Um hier Abhilfe zu schaffen, sollen diese Texte in einer editio minor erscheinen, zu der hier nacheinander die Texte mit Übersetzung vorgestellt werden (Die Zählung richtet sich nach der auch PIK zugrundeliegenden Liste von Schneyer, Repert. lat. Serm). Bitte machen Sie Vorschläge für Verbesserungen von Text und Übersetzungen, v.a. auch Quellverweise, die ich noch nicht entschlüsselt habe.
Predigt T1,3* [Pfeiffer 67.1, 209-214]
<:1>(209) Virtutes coelorum
  movebuntur. Disiu wort sprichet unser herre in dem êwangeliô unde
  bediutent sich alsô: die krefte (210) der himel werdent sich bewegen.  
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<:1>Virtutes coelorum movebuntur.[6] Diesen Vers spricht unser Herr im Evangelium und er
  bedeutet: ‘Die Kräfte des Himmels werden sich bewegen’. 
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<:2>Ein himel
  ist alsô vil gesprichen als ein heimelich oder ein verborgen dinc, wan got
  der ist alsô heimelich verborgen under der klârheit der schoenen gotheit, daz
  kein mensche mit vernunft von ir
  eigen nâtûrlîchen maht mac komen zuo der anschouwunge der wunne sînes
  götlîchen antlitzes. Dâ von sprach Job wer mac kriegende ervorschen diu dinc,
  diu in den himelen sint? reht als ob er sprêche: nieman in der
  welte. Daz besiufzete der wîssage unde sprach ach, herre, dû bist ein
  verborgener got! 
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<:2>Ein
  Himmel bedeutet soviel wie ein heimliches oder verborgenes Ding,[7] denn Gott ist so heimlich verborgen in dem Glanz der
  schönen Gottheit,[8] dass kein Mensch mit der eigenen natürlichen Macht des
  Intellekts zur Schau der Wonne seines göttlichen Antlitzes kommen kann.[9] Hiervon sprach Ijob: ‘Wem mag es gelingen, die Dinge, die
  im Himmel sind, zu erforschen?’[10] Gerade als ob er gesagt hätte: Niemand in dieser Welt.
  Hieüber klagte der Prophet und sagte: ‘Ach, Herr, Du bist ein verborgener
  Gott!’[11] 
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<:3>Nû
  sprichet sant Augustînus, daz sich got verbirget in der sêle innekeit mit den
  werken der gnâde, dâ er sich in der sêle an offenbâret, alsô heimlîche, daz
  ez nieman mac wizzen wan der mensche, in dem ez isz alsô tougenlîchen
  verborgen. Wan sant Paulus sprach allez, daz in dem menschen ist, daz ist
  verborgen. Dâ von ist diu sêle ein götlicher himel und ein geistlîcher, dâ
  got sîniu volkomeniu werc inne ruowende tougen unde heimlîche volbringet. Hie
  von sprichet got durch den wîssagen nement war, ich schepfe in iu einen
  niuwen himel. 
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<:3>Nun sagt der heilige
  Augustinus,[12] dass
  Gott sich selbst mit den Werken der Gnade im Innern der Seele verbirgt, da er
  sich selbst in der Seele so heimlich offenbart, so dass niemand es wissen
  kann außer der Mensch, in welchem es so heimlich verborgen ist. Denn der heilige Paulus sagte:[13] ‘Alles, was in einem Menschen ist, ist verborgen’. Dadurch
  ist die Seele ist ein göttlicher und geistlicher Himmel, dass Gott sein
  vollkommenes Werk innen ruhen lässt und es heimlich vollendet. Hiervon
  spricht Gott durch den Propheten:[14] ‘Seht, ich schaffe in Euch einen neuen Himmel.’ 
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<:4>Als nû
  die lîplîchen himel werdent beweget an iren kreften in der beschultunge des
  anschînes des liehtes götlîcher klârheit, dâ von sprichet Kristus die krefte
  der himel werdent sich bewegen. An disen worten sol man prüeven die üebunge
  guoter werke der sêle, dâ si sich an übet, swenne sich got in sî alsô verbirget,
  daz si wirt ein himel der unbegrîflîchen gotheit. Wan ein ieglich werc vliuzet ûz der kraft unde diu
  kraft vliuzet ûz dem wesen. Dâ von mac man ûz disen worten nemen driu stücke,
  diu der sêle adel bewîsent. Daz êrste lît an des wesens edelkeit. Dâ von
  sprichet er die himel. Daz ander lît an der krefte mehtikeit, dâ von sprichet
  er die krefte. Daz dritte lît an der werke fruhtberkeit, dâ von sprichet er
  beweget. 
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<:4>Da nun
  die körperlichen Himmel durch ihre Kräfte im Verdecken des Lichtsscheins des
  göttlichen Glanzes bewegt werden, sagt Christus hierzu: ‘Die Kräfte des
  Himmels werden bewegt.’[15] In diesem Vers soll man das Üben guter Werke der Seele
  sehen, da sie sich darin übt, wenn Gott sich selbst in ihr versteckt, so dass
  sie ein Himmel der unfassbaren Gottheit wird. Denn jede Handlung fließst aus
  der Kraft und die Kraft fließt aus dem Wesen. Hierdurch kann man drei Dinge
  aus diesen Worten herausnehmen, die den Adel der Seele aufzeigen. Das erste
  stammt von dem Adel des Wesens. Das ist angezeigt mit ‘der Himmel’. Das
  zweite stammt von der Mächtigkeit der Kräfte, das angezeigt ist mit ‘die
  Kräfte’. Das dritte stammt von der Fruchtbarkeit der Werke, was angedeutet
  ist durch ‘er bewegt’. 
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<:5>Nû sol
  man an dem êrsten prüeven, daz diu sêle, diu ein himelischez wesen wil an ir haben, diu sol an ir haben
  driu dinc, diu an dem himel sint. Daz êrste ist, daz der himel ist an in
  êwic. Daz ander ist, daz er an dem loufe
  ist umbegengic. Daz dritte, daz er den nidersten crêatûren ist înfliezende. Disiu driu dinc
  bewise ich alsô.   
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<:5>Nun soll
  man an dem ersten ersehen, dass die Seele, die ein himmlisches Wesen in sich
  haben will, drei Dinge in sich besitzen soll, die im Himmel sind: Das erste
  ist, dass der Himmel in sich ewig ist. Das zweite ist dass er in seiner
  Bewegung kreisförmig ist. Das dritte ist, dass er in die niedrigsten
  Kreaturen fließt. Diese drei Dringe werde ich also darlegen: 
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<:6>Bî dem
  êrsten, daz der himel ist êwig an dem wesen, daz bewise ich mit dirre rede. Der
  himel hât eine unlîplîche materielîche nâtûre unde eine unmaterielîche unde
  lîplîche wîse: dâ von mac kein vremdiu înbildunge in in gevallen. Ez mac kein
  varwe in in komen, ez mac kein verandertiu kraft in in gewirken, dâ von ist
  sîn wesen ein unwandelhaft blîben.  
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<:6>Mit Blick auf das erste, dass
  der Himmel in seinem Wesen ewig ist, zeige ich wie folgt: Der Himmel ist von
  einer nicht körperlichen, materiellen Natur und von einer nichtmateriellen
  und körperlichen Art. Hierdurch befällt ihn kein fremder Abdruck. Keine Farbe
  gelangt in ihn, keine verändernde Kraft kann in ihm wirken, weshalb sein
  Wesen unverändert bleibt. 
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<:7>Daz
  ander, wie der himel ist an dem loufe umbegengic; daz bewise ich alsô. Waz
  umbe gêt, daz kumet wider an sîne êrste stat, unde waz an sîne êrsten stat
  kumet, daz gêt umbe. Nû sprichet der (211) meister, daz der beweger des himels ist an dem
  ûfgange, dâ diu sunne ûf gât. Nû sehe wir daz mitten ougen, daz diu sunne
  alle tage ûf gât an dem ûfgange unde des âbendes under und aber an dem morgen
  ûf an die stat, als der meister sprichet, dâ der beweger ist. Dar umbe kumet si tegelîche wider an ir êrsten
  stat. Dâ von gât diu sunne umbe. Diz mac man niht alsô verstân, daz diu sunne
  alsô umbeloufe irs eigen loufes, wan si mac irs eigen loufes niht komen in
  einem tage an ir êrstan stat, sunder si kumet dar in eime ganzen jâre, daz
  ist in driuhundert tagen unde fünf unde sehzic tagen. Dar umbe sol man ez
  verstân von dem himel alzemâle der diu sunne allez mit ime ziuhet. Doch tuot
  daz diu sunne jêrlich, daz der himel tuot tegelich.  
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<:7>Das zweite ist, wie der Himmel
  seiner Bewegung nach kreisförmig ist. Dies zeige ich wie folgt. Was sich kreisförmig bewegt, kommt zu seinem
  Ausgangspunkt zurück, und was zu seinem Ausgangspunkt kommt, geht im Kreis. Nun
  sagt der Meister,[16] dass sich der Beweger des Himmels am Ausgangspunkt befindet,
  wo die Sonne aufgeht. Nun sehen wir mit dem Auge, dass die Sonne jeden Tag
  vom Ausgangspunkt aufgeht und am Abend untergeht, aber am Morgen doch wieder
  am Ausgangspunkt aufgeht, nämlich, wo der Beweger ist, wie der Meister sagt. Darum
  kommt sie täglich zurück zu ihrem ersten Ausgangspunkt. Darum bewegt sich die
  Sonne im Kreis. Das kann nicht so verstanden werden, als bewege sich die
  Sonne auf ihrem eigenen Kreislauf, denn sie kann zu ihrem eigenen Ausgangspunkt
  nicht in einem Tag zurückkommen, denn dies geschieht erst nach einem vollen
  Jahr von 365 Tagen. Darum soll man es gänzlich auf den Himmel beziehen, der
  die Sonne gänzlich mit ihm zieht. Doch die Sonne tut in einem Jahr, was der
  Himmel täglich tut. 
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<:8>Daz
  dritte, daz der himel der nidersten
  crêatûre în fliuzet, daz bewîse ich dâ mite, daz allez, daz dâ wirt
  geborn unde vergêt, daz ist gesprichet an dem buoche der nâtûren von dem himel: der himel ist allen dingen, diu under
  im sint, ein înfluz des wesendes unde des lebendes. 
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<:8>Das dritte, dass der Himmel in
  die niedrigste Kreatur fließt, das zeige ich wie folgt: All das, was dort
  geboren wird und vergeht, ist im Buch der Naturen des Himmels festgehalten: der
  Himmel ist ein Einfließen von Sein und Leben in alle, die unter ihm sind.[17]  
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<:9>Wil denne
  diu sêle werden ein geistlich himel, sô sol si ziehen an die êwikeit irs
  wesens und in daz umbegenclîche widergên irs urspringes und an ir hoehsten
  niderflüzzekeit in die nidersten krefte. Zem êrsten sprich ich, daz diu sêle mit ir gange sol gên an die êwikeit
  irs wesens unde sol vlîzeclîche betrahten, wie si von der gâbe gotes ein
  unvergenclich nâtûre ist, die er gewirdiget hât zuo der gemeinsame sîner
  êwigen sêlikeit. Dâ von wirt si ein unlîplich nâtûre und ein lîplîch wîse,
  daz der geist deme lîbe niht nâch ist volgende an sînen vleischlîchen
  gebêrden, sô mac kein vremdiu înbildunge in sî gevallen, wan si bewart mit
  allem vlîze, daz ir ir eigen bilde, dar an sî got hât nâch ime selben
  gezeichent unde gebildet, iht entwîche. Si mac ouch denne keine vernihtunge
  lîden noch in sî komen, diu sî setze ûz der edelkeit himelischer dinge und unlîdunge, wan sô mac si allez
  lîden und unlîdlich sîn in des gotes kraft, der sî an lîden hât gesterket. Ez mac ouch denne kein
  ander kraft in ir würken, wan si ist in got alsô gehaft, der ein
  unwandelhaftiu stêtekeit ist, daz weder tôt noch leben weder tiefe noch hoehe
  weder ein noch ander crêatûre mügen sî gelâzen ûz der unwandelbarkeit sîner
  götlîchen stêtekeit. Dâ von mac si sprechen mit künig Dâvîde daz guot mîner unvergenclîcher sêlekeit lît an der
  haftunge der gotheit. 
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<:9>Will dann die Seele ein
  geistlicher Himmel werden, muss sie sich zur Ewigkeit ihres Seins hinziehen
  und zum kreisförmige Bewegung ihres Ursprungs und zum höchsten Herabfließen
  in die niedrigsten Kräfte. Erstens, sage ich, dass die Seele sich in die
  Ewigkeit ihres Seins bewegen soll und soll eifrig schauen, wie sie aufgrund
  der Gabe Gottes ein von unzerstörbarer Natur ist, der er die Ehre geben hat,
  gemeinsam seiner ewigen Seligkeit zuzugehören. Hierdurch wird sie eine nichtkörperliche
  Natur und eine körperliche Art, so dass der Geist nicht dem Körper in seinen körperlichen
  Handlungen folgt, so dass folglich kein fremdes Bild in sie geraten kann,
  denn mit aller Anstrengung achtet sie darauf, dass sie ihr eigenes Bild, mit
  welchem Gott sie gezeichnet und nach dem sie sie gestaltet hat, nicht
  verliert. Sie kann keine Zerstörung erleiden, noch kann etwas anderes in sie
  gelangen, die sie aus dem Adel der himmlischen Dinge oder aus dem Leiden
  bringen könnte, denn so in der Kraft Gottes, der sie im Leiden gestärkt hat,
  kann sie alles Leiden und Schmerz ertragen. Dann kann keine andere Kraft in ihr wirken, denn sie ist so mit Gott
  verbunden, der eine solch unwandelbare Stetigkeit ist, dass weder Tod noch
  Leben, weder Tiefe noch Höhe, weder the eine oder die andere Kreatur sie aus
  der Unwandelbarkeit seiner göttlichen Stetigkeit entlassen kann. Hiervon
  spricht sie mit König David: ‘Das Gut meiner unzerstörbaren Seligkeit liegt
  darin, mit Gott verhaftet zu sein.’ 
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<:10>An dem
  andern stücke sol diu sêle werden an ir loufe umbegebgic, wan si gêt ûf von
  dem ûfgange der sunnen an irm nâtiurlîchem wesen, daz ist von des himelischen
  vater herzen, in dem diu wâre
  sunne ûf (212) gât âne underlâz, daz ist sîn eingeborn sun, der ein lieht ist
  und ein schîn sîner êwigen genüegelicheit. Dâ sol si wider în gên in des
  vaters vernunftikeit, dâ si in alsô himelischer art ist îngesprochen, als der
  wîssage sprach got der hât die himel gemachet in die vernunftikeit. Der
  vernunftic himel ist diu sêle, sô si mit aller ir innikeit gêt in got als in
  ir êrste stat. Wan sô sprichet er in sî sîn êwic wort, daz si dâ von wirt
  bestêtiget an aller himelischer vollekomenheit, als der wîssage sprichet, dô
  der was worden ein himel der gotheit von gotes wort sint die himel gevestent
  unde gestêtiget. 
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<:10>Als Zweites soll die Seele in
  ihre kreisförmige Bewegung gelangen, denn sie geht in ihrem natürlichen Sein
  dort auf, wo die Sonne aufgeht, nämlich im Herzen des himmlischen Vaters, in
  welchem die wahre Sonne ständig aufgeht, nämlich sein eingeborener Sohn, der
  ein Licht und ein Abglanz seiner ewigen Zufriedenheit ist. Da soll sie wieder
  eingehen in den Intellekt des Vaters, in welchem sie auf himmlische Weise gesprochen
  wurde, wie der Prophet sagt:[18] ‘Gott
  hat die Himmel im Intellekt gemacht’. Der vernünftige Himmel ist die Seele,
  wenn sie sich in Gott bewegt mit all ihrem Innern als ihrem ersten Ort. Denn
  auf diese Weise spricht er sein ewiges Wort in sie, so dass sie hierdurch in
  aller himmlischen Vollkommenheit bestätigt wird, wie der Prophet sagt, da
  dies ein Himmel der Gottheit geworden ist: ‘Durch das Wort Gottes wurden die Himmel befestigt und gesichert.’  
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<:11>An dem
  dritten stücke sol dirre geistlîche himel der sêle werden götlicher gnâden
  unde trôstes înflüzzic. Wan als der engelischer beweger den himel umbe trîbet und ime kraft gît, dâ mite er die
  kraft sîner maht weget zuo himel unde der himel denne nider fliuzet und allen
  dingen wesen unde wirken von nâtûre gît unde daz leben, alsô weget got denne
  sîne götliche kraft mit aller der gnâde, diu in sînem veterlîchen herzen
  entspringet, zuo der sêle unde gît ir kraft, daz si an sîner bewegunge wirt
  mehtic unde kreftic, in der si ir wesen unde wirken unde leben gît allen irn
  nidersten kreften, allen ledermêzen des lîbes und allen iren werken, daz sie
  werdent lebende vor gote, daz sie fruht bringent des êwigen lebens. Dirre
  înflüzzekeit begerte Isaias der wîssage, dô er was komen an die ahte, daz im
  der heilige geist ruorte die innekeit sînes herzen unde sîne obersten kraft
  nam und enpfienc die aller
  süezesten kraft der gotheit, unde sprach ir himel, ir sult nider dar ûf
  touwen, daz ist: ir sult giezen in alle mîne kraft, in alle mîne lidermêze,
  in alliu mîniu werc die süezekeit des himelischen touwes, den ir ûz gote in
  iu habet enpfangen. 
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<:11>Als Drittes soll dieser
  geistliche Himmel ein Einfluss göttlicher Gnade und Trostes für die Seele
  werden. Denn wenn der engelhafte Beweger[19] die
  Himmel herumschiebt und ihm Kraft verleiht,[20] damit
  er die Kraft seiner Macht zum Himmel bewegt und der Himmel dann niederfließt
  und allen Dingen von Natur aus Wesen und Wirken und Leben verleiht, so bewegt
  denn Gott seine göttliche Kraft mit all der Gnade, die in seinem väterlichen
  Herzen entspringt, zur Seele und gibt ihr Kraft, dass sie in seiner Bewegung
  mächtig und kräftig wird, in welcher er ihr Wesen, Wirken und allen ihren
  Kräften Leben verleiht, allen Gliedmaßen des Leibes und all ihren Werken, so
  dass sie lebendig werden vor Gott, damit sie Frucht des ewigen Lebens bringen.[21] Diesen
  Einfluss hatte sich Jesaia, der Prophet, gewünscht, als er bemerkte, dass der
  heilige Geist das Innere seines Herzens berührte und seine höchste Kraft nahm
  und die süßeste Kraft der Gottheit erhielt, und sagte:[22] ‘Ihr
  Himmel, ihr sollt herabtauen, das heißt, Ihr sollt in all meine Kraft, in all
  meine Gliedmaßen, in all meine Werke die Süße des himmlischen Taus gießen,
  den Ihr aus Gott in Euch empfangen habt.’ 
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<:12a>Nû sol
  man für baz prüeven,  
daz er den
  lîplîchen himel hât gezieret mit siben planêten, daz ist mit siben edelen
  sternen, die uns nêher sint denne die andern.  
Der êrste ist
  Saturnus, nâch dem ist Jupiter, nâch dem ist Mars, nâch dem ist diu sunne,
  nâch dem ist Vênus, nâch dem ist Mercurius, nâch dem ist der mâne. Swenne nû
  diu sêle ein sêlic geistlich himel wirt, sô zieret sî unser herre mit disen
  sternen geitslîche, die sant Johannes sach in der tongenheit, dô er den künic
  über alle künige sach sitzen ûf dem trône sîner götlîchen êre unde hâte siben
  sterne in sîner hant. Nû sult ir prüeven, daz der êrste sterne, Saturnus, ist
  ein fürber; der ander,
  Jupiter, ist ein gunster; der dritte, Mars, ist ein zürner; der vierde, diu
  sunne, ist ein liuhter; der fünfte, Vênus, ist ein liebtrager; der sehste,
  Mercurius, ist ein gewinner; der sibende, der mâne, ist ein loufer. 
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<:12b>[433ra]
  Eine churtze awslegung von den planeten geistleich non M. Nicolai  
Der alm(chtig got hat den himel mit siben planeten tziert. Das
  ist mit siben edeln stern dy vns nahenter sind dann dy andern vnd in den der
  chrafft vil ist da durch der lawff der natur volpracht wirt. Dar vmb wann dy
  sel ein geistleicher himmel gots wirt so tziert er sy mit den siben stern  
Da von sand Johannis im puech der tawgen schreibt dô er den chünigs aller
  chünig sach sitzen awff dem tran seiner ern.  
Der erst stern haist Saturnus vnd ist ein erfreuwer  
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<:12a>Nun soll
  man vollends sehen, dass er den körperlichen Himmel mit sieben Planeten
  geschmückt hat, d.h. mit sieben edlen Sternen, die uns näher als die anderen
  sind.[23] 
Der erste ist Saturn, danach kommt
  Jupiter, danach kommt Mars, danach kommt die Sonne, danach kommt Venus,[24] danach
  kommt Merkur, nach diesem kommt der Mon. Wenn die Seele nun ein geistlicher
  Himmel wird, wird unser Herr sie mit diesen geistlichen Sternen schmücken,
  die der heilige Johannes in der Dunkelheit sah,[25] als
  er den König über allen Königen auf dem Thron seiner göttlichen Ehre sah, der
  in seinen Händen die sieben Sterne hielt. Nun sollt Ihr sehen, dass der erste
  Stern, Saturn, ein Bereiter ist, der zweite, Jupiter, ist ein Wohltäter, der
  dritte, Mars, ist ein Zorniger, der vierte, die Sonne, ist eine Leuchte, der
  fünfte, Venus, ist ein Liebesträger, der sechste, Merkur, ist ein Sieger, der
  siebte, der Mond, ist ein Läufer. 
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<:12b>Eine
  kurze geistliche Interpretation der Planeten, nicht von Meister Nicolaus.  
Der allmächtige Gott hat den Himmel mit
  sieben Planeten geschmückt hat, d.h. mit sieben edlen Sternen, die uns näher
  als die anderen sind und in denen viel Kraft ist, die die Natur am Laufen
  halten. Wenn darum die Seele ein geistlicher Himmel Gottes wird,[26] so
  schmückt er sie mit sieben Sternen. 
Hiervon schreibt der heilige Johannes im
  Buch der Dunkelheit,[27] als
  er den König über allen Königen auf dem Thron seiner Ehre sah.  
Der erste Stern
  heißt Saturn, und er ist einer, der erfreut, 
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<:13a>Alsô
  wirt an dem himel der sêle Saturnus ein fürber der engelischen reinikeit
  (213) unde bringet ze lône anschouwunge der gotheit, wan unser herre sprach
  sêlic sint, die reiniu herze habent, wan sie unser werdent sehen. 
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<:13b> 
der am himmel der
  sel sol sten mit englischer rainchait vnd pringt ze lan das anschawen der
  gothait. Da von der herr Ihsus spricht s(lig sind die rainen wann sy vnser got sehn Dar vmb ist dy sel ein
  lawtrichait dy in seim willen want vnd ist ein wort in seiner verstentichait
  vnd ein leben in seiner ynnichait vnd ein liecht in seim werch vnd das peweis
  ich. Da mit wann was got aws im würcht das erchennt er vor [433rb] in im.
  Wann in got mag chain ding välln das nicht got ist. Vnd als dy sel in got ist
  also ist sy auch got vnd ist in got tragen awff seim ewigen wort. Wann als in
  der sel lawterichait ist in dy leuchten mag das liecht götleicher chlarhait
  in dy selb mag würchen das leben der ewichait. Vnd peweis das also. Wann das
  erst das in der sel ist da ist lawterichait in das lewchten mag das liecht
  götleicher chlarhait das an tzeit vnd stat lewcht. Dy weil ir spiegel mit
  sünten nicht gemailigt wirt vnd das selb ist ein lawterichait götleicher
  gleichait als David sprFcht herr vber vns ist petzaihent das liecht deins
  antlitz 
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<:13a>Auf
  diese Weise wird im Himmel der Seele, Saturn zu einem Bereiter der
  engelhaften Reinheit und er bringt den Lohn der Schau der Gottheit, denn
  unser Herr sagte:[28] ‘Selig sind die, die ein reines Herz haben, denn sie
  werden uns schauen.’ 
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<:13b>der am
  Himmel der Seele stehen soll mit engelhafter Reinheit und er bringt den Lohn
  der Schau der Gottheit. Hiervon sagt der Herr Jesus:[29] ‘Selig sind die, die ein reines Herz haben, denn sie
  werden uns schauen.’ Daher ist die Seele eine Reinheit, die in seinem Willen
  wohnt, und sie ist ein Wort in seinem Verstand und in Leben in seinem Innern
  und ein Licht in seinem Handeln, und das zeige ich mit dem Folgenden: Denn,
  was Gott aus ihm tut, das weiß er zuvor in sich. Denn kein Ding kann in Gott
  geraten, das nicht Gott ist. Und da die Seele in Gott ist, ist sie auch Gott
  und ist auf seinem ewigen Wort in Gott getragen. Denn wie in der Seele
  Reinheit ist, in die das Licht göttlichen Glanzes leuchten kann, kann das
  Leben der Ewigkeit in diese wirken. Und das zeige ich wie folgt: Denn das
  erste, das in der Seele ist, ist Reinheit, in die das Licht göttlichen
  Glanzes leuchten kann, das ohne Zeit und Ort leuchtet. Solange ihr Spiegel
  nicht durch Sünden verunreinigt wird und dasselbe ist wie eine Reinheit
  göttlicher Gleichheit, wie David sagt: ‘Herr, über uns leuchtet das Licht
  Deines Angesichts.’[30] 
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<:14a>Dar nâch wirt Jupiter der gunster unde bringet ze lône die
  besitzunge der erde; niht, die wir an dem lîbe tragen noch die wir mit den
  füezen treten, sunder die wir mit den begirden suochen, daz ist diu erde, diu
  dâ fliuzet von honige der gotheit unde von milche der menscheit. Dâ von sprichet
  unser herre sêlic sint die senftmüetigen an dem herzen, wan sie sullen daz
  ertrîche besitzen.  
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<:14b>der
  ander stern haisst Jupiter der ein günner ist vnd pringt mit im das pesitzen
  der erden. Nicht dy erden dw awff wir genn sunder dy wir mit der pegier
  suehen [433va] dy irn flus geit von hönig der got gothait vnd von milich der
  menschait Ihsu xri. Dar vmb sprach er S(lic sind dy semften wann sy werden das edreich pesitzen.  
Das ist ire
  leichnam wirt der sel vntertan hie in gnaden vnd tort im lant der s(ligen lewtigen. Wann es ist nicht genueg das man dy creatur am wolhaben abschaid sundern man
  mues sy auch aws der pegier tuen vnd aws treiben aws den zMo vallunden pilden die dy sel sw(rleich vernichten vnd vom mittel abchern. Es sind vil menschen dy
  geistleicher ding nicht als wol vernemen als sy gerne da von hörn reden vnd
