ad capiendum Deum exercere“.
[169] Matth.
2:19–20. Der liturgische Kontext: Evangeliar.,
Arch. f. 437rb: „In
vigilia Epyphanie. Secundum Matheum [2, 19–23]. In illo tempore [> Vg.] defuncto [+ autem Vg.] Herode, ecce angelus Domini apparuit in somnis Ioseph
in Egypto, dicens: Surge, et accipe puerum, et matrem eius, et vade in terram
Israel: defuncti sunt enim, qui querebant animam pueri. Qui consurgens, accepit
puerum, et matrem eius, et venit in terram Israel. Audiens autem quod Archelaus
regnaret in Iudea pro Herode patre suo, timuit illo ire: et admonitus in
somnis, secessit in partes Galilee. Et veniens habitavit in civitate que
vocatur Nazareth: ut adimpleretur quod dictum est per Prophetas: Quoniam
Nazarenus vocabitur“.
[170]
Augustinus, Confessiones XII, c. 27,
n. 37, ed. Verheijen, 236, 1–237, 7: „Sicut enim fons in parvo loco uberior est
pluribusque rivis in ampliora spatia fluxum ministrat quam quilibet eorum
rivorum, qui per multa locorum ab eodem fonte deducitur, ita narratio
dispensatoris tui sermocinaturis pluribus profutura parvo sermonis modulo
scatet fluenta liquidae veritatis, unde sibi quisque verum, quod de his rebus
potest, hic illud, ille illud, per longiores loquellarum anfractus trahat“.
[171]
Augustinus, De Trinitate I, c. 2, n.
4, ed. Mountain and Glorie, 31, 9–11: „Mentis humanae acies invalida in tam
excellenti luce non figitur, nisi per iustitiam fidei nutrita vigoretur“, angeführt
von Eckhart, In Ioh. n. 745 (LW III
650, 1).
[172] Gen.
1,7: „Et fecit
Deus firmamentum, divisitque aquas, quae erant sub firmamento, ab his, quae
erant super firmamentum“.
[173]
Petrus Lombardus, Sententiae II, d.
15, c. 5 (Grottaferrata, 1971), 402, 2–4: „Quare post omnia factus est homo“.
[175] ‘si’
= die Seele.
[176] I.e. die Schrift hat es bewiesen.
[177] Deut. 31,26.
[180] „enpfangen“ ist
hier im doppelten Sinn von „Empfangen“
zu verstehen, das Erhalten einer Sache und das Empfangen eines Kindes.
[181]
Boethius, De consolatione philosophiae
I, m. 7, ed. Moreschini, 26, 20–8: „tu
quoque si vis lumine claro cernere verum … gaudia pelle, pelle timorem spemque
fugato nec dolor adsit“, angeführt
von Eckhart, In Exod. n. 12 (LW II
17, 9–18, 3).
[182] Luc. 2,1.
[184] Vgl.
Augustinus, De civitate Dei XIX 13,
ed. Dombart and Kalb, 679, 10–1: „pax
omnium rerum tranquillitas ordinis“.
[185] Matth.
2,1. Der liturgische Kontext: Evangelistar.,
Arch. f. 437vb: „Ad
Missam. Secundum Mattheum [2, 1–12]. Cum [+ ergo Vg.] natus esset Ihesus in Bethleem Iude in diebus Herodis regis,
ecce Magi ab oriente venerunt Ierosolimam, dicentes: Ubi est qui natus est rex Iudeorum? vidimus enim stellam eius in
oriente, et venimus adorare eum. Audiens autem Herodes rex, turbatus est, et
omnis Ierosolima cum illo. Et congregans omnes principes sacerdotum, et scribas
populi, sciscitabatur ab eis ubi Christus nasceretur. At illi dixerunt ei [ei
> Vg.]: In Bethleem Iude: Sic enim
scriptum est per Prophetam: Et tu Bethleem terra Iuda, nequaquam minima es in
principibus Iuda: ex te enim exiet dux, qui regat populum meum Israel. Tunc
Herodes clam vocatis Magis diligenter didicit ab eis tempus stelle, que
apparuit eis: et mittens illos in Bethleem, dixit: Ite, et interrogate
diligenter de puero: et cum inveneritis, renuntiate michi, ut et ego veniens
adorem eum. Qui cum audissent regem, abierunt. Et ecce stella, quam viderant in
oriente, antecedebat eos, usque dum veniens staret supra, ubi erat puer.
Videntes autem stellam gavisi sunt gaudio magno valde. Et intrantes domum,
invenerunt puerum cum Maria matre eius, et procidentes adoraverunt eum: et
apertis thesauris suis obtulerunt ei munera, aurum, thus et mirram. Et responso
accepto in somnis ne redirent ad Herodem, per aliam viam reversi sunt in
regionem suam“.
[187] Die
Triade ‘wesenlîche, würklîche und gewalticlîche’ spiegelt vielleicht das lat. ‘substantia, virtus et operatio’: vgl. Ps.-Dionysius, De caelesti
hierarchia, c. 11, § 2 (PG 3, 28D), Dionysiaca 930: „Omnes divinae mentes
in substantiam virtutem et operationem (divisae sunt) “; Albertus, Quaestiones,
ed. Fries, 140, 1–2: „dicit Dionysius, quod in re tria sunt:
substantia, virtus et operatio“; Albertus, Summa theologiae
I, tr. 6, q. 29, c. 1, a. 1, ed. Siedler, Kübel and Vogels, 216, 37–8: „fides ponit et similiter philosophi, quod
in deo idem sunt substantia, virtus et operatio“.