  das chümbt aws dem das ein pegier in in ist dy nach der tzeit in ewichait in
  in mues volpracht werden nach der pegier Dy sy in in emphinden. Vnd ob sich
  söleich ettwan mit chlain dingen selber nicht intr(ten so möcht es wol geschehen oder sy wurden sein hie in der tzeit [433vb]
  inn. 
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<:14a>Danach
  wird Jupiter ein Wohltäter und bringt den Lohn des Besitzes der Erde; nicht
  diejenige, die wir in unserem Leib tragen, noch diejenige, die wir mit
  unseren Füßen betreten, sondern diejenige, die wir mit unserem Begehren
  ersehnen, nämlich die Erde, die da vom Honig der Gottheit fließt und von der
  Milch der Menschheit.[31]
  Hiervon sagt unser Herr:[32] ‘Selig sind die, die barmherzig in ihrem Herzen sind,
  denn sie werden die Erde besitzen.’ 
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<:14b>Der
  zweite Stern heißt Jupiter, der ein Wohltäter ist und den Lohn des Besitzes
  der Erde bringt; nicht die Erde, auf der wir gehen, sondern diejenige, die
  wir mit Begehren ersehnen, die ein Fluss vom Honig der Gottheit ist und von
  der Milch der Menschheit Jesu Christi.[33]
  Darum sagte er:[34] ‘Selig sind die, die barmherzig in ihrem Herzen sind,
  denn sie werden die Erde besitzen.’ 
Das meint, dass ihr
  Leib der Seele hier in Gnaden untertänig und im Land der Gesegneten rein
  wird. Denn es ist nicht genug, die Kreatur vom Wohlhaben zu trennen, sondern
  man muss es auch aus dem Begehren ausschließen und aus den zufallenden
  Bildern austreiben, die die Seele schwer beschädigen und von den Mitteln
  abkehren. Es gibt viel Menschen, die die geistlichen Dinge nicht so recht
  verstehen wie sie es wünschen, dass von ihnen darüber gesprochen wird, und
  dies kommt dadurch, dass in ihnen ein Begehren existiert, das, was das
  Begehren, das sie in sich spüren, der Zeit nach in der Ewigkeit
  vervollkommnet werden muss. Und auch wenn diese vielleicht sich nicht auf
  kleine Dinge einlassen, so kann es dennoch wohl geschehen, oder sie werden
  hier in der Zeit sein. 
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<:15a>Dar nâch wirt Mars der grimmikeit unde des zürnendes lîdens
  durch got unde bringet ze lône des
  himels rîche, wan unser herre sprichet sêlic sint die, die dâ lîdent durch got êhtunge, wan daz
  himelrîche daz ist ir. 
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<:15b>Der
  dritt stern haist Mars ein ertzürner vnd pedewt dy menschen dy durch gots
  willen leiden. Dar vmb sprach der herr ihus S(lig sind dy menschen die (chttung durch der grechtichait willen leiden vnd <irn
  namen> als ein pözz ding versm(hen durch meinen namen frewt euch vnd flalokcht an dem
  tag wann ewer lan ist gras im himel. Wann wir sullen gen durch seinen willen
  leiden der für vns schuldig an alle schuld geliten hat. Wann wir werden im
  nit nichte gleiher dann so wir mit gedult leiden an allen has vnd neid gegen
  dem von dem wir leiden. Wann chain hertz mag an gantze gedult rue haben. Wer
  von eim andern petruebt wirt mit leiden der vergezz sein vnd geb es got das
  er in sein mit im selber ergetz. Vnd trinkch in sich seinn geist der gegen
  vns allen semfft ist vnd vergeit so wir vns zwo im chann halt nach vil vnd
  grazzen süntn wann vns mag nyembt ge[434ra]schaden wir schaden vns dann das
  erstn selber so wir Rbel mit Rbel gelten wellen. Dar vmb söl nyembt lernen seinen
  veinten veint ze sein. Wann der heilig geist hat vil wunn in dem hertzen dar
  inn er st(te rue vintt Da von er mit chain rawch des hazz aws
  sein süezzen peinstokch mag vertriben wern. 
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<:15a>Danach
  wird Mars der Zornige und der ärgerliches Leiden durch Gott sein und als Lohn
  das Himmelreich bringen, denn unser Herr sagt:[35] ‘Selig sind die, die um Gottes willen verachtet
  werden, denn ihrer wird das Himmelreich sein.’ 
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<:15b>Der
  dritte Stern heißt Mars, ein Zorniger, und das meint die Menschen, die um
  Gottes Willen leiden. Daher sagte unser Herr Jesus:[36] ‘Selig sind die Menschen, die der Gerechtigkeit willen
  verachtet werden und ihren Namen als ein böses Ding verschmäht bekommen um
  meines Namens willen. Freut Euch und frohlockt an dem Tag, denn Euer Lohn ist
  gross im Himmel.’ Denn wir sollen glücklich um seines Willens leiden, der für
  uns schuldig ohne Schuld gelitten hat. Denn wir werden ihm nicht gleicher
  werden als durch geduldiges Leiden ohne irgendeinen Hass und Eifersucht
  gegenüber dem, durch den wir leiden. Denn kein Herz kann eine Ruhestätte
  haben ohne vollkommene Geduld. Wer durch jemand anderes geärgert wurde, soll
  vergessen, worum es sich dreht, und es Gott übergeben, so dass er sich in ihn
  hinein bewegt und seinen Geist in sich aufnimmt, der uns allen gegenüber
  gütig ist und vergibt, wenn wir uns eng an ihn halten nach vielen und großen
  Sünden, denn niemand kann uns schaden, es sei denn wir schaden uns zuvor
  selbst, wenn wir Böses mit Bösem vergelten. Darum soll niemand dazu neigen,
  dem Feind ein Feind zu sein. Denn der heilige Geist hat eine Menge Freude im
  Herzen, in welchem er beständig Ruhe findet. Durch keinen Rauch von Hass kann
  er aus seiner sußen Qual getrieben werden. 
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<:16a>Dar nâch wirt die sunne der klârheit unde bringet ze lône die
  üebunge der gerehtekeit an die sêle mit der bekentnisse der wârheit unde gît
  eime iegelîchen dinge daz sîn; wande si gotes ist von der schepfunge unde von
  der erloesunge, sô gît si sich ouch gote. Dâ von sô sprach unser herre ‚sêlic
  sint die, die dâ hungeric unde
  durstic sint nâch der gerehtekeit, wan die werden sat.’ 
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<:16b>zwom
  vierden mal get dy sunn mit irer chlarhait vnd pringt zwo lan dy Mbung der grechtichait. Dy eim yeden das sein geit got
  vnd dem nachsten vnd geit sich auch selber. Dar vmb sprach der herr S(lig sind all dy hungern vnd turst nach der grechtichait
  haben wann sy werden ersatt.  
Dar vmb sol vns
  gots grechtichait als süezz sein an vns selber als an anderen wann vil loben
  dy grechtichait an anderen menschen aber an in selber ist sy in von got
  pitter vnd erchennen nicht das got als volchömien ist an seiner grechtichait
  als an seiner parmhertzichait. Vnd dar vmb hat vns dy sunn der [434rb] grechtichait
  geporn maria dy ewig junchfrawen dy mit irm schein alle ding durchlewcht. Dar
  vmb wem dy vrtail vnd gericht nicht schmekchen von got der hat chain dankchp(richait. Wann als er parmhertzig ist dy sünt in der rew
  zwo vergeben also ist er auch grecht dy sünt an rew zestraffen. Wann der alm(chtig got geit durch dy grechtichait den gueten das
  himelreich vnd den pösen dy hell. Dy gueten lazzen nichts vnterwegen des sy
  schuldig sind ze tuen vnd lassen auch das des sy nicht tuen süllen. W(rn dy pösen engel mit den gueten im himel pestanden sy
  w(rn nicht verworffen worn. W(r adam vnd eua im paradeis in der ersten grechtichait pestanden sy hieten
  in vnd vns söleich prechen nicht awff den hals tzogen vnd w(rn auch vom lusst des paradeis nicht awstreiben warn. Dar
  vmb trait dy grechtichait in irm ambtt swert vnd chran. Das [434va] swert das
  sy da mit slach dy sünter das aller welt nicht Rber sach oder es slueg an achtt menschen alle welt mit der sinflucht vnd
  was lemtigen geist awff erden het durch der sünt willen. Auch trait sy dy
  chran das sy dy erwelten mit dem ewigen lan da mit chrön. Vnd das gericht irr
  grechtichait halt sy vntz an das entt der welt vnd erstatt all dy mit gnaden
  dy sy lieb haben. 
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<:16a>Danach
  wird die Sonne der Glanz sein, und sie wird den Lohn der Ausübung der
  Gerechtigkeit in der Seele bringen mit der Erkenntnis der Wahrheit und jedem
  Ding Sein verleihen. Denn sie gehört Gott von der Schöpfung und der Erlösung
  an, so gibt sie sich selbst Gott. Hiervon sprach unser Herr:[37] ‘Selig sind die, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit,
  denn sie werden satt werden.’ 
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<:16b>Viertens
  kommt die Sonne mit ihrem Glany und bringt uns einen Lohn für das Üben der
  Gerechtigkeit, die jedem das Seine zuteil kommen lässt, Gott und dem Nächsten
  und auch sich selbst. Daher sprach der Herr:[38] ‘Selig sind die, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit,
  denn sie werden satt werden.’ 
Darum soll uns
  Gottes Gerechtigkeit in uns wie in anderen gleich recht sein, denn viele
  loben die Gerechtigkeit, wenn sie andere Menschen trifft, doch mit Blick auf
  sich selbst gilt sie als etwas Bitteres von Gott und sie erkennen nicht, dass
  Gott in seiner Gerechtigkeit so vollkommen ist wie in seiner Güte. Und darum
  hat uns die Sonne der Gerechtigkeit Maria geboren, die ewige Jungfrau, die
  mit ihrem Schein alles erleuchtet. Wer also kein Urteil und Gericht Gottes
  mag, der ist nicht dankbar. Denn da er gütig ist, Sünden durch Reue zu
  vergeben, ist er auch gerecht, Sünden ohne Reue zu ahnden. Denn durch
  Gerechtigkeit gibt der allmächtige Gott guten Menschen das Himmelreich und
  den Bösen die Hölle. Die Guten lassen nichts auf dem Weg liegen, das sie tun
  sollen, und lassen diejenigen beiseite, die sie nicht tun sollen. Wenn die
  bösen Engel bei den guten im Himmel geblieben wären, wären sie nicht
  hinausgeworfen worden. Wenn Adam und Eva in der ersten Gerechtigkeit im
  Paradies verblieben wären, hätten sie sich und uns nicht eine solche Untat
  auf die Schultern geladen, und sie wären nicht vom Paradies vertrieben
  worden. Folglich trägt die Gerechtigkeit in ihr Amt sowohl das Schwert wie
  die Krone. Das Schwert, um mit ihm den Sünder zu schlagen, so dass es die
  ganze Welt nicht übersehen konnte, oder es schlug mit der Sintflut in acht
  Menschen die gesamte Welt und alles, was aufgrund von Sünde einen lehmigen
  Geist auf Erden hat. Sie trägt auch die Krone, so dass sie die Auserwählten
  mit ewigem Lohn krönt. And sie hält das Gericht für uns am Ende der Welt und
  entlohnt all diejenigen mit Gnade, die sie lieben.[39] 
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<:17a>Dar nâch wirt Vênus der liebtrager und bringet ze lône die götlîchen vereinekeit, wan unser
  herre sprach wer mich liep hât, den hât mîn vater liep, unde kôment zuo im
  unde machet diu lîphaftigen herze jâmeric unde weinende nâch sînem liebe. Dâ
  von sprach unser herre ‚sêlic sint die dâ weinent, wan sie werden getrôst.’ 
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<:17b>Der
  fünfft stern haist Venus der ein lieber ist vnd pringt ze lan dy ainung gots.
  Da von der herr ihus sprach. Wer mich lieb hat den hat mein vater lieb vnd
  chömen zw im vnd wanen pey im.  
Vnd von dem chümbt
  der lan grasser tröstung. Dar vmb spricht sand iohannes in seim evangelium
  wer in der lieb ist der ist in got vnd got in im. Wann dy lieb macht den
  menschen s(lig vnd an sy mag nyembt pehalten wern. Dar vmb wer in
  der lieb stet dem chömen alle seine guete werch zwo eim ewigen lan. Vnd dem
  nicht der in der lieb nicht ist. Wann [434vb] sy ist dy höchst tugent vnter
  allen anderen tugent. Dar vmb wer an dy lieb ist der ist in dem hazz gots vnd
  ist der hell nahenter dann im selber. Vnd ist im fluech der von Christo an
  dem lesten gericht allen verdambten wirt geben so er wirt sprechen get hin ir
  verfluechten in das ewig fewer. Welhe sel in der lieb gots stet der hertz
  vergewst manigen lieben tzaher nach Jesu Christo irm liebhaber. Dar vmb mag
  der tewfel nyembt zw der lieb geraten wann er hat ir nicht. Wann hiet er dy
  lieb so w(r er nicht ein tewfel. Vnd dar vmb das er ir nicht hat
  noch haben mag so ist er so sw(rlich punten vnd gewangen mit den vnewflösleichen
  chetten des gericht gots das alle hoffnung der widercherung von im ist
  ewickleich genomen. Vnd als oben gesagt ist so vergiessen dy liebhaber gots
  manigen tzaher nach im vnd were offt in so grazzer hitz in sich selber tzogen
  das chain syn noch gedankchen noch chain [435ra] mund mag aws sprechen als
  wenig man got oder der sel wesen vnd gestalt mag aws sprechen. Wer hat sand
  larentzen den vast süezz gemacht dann dy lieb gots dy in im pran. Wann sy ist
  ein vnerleschlaiche süezzichait dy alle pitterchait vertreibt. Vnd in der
  selben lieb süezzichait haben in dy apostel ainer das leiden der ander das
  erwelt. Vnd dy junchfrawn sind fröleich in dy charcher vnd zwom tod in der
  lieb gangen. Dar vmb ist nicht vmb sunst geschriben. chost vnd secht wie
  süezz der herr ist. Sand pauls hat der lieb chosst da er in den dritten himel
  entzukcht wart da er sölhe wart gehört hat dy vnwsprechlaich sind. Dar vmb
  hat der herr nicht vmb sünst gesprochen wer müch lieb hat der pehalt meine
  pot Wan da ein maister in der ee den herren fragt was das grösst pot w(r. Da antwort er im vnd sprach. Hab got lieb deinen
  herrn aws gantzem [435rb] hertzen aws gantzer deiner sel vnd aws deim gantzen
  muet vnd deinen nachsten als dich selber. Vnd an den tzworin poten hangt all
  ee vnd weissagung. Vnd mit dem h(t vns der herr pedewt das daz erstt aller vnser mainung
  dy lieb in vnser hertzer werd in gefüert da mit wir got Rber alle ding lieb haben vnd vnsern nachsten als vns selber vnd alle
  andere ding durch seinen willen 
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<:17a>Danach
  wird Venus der Liebesträger und bringt als Lohn göttliche Vereinigung, denn
  unser Herr sagte:[40] ‘Wer mich liebt, den liebt mein Vater, und sie werden
  zu ihm kommen und er wird das leibliche Herz Jammern und Weinen lassen nach
  seiner Liebe.’ Hiervon sprach unser Herr:[41] ‘Selig sind die, die weinen, denn sie werden getröstet
  werden.’ 
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<:17b>Der
  fünfte Stern heißt Venus, der ein Lieber ist und als Lohn die göttliche
  Vereinigung bringt. Hiervon sprach der Herr Jesus:[42] ‘Wer mich liebt, den liebt mein Vater, und sie werden
  zu ihm kommen und bei ihm wohnen’. 
Von diesem kommt
  der Lohn großen Trostes. Daher sagt der heilige Johannes in seinem
  Evangelium: ‘Wer in der Liebe ist, der ist in Gott und Gott ist in ihm’.[43] Denn liebe macht den Menschen selig und ohne sie kann
  niemand erhalten werden. Wer folglich in der Liebe bleibt, dem werden all seine
  guten Taten ein ewiger Lohn, doch nicht demjenigen, der nicht in der Liebe
  bleibt. Denn sie sit die höchste unter allen Tugenden. Wer also ohne Liebe ist, der ist im Hass Gottes und er
  ist der Hölle näher als sich selbst. Und dieser ist unter dem Fluch, den
  Christus im letzten Gericht über all diejenigen verhängen wird, die verworfen
  sind, so dass er sagen wird: ‘Verschwindet, Verfluchte, in das ewige Feuer.’[44] Das Herz der Seele, das in der Liebe Gottes bleibt
  wird einige Tränen der Liebe um Jesus Christus, ihrem geliebten, verlieren.
  Darum kann der Teufel niemand dazu verleiten, zu lieben, denn er besitzt sie
  nicht. Denn wenn er Liebe besäße, wäre er nicht der Teufel. Dass er sie
  folglich nicht besitzt noch besitzen kann, ist er so fest gefesselt und gefangen
  durch die unauflöslichen Ketten von Gottes Gericht, so dass jegliche
  Hoffnung, zurückzukommen, ewig von ihm genommen ist. Und wie zuvor gesagt
  worden ist, verlieren die Geliebten Gottes eine Menge Tränen für ihn und sind
  of mit solcher Hitze zu sich selbst gezogen, dass kein Sinn, Gedanke oder
  irgendein Mund so wenig äußern kann wie man Gottes oder der Seele Wesen und
  Form in Worte fassen kann. Was sonst als die Liebe zu Gott, die in ihm
  brannte, hatte das Fass dem heiligen Laurentius angenehm gemacht? Denn es ist
  ein unauslöschliches Wohl, das alle Bitterkeit vertreibt. Und in demselben
  Affekt der Liebe haben ihn die Apostel erwählt, der eine in dem Leiden, der
  andere in einem anderen. Und aus Liebe sind die Jungfrauen in den Kerker und
  in den Tod gegangen. Darum ist nicht umsonst geschrieben: ‘Kostet und seht,
  wie gut der Herr ist.’[45] Der heilige Paulus hat die Liebe geschmeckt, als er in den
  dritten Himmel erhoben wurde, als er solche Worte hörte, die unaussprechlich
  waren. Darum hat der Herr nicht vergeblich gesagt: ‘Wer mich liebt, der hält
  meine Gebote.’[46] Denn als ein Meister den Herrn fragte, welches das größte
  Gebot in der Torah sei, antwortete er ihm und sagte: ‘Liebe Gott, Deinen
  Herrn, mit Deinem ganzen Herz und mit Deiner ganzen Seele und mit Deinem
  ganzen Verstand und Deinen Nächsten wie Dich selbst. An diesen beiden Geboten
  hängt die gesamte Torah und die Propheten.’[47] Und hiermit hat unser Lord angezeigt, dass unsere erste
  Absicht ins Herz dringt, so dass wir Gott über alles lieben und unseren
  Nächsten wie uns selbst, und alle anderen Dinge um seiner Willen. 
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<:18a>Dar nâch wirt Mercurius der gewinner, sô diu sêle alliu dinc
  gît umbe got, unde bringet ze lône daz guot der gotheit, dâ mite ist
  beslozzen des homelrîches rîcheit, wan unser herre sprach sêlic sint die
  armen des geistes, wan daz himelrîche daz ist ir. 
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<:18b>Der sechst stern haist Mercurius der ein gewinner der sel ist
  dy alle ding vmb got geit. Vnd pringt zw lan das guet der gothait in dem der
  schatz des himelreichs peslozzen ist. Da von sprach der herr ihesus. S(lig sind dy armen des geists wan ir ist das reich der
  himel.  
Der w(r ein rechter armer mensch des geists der als das hiet
  das got peschaffen hat vnd da pey an seim geist chain aigenschafft leiden
  möcht. Dar vmb wer recht well arm sein der geb alle gab dy er nach sel vnd
  leib enphangen hat vnd opphers got alle tag rain vnd lawter hin wider von dem
  er sy hat. [435va] Wann dy armuet des geists ist ein pleiben in got. Vnd mit
  dem hat der mensch got mer gegenwürtigen dann sich selber. Wann dy armen des
  geists sind dy warn dimuetigen dy sy mit gedult pesezzen haben den selben
  smekcht albeg pas so sy alle creatur versm(hen t(t vnd fluch dann das man in vil er peweiset. Wann das
  vinden wir von allen den dy christo ihesu in dem weg der warhait volchömen
  leichen haben nach gevoligt. Wann dy recht willigen armen des geists solten
  im chlöstern sein vnd solten zw der tugent chewsch vnd gehorsam halten. Aber
  ir ist wenig die dar in gegen got genuegsam seinn. Wann gieng ettleichen m(r ein, ay ab er mürnilet dar vmb. Das sind dy
  fleischleichen dy mer lust suehen dann rechte natturfft vnd an der stat ab
  nemen da sy solten zS nemen. Von den sand Augustin spricht. Ich han nicht
  pesser funden [435vb] dann dy im chlaster zS nemen vnd han auch nicht pöser funden dann dy dar inn abnemen. Vnd also
  l(t es sich hie als tuen was dort sol sw(rleich püesst wern. Wann da geschiecht grazzer val da
  grasse erchantnis ist recht ze lebn vnd versm(cht das. Wann in dem wirt got gelaidigt der nachste geergert vnd er
  selber verdambt. Got ist volchömen also wil er auch nichts vom menschen
  vnvolprachts haben das er vermag verstet vnd versehung hat. Vber das spricht
  Anshelmus seit der mensch zw dem nicht volpracht wirt zw dem peschaffen ist
  er werd dann gleich den engeln in den chain sünt ist wie wirt dann den
  geschehen dy den hawffen der sünten t(glich mern Da sis gantz solten petzaln vnd abtuen vnd vil lans im himel
  erwerben. Vnd ob der here yetzund zw vnseren sünten gesweigt er wirt dar nach
  schrein als ein weib dy zw ein chind get. Vnd wirt [436ra] sprechen nymb war
  das hastu tan vnd ich han geswigen vnd dein sünt sind mir petzaihent als gelt
  in ein s(kchlein nymb das dw erwarben hast. So schaitt sich dann
  von im als das guet das er möcht ewichlaich pehalten haben. Dar vmb ist es an
  tzweifel war das all die im chlöstern dy ir fleisch nier an rechte nat lieb
  haben dann dy sel das dy nymer zw eim volprachten leben chömen mügen. Vnd
  also machen sy in zw ir selber schaden eim strikch dar an sy iner der hell
  erhangen wern. 
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<:18a>Danach
  wird Merkur der Gewinner sein, wenn die Seele alles hergibt um Gottes willen,
  und er bringt as Lohn das Gut der Gottheit, das die Reichtümer der
  Himmelreiche umschließt, denn unser Herr sagte:[48] ‘Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer wird das Himmelreich sein.’ 
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<:18b>Der
  sechste Stern heißt Merkur, der ein Gewinner der Seele ist, die alle Dinge um
  Gott gibt. Und er bringt as Lohn das Gut der Gottheit, das die Reichtümer der
  Himmelreiche umschließt. Hiervon sprach der Herr:[49] ‘Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer wird das Himmelreich sein.’ 
Der wäre ein rechter, armer Mensch des
  Geistes, der das besitzt, was Gott schuf, ohne
  dadurch zu leiden, dass er dem Geist nach an ihm hängt. Wer darum wirklich
  arm sein will, der soll alle Gaben hergeben, die er an Seele und Leib
  empfangen hat, und sie rein und ernsthaft Godd opfern, von dem man sie
  erhalten hat. Denn Armut im Geist meint ein Bleiben in Gott. Und hiermit hat
  man Gott näher bei sich als sich selbst. Denn der Arme im Geist sind die
  wirklich Demütigen, die sie mit Geduld besessen haben. Sie schmecken alles zu
  jeder Zeit, darum weisen sie alle Kreaturen zurück und fluchen darüber, dass
  man ihnen viel Ehre erweist. Denn dies finden wir bei all denjenigen, die
  Christus Jesus auf dem Weg der Wahrheit vollkommen gefolgt sind. Denn
  diejenigen, die recht arm sein wollen, sollen in den Klöstern bleiben und keusch
  und gehorsam sein. Doch es sind wenige, die Gott gegenüber darin
  zufriedenstellend sind. Denn viele
  sind eingetreten, doch sie hadern. Dies sind die leiblichen, die mehr auf Lust aus sind denn auf die rechten
  Bedürfnisse und an den Stellen abnehmen, an denen sie zunehmen sollen. Von
  diesen spricht Augustinus: ‘Ich habe niemand besseres gefunden als
  diejenigen, die in Klöstern wachsen, doch Ich habe niemand schlimmeres
  gefunden als diejenigen, die darin abnehmen.’ Und folglich ist einem hier das
  erlaubt, wofür man anderswo eine deftige Strafe bezahlen müsste. Denn wo die
  größere Erkenntnis besteht, wie man leben und was man zurückweisen soll, dort
  geschieht der tiefere Fall. Denn hierin wird Gott beleidigt, der Nächste
  verärgert und man selbst verurteilt. Gott ist vollkommen, darum will er
  nicht, dass man nicht all das erfüllt, was man kann, versteht und wofür man
  vorgesehen war. Dazu sagt Anselm: ‘Nachdem der Mensch nicht vollkommen zu dem
  gebracht wurde, wozu er geschaffen wurde, es sei denn man ist den Engeln
  gleich, in denen keine Sünde existiert, was will dann mit denen geschehen,
  die täglich den Haufen Sünde auf sich anwachsen lassen, da sie für einen
  großen Lohn im Himmel zahlen, für ihn genügen und ihn erwerben sollen?’ Und
  selbst wenn der Herr derzeit unseren Sünden gegenüber schweigt, wird er über
  sie wie eine Frau bei der Geburt eines Kindes klagen:[50] ‘Nimm wahr,
  das hast Du getan und ich habe geschwiegen und Deine Sünden sind mir wie mit
  Geld in einem Sack bezahlt, nimm was Du erworben hast.’ So verlässt es ihn
  wie das Gute, das er hätte behalten wollen. Darum ist es unzweifelhaft wahr,
  dass diejenigen in den Klöstern, die ihren Leib ohne Notdurft mehr lieben als
  ihre Seele, nie zu einem erfüllten Leben gelangen werden. Und so schaffen sie
  sich mit ihm zu ihrem eigenen Schaden einen Strick, durch den sie in der
  Hölle erhängt werden. 
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<:19a>Dar nâch wirt der mâne der loufer unde bringet ze lône die
  begrîfunge der sêlikeit, wan sant Paulus sprichet ir sult alsô loufen, daz ir
  begrîfet. 
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<:19b>Der sibent planet ist der man der ein lawffer haist vnd
  pringt ze lan das pegreiffen der s(lichait. 
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<:19a>Danach
  wird der Mond der Läufer sein und er bringt den Lohn der Seligkeit, denn der
  heilige Paulus sagt:[51] ‘Ihr
  sollt laufen, damit Ihr begreift.’ 
 | 
  
   
<:19b>Der
  siebte Planet ist der Mond, der Läufer genannt wird, und er bringt als Lohn
  das Begreifen der Seligkeit. 
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<:20a>Nû begrîfet diu sêle got aller eigenlîchest, wenne si loufet
  zuo im mit einem fridesamen herzen, wan sîn stat ist in vride, wan unser herre got erwelet im den vride ze sînen kinden unde daz erbe der
  begrîfunge der êwigen sêlikeit ist der kinde, wan unser herre sprach sêlic
  sint die fridesamen, wan sie werden geheizen gotes kinder. 
 | 
  
   
<:20b>Wann dy sel pegreifft got am nachsten so sy mit eim
  fridleichen hertzen zw im lawfft. Wann sein stat ist im frid vnd hat vns im
  frid zw seinn chinden erwelt awff das dy ewig sälichait vnser erib wurd. Dar
  vmb sprach der herr ihesus s(lig sind dy fridleichen wann [436rb] sy wern chinder
  gots gehaissen. 
 | 
  
   
<:20a> Nun
  begreift die Seele Gott am eigenlichsten, wenn sie zu ihm mit einem
  friedlichen Herz läuft, denn Sein Ort ist ein Ort der Ruhe, denn unser Herr,
  Gott, hat uns als seine Kinder in Frieden gewählt und das Herbe des
  Begreifens der ewigen Seligkeit gehört den Kindern, denn unser Herr sagte:[52] ‘Selig
  sind die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.’ 
 | 
  
   
<:20b>Denn
  die Seele begreift Gott am eigenlichsten, wenn sie zu ihm
  mit einem friedlichen Herz läuft, denn Sein Ort ist ein Ort der Ruhe, und er hat
  uns als seine Kinder in Frieden gewählt, auf dass die ewige Seligkeit unser
  Erbe wurde. Darum sprach der Herr Jesus:[53] ‘Selig
  sind die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.’ 
 | 
 
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<:21a>Oben disen sternen der planêten ist der himel, an dem die
  gevestenten sterne sint, die des nahtes liuhtent, unde bezeichent alliu diu
  werk, diu diu sêle würket. Diu süllent in der naht des schaten dirre welte
  liuhten vor den liuten, wan unser herre sprach alsô süllent liuhten iuwer
  guotiu werc vor den liuten, daz sie sehen iuwer guotiu werc und êren iuwern
  vater, der in dem himel ist. Nû enpfâhent alle die andern sterne ir lieht von dem schîne der sunne
  klârheit. (214) und doch Vênus, der minne sterne, aller lûterlîchest schînet.
  Alsô süllen alliu unseriu werc, diu wir würken, kraft unde lieht enpfâhen
  aller lûterlîchest und aller meist, sô wir in uns haben vollekomenlîche die
  art der lieben Vênus, der minne sterne, wan der ist ein enpfenclicheit des sunnenschînes der wâren unde der klâren
  gotheit. 
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<:21b>Hie sol man wissen das ob den planeten der himel ist an dem
  dy stern stenn dy man pay der nacht siecht lewchten. Vnd pedewten der sel
  werch dy also süllen gewurt sein das sy vor den menschen lewchten zw dem lob
  gots vnd zw pessrung dem nachsten. wann all stern enphahen ir liecht von dem
  chlarn schein der sunn vnd doch Venus der lieber am lawtristen.  
Also  
süllen alle vnsre werch chrafft vnd lawterichait des vol chömen liechts
  enphahen vnd süllen in der tugent der lieb dy all ander tugent Rberscheint mit irm liecht als dy sunn dy stern vor got
  lewchten. wann als got in dem gestirnten vnd vmblawffunden himel nicht anders
  ist dann ein peweger vnd ein prunn der infliessunden chrafft. Also ist er
  auch hie in der sel ein peweger der freihait vnsers willen zw im selber vnd
  zw allen gueten dingen. 
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<:21a>Über
  diesen Sternen ist der Himmel, in dem die Sterne befestigt sind, die nachts
  leuchten, und sie bedeuten alle Werke, die die Seele wirkt. Diese sollen vor
  den Leuten leuchten in dem Schatten dieser Welt, denn unser Herr sagte:[54] ‘So sollen Eure guten Werke vor den Menschen Leuchten,
  damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der im Himmel ist, ehren.’ Nun
  erhalten alle anderen Sterne ihr Licht vom Schein des Glanzes der Sonne, doch
  Venus, der Liebesstern, er scheint am reinsten. Folglich sollen alle Werke,
  die wir tun, am reinsten und größten Kraft und Licht empfangen, damit wir in
  uns vollkommen die Art der geliebten Venus, den Liebesstern, besitzen, denn
  dieser ist der Empfänger des Sonnenstrahls der wahren und glorreichen
  Gottheit. 
 | 
  
   
<:21b>An
  dieser Stelle soll man bedenken, dass über den Planeten der Himmel ist, an
  dem die Sterne stehen, die man bei Nacht leuchten sieht. Und sie bedeuten das
  Handeln der Seele, das so geleitet sein soll, dass es vor den Menschen zum
  Lob Gottes und zur Besserung des Nächsten leuchten soll. Denn alle Sterne
  erhalten ihr Licht vom Schein des Glanzes der Sonne, jedoch Venus, der
  Liebesstern, er scheint am reinsten.  
Folglich sollen alle unsere Werke Kraft und Reinheit des vollkommenen Lichts
  empfangen und sollen in der Tugend der Liebe, die mit ihrem Licht alle
  anderen Tugend überscheint wie die Sonne die Sterne, vor Gott leuchten, denn
  Gott ist im Gestirn und im umlaufenden Himmel nichts anderes als ein Beweger
  und ein Brunnen der einfließenden Kraft. So ist er auch hier in der Seele ein
  Beweger der Freiheit unseres Willens für ihn selbst und gegenüber allen guten
  Dingen. 
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   | 
  
   
<:22b>Nach dem himmel ist ein vnpewegleicher himmel vnd ist dy stat
  der s(lichait [436va] in dem got sein persanleiche werch
  volpringt. Also sol dy sel nach der ainung des himels dy tugent in sich
  tziehen so wirt sy ein himlische wanung der gothait in des werch sy sölhe
  süezzichait enph(cht dy allen den verpargen ist dy den stannt des
  fewrigen himmels nicht sh(tzen, Nicht das der himel prunn sunder das götleich
  liecht ist sein chlarhait vnd all dy dar inn sind dy prunnen in götleicher
  lieb. 
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   | 
  