[188] Vgl. Wittgenstein, der wohl einmal daran dachte, als Motto für seine Philosophischen Untersuchungen den Satz
des Earl of Kent aus King Lear (Act
I, sc. iv) nutzen wollte: „I'll teach you differences“. Vgl. R. Monk, Ludwig Wittgenstein (1990), 537. Wir danken
John Connolly für diesen Hinweis.
[192] „Sol … ûz“: Vgl. Reden, c. 1 (DW V 187, 1–2): „Swâ der
mensche in gehôrsame des sînen ûzgât und sich des sînen erwiget, dâ an dem
selben muoz got von nôt wider îngân“.
[193] „underscheides“: lässt
auch an die Argumentation erinnern, mit der Eckhart auf die verschiedenen
Fragen hier antwortet.
[194]
Augustinus, Enarrationes in Psalmos
4, n. 8, ed. Dekkers and Fraipont, 18, 1–3: „Sed homines temporalia sectantes, qui
certe multi sunt, nihil aliud nouerunt dicere, nisi ‘Quis ostendit nobis bona’,
cum uera et certa bona intra semetipsos uidere non possint“.
[196] „Daz ende
… werke“: lat. „finis est
primum in intentione et ultimum in exsecutione“. See Averroes, Physica II, comm. 89 (1562), f. 174raA: „principium
operationis est finis cognitionis, et principium cognitionis est finis
operationis“;
Albertus, Summa theologiae I, tr. 6,
q. 20, c. 1, a. 2, ed. Siedler, Kübel and Vogels, 174, 27–8: „Finis
autem est in exsecutione ultimum, licet in intentione sit primum“. Vgl. auch Th. Aqu., Summa theologiae I–II, q. 1, art. 1 ad 1: „finis, etsi sit postremus in executione,
est tamen primus in intentione agentis“;
id., Quodlibet VIII, q. 1, ed. Leonina, 55 note to 75–6. „praestantiora sunt prima in intentione et ultima
in exsecutione“:
Eckhart, In Gen. n. 131 (LW I/1, 284,
11–2; LW I/2, 169, 5–6); In Ioh. n.
145 (LW III 121, 9) mit Anm.
[197] „hat sich
… ûzgespreitet“:
vgl. auch „laboriosas
distentiones“ von
denen Anselm spricht, vgl. Anm. 19 unten.
[199]
Ps.-Augustinus, oder vielmehr Bernhardus, De
praecepto et dispensatione, c. 20, n. 60, ed. Leclerq and Rochais, 292,
24–5: „Neque
enim praesentior spiritus noster est ubi animat, quam ubi amat“.
[200] „Ein
glîchnisse“:
Die Quelle für die Ermordung des Archimedes nach der Belagerung von Syracus ist Valerius Maximus,
Facta et dicta memorabilia VIII, c.
7, ext. 7, ed. Briscoe, 526–7.
[203] Matth.
10,37: „Qui amat
patrem aut matrem plus quam me, non est me dignus“. Matth. 10,34–6: „Nolite arbitrari quia pacem venerim
mittere in terram: non veni pacem mittere, sed gladium. Veni enim separare
hominem adversus patrem suum, et filiam adversus matrem suam, et nurum adversus
socrum suam: et inimici hominis, domestici eius“.
[204]
Anselmus, Proslogion, c. 1, ed.
Schmitt, 97, 4–6: „Eia
nunc, homuncio, fuge paululum occupationes tuas, absconde te modicum a
tumultuosis cogitationibus tuis. Abice nunc onerosas curas, et postpone
laboriosas distentiones tuas“.
[207] Die
Übersetzung folgt hier der Neugliederung durch L. Sturlese im Unterschied zur
Edition in DW von G. Steer: „Und hie in disem“ ist kein
neues Argument, sondern die Schlussfolgerung des vorangegangenen.
[208] Ein
Thema des Bernhard von Clairvaux, vgl. die Dokumentation in DW IV 421.
[209] Eine
Ellipse von Sagen oder Schreiben.
[210]
Valerius Maximus, Facta et dicta
memorabilia VIII, c. 7, ext. 8, ed. Briscoe, 527.
[211] „etlîche meister“: unbekannter Bezug, vielleicht eine Interpretation
von „quo est omnia fieri“, die mit dem Intellekt zusammengebracht
wird bei Aristoteles, De anima III,
c. 5, 430a14 (vgl. A. Beccarisi, in Studi
sulle fonti di Meister Eckhart I 36).
[212] Nach
G. Steer (und J. Koch in LW IV 95 n. 3) verwechselt Eckhart Timotheus mit „Hierotheus“, von dem gesprochen wird bei Ps.-Dionysius,
De divinis nominibus, c. 2 § 9 (PG 3,
647B), Dionysiaca 104, 3: „patiens
divina“. Vgl. auch
Eckhart, In Ioh. n. 191 (LW III 160):
„Unde
Hierotheus didicit divina patiendo …“