   
<:22b>Über
  dem Himmel ist ein unbeweglicher Himmel und es ist die Stätte der Seligkeit,
  in welchem Gott sein persönliches Werk vollbringt. So soll die Seele nach der
  Einheit des Himmels die Tugend in sich hineinziehen, dann wird sie eine
  himmlische Wohnung der Gottheit, in deren Werk sie solch eine Wonne erhalten
  wird, die all denen verborgen ist, die die Beständigkeit des feurigen Himmels
  nicht zu schätzen wissen. Dass der Himmel kein Brunnen ist, sondern das
  göttliche Licht ist sein Glanz und alles, was darin ist, sind Brunnen in
  göttlicher Liebe. 
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<:23b>Dy maister sprechen das nach dem iungsten tag der lufft als
  lawter werd das man ein anmaissen von der erden am himel sehen möcht. Nw ist
  der obrist himel von vns als verrer so ein mensch tzehen twsent iar als snell
  ch(m als ein ch(mel das ains tags als verer lawfft als ein ros in drein
  tagen aller erst ch(m er zw dem obristen himel. Da pey mag man wol verstan
  wie verr vns dy sünt von got pracht hab seit des himels höchs nyembt gesch(tzen mag dy von vns zw im ist 
Awff das [436vb] spricht Gregorius im vierden puech Dialogorum. Nach dem
  vnd der erst vater menschleichs gesl(chts durch der sünt willen aws den frewden des paradeis verstözzen ward
  vnd cham in dy plintichait des ellents dy wir leiden. Vnd da er mit sünten
  aws im cham da mocht er nicht mer sehen dy grazzer frewd des himelschen
  vaterlants dy er vor peschawet het. Wann im paradeis hört er dy wart gots vnd
  was vnter den engel der s(ligen geist mit rainchait des hertzen vnd mit der höch
  des gesichts. Dar vmb ist es das wir menschen dy von im chömen sind hörn das
  ein himlisch vaterlant sey vnd das die engel gots des selben vaterlants
  purger seinn vnd das der gerechten menschen geist der selben engel gesellen
  wern. Aber all fleischlaich menschen tzweifeln dar an dar vmb das sy
  vnsichtige ding nicht wissen durch ervarung. Aber der selb tzweifel mocht in vnseren
  ersten vater nicht [437ra] sein. Wann da er vonn dem lust des paradeis ward
  aws gestözzen da gedacht er was er verlorn het wan er het es gesehen das vns als
  im frömd ist 
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<:23b>Die
  Meister sagen, dass nach dem jüngsten Gericht die Luft so rein wird, dass man
  vom Himmel herab eine Ameise auf der Erde sehen könnte. Nun ist der höchste
  Himmel so weit entfernt von uns wie ein Mensch, der zehntausend Jahre lang so
  schnell rennen würde wie ein Kamel am Tag weiter kommt als ein Pferd in drei
  Tagen, nur dann würde man zum höchsten Himmel gelangen. Hierduch kann man
  wohl verstehen, wie weit die Sünde uns von Gott entfernt hat, da die
  Entfernung zwischen uns und dem Himmel niemand schätzen kann. 
Hierüber sagt Gregorius in dem vierten Buch der Dialoge: Hiernach wurde
  auch der Vater des menschlichen Geschlechts aus den Freuden des Paradieses
  wegen der Sünde herausgedrängt und gerat in die Blindheit des Elends, das wir
  erleiden, und da er mit Sünden aus ihm herauskam, konnte er die größere
  Freude des himmlischen Vaterlandes nicht mehr sehen, die er zuvor sehen
  konnte. Denn im Paradies hörte er die Worte Gottes und er war der gesegnete
  Geist mit einem reinen Herz und einem hohen Angesicht. Hiervon kommt, dass
  wir folglich, die wir von ihm abstammen, hören, dass es da ein Vaterland gibt
  und dass die Engel Bürger desselben Vaterlandes sind und dass der Geist der
  gerechten Menschen Mitbürger derselben Engel sein werden. Doch alle
  leiblichen Menschen zweifeln daran, denn sie kennen keine unsichtbaren Dinge
  aus mangelnder Erfahrung. Doch derselbe Zweifel konnte in unserem ersten
  Vater nicht vorhanden sein. Denn als er aus der Lust des Paradieses
  herausgeworfen wurde, dachte er darüber nach, was er verloren hatte, denn er
  hatte gesehen, was für uns wie ihm fremd ist. 
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<:24b>Dar nach sol man wissen das der vmblawffund himel weder wesen
  noch leben geit sundern er lawfft zw dem dar zS in got in seim ersten vrsprung peschaffen hat. Also sol ein mensch alle
  seine werch würchen zw dem er peschaffen ist vnd sol dar vmb weder himel noch
  hell nicht an sehen. Sunder als er aws got ist geflozzen also sol er wider in
  in fliezzen. In dem himel in dem dy engel vnd dy s(ligen sel sind in dem ist ewichait vernüftichait vnd warhait. Dar vmb hat
  dy obrist welt mit der welt hie als wenig ze schaffen als das liecht mit der
  vinster. Vnd dar vmb das dy welt hie vnwarhafft ist so erscheinen dy rechten
  warhaften in der obristen welt vor der [437rb] warhait in der warhait vnd dy
  warhait scheint in in. Vnd vmb das haizz ich dar vmb dy welt nyembt lazzen
  sunder dy sünt vnd dy ding dy zw sünten tziehen. Wan got ist der aller höchst
  vnpeschaffen himel den all himmel nach seiner natur nicht pegreiffen mügen. 
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<:24b>Folglich
  soll man wissen, dass der umlaufende Himmel weder Sein noch Leben gibt,
  sondern er darauf zu läuft, als was ihn Gott im ersten Ursprung geschaffen
  hatte. So soll der Mensch all sein Handeln mit dem Ziel tun, für das er
  geschaffen wurde, und darum soll er weder auf Himmel noch auf Hölle achten. Statt
  dessen soll er, wie er aus Gott geflossen ist, auch in Gott zurückfließen. Im
  Himmel, in welchem die Engel und die Seele der Gesegneten sind, in ihm ist
  ewiger Intellekt und Wahrheit. Darum hat die höchste Welt so wenig mit dieser
  Welt zu tun wie Licht mit Dunkelheit. Und wie die Welt hier folglich
  unwirklich ist, werden die wirklich Wahren in der höchsten Welt vor der
  Wahrheit, in der Wahrheit erscheinen und die Wahrheit wird in ihnen
  aufscheinen. Und deshalb bitte ich niemals, diese Welt loszulassen, sondern
  die Sünden und diejenigen Dinge, die zur Sünde hinziehen. Denn Gott ist der
  höchste, ungeschaffene Himmel, den alle Himmel in seiner Natur nicht
  ergreifen können. 
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<:25b>Dy maister sprechen das es von der erden tzw meil oder verrer
  ob vns als still sey das man da in sant oder in pulluer schreiben möcht. Dar
  vmb wer sich in der still seins hertzen erhebt vnd dar inn st(t ist der mag an hinternüzz in sich schreiben was got
  von im haben wil. Wann ye nahenter dy sunn der erden ist ye nymmer sy chrafft
  der frucht hat. Der man der ein hefen des himels haisst der ist der erden
  nahenter dann chain stern vnd hat natürleich prechen vnd ist ettwann liecht
  vnd ettwann vinster. Also ist es vmb dy sel ze nahenter sy den tzeitleichen
  dingen ist ze vnedler sy ist 
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<:25b>Die
  Meister sagen, dass es zwei Meilen über der Erde oder noch weiter über uns so
  ruhig sei, dass man dort in Sand oder Puder schreiben könnte. Wer sich
  folglich in die Ruhe seines Herzens erhebt und darin verharrt, kann in sich
  ohne Hindernis einschreiben, was Gott von jemand haben will. Denn je näher
  die Sonne der Erde ist, desto weniger fruchtbringende Kraft hat sie. Der
  Mond, der eine Hefe des Himmels genannt wird, der ist der Erde näher als irgendein
  anderer Stern und hat natürliche Mängel und ist manchmal hell und manchmal
  finster. Genauso ist es mit der Seele: je näher sie den zeitlichen Dingen
  ist, umso unedler ist sie. 
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<:26b>Es spricht auch Aristotiles das ettleich geist sind der yeder
  in sein himmel ist [437va] vnd treibt darr vmb vnn ist gantzer in eim yeden
  stükchlein des selben himels. Als in dem achtten himel an dem als vil stern
  sind ist ein engel der den selben himel vmb treibt vnd ist in eim yeden stern
  gantz. Vnd also ist er ains mals mit ein ander an vil steten. Vnd dar vmb ob
  man halt den himel tailt es wird dar vber der engel nicht tailt der im himel
  gegenwurtig ist vnd in eim yeden tail des himels. 
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<:26b>Auch
  Aristoteles sagt, dass es viele Geister gibt, die alle ihren eigenen Himmel
  besitzen und sich darum bewegen, and dass in jedem Stückchen das Gantze
  desselben Himmels sei. Wie im achten Himmel, in welchem es so viele Sterne
  gibt, dort gibt es einen Engel, der denselben Himmel im Kreis treibt, doch
  ist er gäntzlich in jedem Stern. Und so ist er zugleich ein einziger an
  vielen Stätten. Und wenn man dann den Himmel teilte, würde doch der Engel
  darüber nicht geteilt, der in diesem Himmel und in jedem Teil des Himmels
  gegenwärtig ist. 
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<:27b>Pey dem himel sol man sunder vier ding versten. Das ist das
  er st(t ist vnd rain. vnd pehalt alle ding an im vnd macht
  mit seim influzz dy iryden ding fruchtp(r. Dy vier ding sol ein mensch an im haben der ein himel well sein der
  warnung gots 
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<:27b>Was den
  Himmel betrifft, soll man vier Dinge verstehen,[55] nämlich, dass er konstant und rein ist und alle Dinge
  in sich behält und durch seinen Einfluss alle irdischen Dinge fruchtbar macht.
  Diese vier Dinge soll ein Mensch in sich haben, der ein Himmel der Wohnstätte
  Gottes sein will. 
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<:28b>des ersten sol er st(t sein als der himel also das sein willen nach dem willen gots sey. Wann
  das haws das awff einem vels pawet ist das ist sicher vnd vesst vor wint vnd
  wasser. Also wann der mensch seine werch mit rechter mainung awff den vels
  christum pawet vnd seiner ler vnd ebennpilden nachuoligt vnd st(t awff dem pleibt so mag im der wint der anweigung noch
  dy wasser der widerw(rtichait als vasst myner geschaden [437vb] das er
  entleich yrmmer verderib oder dy hant gots pehalt in in eim rechten weg 
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<:28b>Zum
  ersten soll man konstant sein wie der Himmelt, so dass sein Will dem Willen
  Gottes gemäß sein soll. Denn das Haus, das auf einen Fels gebaut ist, ist
  gesichert und widersteht Winter und Wasser.[56]  Wenn folglich
  ein Mensch seine Handlungen mit der rechten Absicht auf dem Fels Christi und
  seiner Lehre angeht und seinem Bild folgt und beständig dabei bleibt, dann
  können weder der der Wind der Anfechtung noch die Wasser der Herausforderung
  irgendeinen Schaden tun, so dass man schließlich nie verdirbt, oder die Hand
  Gottes hält ihn auf dem rechten Pfad. 
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<:29b>Zwm andern mal so ist der himel rain. Wer in ein truebs
  wasser sieht der mag seiner gestalt dar inn nicht erchenren. Also ist das
  menschen sel dy weil sy mit tzeitleichen dingen in ir selber gemengt ist so
  mag sy die rainchait gots des himlischen herscher nicht erchernen. Awff das
  spricht sand pernhart Dar vmb erchennt dy hannt der sunn nicht als wol als
  das awg dar vmb das sy nicht als lawter ist als das awg wi wol dy sel in
  allen glidern volchömen ist. Also mag der fleischlaich mensch des geists Mbung als wol nicht erchernen als der and(chtig mensch 
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<:29b>Zweitens,[57] dass der Himmel rein ist. Wer in ein trübes Wasser
  schaut, dann seine Gestalt darin nicht sehen. So ist
  die Seele eines Menschen. Solange sie in sich
  mit zeitlichen Dingen vermengt ist, kann sie die Reinheit Gottes, des
  himmlischen Herrschers, nicht erkennen. Hierüber sagt der heilige Bernhard:
  Die Hand kann die Sonne nicht so erkennen wie das Auge, denn sie ist nicht so
  rein wie das Auge, auch wenn die Seele vollkommen in allen Körperteilen ist.
  Folglich kann der leibliche Mensch spirituelle Übungen nicht so gut erkennen
  wie der fromme Mensch. 
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<:30b>Zwm dritten mal pehalt der himmel an im alle ding. Also sol
  dy sel in allen dingen dy lieb an got vnd in got pehalten. Also das der
  mensch dy frewent in got lieb hab vnd dy veint durch got 
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<:30b>Drittens,
  der Himmel bewahrt alle Dinge in sich. So soll die Seele in allen Dingen die
  Liebe zu Gott und in Gott erhalten. Auch dass der Mensch die Freunde in Gott
  liebt und die Feinde um Gottes willen. 
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<:31b>Zwm vierden mal macht der himel mit seim influzz dy iryden
  ding fruchtp(r. Wann er ist ein stuel gots vnd [438ra] dy erden ein
  schamel seiner füezz. Dar vmb welhe sel dy werch gots mit eim zS nemen in sich nicht chert nach der lang vnd prait
  seiner lieb dy tött sich selber. Dar vmb spricht dy trew sel im puech der
  lieb. Chot mein herr trukch mich in dich als ein wachs in ein sigel. Dar vmb
  welcher sel die lieb gots hewer pas smekcht dann vert vnd haiss eer pegier zw
  im hat dy hat in recht lieb. Ein maister spricht wer arm ist der pegert
  reichtums vnd wer müed ist der pegert rue vnd wer siech ist der pegert des
  gesunts. Also sol dy sel tuen vnd sol von got pegern das er sy in gnaden
  reich mach vnd ir in im rue geb vnd sy gesunt mach von allen sünten. Wann der
  daner chümbt von nichte anders dann von vngleichait. Also sol dy sel alle
  vngleiche ding von ir aws treiben so mag sy sich vnd got erchernen. Wann
  vnser natur hat an ir das sy dem vater albeg gleich pern wil vnd wurd sy
  nicht gehinttert so wurd ein sun porn vnd nymer chain tachter. Also ist es
  hie an vns hiet dy sel nicht hinternus so waricht sy von natur albeg guete
  werch vnd myner chain sünt [438rb] 
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<:31b>Viertens,
  macht der Himmel mit seinem Einfluss die irdischen Dinge fruchtbar. Denn er
  ist ein Stuhl Gottes und die Erde ist der Schemel für seine Füße. Eine Seele,
  die die Werke Gottes, die in ihr wachsen, nicht nach Länge und Breite seiner
  Liebe bewegt, bringt sich darum selbst um. Deshalb spricht die getreue Seele
  im Buch der Liebe: ‘Gott, mein
  Herr, drücke mich in Dich wie das Wachs in ein Sigel. Die Seele, die hier
  allzeit die Liebe Gottes schmeckt und wird und eher eine Sehnsucht nach ihm
  heißt, liebt ihn darum wirklich. Ein Meister sagt: Wer arm ist, wünscht sich Reichtum,
  und wer müde ist, wünscht sich Ruhe, und wer krank ist wünscht sich Gesundheit.
  So soll die Seele tun und sich nach Gott sehnen, dass er sie reich an Gnade
  mache, ihr Ruhe schenke und sie heile von all ihren Sünden. Denn die Entfernung
  kommt alleine durch Ungleichheit. Darum soll die Seele aus ihr alle
  ungleichen Dinge vertreiben, so dass sie sich selbst und Gott erkennen kann. Denn
  unsere Natur ist so in sich selbst angelegt, dass sie allzeit den Vater
  zeugen will, und wäre sie nicht davon abgehalten, würde ein Sohn und keine
  Tochter geboren. So ist es mit uns hier. Würde die Seele nicht gehindert, täte sie allzeit gute Werke und, keinerlei
  Sünde. 
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<:32b>Es schreiben auch dy maister das ein yeder stern am himel als
  gras vnd weit sey als das gantz edreich der welt. Da pey man wol versten mag
  wie gar vnsch(tzleich weit der himel ist seit der stern so vil ist
  der tzal nyembt wais dann got vnd wie gar ein chlainer flekch dy erden da pey
  ist. Vnd als ain stern liechter scheint dann der ander also scheint im himel
  ain heiligen vor dem andern. Wann da got den himel peschueff da peschueff er
  in auch voller engel also das ir mer ist dann laub vnd gras. Vnd ein yeder
  engel hat sein sunder natur also das chainer dem andern gleich ist. Vnd durch
  ir natur flewst vns her ab paide liecht vnd gab. Vnd den selben aws flus
  raicht got der sel zw enphahen. Da von sandus Augenstin spricht als das vns
  got geit das flewst vns durch dy engel zS. Got ist ein vnpegreifleichs liecht das nicht ents hat vnd ist nichts so
  lawter das in dy sel chömen müg dann er allain. Vnd ist auch nichts das dy
  sel nach irer pegier erfüllen müg dann got allein. Vnd ye lawterer dy sel in
  vnschuld stet ye grösser ist das liecht irer erschantnüzz zw got. Vnd das
  wart das got ewichleichen spricht das leit so tewff in der sel das man [438va]
  es wader wissen noch hörn mag. Da ist ein still an lawt vnd dy höchsten
  chrefft pieten den nydristen. Wann als lang ein gueter mensch awff erden lebt
  so hat sein sel in ewichait einen fürgang. Vnd got lokcht vns zw im mit seim
  lan als ein lamp mit eim grüenn laub von einer stat zw der andern gelokcht
  wirt. Vnd als das got zw lan geben mag das ist er selber. Wann an dem tag da
  sand Augenstin pechert wart da chund er nicht ersatt wernn in dem wunnsamen
  lust den er het von der huet dy got der sel legt da mit er sy zw im pechert.
  Dar vmb ist das vnser höchst das wir chömen zw dem liecht götleicher
  erchantnus. Vnd dy selb erchantnus ist dan noch als chalin das wir dy mynrist
  warhait nicht pegreiffen mügen dy von den engeln im himel lawter pechawt
  wirt. Vnd mit der selben vntzeleichen menig der heiligen engel hat vns got
  geert vns zw pechüetten als vil wir irer gueten vermanung volgen des wir von
  nat vnserer s(lichait schuldig seinn. Wann got der herr wais all
  vnser chrankchait vnd prechen vnd sein lieb engel dy pey vns sind [438vb]
  sehen vnd merkchen dy anweigung vnserer veint vnd dy strikch dy sy awff
  vnsern val richten dy albeg zw hilff haben dy welt vnd dy pös pegier vnsers
  leichnams. 
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<:32b>Die
  Meister schreiben auch, dass ein jeglicher Stern im Himmel so groß und breit
  ist wie das gesamte Erdreich der Welt. Hierdurch kann man sehen, wie
  unschätzbar weit der Himmel ist, da es so viele Sterne gibt, deren Zahl niemand
  kenn außer Gott, and was für ein kleiner Fleck die Erde hierin ist. Und wie
  ein Stern heller als der andere scheint, so scheint im Himmel ein Heiliger
  vor dem anderen. Denn als Gott den Himmel schuf, schuf er ihn voller Engel, so
  dass es mehr Engel als Blätter und Gras gibt. Und jeder Engel hat seine
  eigene Natur, so dass keiner dem anderen gleicht. Und durch ihre Natur fließen
  sowohl Licht wie Gaben zu uns herab. Aus diesem selben Ausfließen ermöglicht
  es Gott, dass die Seele empfängt. Hiervon sagt der heilige Augustinus: Was
  uns Gott gibt, fließt durch die Engel. Gott ist ein unfassbares Licht, das
  keine Enden hat, und nichts ist so rein, dass es in die Seele kommen kann,
  außer er allein. Und nichts kann die Sehnsucht der Seele erfüllen als alleine
  er. Und je reiner die Seele in Unschuld steht, desto größer ist das Licht ihrer
  Erkenntnis Gottes. Und dies ist es, das Gott ewig spricht, es liegt so tief
  in der Seele, dass man es weder wissen noch hören kann. Es gibt eine Ruhe
  ohne Laut and die höchsten Kräfte bieten sich den Geringsten an. Denn solange
  ein guter Mensch auf Erden lebt, hat seine Seele einen Eingang. Und Gott
  lockt uns zu ihm mit seinem Lohn wie ein Lamm mit einem grünen Blatt von einem
  Ort zum anderen gelockt wird. Und was Gott als Lohn geben kann, das ist er
  selbst. Denn am Tag, als Augustinus bekehrt worden ist, konnte er nicht von
  der lieblichen Lust zufrieden gestellt werden, die er durch die Bedeckung der
  Seele erhalten hatte, die Gott auf die Seele stülpte, um ihn zu bekehren. Darum
  ist es für uns das Beste, dass wir zum Licht göttlicher Erkenntnis gelangen. Doch
  dieselbe Erkenntnis ist dann noch zu klein, so dass wir nicht die geringste
  Wahrheit begreifen, die rein von den Engeln im Himmel geschaut wird. Und mit
  derselben unberechenbaren Menge von Engeln, die uns so sehr beschützen, wie
  wir ihren guten Ratschlägen folgen, die wir notwendigerweise unserer
  Seligkeit schuldig sind, hat uns Gott geehrt. Denn Gott kennt all unsere
  Schwächen und Fehler, und seine geliebten Engel, die mit uns sind, sehen und
  erkennen die Verführungen unserer Feinde und die Schlingen, die sie auf uns
  richten, um uns zu Fall zu bringen, und welche beständig die Welt, die bösen
  Begierden unseres Leibes, zuhilfe haben. 
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<:33b>Dar vmb spricht sand pauls adr=s septimus. Wir wissen das dy ee geistleich ist aber ich pin vnter dy
  sünt fleichleich verchawfft. Wann was ich würch des versten ich nicht vnd das
  ich wolt des würch ich nicht vnd das ich hazz das tuen ich. Vnd also würch
  ich nicht sunder dy sünt dy in mir want. Wann ich wais das in meim fleichs
  nicht guets want seit der willen des gueten pey mir ist vnd vind doch des
  gueten nicht. Wann ich tue nicht das guet das ich wil sunder das pös das ich
  nicht wil. Vnd wann ich das tuen das ich nicht wil so tuen ich es nicht
  sunder dy sünt dy in mir ist. Vnd also siech ich ein ander ee in meinen
  glidern dy der ee meins geists widerstet vnd geit mich gevangen in dy ee der
  sünt dy in meinen glidern ist. Vnd also dien ich mit meim geist der ee gots
  aber das fleisch der ee der sünten. Vnd vnter den dingen allen [439ra] ist
  vns tzwischen hoffnung vnd vorcht ze tuen das guet vnd lassen das pös. Vnd so
  wir ettwann in das pös vallen so eiln wider in das guet ee vns des pösen
  strikch ze vasst pintt. Awff das spricht sand Augenstin prüeder alle ding zw
  pedenkchen vnd nicht sünten das gehört got an aber petruebt wernn vnd leiden
  vnd sich zw vergessen das gehört den menschen an 
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<:33b>Darum
  sagt der heilige Paulus Ad Romanos
  septimus:[58] ‘Wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist, doch ich
  bin fleischlich unter Sünde verkauft. Denn was ich
  tue, verstehe ich nicht. Denn was ich tun
  will, das tue ich nicht, doch was ich hasse, das tue ich. Darum handle nicht
  ich, sondern die Sünde, die in mir will. Denn ich weiss, dass in meinem
  Fleisch nichts Gutes will, da der Wille des Guten mit mir ist und doch finde
  ich das Gute nicht. Denn ich tue das Gute nicht, das ich will, sondern das
  Böse, das ich nicht will. Und wenn ich tue, was ich nicht tun will, dann tue
  nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir ist. Folglich sehe ich ein
  anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Geistes widersteht,
  und es macht mich zum Gefangenen des Gesetzes der Sünde, das in meinen
  Gliedern wohnt, und so diene ich durch meinen Geist dem Gesetz Gottes, doch
  mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde.’ Unter allen Dingen zwischen Hoffnung
  und Furcht, sollen wir das Gute und nicht das Böse tun. Und sollte es
  geschehen, dass wir dem Bösen verfallen, eilen wir zum Guten, bevor die Schlinge
  des Bösen uns fest bindet. Hierzu sagt der heilige Augustinus: ‘Brüder, es
  ist die Sache Gottes, alles zu bedenken und nicht zu sündigen, doch traurig zu
  werden, zu leiden und sich selbst zu vergessen gehört zum Menschen.’ 
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<:34b>Dar vmb sol der erst planet Saturnus am himel der sel sten
  mit rainchait des hertzen. Vnd der ander sol vns zw lan pringen das pesitzen
  das ewig adraich. Der dritt sol vns zw lan pringen gedult in leiden. Der
  vierd sol vns zw lan pringen dy Mbung der grechtichait. Der fünft sol vns ze lan pringen
  dy verainung gots in der sel. Der sechst sol vns zw lan pringen dy armuet des
  geists dy alle ding vmb got geit. Der sibent vnd lest planet sol vns zw lan
  pringen dy gab der ewigen s(lichait. 
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<:34b>Darum soll
  der erste Planet am Himmel der Seele Saturn mit der Reinheit des Herzens sein.
  Und der zweite soll uns den Lohn des Besitzes der ewigen Erde bringen. Der
  dritte soll uns als Lohn Geduld im Leiden bringen. Der vierte soll uns als
  Lohn die Übung der Gerechtigkeit bringen. Der fünfte soll uns als Lohn das
  Einssein mit Gott in der Seele bringen. Der sechste soll uns als Lohn die
  Armut des Geistes bringen, das alle Dinge weggibt um Gottes willen. Der
  siebte und letzte Planet soll uns als Lohn die Gabe der ewigen Seligkeit
  bringen. 
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<:35b>Das verleich vns got der vater vnd der sun und der heilig
  giest. Amen. 
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<:35b>Das verleih
  uns Gott der Vater und der Sohn und der heilige Geist. Amen. 
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Predigt T2,2* [Pfeiffer 61]
<:1>Egredietur virga de radice Jesse et flos de radice eius
  ascendet et requiescet super eum spiritus domini. Wir lesen hiute in der
  messe, daz ûz der wurzelen Jesse sol ûz brechen ein
  ruote und von der ruoten sol wahsen ein bluome und ûf dem bluomen sol ruowen
  der geist des herren unde sol widerruowen.  
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<:1>‘Egredietur virga de radice Jesse et flos de radice eius
  ascendet et requiescet super eum spiritus domini’.[2]
  Wir lesen heute in der Messe, dass ‘aus der Wurzel Jesse ein Zweig
  entspringen soll und von dem Zweig eine Blüte wachsen wird und auf der Blume
  soll der Geist des Herrn ruhen und soll wieder ruhen’. 
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<:2>Jesse daz sprichet als vil als ein brant, der dâ brinnet; daz
  ist als vil als minne, dâ si ist in ir in lûterkeit, dâ si noch niht minne
  geheizen mac unde dâ si enkeine nâtûre geleisten mac, dâ kein fremde zuoval
  enist. In dem grunde, dâ si sô lûter ist, daz si enkeine nâtûre enhât, in dem
  grunde, dâ si sô lûter ist, dâ beginnet er ûz wahsen; rehte aldâ in dem
  innegesten ûz der wurzen, sol ûz wahsen ein bluome. Swaz ûz wahset, daz muoz
  von nôt driu dinc haben in ime: Daz êrste: ez muoz haben einikeit des, von
  dem ez gât; daz ander, daz es vil bî sî der selben art; daz dritte, daz ez sî
  âne zuosetzunge: diz ist eigenlich ein ûzganc. Alsô gât ûz der sun von dem
  vater und ist ein ander persône bî dem vater und ist daz selbe in dem vater
  an dem wesenne.  
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<:2>Jesse bedeutet so viel wie ein Feuer, das da brennt; es
  bedeutet eigentlich Liebe, wo sie in Reinheit in sich ist, wo sie noch nicht
  Liebe heißen kann und wo sie kein Wesen besitzen kann, weil kein fremdes
  Akzident in ihr ist. In dem Grund, in welchem sie so rein ist, dass sie kein
  Wesen haben kann, in dem Grund, in dem sie so rein ist, da beginnt sie[3] [aus ihm]
  herauszuwachsen, genau dort, im innersten, aus der Wurzel heraus, soll die
  Blüte wachsen. Was herauswächst, das braucht in sich notwendigerweise drei
  Dinge: Erstens: Es muss mit dem eins sein, von dem es stammt. Zweitens: dass
  es gänzlich von derselben Art ist. Drittens: Dass es ohne Propfen ist. Dies
  ist im eigentlichen Sinn ein Herausgehen. Auf diese Weise geht der Sohn aus
  dem Vater und ist eine andere Person bei dem Vater und ist dasselbe im Vater
  dem Wesen nach.  
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<:3>Dar umbe sprichet er ‘ûz der wurzelen gât ein ruote, ûz der
  ruoten gât ein bluome’. Waz ich minne daz muoz ein himelschiu kraft haben mit
  mir, wan gelîcheit triffet allez in ein unde daz selbe muoz in dem grunde
  sîn, und waz wehset ûz dem andern, daz ist vil bî in alle wîse der selben
  art. Der einen apfel zwîet ûf einen birboum, diu fruht smacket nâch in
  beiden. Alsô ensol ez niht sôn: ez sol smecken nâch einem einigen: der selbe
  einist niht dar inne und ist doch dar inne. Ez enmöhte niemer gesîn, daz ez
  ûz gebrechen möhte, ez enwêre vor dar inne gewesen in der lûterkeit, in dem
  swebenden wesenne. Der wîn ist in der reben und ist niht dar inne und ist
  doch dar inne.  
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<:3>Darum sagt er: ‘aus der Wurzel Jesse soll ein Zweig entspringen und aus dem Zweig eine
  Blüte’. Was ich liebe, muss zusammen mit mir eine einzige himmlische Kraft
  besitzen, denn Gleichheit bringt alles zusammen in eins und dasselbe muss im
  Grund sein, und was aus dem anderen wächst, ist in jeder Hinsicht von
  derselben Art. Wenn man einen Apfel auf einen Birnbaum propft, schmeckt die
  Frucht nach beiden. So soll es nicht sein. Sie soll nach einem einzigen schmecken: Dasselbe ist
  nicht darin und doch ist es darin. Es könnte nie herauskommen, wäre es nicht
  in Reinheit darin, in einem schwebenden Sein.[4] Der Wein ist in der Rebe, er ist nicht
  darin und ist doch darin.  
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<:4>Ich spriche von götlicher frîheit, daz er deheiner nâtûre
  geleisten mac niht dan ein lûter wesen. Der êrste ursprinc gotes daz ist der
  sun, und ist der sun ein ander denne der vater und ist doch ein mügentheit
  mit dem vater, unde von in zwein ûz blüeget der heilig geist. Unser meister
  sprechent: diu sunne ziuhet die bluomen ûz der wurzelen durch den boum und
  vil nâhe âne zît unde sô lûter, daz sie kein ouge gesehen mac. Diu sêle stât
  in dem grunde keiner nâtûre, reht in dem grunde der minne, dâ si doch niht
  minne geheizen mac. Dâ tritet si ûz ir nâtûre, wan diu sêle muoz treten ûz ir
  nâtûre, reht aldâ lâget got der sêle, daz er si hein ze hûse füere in sich
  selber, unde waz in daz wesen getragen wirt, daz wirt vil nâch daz selbe
  wesen. Sô ime diu brût denne heim kumet, sô underwindet er sich ir unde
  würket mit aller kraft, di er geleisten mac, in sînem grunde, in dem
  innegesten, dâ niht enist, ez enwürke alzemâle. Der buom der gotheit der
  blüejet ûz dem grunde, ûz der wurzelen brichet ûz der heilig geist. Der
  blüejende bluome oder der lust ist der heilig geist. Diu sêle blüejet ûz dem
  heiligen geiste mit dem vater unde mit dem sune und ûf dem bluomen sol ruowen
  und sol widerruowen der geist des herren. Er enmöhte niht widerruowen, er
  enhet e da gerGwet. Der vater unde der sun ruowent ûf dem
  geiste unde der geist ruowet wider als ze sînem ursprunge. Er möhte ûf mir
  wol ruowen, aber sol er in mir widerruowen, sô muoz ich wider ûf im ruowen. 
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<:4>Ich spreche von göttlicher Freiheit, wonach er nicht fähig ist,
  ein anderes Wesen zu schaffen als ein reines Sein. Das erste Prinzip Gottes
  ist der Sohn, und der Sohn ist gegenüber dem Vater ein anderer, doch ist er
  ein Vermögen zusammen mit dem Vater, und aus diesen beiden blüht der Heilige
  Geist hervor. Unsere Meister sagen, dass die Sonne die Blüten aus den Wurzeln
  durch den Stamm hervorlockt, und zwar so subtil, zeitlos und so rein, dass es
  kein Auge beobachten kann. Die Seele steht im Grunde keines Wesens, recht im
  Grund der Liebe, wo sie noch nicht Liebe genannt werden kann. Dann geht sie
  aus ihrem Wesen heraus, wann die Seele aus ihrem Wesen herausgehen muss,
  genau dort liegt Gott und wartet auf sie, um sie heim zu sich selbst zu
  führen, und was ins Sein gebracht wird, wird gänzlich demselben Sein gemäß.[5] Da die Braut zu ihm nachhause kommt,
  legt er sich unter sie und agiert mit aller Kraft, die ihm zur Verfügung
  steht, in seinem Grund, im Intimsten, da, wo nichts ist, da wirkt er vollends.
  Der Baum der Gottheit blüht aus dem Grund, aus der Wurzel kommt der Heilige
  Geist hervor. Der Heilige Geist ist die blühende Blühte oder die Lust. Die
  Seele blüht aus dem Heiligen Geist mit dem Vater und dem Sohn und auf der
  Blühte soll der Geist des Herrn ruhen und wieder ruhen.[6] Er könnte nicht wieder ruhen, hätte er dort
  nicht zuvor geruht. Der Vater und der Sohn ruhen auf dem Geist und der Geist
  ruht wieder wie in seinem Ursprung. Er mag wohl auf mir ruhen, doch soll er
  wieder in mir ruhen, dann muss ich wieder auf ihm ruhen.  
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<:5>Waz ist ruowe? Sant Augustînus sprichet: ruowe ist ein berouben
  aller bewegunge und ein benemen ir selbes nâtûre. Ein meister sprichet: gotes
  eigenschaft daz ist unbewegelicheit; bewegelicheit hört der creature zG. Man sol über bewegunge komen sîn. Jesse daz sprichet
  als vil als ein fiur und ein brant unde meinet den grunt götlîcher minne. Ûz
  dem grunde wehset diu ruote, daz ist diu sêle in ir lûterstem und in ir
  hoehstem, unde gât ûz dem êrsten grunde, dâ der sun ûz brichet von dem vater.
  Von der ruoten gât ûz ein bluome, der bluome ist der heilig geist unde dâ sol
  er ruowen unde widerruowen.  
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<:5>Was ist Ruhe?[7] Der heilige Augustinus sagt, Ruhe ist
  die Abwesenheit von jeglicher Bewegung und ein Wegnehmen des Wesens von ihr[8]. Ein Meister sagt:[9] Gottes Eigenschaft ist die
  Unbeweglichkeit. Beweglichkeit gehört zur Kreatur. Man muss über Bewegung
  hinweggekommen sein. Jesse bedeutet Feuer und Brand und es bezeichnet den
  Grund der göttlichen Liebe und den Grund der Seele. Aus diesem Grund wächst
  der Zweig. Dies ist die Seele in ihrem Reinsten und in ihrem Höchsten, und er
  schießt hoch aus diesem ersten Grund, aus dem der Sohn aus dem Vater
  herausbricht. Aus dem Zweig öffnet sich eine Blühte, die Blühte ist der
  Heilige Geist und da soll er ruhen und wieder ruhen. 
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<:6>Nû biten wir des unsern lieben herren got, daz wir alsô ruowen
  in ime und er in uns daz sîn lob und sîn êre daran sî. Des helf uns got.
  Âmen. 
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<:6>Nun bitten wir unseren lieben Herrn, Gott, auf dass wir ruhen
  in ihm und er in uns, damit sein Lob und seine Ehre darin sei, dazu helfe uns
  Gott. Amen. 
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Predigt T2,3* [Pfeiffer, Tr. III, Strauch VII, Pahncke, 1909]
<:1>Isaias sprichet usser der wurtzele von Jesse entsprang eyn
  rude. uff der ruden entsprangk eyne blume, uff der blumen ruwet der geyst
  gottes myt sieben gaben wißheyt vernunftigkeyt myldigkeyt stircke unde furcht
  kunste  
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<:1>Jesaias spricht: ‘Aus der Wurzel Jesse soll ein Zweig
  entspringen und von dem Zweig wird eine Blüte wachsen und auf der Blüte soll
  der Geist des Herrn ruhen’ mit sieben Gaben: ‘Weisheit’, ‘Vernunft’, ‘Milde’,
  ‘Stärke’, und ‘Furcht’, ‘Begabung’.[1] 
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<:2>wir begene eyn zit die heysset advent advent betudet als
  viel als eyn zukunfft wir lesen von drierley zukunfft die eyn das got uff
  erterich kquam an syner menschheyt zu unser lieben frauwen und komet noch
  degelichs zu der zartten selen und wil kommen zum jungsten dage  
 | 
  
<:2>Wir begehen eine Zeit, die Advent heißt. Advent bedeutet so
  viel wie eine Zukunft. Wir lesen von drei Arten von Zukunft: Die eine, dass
  Gott auf die Erde kam in seiner Menschheit zu unserer lieben Frau, kommt aber
  auch täglich zu den zarten Seelen, und wird kommen am jüngsten Tag. 
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<:3>wir lesen von drierley geburte das der sone von dem vatter
  geboren ist ewiglich und wart geburn in der zijt von unser lieben frauwen und
  wurdt geborn degelichs in der seligen selen  
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<:3>Wir lesen von dreier Art Geburt, dass der Sohn von dem Vater
  ewig geboren wurde, und in der eit von unserer lieben Frau geboren wurde und
  täglich in den seligen Seelen geboren wird. 
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<:4>advent betudet sich als viel als eyn zukunfft zukunfft
  betudet als viel als eyn gebort gebordt betudet als viel als eyner der sich
  ingußet alles das der vatter hait das gemeynet er dem sone ane das alleyn er
  ewigliche geboren ist und nun geboren wurdt also sol er ewiglich geboren
  werden  
ich gieng herinne und enwere zit nach stat nach materie so het ich on
  underlaiß gestanden da der sone ingußen wardt da ingußen sich alle creaturen
  mit dem sone und enwere der sone nit ingußen so enweren alle creaturen nit
  mochte die sunne yren schyn entziehen dem erterich so wurden alle creaturen
  zu nicht der buchstabe den ich schriben wil enist in myner sele nyt eyn
  buchstabe er ist aber in myner selen sele der zymmerman der eyn huß buwen wil
  das huß ist geystlich in syner selen wanne das huß geystlich vollenkomen ist
  in syner selen so mag er baß sprechen dieß ist myne sele dan diß ist eyn huyß
   
 | 
  
<:4>Advent bedeutet so viel wie ‘eine Zukunft’. Zukunft bedeutet
  so viel wie ‘eine Geburt’. Geburt bedeutet so viel wie jemand, der in sich
  hinein all das, was der Vater besitzt, was er mit dem Sohn teilt, außer, dass
  dieser allein ewig geboren wurde, jetzt geboren wird und so ewiglich geboren
  werden wird.  
Ich kam hierher, doch gäbe es weder Zeit noch Raum noch Materie, hätte
  ich unablässig gestanden. Als dem Sohn eingegossen wurde, hätten sich alle
  Kreaturen selbst eingegossen zusammen mit dem Sohn, doch wenn das Eingiessen
  des Sohnes nicht stattgefunden hätte, würde keine Kreatur existieren. Wenn
  die Sonne ihren Strahl der Erde entziehen würde, würden alle Kreaturen zu
  nichte werden. Der Buchstabe, den ich schreiben werde ist in meiner Seele
  kein Buchstabe, sondern er ist Seele in meiner Seele. Der Zimmermann, der ein
  Haus bauen will, der hat das Haus geistig in seiner Seele. Ist das Haus
  geistig vollkommen in seiner Seele, kann er wirklich offen sagen, dies ist
  meine Seele anstatt dies ist ein Haus. 
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<:5>sanctus Jheronimus spricht ee alle creaturen geschaffen
  wurden da[s] waren alle creaturen in gode got nement
  eyn glichnisse an der sonnen also alt als die sonne ist also alt ist der
  schyn were die sonne ewig so were der schin auch ewig 
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<:5>Der heilige Hieronymus sagt: Bevor jegliche Kreatur
  geschaffen war, waren alle Kreaturen Gott in Gott. Nehmt etwa als Gleichnis
  die Sonne. So alt wie die Sonne ist, so alt ist der Sonnenschein. Wäre die
  Sonne nicht ewig, wäre auch der Sonnenschein nicht ewig. 
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<:6>Zum andern male wurdt er one underlaiß geborn darumbe ist
  sin geburdt allezit nuwe als auch der vatter spricht zu dem sone hude hann
  ich dich geboren die wurtzel die entphehet die fuchtigkeyt von dem erteriche
  und gußet sie furwardt in den stam des baumes und in die zwige und die zwiger
  giessent sie furwerdt in die blume und wort davon der appel und der appel hat
  ußwendig eynen stant an dem baum und ist geystlich in deme baum und die wile
  der appel in dem baume ist so ist er eyne mit dem baum hie von sprichet eyn
  kriechschmeystere der von dem glauben nit enwiste enwere zit nach stat nach
  materie so were vatter und kindt von naturen eyn in got da enist zit nach
  stat nach materie darum wurde der sone one underlaiß geborn von dem vatter
  sunder zit und stat und materie darumbe ist der sone in dem vatter eyn one
  underscheit und alle creaturen werlichen als ferre als icht ist als ferre ist
  es in godde 
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<:6>Zweitens, er wird ununterbrochen geboren. Darum ist seine
  Geburt allzeit eine neue, wie auch der Vater zu dem Sohn sagt: ‘Heute habe
  ich Dich geboren’.[2]
  Die Wurzel empfängt die Feuchtigkeit von dem Boden und reicht sie weiter in
  den Stamm des Baumes und in die Zweige, und die Zweige reichen sie weiter in
  die Blüte und hiervon entsteht der Apfel, und der Apfel hat außen einen
  Stengel des Baumes und ist geistig in dem Baum, und während der Apfel in dem
  Baum ist, ist er eins mit dem Baum. Hiervon spricht ein griechischer Meister,
  der nichts vom Glauben wusste: Gäbe es weder Zeit noch Raum noch Materie, so
  wären Vater und Kind von Natur aus eins. In God ist weder Zeit noch Raum noch
  Materie, darum wird der Sohn ununterbrochen geboren von dem Vater ohne Zeit
  und Raum und Materie, weshalb der Sohn und alle Kreaturen in dem Vater eins
  sind ohne Differenz. Und wahrlich insofern etwas ist, insofern ist es in Gott.
   
 | 
 
<:7>zum dritten male ist er geboren mit aller volkomenheit
  zumale want der vatter engesprache nye keyn wordt me dann eyn wordt das was
  der sone und in yme alle dinck als man pruven mag bij gliche mochte der
  schuwerdt de vollekomenheyt aller schuwe wircken an eyme schuwe so endurffte
  er keynen schuch me machen mochte man han die volkomenheyt aller pherde an
  eyme pherde so endurffte man keynes me mochte ich alle myne meynunge bewisen
  mit eyme wortte so endurffte ich nyt dann eyne wordt sprechen also ist es
  zumale an unserm herren Jhesu Christo were icht volkomenheyt die an yeme nyt
  enwere so enmochte uns an yme nit gnugen darumbe hat uns der hymmelsche
  vatter gegeben alle volkommenheyt an syme sone das wir nyt enbedorfen dan
  eynes menschen zu erfullungen alle unser unfulkommenheit 
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<:7>Drittens, ist er geboren in gänzlicher Vollkommenheit, denn
  der Vater sprach nie ein anderes Wort als dieses Wort. Dieses war der Sohn
  und in ihm alle Dinge, wie man an einem Beispiel ablesen kann. Wenn der Schumacher
  die Vollkommenheit aller Schuhe in einem einzigen Schuh herstellen könnte,
  könnte er keinen weiteren Schuh mehr machen. Wenn man die Vollkommenheit
  aller Pferde in einem einzigen Pferd besäße, bräuchte man kein weiteres mehr.
  Wenn ich meine Überzeugung mit einem einzigen Wort unter Beweis stellen
  könnte, wäre es mir nicht erlaubt, auch nur mehr als eines zu sprechen. So
  ist es gänzlich mit unserem Herrn Jesus Christus. Gäbe es eine
  Vollkommenheit, die nicht in ihm wäre, wären wir nicht mit ihm zufrieden. Aus
  diesem Grund hat der himmlische Vater uns alle Vollkommenheit in seinem Sohn
  gegeben, so dass wir nichts als einen einzigen Menschen brauchen, um all
  unsere Unvollkommenheiten zu vervollkommenen. 
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<:8>von der ewigen geburt wie ist er von syme hymmelschen vatter
  geborn er ist ewiglich geborn und wordt one underlaiß geboren und sal
  ewiglich geboren werden davon ensprechen ich nu nit me noch von der gebort
  wie er geboren ist von unsere lieben frauwen in der zit die ist vollenbracht
  me wie er degelichs geystlich geboren wurdt in der selen das ist bewiset da
  er spricht 
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<:8>Von der ewigen Geburt. Wie wurde er von seinem himmlischen
  Vater geboren? Er wurde ewig geboren und wird ständig geboren und wird ewig
  geboren werden. Hiervon sage ich jetzt nicht mehr, weder von dieser Geburt,
  wie er geboren wurde von unserer lieben Frau in der Zeit, die erfüllt ist,
  stattdessen davon, wie er täglich in der Seele geboren wird. Dies zeigt sich
  daran, dass er sagt: 
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<:9>von der worzeln von yesse sol uff gene eyn gertte und uff der gertten sal
  entspringen eyn blum und uff der blumen sal ruwen der heilige geyst 
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<:9>‘Aus der Wurzel Jesse soll ein Zweig entspringen und von dem
  Zweig wird eine Blüte wachsen und auf der Blüte soll der heilige Geist’. 
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<:10>an diesen wortten sollen wir pruven druwe dinge welches die
  wurtzel sij von der got geboren wordt in der selen und weliche wiß und
  weliche nuße ir davon kommet  
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<:10>An diesen Worten sollen wir drei Dinge ablesen: Was die Wurzel
  sei, aus der Gott das Wort in der Seele gebar, und auf welche Weise und zu
  welchen Nutzen sie davon haben würde. 
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<:11>der erste ist de radice yesse, das ist als viel gesprochen als
  eyn furige oder frij nature die alles das zu sich zuhet und in sich
  verwandelt das in sie kommet als der schin der sonnen der sich wurffet in das
  wasser zu eynem male noch zum andern male soe en gewynt sie das wasser nyt
  sunder von dem dritten invalle und widerslage so kommet sie under das wasser
  und zuht es uff zu sich ende in hoer verwandelt ende dan est geestelic so enmogen
  wir es nit gesehen also ist es umbe alle die elament das enist ir dogent nit
  das wir sie anesehen sunder et is ir materie also ist es umbe die furige
  frihe nature unsers herren die die sele zu sich zuhet und in sich verwandelt
  und wurdt also geboren geistlich an yrme bekentnisse 
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<:11>Der erste ist ‘de radice Yesse’, was so viel bedeutet wie eine
  energetische[3] und freie Natur, die alles in sich zieht
  und alles, was in sie gelangt, verwandelt. Etwa wie der Sonnenschein, der
  einmal und zweimal in das Wasser reicht, doch so das Wasser nicht für sich
  gewinnt. Eher von einem weitern Einfallen und darin verharren reicht er unter
  die Wasseroberfläche und zieht es hinauf zu sich und verwandelt es, so dass
  es Dampf wird und wir es dann nicht sehen können. So ist es mit allen
  Elementen, die da existieren. Es liegt nicht in ihrer Macht, dass wir sie
  sehen, sondern an ihrer Materie. So ist es mit der energetisch-freien Natur
  unseres Herrn, die die Seele in sich zieht und in sich verwandelt, so dass
  sie auf diese Weise mental in ihrem Erkennen geboren wird. 
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<:12>Daz
  andere is weliche wise Got der enwordt nit gedragen in der selen sunder
  gewonden als man pruven mag bi dem bilde das enwirt nit gedrucket in das hFltze sunder et wort daer in gewonden wanne man yme die spene abe
  nymmet die et bedecken. so ist es gantze in dem hultze das ist gropheyt
  undunglichnisse darumbe ist eyn weerachtich hultze viel boser zu fugen dan
  eyn schlechtes holt also wurdt got gewonden in der selen wande sie hait eyn
  gemeyn liecht mit den engelen da sie got ane bekennet und das liecht das ir
  angeschaffen ist daz ist diu vernunft unde dreget one underlaiß gotliche
  wißheyt in die selen wanne das sie aber in den lichamen gegoßen wordt so wordt sie verdostert darumbe
  enbekennet das kint nyt als viel als eyn alt mensche ende
  dat is von syner fließender naturen das es wesset
  darumbe enmag sich stedeglich keyn liecht offenbaren in ym es enbesließe mit
  vergessenheit von der unstedigkeyt der naturen ye der mensche alder wurdt so
  sin nature steder wurdt so gotlich liecht me in yem geoffenbart wort und in
  dem liecht bekennet man got und an yme alle dingk Daer
  om ist dat daz der kusche mensch me bekennet dann eyn
  andere mensch in dem slaiff so dreget das gotlich liecht und drucket
  zukunfftige dinck in die sele 
 | 
  
<:12>Der
  andere ist, auf welche Weise. Gott wird nicht in die Seele getragen, sondern
  herausgewunden, wie man an dem Bild erkennen kann. Dieses wird nicht in das
  Holz hineingedrückt, sondern es wird von dort drinnen herausgewunden, wenn
  man die Spänen abhackt, die es bedecken. Ist es folglich noch vollkommen in
  dem Holz, ist es grob und nicht greifbar. Darum ist es schwieriger, mit einem
  knorriges Holz zu schnitzen als mit einem schlechten Holz. Entsprechend wurde
  Gott der Seele entwunden, da sie ein gemeinsames Licht mit den Engeln hat,
  durch das sie Gott kennt. Und ohne Unterbrechung trägt das Licht, das in ihr
  geschaffen wurde und der Intellekt ist, die göttliche Weisheit in die Seele. Als sie aber in den Körper geschüttet
  wurde, verdunkelte sie sich. Darum erkennt ein Kind nicht soviel wie ein erwachsener
  Mensch. Doch es lernt, weil es sich von Natur aus weiter bewegt. Darum kann
  sich kein Licht beständig in ihm offenbaren, es sei denn es verlerne die
  Unbeständigkeit der Natur. Wenn der Mensch älter wird, wird sein Wesen beständiger,
  umso mehr wird folglich das göttliche in ihm geoffenbartes Wort, und in
  diesem Licht erkennt man Gott und in ihm alle Dinge. Darum ist es so, dass
  der tugendhafte Mensch mehr erkennt als ein anderer Mensch. Auf dieser Spur
  wirkt also das göttliche Licht und drückt die künftigen Dinge in die Seele. 
 | 
 
<:13>nu
  mogen wir dencken das manig alt mensch wenig gotlichs liechtes hayt das komet
  von unrechter furchten und van onrechten hoffnungen ende liebe und leydt Ende darumbe ist das daz daz fließende wasser keyn bilde entphehet von der
  unstedigkeyt des wassers besehen ich mich in eym stillen wasser da vinden ich
  myn bilde gentzlich inne also ist es zumale an den menschen die wile das er
  mit ußerlichen dingen beworren ist so enmag got nit in yme geoffenbaret
  werden also man pruven mag bi glichnisse 
das den manne das heubt blois sal sin und der frauwen bedecket also sal
  es sin an der selen das die oberste krafft der selen bloiß sal sin one
  underscheit zuschen got und synen gaben Ende darumbe weiß der hane me von der
  zit wann er mynner beworren ist dan die hene darumbe sleht es ym in das heubt
  das er schrihet und kundiget die zit das sich daz weder wandelet das enweiß
  die hene nyt wande si beworren ist mit legene und mit heckene 
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<:13>Nun mögen wir meinen, dass sehr alte Menschen wenig vom
  göttlichen Licht ausstrahlen. Das kommt davon, dass sie zu Unrecht furchtsam
  sind, sich falsche Hoffnungen machen, ohne Liebe und Leid sind. Und folglich
  geschieht es, dass ein fließendes Wasser wegen der Unbeständigkeit des
  Wassers kein Bild hervorbringen kann. Wenn ich mich in einem stillen Wasser
  betrachte, finde ich vollends mein Bild darin. So ist es mit diesen Menschen:
  während einer von äußerlichen Dingen verunsichert ist, kann Gott nicht in ihm
  offenbart werden, wie man aus einigen Beispielen ablesen kann:  
Wie beim Mann das Haupt unbedeckt sein soll und bei der Frau bedeckt, so
  soll es mit der Seele sein. Die oberste Kraft der Seele soll unbedeckt sein,
  nichts darf zwischen Gott und seine Gaben kommen. Darum kennt der Hahn die
  Zeit besser, da er weniger durch Geschäfte aufgehalten ist als die Henne. Darum
  trifft es ihn direkt von oben auf den Kopf, damit er kräht und die Zeit
  ankündigt. Dass sich die wieder verändert, dies weiss die Henne nicht, denn
  sie ist beschäftigt mit Eierlegen und Ausbrüten. 
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<:14>das got also in unser selen geboren werde unde geoffenbaret
  werde, des helfe uns die lutter gude gottes. Amen 
hi ons. Amen 
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<:14>Dass Gott so in uns offenbart werden wird, helfe er uns. Amen. 
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Predigt T2,4* [Löser, 1999, n. 53]
<:1>[297rb] Der herr ihesus spricht im ewangeli luce xxjo.
  hebt awff ewer hawbt wann ewer erl=sung n(hent sich.  
 | 
  
<:1>Der Herr Jesus sagt im Lukasevangelium 21.: ‘Hebt auf Euer Haupt,
  denn Eure Erlösung nähert sich.’[2] 
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<:2>Dy wart
  sind gesagt von der zSchumft des lesten gerichts. Vber das
  spricht Boecius es ist grasse not vnd ist gar pilleich das der mensch ein
  heiligs vnd gar lawters leben hab der altzeit in dem ansehen gots seins
  richter ist. vnd der nicht allain vnsre vorch peschawot sunder im sind auch
  offenbar dy haimleichen gedankchen vnsers hertzen. Dar vmb als pald sich der
  mensch in das Mbel der sünten chert es sey mit gedankchen mit willen oder mit tat so nymbt er
  sich aws der [297va] gnad gots vnd vertreibt seim engel
  vnd vnter geit sich dem tewfel.  
 | 
  
<:2>Diese Worte sind über das künftige jüngste Gericht gesagt. Hierüber
  sagt Boethius: ‘Es ist wirklich notwendig und sehr wichtig, dass der Mensch
  ein heiliges und reines Leben führt, der beständig im Angesicht Gottes, seines
  Richters, sich befindet und der nicht nur unsere Furcht sieht, sondern dem
  auch unsere intimsten Gedanken des Herzens offenbar sind.’ Sobald daher ein
  Mensch sich dem Übel der Sünden zuwendet, sei es in Gedanken, im Willen oder
  in Taten, nimmt man sich aus der Gnade Gottes und vertreibt den eigenen Engel
  und übergibt sich dem Teufel. 
 | 
 
<:3>Wann als das man von den ewigen frewden sagen vnd gedankchen
  mag das ist als nichts gegen der rechten warhait. Also ist es auch als das
  man von der marter der hell sagen vnd gedankchen mag das ist nichts gegen der
  warhait des leidens das da ist. Wie chlain ein leiden ist solt es ewichleich
  wern es w(r leidens genueg. Wann solt ettwer m=r pey eim haller tzahen iar an vnter las tzeln er wurd
  reiher dann chain chünig der erden. Was ist dann nicht an der manigualtigen
  vnpegreifflichen s(lichait des ewigen raichtumbs.  
 | 
  
<:3>Denn was man von den ewigen Freuden sagen oder denken kann, ist
  nichts, verglichen mit der rechten Wahrheit. So ist es mit dem, was man von
  der Qual der Hölle sagen oder denken kann, das nichts ist, verglichen mit dem
  Erleiden der Wahrheit, das da vorhanden ist. So gering das Leiden ist, wenn
  es ewig ist, wäre es genug Leiden. Denn sollte jemand mehr bei einem Heller zögerlich
  sein, Jahr um Jahr, er würde reicher werden als ein König auf Erden; was
  fehlt dann der vielfältigen, unbegreiflichen Seligkeit des ewigen Reichtums? 
 | 
 
<:4>Dar vmb spricht der herr hebt awff ewer hawbt. Als ob er spr(ch erchennt das vbel ewer sünten vnd merkcht das lest
  gericht vnd das vrtail des grechten richter.  
 | 
  
<:4>Darum sagt der Herr: ‘Hebt auf Euer Haupt’, als ob er gesagt
  hätte: Erkennt das Übel Eurer Sünden und denkt an das letzte Gericht und das
  Urteil des gerechten Richters. 
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<:5>Hebt awff ewer hawbt vnd pedenkcht dy ewig frewd das ein hawbt
  ewer sel ist. Dy sel hat weder hawbt noch hennt wie wol wir es nemen müezzen.
  Sand Augenstin spricht wie snöd ein chlainead ist so hüett man ir vor mail
  michels mer solten wir der sel vor dem mail der sünten hüetten der wir am
  minsten achtten. 
 | 
  
<:5>‘Hebt auf Euer Haupt’ und denkt an die ewige Freude, das Eure
  Seele ein Haupt hat. Die Seele hat weder Haupt noch Hände, auch wenn wir dies
  annehmen müssen. Der heilige Augustinus sagt: ‘Wie armselig ein Kleinod auch
  ist, wir bewahren es vor großen Beschmutzungen, doch sollten wir vielmehr unsere
  Seele, auf die wir am geringsten achten, vor Sünden bewahren.’ 
 | 
 
<:6>Dy maister der natur sprechen ye nahenter dy sunn der erden ist
  ye mynner sy chrafft hat. vnd ye verrer sy der erden ist ye chreftiger sy ist
  vnd all stern. W(r die sunn vmb weinachten der erden als verr
  als zw sunibenten es chund vor hitz nye[297vb]mbt genesen. Vnd w(r sy zw sunibenten der erden als nahent als zw
  weinachten es w(r als chalt als zw weinachten. Der man der
  ein hefen des himels ist der ist der erden nahenter dann chain stern vnd hat
  vil prechen er ist ettwann liecht vnd ettwan vinster. Also ist es vmb dy sel
  ye nahenter sy den tzeitleichen dingen ist ye vnedler sy ist. Dar vmb spricht
  der herr hebt awff ewer hawbt. das ist ewer sel von irdischen dingen.  
 | 
  
<:6>Die Meister der Natur sagen: Je näher die Sonne der Erde ist,
  je weniger kräftig ist sie. Und je weiter sie von der Erde ist, desto kräftiger
  ist sie und alle Sterne. Wenn die Sonne an Weihnachten so weit weg von der
  Erde wäre wie an der Sonnwende, könnte niemand sich vor Hitze retten. Und
  wenn sie an der Sonnwende der Erde so nahe wäre wie an Weihnachten, wäre es
  so kalt wie an Weihnachten. Der Mond, der eine Hefe des Himmels ist, ist der
  Erde näher als jeglicher Stern, und er hat viele Flecken, ist manchmal erleuchtet
  und manchmal dunkel. So ist es mit der Seele: Je näher sie den zeitlichen
  Dingen ist, desto unedler ist sie. Daher spricht der Herr: ‘Hebt auf Euer Haupt’,
  d.h. Eure Seele von den irdischen Dingen. 
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<:7>Das hawbt der sel ist dy obrist chrafft. Das hawbt oder dy sel
  im hawbt strebt an vnterlas in das liecht der warhait. Wann sider das dy sel
  peschaffen wart was sy nye an das in scheinn der gnaden des götleichen
  liechts. Jn dem hawbt erchennt dy sel got vnd alle ding vnd ist in ir selber
  als des enphindleich das sy haben mag. Jn dem hawbt ist der sel stat Rber tzehen tawsent meil als nahent als dy stat da ich
  yetzund an stee. Jn der chrafft ist der sel dy tzeit dar inn got dz welt
  peschaffen hat vnd auch der iungst tag als nahent als dy tzeit dar inn ich
  yetzund red. Rber das möcht ettwer fragen was nutz der sel
  von dem ch(m so sy sich sambt in der chrafft des hawbts
  stet.  
 | 
  
<:7>Das Haupt der Seele ist die höchste Kraft. Das Haupt oder die
  Seele im Haupt strebt ohne Unterbrechung zum Licht der Wahrheit. Auch wenn die
  Seele später geschaffen wurde, war sie nie ohne das Hineinscheinen der Gnade
  des göttlichen Lichtes.[3] Im Haupt kennt
  die Seele Gott, alle Dinge und sich selbst, so empfänglich sie sein kann. Im
  Haupt ist für den Platz der Seele zehntausend Meilen so nah wie der Ort, an
  dem ich jetzt hier stehe. In dieser Kraft ist für die Seele die Zeit, in der
  Gott die Welt erschaffen hat und auch der jüngste Tag so nahe wie die Zeit,
  in der ich jetzt rede. Hierzu könnte jemand fragen, was die Seele davon
  hätte, dass sie gänzlich in der Kraft des Hauptes steht.  
 | 
 
<:8>Vber das sol man wissen das daz der nutz ist den sy da von enph(cht das ir all dy gnad vnd all dy s(lichait dy all heiligen pesezzen haben [298ra] als
  gemain wirt als ob sy ir aigen w(rn. Vnd als das chünig vnd chaiser von gold
  ye gewunnen das ist ir als aigen als mir meine awgen aigen sind vnd vil
  aigner. Vnd dar vmb süllen wir vnser hawbt awff heben vnd süllen erchennen
  das Rbel vnserer sünten. Wann das ist ein gewisse
  warhait wer recht in das hawbt ch(m der t(t nymer chain sünt. Jm wurd auch dy ewig frewd so
  erchannt vnd wurd als gelert das er chainer predig pedarfft. 
 | 
  
<:8>Hierzu soll man wissen, dass das der Sinn ist, den sie dadurch
  erhält, dass ihr alle Gnade und alle Seligkeit, die alle Heiligen besitzen,
  so Gemeingut sind, als ob sie ihr eigen wären. Und das Gold, das König und
  Kaiser je gewonnen hätten, das ist so eigen wie mir meine Augen eigen sind,
  und noch viel eigener. Und darum sollen wir unser Haupt aufheben und sollen das
  Übel der Sünden erkennen. Denn das ist eine sichere Wahrheit, dass, wer recht
  in das Haupt kommen würde, der beginge keine Sünde. Ihm wurde auch die ewige
  Freude so deutlich und er wurde so kundig, dass er keiner Predigt bedarf. 
 | 
 
Predigt T2,5* [Löser 10, 1999]
<:1>[313ra] Sand pauls spricht zw den Römern xiijo
  prueder es ist tzeit das wir
  vom slaff awfsten.  
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<:1>Der heilige Paulus sagt zu den Römern 13[:11]: ‘Brüder, es
  ist Zeit, vom Schlafe aufzustehen.’[4] 
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<:2>Dy wart sind
  vom advent geret vnd pedewt den der chümftig ist. Dar vmb süllen wir
  erchennen dy ding dar zS vns got peschaffen hat. Da von spricht sand
  Augenstin vnd ich mit im das got den menschen zw chaim mynnern guet gemacht
  hat dann er selber ist.  
 | 
  
<:2>Diese Worte werden über den Advent gesagt und bedeuten
  denjenigen, der künftig ist. Darum sollen wir die Dinge kennen, für die uns
  Gott geschaffen hat. Hiervon spricht der heilige Augustinus, und ich mit ihm,
  dass Gott den Menschen zu keinem geringeren Gut geschaffen hat als das, das
  er selbst ist.  
 | 
 
<:3>Awfsten
  pedewt ein vnpechumerts hertz in dem wir got mit grözzerm fleizz suehen
  süllen dann vns selber. ZS chümft pedewt das der mensch in im selber
  mit erchantnus wanung [313rb] hab vnd erchenn was er vermüg in dem adel dar zS in got natürleich gemacht hat vber alle creatur. Vnd
  was er vermüg von gnaden an alle creatur vnd was er von lieb wegen vermüg an
  all tugent nach dem pild vnd nicht nach dem wesen. ZS chunft pdewt Got mit vns vnd ist an mittel chümftig in
  vns. 
 | 
  
<:3>‘Aufstehen’ zeigt ein unbekümmertes Herz an, in welchem wir
  mit großem Fleiß eher Gott als uns suchen sollen. ‘Zukunft’ meint, dass der
  Mensch in sich selbst durch Erkenntnis wohnen soll und erkenne, wessen man in
  dem Adel, zu dem ihn Gott über alle Kreatur hinaus geschaffen hat, fähig ist.
  Und was er von Gnaden ohne jegliche Kreatur vermag, und was er aus Liebe ohne
  jegliche Tugend nach dem Bild und nicht nach dem Wesen vermag. ‘Zukunft’ bedeutet,
  Gott mit uns, und ist ohne Medium künftig in uns. 
 | 
 
<:4>Das wart
  awfsten ist dreyerlay als dy lerer sprechen.  
Das ain ist natürleich das ander gnadsam das dritt götleich.   
 | 
  
<:4>Das Wort ‘Aufstehen’ ist auf dreierlei Weisen zu verstehen,
  wie die Lehrer sagen. 
Die eine ist natürlich, die zweite gnadenhaft, die dritte göttlich. 
 | 
 
<:5>Das
  natürleich sten ist nach dem synn das der mensch eins st(ten gueten willens sey aws seiner verstentichait sich
  zw erchennen nach der edlisten creatur dy got in der tzeit an im peschaffen
  hat.  
 | 
  
<:5>Das natürliche Stehen meint, dass der Mensch einen stets
  guten Willen besitzt aus seinem Intellekt, mit dem er sich als edelste
  Kreatur erkennt, die Gott in der Zeit in ihm geschaffen hat. 
 | 
 
<:6>Das ander
  sten ist in gnaden aws der ein mensch erchennen sol das im dy gnad dar vmb
  geben ist das er sein vernuft dar inn pesitz zw eim awfsten Rber sich selber dy gnad ze suehen vnd lieb ze haben.
  Gnad ist ein pild der vernufft aws zedringen mit der verstentichait dy
  pechumernis der creatur <dar in si> stet.  
 | 
  
<:6>Das zweite Stehen geschieht in Gnade, aus der ein Mensch
  erkennen soll, dass ihm die Gnade darum gegeben ist, dass er seine Vernunft
  zu einem Aufstehen besitzt, über sich selber hinaus die Gnade zu suchen und
  Liebe zu besitzen. Gnade ist ein Bild des Intellekts, die Sorgen, in denen die
  Kreatur steht, zu verdrängen.  
 | 
 
<:7>Sten ist in
  got ein pleiben vnd in mit willen altzeit mer zesuchen dann als das wir in
  der tzeit pedürffen. Vnd vmb das süllen wir hie in vns chain frömde pildnus
  lassen awffsten dann das pild ihzm christum. 
 | 
  
<:7>Stehen ist ein in Gott Bleiben und ihn willentlich mehr zu
  ihn zu suchen als nach dem, was wir in der Zeit benötigen. Und hierfür sollen
  wir nicht irgendwelche fremden Bilder in uns aufstehen, sondern einzig das
  Bild Jesu Christi. 
 | 
 
<:8>ZS chunft ist auch als vil gesprochen das der mensch in
  sich selber chöm mit eim st(ten anhangen der warhait vnd sol in der lieb
  von allen prechen zw der vnshuld chömen dar zS er von got gemacht ist. Wann der mensch mit erchantnus
  zw got [313va] chimbt als er in in dy ewichait erhaben hat dar inn im nye
  chain creatur gleich ward wil er nach der sel im von gnaden gleich wern so
  mues dy vernufft in dy erchantnus chömen. Vnd wann das geschiecht so ist sy
  chömen in ir natürleich pild. Vnd plib sy in dem pild so plib sy an alle
  natturfft der creatur. 
 | 
  
<:8>‘Zukunft’ bedeutet auch, dass der Mensch in sich selbst
  kommt durch ein stetes Kleben an der Wahrheit, und er soll in der Liebe von
  aller Schwäche zu einer Unschuld gelangen, für die er von Gott geschaffen
  worden ist. Wenn der Mensch durch Erkennen zu Gott kommt, weil er ihn in die
  Ewigkeit erhoben hat, ist ihm darin keine Kreatur gleich geworden. Wenn er ihm
  der Seele nach von Gnaden gleich werden, so muss die Vernunft zur Erkenntnis
  gelangen. Und wenn dies geschieht, ist sie in ihr natürliches Bild gekommen. Und
  wenn sie in dem Bild bliebe, so bliebe sie ohne jedes Bedürnis der Kreatur. 
 | 
 
<:9>Es ist vnter
  den lerern ein frag ob got vermöcht hiet dy sel von dem selben guet ze machen
  das er selber ist an weis vnd aigenschafft nicht von sein selbs wesen. Wann
  in der selben weis w(r dy sel got vnd chain creatur. Vber das
  halten dy lerer gemainchleich von der sel wann got zw ir chöm so werd sy
  vergott vnd got in dem liecht dar inn dy person würchen. Aber ich sprich mit
  Dionisio wann got chümftig zw der sel chümbt so würcht er ir aigen werch das
  ist ein liebhaben in der sy sich in ir aigne natur erhebt. Hie ist sy dy lieb
  vnd libt doch nicht vnd got ist in ir an ir wissen vnd erchennt sein nicht
  wie wol er ir natürleich ist dann sy ir selber ist.  
 | 
  
<:9>Es gibt unter den Lehrern eine Frage, ob Gott die Seele von
  dem selben Gut schaffen konnte, das er selbst ist, und zwar nach Art und
  Eigenschaft, nicht dem eigenen Wesen nach. Denn wäre es derselben Art nach,
  wäre die Seele Gott und keine Kreatur. Diesbezüglich, was die Seele betrifft,
  sind die Lehrer übereinstimmend der Meinung, dass, wenn Gott zu ihr käme, sie
  vergöttlicht und Gott werde in dem Licht, in dem die Personen wirken. Doch
  ich sage mit Dionysius: Wenn Gott künftig zu der Seele kommt, wirkt er sein
  eigenes Werk, nämlich ein Liebhaben, in der sie sich in ihre eigene Natur erhebt.
  Hier ist sie die Liebe und liebt doch nicht, und Gott ist in ihr, ohne ihr
  Wissen, und er erkennt sich nicht, auch wenn er ihr natürlicher ist als sie
  sich selbst ist. 
 | 
 
<:10>Nw fragen dy
  maister der theloien wann er sich also in dy sel gesenkcht hat zw sehen ir
  natur ob got wesenleich oder natürleich in im selber würch anders dann er in
  der sel tuet. Sy fragen auch ob dy sel in das werch mügleich oder wesenleich
  chöm. Vnd sprechen sy chöm selber im wesen des pilts der heiligen
  drüvaltichait das sy wesenleich vnd natürleich en[313vb]thalten wirt. Nicht
  von dem wesen irer wesenleichait sunder got geit dy wesenleichait seins aigen
  pilts in der er es wesenleich aws lieb der sel vernufft antwurt. Nicht aws
  irer natürleichen natur. Wann naturet sy sich selber so w(r sy got vnd nicht ein creatur. Wann als got sein
  natürleiche natur ist also ist dy sel ir natürleiche natur dy sy von got hat.
  Wann sy hat nicht mer rechts dann zw ir selber aber nicht in dem vermügen
  irer natürleichen substants sunder in substantzleicher mügleichait. Jch
  sprich in der warhait wer dy ding recht verstüend im w(r dy lieb nicht ein tugent von gnaden sunder sy w(r im natürleich als sy got natürleich ist. Vnd got
  müest in im den awsflus würchen seiner götleichen gothait das er sich awfft(t vnd das got aws im erschinn.  
 | 
  
<:10>Nun fragen die Meister der Theologie: Wenn er sich so in
  die Seele gesenkt hat, um ihre Natur zu schauen, wirkt Got dann auf
  wesenhafte oder auf natürliche Weise anders in ihm selbst als er es in der
  Seele tut? Sie fragen auch, ob die Seele auf mögliche oder wesentliche Weise
  in diesen Akt kommt. Und sie sagen, dass sie selbst in das Wesen des Bildes
  der heiligen Trinität kommt, so dass sie wesentlich und natürlich gehalten
  wird, jedoch nicht durch das Wesen ihrer Wesenhaftigkeit, sondern dass Gott
  die Wesenhaftigkeit seines eigenen Bildes gäbe, in welchem er es wesentlich
  beantwortet aus Liebe für die Natur der Seele, nicht aus ihrer natürlichen
  Natur heraus. Denn hätte sie sich selbst geschaffen, wäre sie Gott und keine
  Kreatur. Denn wie Gott seine eigene natürliche Natur ist, so ist die Seele
  ihre natürliche Natur, die sie von Gott hat. Denn sie hat kein Recht auf mehr
  als auf sich selbst, doch nicht dem Vermögen ihrer natürlichen Substanz nach,
  sondern der substantiellen Möglichkeit nach. Ich sage in der Wahrheit, wer
  diese Dinge recht versteht, dem wäre die Liebe keine Tugend von Gnaden,
  sondern sie wäre im so natürlich wie sie Gott natürlich ist. Und Gott müsste
  in ihm den Ausfluss seiner göttlichen Gottheit bewirken, dass er sich öffnete
  und dass Gott aus ihm erschiene.  
 | 
 
<:11>Vnd dar vmb
  dy menschen dy einer chlainen verstentichait sind vnd zw got nicht mer lieb
  enphahen dann das er in tzeitleich guet vnd ewigs leben geb. Den selben
  offenbart sich got durch dy sel vnd geit sich in wie sy wellen als einen
  süezzen vnd milten got. Aber ich sag euch in der warhait dy got selber ist
  das dy menschen wol zw grasser ler ewiger s(lichait chömen den sich got also nach irm hertzen geben
  mues durch das awsfliezzen seiner grassen lieb dy er zw vns hat [314ra] nach
  der er sich vns hat gleich gemacht nach dem nydristen tail menschleicher
  natur.  
 | 
  
<:11>Doch weil die Menschen, die von kleiner Auffassungsgabe
  sind und Gott nicht mehr lieben, als dass er ihnen zeitliche Güter und ewiges
  Leben gibt, offenbart sich ihnen Gott durch die Seele und gibt sich selbst in
  sie so, wie sie es sich wünschen, als ein süßer und milder Gott. Doch ich
  sage Euch in der Wahrheit, die Gott selbst ist, dass die Menschen vielmehr zu
  großer Lehre ewiger Seligkeit kommen, denen sich Gott so ihrem Herz gemäß
  geben muss durch das Ausfließen seiner großen Liebe, die er zu uns hat,
  dergemäß er sich uns gleich gemacht hat auf den niedrigsten Teil der menschlichen
  Natur hin. 
 | 
 
<:12>Aber man sol
  wissen das dy menschen von den wo gesagt ist als verr von den andern da oben
  von gesagt ist in der gothait gesundert sind als der himel von der erden. Ich
  sprich auch mer das ir vnterschaid verrer ist dann das man icht vnd nicht
  haist vnd sind doch alle chinder der ewigen s(lichait vnd also sind dy ersten als verr Rber dy lesten als dy ewichait Rber alle tzeitleiche ding geverrt ist.  
 | 
  
<:12>Doch soll man wissen, dass in der Gottheit die Menschen,
  von denen hier die Rede ist, so fern von den Menschen sind, von denen zuvor
  die Rede war, wie der Himmel von der Erde. Ich sage noch weiter, dass deren
  Unterschied größer ist als das, was man ein Etwas und ein Nichts nennt, und
  dennoch sind sie alle Kinder der ewigen Seligkeit, doch sind die Ersten so
  weit jenseits der Letzten wie die Ewigkeit jenseits aller zeitlichen Dinge
  ist. 
 | 
 
<:13>Dar vmb wer
  nw zw den ersten chömen well den got natürleicher ist dann sy in selber der
  merkch dy wart sand pauls. wir süllen awfsten. Das ist wir süllen an vns
  nemen einn anvang geistleichs lebens ze pringen in ein guets entt. Wann so
  ein mensch mit sölhmm fleizz suehen t(t wes er enpern solt vnd wol tuen möcht durch gots
  willen als wir mit fleizz suehen wes wir pedürffen vnd halt ettwann mer dann
  wir pedürffen. Vnd wer sich auch mit sölhemm fleizz in der lieb gots Mbet als wir vns Mben in der lieb des fleischs wir pegriffen vil
  erchantnus gots der wir sünst mangeln müezzen. Vnd wer das vntz her nicht tan
  hat der peger sein noch mit gantzem hertzen also das im dy pegier pas smekch
  von ewigen dingen dann als das sich in im erpilden mag von den dingen der
  creatur vnd volig got in der selben lieb als ob er seinn aller lieb[314rb]sten
  willen erchant. den er gern erfüllen wolt. Vnd volig im auch der selben
  mainung in der er in vermant vnd maint so glaub ich das im des nichts werd ab
  genomen dar zS in got peschaffen hat vnd fürgesehen.   
 | 
  
<:13>Wer darum zu den Ersten kommen will, denen Gott natürlicher
  ist als sie sich selbst sind, höre die Worte des heiligen Paulus: Wir sollen
  aufstehen. Das bedeutet, dass wir für uns einen Anfang geistlichen Lebens machen
  sollen, um ihn zu einem guten Ende zu bringen. Denn wenn ein solcher Mensch
  mit solchem Fleiß danach suchte, wessen er um Gottes Willen entbehren soll
  und Gutes tun kann, wie wir danach suchen, was wir bedürfen und oft auch mehr
  als wir bedürfen, und wer sich auch mit solchem Fleiß in der Liebe Gottes
  übt, wie wir uns in der fleischlichen Liebe üben, wir würden viel von der
  Gotteserkenntnis begreifen, die uns sonst fehlen muss. Und wer uns das hier
  nicht getan hat, soll seiner noch mit ganzem Herz begehren, so dass ihm die Begier
  für ewige Dinge so voll schmeckt, wie die Bilder von den Dingen der Kreatur, die
  in einem selbst entstehen, und er Gott in der selben Liebe nachfolgt, als
  wenn man seinen höchst geliebten Willen erkannt hätte, den er zu erfüllen
  liebt, und folge ihm auch in der selben Absicht nach, in welcher er ihn
  ermahnt, und meint, so glaube ich, dass nichts von ihm genommen wird, wofür
  Gott ihn geschaffen und was er für ihn vorgesehen hat. 
 | 
 
Predigt T3/6,1*
[Jundt 13]
<:1a>[201] 
Maria stu°nd uf und gieng snell in daz gebirg.  
 | 
  
<:1b>(270)
  [243v] Als Maria über daz birg gieng. Maria stu°nd uf und
  gieng snelle in daz gebirge.  
 | 
  
<:1a> 
 | 
  
<:1b>Als
  Maria über den Berg ging, ‘stand Maria auf und ging schnell in das Gebirge.’ 
 | 
 
<:2b>Die
  maister der hailigen geschrift sprechend daz an dem usflusse der creature; üs
  dem (271) ersten ursprungen; sei en cirkeliches widerbögen des endes; uf den
  begin oder anfang; wann als das usfliessen der personen; usser gote ist; ain
  formleich bilde des ursprunges der creaturen; also ist es och ain vorspiel
  der widerfliessende creatur in got; als Augustinus sprichet. 
 | 
  
<:2b>Die
  Meister der Heiligen Schrift sagen, dass in dem Ausfluss der Kreaturen aus
  dem ersten Ursprung ein Zirkelreflex des Endes auf den Beginn oder Anfang
  gegeben sei, denn wie der Ausfluss der Personen aus Gott ein förmliches Bild
  des Ursprungs der Kreaturen sie, so sei es auch ein Präludium des Rückflusses
  der Kreaturen in Gott, wie Augustinus sagt. 
 | 
 ||
<:3b>Die
  geschiht wenne das wort gotes sich personliche güsset in die sele; mit dem
  hailigen gaiste, und er es uns us dem runse der ersten gabe der sele
  schenket; davon die sele geraisset wird; nach [244r] ze volgende mit den
  gaben an den personen; da die sele gaistlichen ufgetragen wirt; ze des ersten
  wesendes bloshait anblike; wider der glorien glantze. Da zu° furdert der
  gnaden liecht das die sele pur machet von frömder formen und gelichnisse;  
 | 
  
<:3b>Das geschieht, wenn das Wort
  Gottes sich persönlich in die Seele gießt zusammen mit dem Heiligen Geist,
  und er es uns aus dem Rinnsal der ersten Gabe der Seele schenkt, wovon die
  Seele gezogen wird, mit dem Gaben in die Personen zu folgen, da die Seele
  geistlich erhoben wird zur Schau der Nacktheit des ersten Wesens im Glanz der
  Herrlichkeit. Hierzu dient das Licht der Gnade, das die Seele rein macht von
  all fremden Formen und Gleichnissen. 
 | 
 ||
<:4b>dise
  zu°gabe die da uf tragent die sele; nach den personen, das ist bechantnüs
  götlicher wishait, darinne das ewige wort des vaters entgossen ist dar von
  wirt es götlichen smakende in die sele. Die ander gabe flüsset von der ersten
  nach des hailigen gaistes art dem das wort von im entgusset; und heiset mynne
  des gaistes.  
 | 
  
<:4b>Diese
  Zugabe, die die Seele zu den Personen erhebt, is die Kenntnis der göttlichen
  Weisheit, in welche das ewige Wort des Vaters gegossen wurde, durch welche es
  einen göttlichen Geschmack in der Seele wurde. Die andere Gabe fließt von der
  ersten gemäß der Art des Heiligen Geistes, der das Wort von ihm ausgießt und
  Liebe des Geistes genannt wird.   
 | 
 ||
<:5b>Mit
  disen gaben wirt geformet die vernuft der sele und och der wille. Wille
  swinget in die frömden forme des frigen wesendes gotes; so ist alle die sele
  vollenfu°rt dazu si got geschaffen hat, [244v] in ze bekennende und ze
  mynnende und ze versmächende die welt und undertreten. Da von sprichet
  sanctus Paulus unser wandlung sol sein in dem himele; nit in der welte; das
  maint och Augustinus da er sprichet Wenne wir ewig ding bechennen und mynnen,
  so sein wir gesatztet us der welte; und da von sprichet das ewangelium das
  Maria stu°nd uf.  
 | 
  
<:5b>Mit diesen Gaben werden der
  Intellekt und auch der Wille der Seele geformt. Der Wille schwingt in die
  fremden Formen des freien Wesens Gottes, so dass die gesamte Seele vollkommen
  dazu geführt wird, wofür sie Gott geschaffen hat, ihn zu erkennen, ihn zu lieben und die Welt zu verachten und sie
  niederzutreten. Hiervon sagt der heilige Paulus: ‘Unsere Wohnung soll im
  Himmel sein’,[8] nicht in der Welt. Das meint auch Augustinus, wenn er sagt:
  ‘Wenn wir ewige Dinge kennen und lieben, sind wir außerhalb der Welt gestellt’.
  Und das meint das Evangelium, dass ‘Maria aufstand.’[9] 
 | 
 ||
<:6a>Maria
  bezaichent ain erlüchtete sel an bekantniss die von gottes personlicher
  inwonung swanger worden ist. Dise sel stät mit gerunge uf geriht ze aim
  widerwurf gegen dem hoch gelobten gu°t gottes.  
 | 
  
<:6b>Maria
  bezaichent aine erläuchtende sele an bekantnisz, die von gotes personlicher
  inwonunge; swanger worden ist. Dise sele stat mit begeru°nge ufgerichtet ze
  aim widerwu°rfe; gegen dem hochgelobten gu°te gotes; si stat geheftet in dem
  mitel puncten; überrennet aller wesende. Das ist in dem überswanke gölticher
  volkömenhait; wann die sele sprichet in dem bu°che der weishait, das ir
  wonunge sei in der follende der [245r] hailigen; das ist in dem ursprunge
  alles gu°tes. 
 | 
  
<:6a>‘Maria’ bezeichnet
  eine durch Erkenntnis erleuchtete Seele, die durch Gottes persönliches
  Einwohnen in ihr schwanger geworden ist. Diese Seele steht auf mit dem
  Begehren nach einem Objekt des hochgelobten Gutes Gottes. 
 | 
  
<:6b>‘Maria’
  meint eine durch Erkenntnis erleuchtete Seele, die durch Gottes persönliches
  Einwohnen in ihr schwanger geworden ist. Diese Seele steht auf mit dem
  Begehren nach einem Objekt des hochgelobten Gutes Gottes. Sie steht fest
  gemacht am Mittelpunkt und reicht über alle Wesen. Das geschieht in dem
  Überschwang göttlicher Vollkommenheit,[10]
  denn die Seele sagt im Buch der
  Weisheit,[11] dass ihre Wohnstätte in der Fülle der Heiligen sei,
  d.h. in dem Ursprung von allem Guten.  
   
 | 
 
<:7a>  
Hie bi ist uns
  bezichnet ain frihait von allen dingen die mit creaturlichen bilden in die
  sel getragen [202] werdent bis daz die sel sich entschüttet von allem anvall
  liplicher bilden und daz zu° über des libes kreft sich uf rihtet an daz luter
  gänsterlin der sele ze erbietende sich in luterm liecht der vernünftikait
  gottes gegenwürtikait.  
 | 
  
<:7b>Dar nach
  volget das ander stuke, das Maria stu°nd uf; bei disem uftragende; ist uns
  begriffen; ain freihait von allen dingen, die mit creaturlichen bilden; gotes unglichait in die sele
  getragen werdent; bis das die sele sich entschutet; von allem anvalle
  leiplicher bilde und darzw°; über des leibes chrefte; sich ufgerichtet; an
  das lauter gesterlin der sele; ze erbietende sich in lauterm liechte der
  vernüftichait gotes gegenwürtichait.  
 | 
  
<:7a> 
Hiermit wird uns
  die Freisein von allen Dingen gegeben, durch die mit kreatürlichen Bildern
  die Ungleichheit Gottes in die Seele getragen wird, bis die Seele sich selbst
  von dem Anfall aller körperlichen Bilder befreit und sich außerdem selbst
  über die Kräfte des Körpers in den reinen Funken der Seele erhebt, um sich
  dem reinen Licht des Intellekts von Gottes Gegenwart anzubieten. 
 | 
  
<:7b>Hier
  folgt der zweite Teil, dass ‘Maria aufstand’. Mit dieser Erhebung wird uns
  die Freisein von allen Dingen gegeben, durch die mit kreatürlichen Bildern
  die Ungleichheit Gottes in die Seele getragen wird, bis die Seele sich selbst
  von dem Anfall aller körperlichen Bilder befreit und sich außerdem selbst
  über die Kräfte des Körpers in den reinen Funken der Seele erhebt, um sich
  dem reinen Licht des Intellekts von Gottes Gegenwart anzubieten. 
 | 
 
<:8a>Dis
  mainet unser herre da er uns manet daz wir uns unser selbes verzihen ob wir
  im volgen wellen nit allain
  frömde creature.  
 | 
  
<:8b>Dis
  mainet unser herre da er uns manet das wir uns unser selbes verzeichen; ob
  wir im volgen wellen, da er us nit
  allaine haisset verzeichen tötliche und frömde creature; sunder er
  haisset uns das (272) wir unser selbes verzeichen und das wir uns über uns
  selber tragent; in götlich wesen [245v] das sich uns noch mer erbietende ist;
  denn wir an uns selber sein. Und in der bloshait; als er stat in im selber;
  so stat er och in uns. Doch so entreit er nit üs sich selber; so er sich
  vernüfticlichen güsset in mich durch den umbevang seines wesendes; über alle
  gaiste; als das bu°ch saget des weishait. 
 | 
  
<:8a>Das
  meint der Herr, wenn er uns ermahnt, uns selbst zu verleugnen, wenn wir nicht
  nur fremden Kreaturen, sondern ihm folgen wollen. 
 | 
  
 <:8b> Das meint der Herr, wenn er uns ermahnt, uns selbst zu verleugnen,
  wenn wir nicht nur fremden Kreaturen, sondern ihm folgen wollen, doch er  bittet uns, uns selbst zu verleugnen und
  uns selbst über uns selbst zu erheben in das göttliche Sein, das uns mehr
  bietet,
  als was wir selbst in uns sind. Und in dieser Nacktheit, in er selbst steht,
  steht er auch in uns. Aufgrund des Zirkels seines Seins über allen Geist
  hinweg, stellt er sich jedoch nicht außerhalb seiner selbst, wenn er sich
  intellektuell in mich gießt, wie das Buch
  der Weisheit sagt.[12] 
 | 
 
<:9a>Maria
  das ist ain erlüchti sele die stät uf wenn si got swinget uss ir selber in
  sich. Wer des bevindet der wider saget der welt valschen trost. 
 | 
  
<:9b>Maria,
  das ist ain erläuchte sele, die stet uf; wenne si got swinget; us ir selber
  in sich. Wer des bevindet, der widersaget der welte falsche tröstung; wenne
  aber die gebruchunge ain liechte der nunft ist an ende, und durch seines
  gelantze richen wesen des grundelosen abgrundes; als santus Johannes und
  Dyonisius schreibent; und och die unversigne flüsz des über süzen gaistes
  gotes, von dem der abegezognen lautern sele gerunge geraiget und geloket
  wirt, das si tu°t als ob si wütende sei. 
 | 
  
<:9a>‘Maria’
  bezeichnet eine erleuchtete Seele, die ‘aufsteht’, wenn sie Gott aus ihr selbst
  in sich hinein laufen lässt. Wer dies spürt, verleugnet die falschen
  Vertröstungen der Welt. 
 | 
  
<:9b>‘Maria’
  bezeichnet eine erleuchtete Seele, die ‘aufsteht’, wenn sie Gott aus ihr selbst
  in sich hinein laufen lässt. Wer dies spürt, verleugnet die falschen
  Vertröstungen der Welt, doch wenn die Freude ein Licht des Intellekts ohne
  Ende ist und ein reiches Sein des grundlosen Abgrunds durch den Reichtum
  seines Glanzes und Dionysius schreibt: ‘Und auch die niemals austrocknenden
  Flüsse des übersüßen Geistes Gottes, durch die die abgeschiedene, reine Seele
  gereizt und gelockt wird, so dass sie tut, als ob sie wild geworden wäre’.  
 | 
 
<:10a>Nun
  merkent daz [246r] wort daz Maria mit ainer gähde gieng in daz gebirge. Was ist das gebirg. Waz ist daz
  gebirg daz ist die über substancielich höhi der göltichen maiestät [203] die
  allen creaturen ist über swenckende wan uns der vorhank der vinsterniss vor
  den ogen hanget. 
 | 
  
<:10b>Nun
  merkent das [246r] wort das Maria mit ainer gäche gieng in das gebirge. Nun sond wir merken welches das gebirge
  sei; in das Maria gieng. Das ist die über substancieliche höhi der
  göltichen maiestat, die alle creature ist überswenckende; wann uns der vorhang
  der vinsternise vor den augen hanget, doch begert die sele; in der mynne
  bu°ch, diese höhi ze schowende und sprichet: herre züche mich nach dir; wann
  ane sein hantgelaite mügen wir dar nit geraichen. 
 | 
  
<:10a>Nun
  bemerke das Wort, dass Maria schnell in das Gebirge ging. Welches Gebirge ist es? Welches Gebirge ist es? Das ist die übersubstantielle Höhe der göttlichen Majestät, die über
  allen Kreaturen schwebt, denn der Schleier der Dunkelheit hängt vor den Augen. 
 | 
  
<:10b> Nun
  bemerke das Wort, dass Maria schnell in das Gebirge ging. Welches Gebirge ist
  es? Welches Gebirge ist es? Das ist die übersubstantielle Höhe der göttlichen
  Majestät, die über allen Kreaturen schwebt, denn der Schleier der Dunkelheit
  hängt vor den Augen. Doch im Buch der
  Liebe begehrt die Seele, diese Höhe zu schauen und sagt: ‘Herr, ziehe
  mich zu Dir’,[13] denn ohne das Geleit seiner Hand können wir dorthin nicht
  gelangen. 
 | 
 
<:11a>Daz nun Maria mit ainer gähde gieng
  in daz gebirg da verstän ich der götlichen personen drivaltikait die in aines
  wesens ainikait ständ doch mit personlichem underschaid daz ist vater und
  vaterlichait sun und gaist.  
 | 
  
<:11b>Nun sprichet das ewangelio; das Maria mit
  ainer gäche gieng; in das gebirge. Do verstan ich der götlichen personen
  drivaltichait die in eines wesendes einikait stant, doch mit personlichem
  underschaide, das ist vater und vaterlichait sun und gaist.  
 | 
  
<:11a>Dass
  Maria in Eile in das Gebirge ging, verstehe ich als die Trinität der
  göttlichen Personen, die in einem einzigen, wesentlichen Einssein steht, doch
  mit Unterschieden der Personen, d.h. des Vaters und der Vaterschaft, des
  Sohnes und des Geistes. 
 | 
  
<:11b>Nun
  sagt das Evangelium, dass Maria in Eile in das Gebirge ging. Hierunter
  verstehe ich die Trinität der göttlichen Personen, die in einem einzigen,
  wesentlichen Einssein steht, doch mit Unterschieden der Personen, d.h. des
  Vaters und der Vaterschaft, des Sohnes und des Geistes 
 | 
 
<:12a>Nun
  merkent die höhi des gebirges. Augustinus sprichet daz der vatter sie ain
  ursprung al der gothait, des sunes und des gaistes beide personlich und
  wesenlich. Und sprichet Dyonisius daz in dem vatter sie ain usflütende oder
  ain river schenkende die gothait nach runs [204] der nature in dem wort des
  sunes und nach fluss der miltikait des willen in dem gaist. 
 | 
  
<:12b>Nun merkend
  die höhi des gebirges. Augustinus sprichet, das der vater sei ain ursprung al
  der gothait, des sünes und des gaistes; beide personliche und wesliche.
  [246v] So saget Dionisius das in dem vater si ein usflu°tende oder ain river
  schenkende die gothait nach rünse der nature; in dem worte des sunes; und
  nach flüsse der miltekait des willen in dem gaiste. 
 | 
  
<:12a>Nun
  bemerke die Höhe des Gebirges. Augustinus sagt, dass der Vater ein Ursprung
  der gesamten Gottheit sei, des Sohnes und des Geistes, sowohl persönlich wie
  wesentlich. Und Dionysius sagt, dass da im Vater ein Ausfließen oder ein
  Fluss sei, das die Gottheit anbiete, gemäß dem Fließen der Natur im Wort des
  Sohnes und gemäß dem Fluss der Güte des Willes im Geist. 
 | 
  
<:12b> Nun
  bemerke die Höhe des Gebirges. Augustinus sagt, dass der Vater ein Ursprung
  der gesamten Gottheit sei, des Sohnes und des Geistes, sowohl persönlich wie
  wesentlich. Und Dionysius sagt, dass da im Vater ein Ausfließen oder ein
  Fluss sei, das die Gottheit anbiete, gemäß dem Fließen der Natur im Wort des
  Sohnes und gemäß dem Fluss der Güte des Willes im Geist. 
 | 
 
<:13a>Nun
  merkent wie dem si ze dem usfluss des wortes usser des vatter hertzen und
  vernunft mu°ss daz sin daz got mit liecht sines bekentnisses uff sich selber
  blickte ain ainer wider bögugn uff göltich wesen so enmöht daz wort enpfangen
  und niht gezogen da von niht got gesin sunder es wär ain creatur und daz wär
  falsch. 
 | 
  
<:13b>Nun
  merkent wie dem sei ze dem usflusse des wortes usser des vaters hertzen und
  vernunft: mu°s das sein das got mit liechte seines bekantnisse; uf sich
  selber blickte; an ainer widerbógugne; uf göltich wesen; so enmöchte das wort
  enpfangen und nit gezogen; da von nit got gesin; sunder es were ain creatur
  und das were falsch. 
 | 
  
<:13a>Nun
  bemerke, wie es um das Ausfließen des Wortes aus dem Herz und dem Intellekt
  des Vaters steht. Wenn Gott mit dem Licht seiner Erkenntnis in einer
  Reflexion sich selbst auf das göttliche Wesen schauen muss, dann könnte das
  Wort empfangen, doch nicht anziehen. Darum wäre es nicht Gott, sondern eine
  Kreatur, was falsch wäre. 
 | 
  
<:13b> Nun
  bemerke, wie es um das Ausfließen des Wortes aus dem Herz und dem Intellekt
  des Vaters steht. Wenn Gott mit dem Licht seiner Erkenntnis in einer
  Reflexion sich selbst auf das göttliche Wesen schauen muss, dann könnte das
  Wort empfangen, doch nicht anziehen. Darum wäre es nicht Gott, sondern eine
  Kreatur, was falsch wäre. 
 | 
 
<:14b>Ze dem
  andern mal; das von dem widerwürfe götliches istes oder wesünge; so mu°s die
  vernuft des vaters sich bilden; oder sprechen in ainer nachfolgunge einer
  natürlichen gleichait, wann one das so enwere das wort nit ain sun; wann aber
  [247r] in diser geburd des wortes; die vernunft des vaters und der widerblick
  des widerwürfes, das ist gotlike substancie; und das usgrünende wort, dise
  drye sind ain an dem wesende; und das wir heten ainen underschaid; an den
  personen; so sprichet Iohannes: Das wort was in dem beginne bei gote; und da
  briefent mir des underschaides zaichen. 
 | 
  
<:14b>Zweitens,
  über den Reflex göttlichen Seins oder Wesens. Darum muss der Intellekt des
  Vaters sich selbst formen oder natürlicher Gleichheit sprechen, denn ohne
  dies wäre das Wort nicht Sohn, außer jedoch in dieser Geburt des Wortes. Der
  Intellekt des Vaters und die Reflexion des Objekts, dies ist göttliche
  Substanz. Und das Ausblühen des Wortes, diese drei sind eins im Wesen, so
  dass wir einen Unterschied in den Personen haben. So sagt Johannes: ‘Das Wort
  war am Anfang bei Gott’, und es zeigt mir den Unterschied an. 
 | 
 ||
<:15b>Zem
  dritten male mu°s das widerbögen und das widerbliken gotes uf sich selber in
  ainer ewigen stete uf das höchste (273) gespannen; gegenwürtige werke und
  übunge, da von die geburt ewig ist, wann und liesse got seine vernuft on ain
  geistliche mu°skait; ob ich das von im gesprechen tórste, von disem
  widerbliken ain stunde; so vergienge aller der drivaltikait underschaid; und
  bleibe nit me denn ain blos got on underschaid; als die iuden und haiden an
  got glaubent die der personen usflusses laugnent. 
 | 
  
<:15b>Drittens muss das
  Zurückbiegen und das Reflektieren Gottes auf sich selbst in einer ewigen
  Beständigkeit auf das höchste gespannt sein, eine gegenwärtige Aktion und
  Übung, durch die die Geburt stattfindet. Denn wenn Gott seinen Inellekt auch
  nur für einen Moment ohne vernünftige Notwendigkeit ließe – soll ich dies von
  ihm zu sagen wagen –, würde aller Unterschied in der Trinität vergehen und es
  bliebe nichts als der nackte Gott ohne Unterschied, wie Juden und Heiden,
  dass Gott ist, die das Ausfließen der Personen läugnen. 
 | 
 ||
<:16b>Von
  disem dritten [247v] stucke; ist das wort des vaters ewickliche; in dem
  ursprunge seiner geburt, und in dem iste der geburt, und in dem ende der
  geburt, da von ist er imer enpfangen, und ist geborn und wirt geborn. Der
  nement ain bilde in der lüchtuge; der luft, da ist ursprung der clarhait und
  des tages wesenhait; und des endes volkomenhait allein. Das ist das dritte
  stucke. 
 | 
  
<:16b>Von diesen dreien ist das
  Wort des Vaters ewig im Ursprung seiner Geburt, im Sein der Geburt und im
  Ende der Geburt, durch die er ewig empfangen ist, geboren wurde und geboren
  wird. Nimm ein Bild vom Licht: Die Luft ist da der Ursprung des Lichts und
  lässt den Tag entstehen und ist allein das vollkommene Ende. Dies ist die
  dritte Sache. 
 | 
 ||
<:17a>Dar
  nach merk wie wir den hailgen gaist vinden in disem gebirg. Daz merkent
  alsus. Dü substancie dü vernunft ist ain bekantniss die mu°ss och haben
  naigung nach der forme die in der vernunft [205] enpfangen ist in ir ende.
  Dis naigung daz ist wille. 
 | 
  
<:17b>Dar
  nach mercke wie wir den hailigen gaist; vinden in disem gebirge. Das secht
  und merkent also. Die substancie der vernuft ist ain bekantnisse die mu°s och
  haben neigunge nach den formen, die in der vernünft enpfangen sind in ir
  ende. Diese neigunge, das ist wille; dise werk gerunge ist lüst und süssikait
  und gnieten sich des besten. 
 | 
  
<:17a>Hiernach
  bemerkt, wie wir den Heiligen Geist in diesem Gebirge finden. Bemerkt dies auch. Die Substanz des
  Intellekts ist eine Erkenntnis, die auch eine Neigung zu den Formen haben
  muss, die letztlich im Intellekt empfangen werden. Diese Neigung ist der
  Wille. 
 | 
  
<:17b> Hiernach
  bemerkt, wie wir den Heiligen Geist in diesem Gebirge finden. Bemerkt dies
  auch. Die Substanz des Intellekts ist eine Erkenntnis, die auch eine Neigung
  zu den Formen haben muss, die letztlich im Intellekt empfangen werden. Diese Neigung ist der Wille. Das Begehren
  dieser Aktion ist Lust und Süße, und sie genießen das Beste. 
 | 
 
<:18b>Nun
  merkent der vorwurf der mynne; nicht nach dem gleichnisse der formen der
  [248r] nature; als der widerwurf der vernuft bekent in dem liechte des
  bekantnisse und, wenne dis wort flüsset us dem usblike des vaters, nach der
  formen der nature; mit personlichem underschaide; so haisset sein entgiessung
  von dem vater ein geburt. Wann aber dise weise an dem usrunse des willen und
  der mynne nit enist, da von die persone, die nach der mynne flu°te entgossen
  ist; von des vaters und des usgedrukes bildes in ewigem abgrunde; enmag weder
  sun haissen noch geborti wann aber die mynne vernuft ist in dem willen; in
  das das er mynnet; aber einer lebenden substancie von irm innerosten gehört
  an dem innersten, dar umb füge gote, des ursprung ist nach der mynne runse
  und des willen, das er gaist heisset.  
 | 
  
<:18b>Nun
  bemerke das Projekt der Liebe. Nicht gemäß der Gleichheit der natürlichen
  Formen, wie das Objekt des Intellekts erkennt, sondern wenn das Wort aus dem
  Prospekt des Vaters fließt gemäß der natürlichen Formen mit dem Unterschied
  der Personen, dann heißt sein Ausfließen vom Vater eine Geburt. Wenn jedoch
  dieses Rinnen aus Willen und Liebe nicht so ist, durch welches die Personen,
  die gemäß dem Fluss der Liebe und vom Eindruck des Bildes in einem ewigen
  Abgrund aus dem Vater ausgeflossen sind, kann man weder vom Sohn noch von
  einer Geburt sprechen. Wenn allerdings Liebe Intellekt ist, der in dasjenige
  hinein will, das er liebt, doch einer lebendigen Substanz seines Innersten,
  die dem Innersten gehört, dann, Gott bewahr, ist dieser Ursprung ein Rinnen
  der Liebe und des Willens, das Geist genannt wird.  
 | 
 ||
<:19a> [248v]
   
Paulus sprichet:
  Wer von dem gaist gottes getriben ist der ist gottes sun ob er dem tribere
  willeklichen volget.  
 | 
  
<:19b> [248v]
  Da von gibet Paulus unserm gaiste ain innwendig und zu° tribende manunge und
  sprichet: wer vom geiste gotes getriben ist, der ist gotes sun; ob er dem
  triber williclichen volget. Nun han ich mit churtzen worten usgesprochen, die
  ewigen gebirges höhi und seinen ursprung. 
 | 
  
<:19a> 
Paulus sagt:[14] ‘Wer
  vom Geist Gottes getrieben ist, der ist Gottes Sohn’, wenn man willentlich
  demjenigen folgt, der treibt. 
 | 
  
<:19b>Hierzu gibt Paulus unserem
  Geist eine innere und antreibende Ermahnung und sagt:[15] ‘Wer
  vom Geist Gottes getrieben ist, der ist Gottes Sohn’, wenn man willentlich
  demjenigen folgt, der treibt. Nun habe ich in wenigen Worten die ewige Höhe
  des Gebirges und seines Ursprungs erklärt. 
 | 
 
<:20a>Nun son
  wir och merken wie die sele zu° disem gebirge geklimmen muge. Dis ist der
  berg uff dem Moyses mit got wonte in dem vinsterniss des unbegriffelichen
  glantzes der götlichen klarhait da sprach er im zu° als ain fründ redet mit
  sinem fründe und wont mit im vierzig tag von antlitze ze antlitze ane liplich
  spise.  
 | 
  
<:20b>Nun
  sond wir och mercken wie die sele her zu° geklimmen müge. Das ist der berg;
  uf dem Moyses mit gote wonte; in der vinsternisse, des unbegriffenliches
  glantzes, der götlichen clarhait. Da sprach er im zw° als ain fründ redet mit
  seinem fründe, und wonte mit ime vierzig tage, von antlitze ze antlütze, ane
  leipliche speise.  
 | 
  
<:20a>Nun
  sollen wir also verstehen, wie die Seele diesen Berg erklimmt. Dies ist der
  Bergö, auf dem Moses mit Gott in der Dunkelheit des unbegreiflichen Glanzes
  der göttlichen Herrlichkeit gewohnt hat. Dort sprach er mit ihm, wie ein
  Freund zu einem Freund spricht, und er blieb vierzig Tage bei ihm ohne
  leibliche Speise. 
 | 
  
<:20b> Nun
  sollen wir also verstehen, wie die Seele diesen Berg erklimmt. Dies ist der
  Bergö, auf dem Moses mit Gott in der Dunkelheit des unbegreiflichen Glanzes
  der göttlichen Herrlichkeit gewohnt hat. Dort sprach er mit ihm, wie ein
  Freund zu einem Freund spricht, und er blieb vierzig Tage bei ihm ohne
  leibliche Speise. 
 | 
 
<:21a>Nun
  sond ir wissen gu°ten kind wenn die sele gaistliche in dis gebirg gat daz ist
  so si mit ainer vergessenen sinichait sich uf getrait ane [206] die hohen der
  obersten krefte der sele in dem si vindet ainen widerglantz des überweslichen
  liechtes. 
 | 
  
<:21b>Nun
  sond ir wissen gu°ten kind, wenne die sele gaistlich in dis gebirge gat, das
  ist so si mit einer vergessenen sinchait sich ufgetreit; in die hohen der
  obersten chreften der sele; in dem [249r] si vindet ainen widerglantze des
  überweslichen liechtes. 
 | 
  
<:21a>Nun
  sollt Ihr wissen, gute Kinder, dass die Seele geistlich in dieses Gebirge
  geht, wenn sie zu den höchsten Kräften der Seele aufsteigt mit einem
  sinnlichen Vergessen, wo sie eine Reflexion des überseienden Lichts findet. 
 | 
  
<:21b> Nun
  sollt Ihr wissen, gute Kinder, dass die Seele geistlich in dieses Gebirge
  geht, wenn sie zu den höchsten Kräften der Seele aufsteigt mit einem
  sinnlichen Vergessen, wo sie eine Reflexion des überseienden Lichts findet. 
 | 
 
<:22a>Dirre
  berg ist ain us gedruket bild der hailgen drivaltikait beide wesenlich und
  personlich.  
 | 
  
<:22b>Der berg ist ain usgedrucket bilde der heiligen
  drivaltichait; baide wesliche und personliche. Hie von sprichet die alte
  geschrift: die sunne warf ir liecht in das verguldete schilt; und da von
  widerschinen die berge. Dise sunne ist das liecht der substancie des
  götlichen wesendes, das (274) sprichet; sein liecht glentzet us dem vater; in
  die guldene schilte der götlichen clarhait, das ist in dem sun und in dem
  hailigen gaist, und da von widerschinen die berg, das sind die höhen selen;
  an dem bilde der hailigen drivaltikait. 
 | 
  
<:22a>Dieses
  Gebirge ist eine ausdrückliche Gattung der gesamten Trinität, sowohl der
  wesentlichen wie der persönlichen.  
 | 
  
<:22b> Dieses
  Gebirge ist eine ausdrückliche Gattung der gesamten Trinität, sowohl der
  wesentlichen wie der persönlichen. Hiervon sagt das Alte Testament:[16] ‘Die Sonne warf ihr Licht auf einen goldenen Schild
  und dieses reflektierte es auf die Berge.’ Diese Sonne ist das Licht der
  Substanz des göttlichen Wesens, d.h.: Sein Licht scheint aus dem Vater auf
  einen goldenen Schild des göttlichen Glanzes, das ist auf den Sohn und auf
  den Heiligen Geist, und diese reflektieren es auf die Berge, das sind die
  höheren Seelen im Bild der heiligen Trinität. 
 | 
 
<:23b>Da von
  sprichet Augustinus das an dem obrosten taile der sele das da mens oder
  gemu°t haisset, da hat got geschepfet mit der sele wesende; eine chraft die
  die maister haissent ain schlos oder ain schrein gaistlicher formen; und
  [249v] formlicher bilde. Dise chraft bildet dem vater der sele durch sein
  usfliessende gothait; von der er entgüsset allein den hort götliches wesendes
  in sein wort und in den gaist; doch mit personlichem underschaide, als das
  gehügnisse den chreften der sel us güsset den schatz der bilde.  
 | 
  
<:23b>Hierzu
  sagt Augustinus, dass im höchsten Teil der Seele, die Mens oder Verstand genannt wird, dort habe Gott zusammen mit dem
  Wesen der Seele eine Kraft geschaffen, die die Meister ein Schloss oder ein
  Kästchen der geistigen Formen und förmlichen Bilder nennen. Der Vater schafft
  diese Kraft der Seele durch die ausfließende Gottheit, von der er einzig in
  den Hort des göttlichen Seins ausgießt, in sein Wort und in seinen Geist, und
  zwar mit dem Unterschied der Personen, wie die Erinnerung den Schatz der
  Bilder in die Kräfte der Seele ausgießt. 
 | 
 ||
<:24b>So die
  sele in der kraft schowet der ussersten creaturen bilde, ioch aines engels
  und ioch irs selbes; noch denne ist das bilde des vaters nit lauter
  usgedrucket in der sele. So aber die wesliche vernuftiger in got us der sele
  <flüsset> so vindet si got mit wesunge ligende gegenwürtig in der
  chraft beslossen, als das servilen gotes weslicher in wonunge von dem ersten
  puncten seiner geschepfnisse; mochte man noch itel sein of eens niet en moege
  sijn aen dander out der cracht. Doe wort verwerc een ander cracht in hoer die
  heit vernuyfticht. 
 | 
  
<:24b>Wie die
  Seele in dieser Kraft die Bilder der äußeren Kreaturen schaut, auch eines
  Engels und auch von sich selbst, so ist das Bild des Vaters in der Seele
  nicht rein ausgedrückt. Wenn jedoch das intellektuelle Wesen in Gott aus der
  Seele ausfließt, dann findet sie Gott mit dem Wesen eingeschlossen in diese
  Kraft liegend und dort gegenwärtig. Da das geringere Wesen Gottes von dem
  ersten Punkt seiner Kreaturen einwohnt, könnte man noch verstiegen sein, ob
  es nicht noch eine andere Kraft geben könne. Diese Überlegung verwirft eine
  andere Kraft in ihr, die Intellekt genannt wird. 
 | 
 ||
<:25b>Hier in
  ontgietet die ziele dat ewige wort mitten vader dat in den vader ewich is enn
  et doch die ziele tijtlic ontfact. Out desen tween gedenckenins enn
  vernuyfticheit voer erreysinge behagen enn een wonlike gelust die wecket een
  neyginge der vernüyfticht dat is des willen. Van den orspronc daer af die
  geest outgoten is van den vader enn van den worde. Enn dan mit desen willen
  enn mit al den crachten der zielen keert hem die mensche in got enn beginnet hen
  enn dan soe bekennet si hoe hoer belde of yegelic belde in gade ewelic glauyt
  hebben hem gelijt enn got mit gade enn oek hoe got sijn belde in hor gedenct
  hevet. Der is gegaen in dat geberge daer die maiesta moent soe wie hier toe
  comen wil die moet iagen enn zelen. Dit sprict dat wort dat maria giut in dat
  geberge komes du tot desen soe vergeet dy anxt enn sorge.  
 | 
  
<:25b>Hierin gießt die Seele das
  ewige Wort, das ewig im Vater ist, zusammen mit dem Vater, doch welches die
  Seele in der Zeit entlässt. Aus diesen beiden, Erinnerung und Intellekt,
  entsteht ein Behagen und eine wohnliche Lust, die die Neigung des Intellekts erweckt, die der Wille ist. Vom
  Ursprung, in welchem der Geist aus dem Vater und aus dem Wort gegangen ist, und
  dann zusammen mit diesem Willen und mit allen Kräften der Seele, kehrt der
  Mensch heim zu Gott. Und wenn sie dann beginnt, dann erkennt sie hier ihr
  Bild, da jegliches Bild in Gott ihm gleich zu sein scheint, und Gott mit Gott
  ist, und Gott so sein Bild in sie gesetzt hat, dieser ist in das Gebirge
  gegangen, von dem die Meister sprechen wollten. Wer hierzu kommen will, der
  muss die Seele jagen. Das bezeichnet der Vers, dass Maria in das Gebirge ging.
  Wenn Du dessen stirbst, vergehen Angst und Furcht. 
 | 
 ||
<:26b>Daer toe help
  ons got. Amen. 
 | 
  
<:26b>Dass
  Gott uns hierzu helfe. Amen. 
 | 
 
Predigt T6,2* [Pfeiffer 17]
<:1>In principio erat verbum. 
 | 
  
<:1>In principio erat verbum.[3] 
 | 
 
<:2>Die
  meister sprechent von dem êwigen worte. Got gesprach nie kein wort mê danne
  einz und daz selbe ist noch ungesprochen. Daz sol man
  alsô verstân. Daz êwige wort ist daz wort des vater und ist sîn einborn sun, unser herre Jêsus Kristus. In dem hât er gesprochen alle crêatûren âne anevang und âne ende. Dâ wirt bewêrt, daz daz wort noch ungeborn ist, wand ez ûz dem vater nie enkam. Diz wort sulle wir verstân in vierhande wîse. 
 | 
  
<:2>Die Meister sprechen vom ewigen Wort. Gott hat niemals mehr als
  ein einziges Wort[4] gesprochen und dieses ist immernoch
  unausgesprochen. Dies hat man wie folgt zu verstehen: Das ewige Wort ist das
  Wort des Vaters, und es ist sein eingeborener Sohn, unser Herr Jesus
  Christus. In ihm hat er ohne Anfang und ohne Ende alle Geschöpfe geäußert. Das
  wird damit gestützt, dass das Wort noch ungeboren ist, denn es kam nie aus
  dem Vater heraus. Dieses Wort müssen wir auf vierlei Weise
  verstehen:  
 | 
 
<:3>Daz erste ist ûf dem altar zwischent des priesters henden.
  Dâ sulle wir das êwige wort bekennen unde minnen, als wir in
  dem êwigen worte dem himelischen vater erschînen suln.  
 | 
  
<:3>Erstens, auf dem Altar zwischen den Händen des Priesters. Dort
  sollen wir das ewige Wort wissen und lieben, wie wir dem himmlischen Vater im
  ewigen Wort erscheinen sollen.  
 | 
 
<:4>Ze dem anderen mâle suln wir bekennen das êwige wort, daz dâ fliuzet von dem meister ûf dem stuole. Wir sullen ez nemen in sîner eigenschaft als daz wazzer fliuzet dur den kenel, alsô fliuzet daz êwige wort dur den meister. Wir sullen niht
  ansehen, ob der meister stât in dekeinem gebresten: wir suln daz êwige wort ansehen in sîme wesenne, als ez êwiclîche gevlozzen ist ûz dem grunde sîn selbes.  
 | 
  
<:4>Zweitens, sollen wir das ewige Wort erkennen, das dort von des
  Meisters Stuhl herabfließt. Wir sollen es aufnehmen in der Art, wie Wasser
  durch einen Kanal fließt, so fließt das ewige Wort durch den Meister. Wir
  dürfen kein Ansehen darauf ahben, ob der Meister irgendwelche
  Unzulänglichkeiten hat, sondern wir sollen auf das ewige Wort und sein Sein
  achten, wie es ewig aus dem Grund seiner selbst geflossen ist. 
 | 
 
<:5>Ze dem dritten mâle sulle wir daz êwige wort verstân an allen den friunden unsers herren, die
  dem êwigen worte gevolget habent und daz bewêret ist in dem êwigen lebende und och die, die ime nâch volgent in der zît, daz sint alle die dâ stênt mit lebenne in unserm herren Jêsû Kristô.  
 | 
  
<:5>Drittens, sollten wir das ewige Wort durch alle Freunde des
  Herrn erkennen, die dem ewigen Wort gefolgt sind und im ewigen Leben für es zeugen,
  doch auch durch diejenigen, die ihm in der Zeit gefolgt sind, wie all
  diejenigen, die hier in unserem Herrn Jesus Christus leben.  
 | 
 
<:6>Ze dem vierden mâle sulle wir verstân daz êwige wort, daz dâ wirt gesprochen in die blôzen sêle von der blôzen gotheit; daz ist unwortlich, wan diu sêle enkan sîn niht geworten. 
 | 
  
<:6>Viertens, wir sollen das ewige Wort dadurch erkennen, dass es
  durch die nackte Gottheit in die nackte Seele gesprochen wurde;[5] dies geschieht ohne Worte, denn die
  Seele kann ihn nicht in Worte fassen. 
 | 
 
<:7>Ir sulnt wizzen, daz daz êwige wort sich selber gebirt in die sêle, sich selbe selber, und niut minre sunder underlâz. Wizzent, daz diu sêle daz ewig wort baz bekennet denne alle
  meister geworten künnen. Waz man geworten mac, daz ist alzekleine, dâ von hât si daz êwige wort bî einer stunde verrihtet. Hie sprechent die meister, daz wir billîche sullen îlen zuo der schuole, dâ der heilige geist lesemeister ist. Und wizzent, wâ er lesmeister ist und sîn sol, dâ wil er studenten wol bereitet vinden, daz si sîne edele lêre wol verstân mügen, diu ûz des vater herzen fliuzet.  
 | 
  
<:7>Ihr sollte wissen, dass das ewige Wort sich selbst in die Seele
  gebiert, sich selbst durch sich selbst, nicht weniger und ohne Unterlass. Bedenkt,
  dass die Seele das ewige Wort besser kennt als alle Meister es ausdrücken können.
  Was wir ausdrücken können, is doch zu klein, weswegen sie das Wort in einem
  Augenblick gefunden hätte. Hierzu sagen sie Meister,[6] dass wir recht zur Schule rennen sollen,
  wo der Heilige Geist der unterrichtende Meister ist. Und bedenke: Wo der
  Meister, der unterrichtet, ist und sein soll, dort wünscht er sich
  Studierende zu finden, die wohl vorbereitet[7] sind, so dass sie seine noble Lehre[8] recht verstehen können, die aus dem Herz
  des Vaters fließt.[9]  
 | 
 
<:8>Nû hât diu sêle, ob si wil, den vater und den sun und den heiligen geist: dâ fliuzet si in die einikeit und dâ wirt ir geoffenbâret blôz in blôz. Und daz sprichet unser meister, daz nieman hie zuo komen mac, die wîle er von nideren dingen als vil anhaftunge hât, als einer nâdelen spitze getragen mac. In die blôzen gotheit mac nieman komen, er ensi denne als blôz, als er was, dô er ûze gote gefloezet wart.  
 | 
  
<:8>Nun hat die Seele, ob sie will oder nicht, den Vater und den
  Sohn und den Heiligen Geist: und sie fließt in die Einheit, wo ihr nackt durch
  nackt geoffenbart wird. Und dies sagt unser Meister,[10] dass niemand dieses erlangen kann,
  solange er sich an niedere Dinge klammert, die eine Nadelspitze tragen kann.[11] Niemand kann in die nackte Gottheit, es
  sei denn man ist so nackt, wie man war, als man aus Gott ausgeflossen ist.  
 | 
 
<:9>Hierumb mGsz sich die sel in dero dise geburt
  geschehen sol gar lauter halten/ vnd gar adelich leben/ vnd gar eynig vnd
  innen sein/ nit auszlauffen in die fünff synn/ vnd in die manigfaltikeit der
  creaturen/ sunder sy sol in dem lautersten wonen vnd sein. <als ich vor
  mer gesprochen hab>: Das wircken das got wirckt in einer ledigen seel/ die
  er lauter vnd blosz findet abgescheiden also das er sich in sy geistlichen
  geberen mag/ das wer got lustlicher/ vnd trûge me gottes in im/ dann daz
  werck/ in dem er alle creaturen von nüt geschaffen hat. 
 | 
  
<:9>Darum muss sich die Seele, in der diese Geburt geschehen soll,
  völlig rein halten, entsprechend fein leben völlig eins und innerlich sein,
  nicht sich in die fünf Sinne zu verrennen und in die Vielfalt der Geschöpfe,
  sondern sie soll in dem Reinsten wohnen und sein. Wie ich es schon gesagt
  hatte:[12] Gottes Wirken, das er in einer freien
  Seele wirkt, die er rein, nackt und abgeschieden und die will, dass er sich
  geistig in sie hineingebiert, gibt Gott mehr Luswt und trägt mehr von Gott in
  ihn als das Werk, in welchem er alle Geschöpfe aus dem Nichts geschaffen hat. 
 | 
 
<:10>Ist ein frag/ was daz meine/ das es im so lustig sey für alle
  ander werck/ die er ye geschGff an allen creaturen. Das ist darumb/ das
  gott kein creatur hat/ die also weyten begriff hab/ da got sein macht/ und
  den grund seins wesens also volkommenlich ynschreyben m=g oder yngiessen/ als in dem werck/ da er sich
  geystlich gebirt in die sel. Gottes geberen in die sel als ich vor mer
  gesprochen hab ist nit anders/ dann daz sich gott der sel offenbart in einer
  neüwen weysz. 
 | 
  
<:10>Hier gibt es eine Frage, was es bedeute, dass es eine solche
  Lust für ihn bereite mit Blick auf alle anderen Werke, die er jemals in allen
  Geschöpfen getan hat. Der Grund hierfür ist, dass Gott kein Geschöpf hat, das
  einen so breites Verständnis hat, um Gott zu ermöglichen, dass er sich in
  dieses einschreiben kann, seine Macht in es eingießt und den Grund seines
  Seins, als in diesem Werk, in welchem er sich selbst in die Seele gebiert. Gottes
  Gebären in die Seele, wie ich zuvor sagte,[13] ist nichts anderes als dass Gott sich auf
  eine neue Weise offenbart. 
 | 
 
<:11>Hie ist ein frag/ ob der selen h=chste seligkeit lig in dem werck do sich got
  geistlichen also in sy gebirt? Nun merckent/ das wer allein/ das got gr=sser wollüst nemm in disem werck dann in allen den
  wercken die er ye gewirckt hat in hymel vnd vff erden/ in den creaturen.
  Dannocht ist die seel vil seliger von dem werck do sy sich wider jn gebirt/
  wiewol got in sy geboren wirt/ aber das macht sy nit vollen selig/ sonder das
  macht sy selig/ das sy mit inniger liebe vnd vereinigung volget der bekantnusz
  die in sy geboren wirt wider in den vrsprung vsz dem sy geborn ist/ vnd der
  vrsprung ir beider sich haltet vff das sein/ vnd abgat dem iren/ vnd da ist
  sy nit selig von dem iren/ mer sy ist selig von dem seinen. 
 | 
  
<:11>Hier stellt sich die Frage, ob das höchste Glück der Seele in
  diesem Werk liegt, in welchem sich Gott selbst geistig in sie gebiert? Nun
  beachte, dass dies alleine bedeuten würde, wenn Gott eine größere Lust an
  diesem Werk gewonnen hätte als an allen anderen Werken, die er je an
  Geschöpfen getan hatte,  im Himmel und
  auf der Erde. Dennoch ist die Seele viel glücklicher durch das Werk, wenn sie
  sich wieder in ihn gebiert, auch wenn Gott in sie geboren wird. Doch dies
  macht sie noch nicht vollends glücklich. Wenn sie aber in intimer Liebe und
  Vereinigung der Kenntnis folgt, die in sie zurück geboren wurde, in ihren
  Ursprung, von welchem sie geboren wurde, dies macht sie glücklich, und der
  Ursprung der beiden verweist darauf, was sein ist, und das Ihre verschwindet,
  und darum ist sie nicht glücklich aufgrund dessen, was ihr ist, sondern
  vielmehr ist sie glücklich durch das Seinige. 
 | 
 
<:12>Hie sprechent die meister und gent uns einen wîsen rât, daz wir gote sîn êre lâzen und enpfâhen von ime alliu dinc sunder mitel unde
  niht von den crêatûren. Alsô lâzen wir gote sîn êre unde lâzen in würken swie er wil und swenne er wil unde sîn wir lidig unde blôz. Wand wir sullen daz bekennen, daz got
  tuot alliu dinc umbe daz beste. Hie sulle wir doch gote helfen alle sin êre behalten als verre ez an uns ist.  
Ein meister sprichet, daz ein künic niht vil ahtet ûf die knehte, die ime würkent nideriu werc, mêr: er ahtet der, die dâ sint in sîner heimlîchen kameren, und tuot den alzemâle iren willen. Alsus tuot got mit sînen ûzerwelten friunden, die dâ sint in sîner verborgenen heimlicheit: den verseit got einheiner bete. Die meister
  sprechent, daz vil liuten ze himelrîche kome, die götlîcher heimlicheit niht mêr enbrûchent ûf ertrîche, denne als einer der liehten sunnen in einem vinsteren walde.  
 | 
  
<:12>Hierzu sagen die Meister,[14] indem sie uns weisen Rat geben, Gott
  seine Ehre zu belassen und von ihm alles zu empfangen, ohne Vermittlung, auch
  nicht von Geschöpfen. Folglich lassen wir Gott seinen Ruhm haben, lassen ihn
  handeln, wie er will und wann er will, und stehen bloß und nackt. Denn wir
  sollen wissen, dass Gott alles zu unserem Besten tut. Also sollen wir Gott
  helfen, soweit wir es vermögen, um ihm seine Ehre zu lassen.  
Ein Meister sagt, dass ein König sich nicht so sher um sene Diener
  kümmert, die die niederen Tätigkeiten verrichten, sondern vielmehr nach
  denjenigen Dienern schaut, die in seinen Privatgemächern anwesend sind,[15] und denen er insbesondere seine Wünsche
  erfüllt. So tut Gott mit seinen Freunden, die nicht von dieser Welt sind,
  sondern die in seinen verborgenen Gemächern sind:[16] ihnen verwehrt Gott keinen Wunsch. Die
  meister sagen, dass viele Menschen ins Himmelreichkommen, die nicht länger
  die göttliche Vertrautheit auf Erden benötigen, im Unterschied zu denen, die
  eine gleisende Sonn in einem dunklen Wald [brauchen].   
 | 
 
<:13>Her umbe sulle wir begern ûf daz aller hoehste unde daz vollebringen mit lebenne unde mit grôzem willen. Âmen. 
 | 
  
<:13>Darum sollten wir das Höchste begehren und es mit einem
  entschiedenen Willen im Leben vollbringen. Amen. 
 | 
 
Predigt T10,4* [Pfeiffer 105; Löser 1, 1999]
In epiphania Domini
‘Stand awff iherusalem vnd wirt erlewcht’ (Is. 60:1)
<:1>[69vb] Stand awff iherusalem vnd wirt erlewcht.   | 
  
   <:1>‘Steh auf, Jerusalem,
  und werde erleuchtet.’[7]   | 
 
| 
   <:2>Dz wart wern zS gleihent der hachtzeit vnser frawn als
  sy irn sun vnsern herren ihesum christum in dem tempel hat geopphert vnd
  gehörn eim yeden menschen zS der sich in den ebenpilden vnser frawn
  pegert ze Mben. wann das selb ist dy grözzt er dy
  man ir ertzaigen mag.   | 
  
   <:2>Dieser Vers ist der Hochzeit unserer Frau gewidmet, als sie
  ihren Sohn, unseren Herrn Jesus Christus, im Tempel geopfert hatte, doch sie
  gehören einem jeden Menschen, der das Vorbild unserer Frau annehmen will,
  denn dies ist die größte Ehre, die man ihr erweisen kann.  | 
 
| 
   <:3>pey den ersten warten sol man dreyerlay awffsten von vnserer
  frawn merkchen. Des ersten stuend sy awff in eim gantzen willen got in allen dingen genueg ze sein dy er von
  ir haben wolt mit seim insprechen. Dar vmb nam sy tzwischen ir vnd got also zS das sy des ersten lusts den sy von got enphieng in irm
  hertzen nye vermisst durch chainer creatur willen. wann ir smekchen alle
  tzeitleiche ding so gar Mbel das sy von der tzeit vnd sy sich mit irm
  willen zw got chert sich mit chain creatur pechumert. Dar vmb wer ir well
  nach volgen der gleich sich nach seim vermügen [70ra] irm rainen gueten
  leben.   | 
  
   <:3>Bezüglich der ersten Worte soll man ein dreifaches Aufstehen
  unserer Frau bemerken. Erstens stand sie auf, völlig entschieden Gott in allem
  zu genügen, das er von ihr wollte, indem er in sie hinein sprach. Aus diesem
  Grund wuchs sie in ihrer Beziehung zwischen ihr und Gott, so dass sie niemals
  das erste Begehren, das sie von Gott in ihrem Herzen empfing, wegen
  irgendeiner Kreatur aufgab.[8]
  Denn alle zeitlichen Dinge sind ihr so zu wider, dass sie sich willentlich
  von der Zeit und von sich selbst ab- und Gott zuwandte, ohne um irgendeine
  Kreatur bekümmert zu sein. Wer also ihr folgen will, der gleiche sich ihrem
  reinen und guten Leben an, soweit er kann.  | 
 
| 
   <:4>zwm andern
  mal stuend maria awff in einer inprünstigen pegier all menschen zw tziehen zw
  Mben vnd zw pringen dy ding zw würchen dy got
  von in pegert. Dar vmb ist ir leben ein straff gwesen aller prechleichen
  ding. wann sy hat dar vmb mit den menschen ir wanung gehabt das sy durch ire
  guete ebenpild zw got tzogen wurden. Sy hat tröst dy petruebten vnd
  gesterkcht den glauben
  vnd versagt nyembt irn rat.   | 
  
   <:4>Zweitens stand Maria auf in einem glühenden Begehren, alle
  Menschen dazu zu bringen, die Dinge anzunehmen und zu praktizieren, die Gott
  von ihnen will. Darum war ihr Leben ein Tadel aller schwachen Dinge,
  denn sie hatte ihre Wohnung bei den Menschen, damit diese durch ihr gutes
  Vorbild zu Gott gebracht würden. Sie hat die Betrübten getröstet und den
  Glauben gestärkt und hat niemandem ihren Rat versagt.  | 
 
| 
   <:5>Aber nw
  fliehen guet scheinig lewt in chlöster vnd in chlausen das sy ledig wern der
  anvechtung leipleicher ding. Es ist guet ob sy got dar inn lawter mainen aber
  es ist ze fürchten der ettleich mainen sich selber mer dar inn dann got.
  Söleich sind weder Junchfrawn noch geistleich lewt noch geperer gueter ding.
  Maria was ein Junchfraw vnd ein geistleicher mensch vnd ein gepererinn gots.   | 
  
   <:5>Nun fliehen jedoch scheinbar gute Leute in Klöster und in
  Klausen, um frei von Anfechtungen leiblicher Dinge zu werden. Dies ist gut,
  wenn sie dadurch ausschließlich Gott im Blick haben, doch es ist zu
  befürchten, dass viele eher an sich denken als an Gott. Solche sind keine
  Jungfrauen oder geistliche Leute, noch Gebärer guter Dinge. Maria war eine
  Jungfrau, und ein geistlicher Mensch und eine Gottesgebärerin.  | 
 
| 
   <:6>Sy was ein
  Junchfraw wann chain creatur het rue in irer sel dann got allein. Sy was ein
  geistleicher mensch wann alle ire werch dy sy tzwischen ir vnd got waricht
  die volpracht sy nach den aller edlisten tugenten dy sy verstuend vnd dar zS sy von got vermant wart. Sy was auch ein gepererinn
  gots wann sy gots in [70rb] irer
  sel mit t(gleicher gnad nye vermisst. Dar vmb wer
  mariam der Junchfrawn well nachuolgen vnd ir leben ern vnd zw irm lob chömen
  wil der mues ein Junchfraw sein. Das ist er mues sein selbs vnd aller ding
  ledig sein so er sich in der creatur mer vintt dann in got. Vnd wer auch
  mariam rechtern wil der mues ein geistleich mensch sein. Das ist er mues
  durch gots willen altzeit dy ding lieber lassen dann dy er von aigem willen
  lieber pehielt. Auch wer ein gepererinn gots well sein der mues der lieb gots
  in seim hertzen nymer an sein also das er sich scham so in ein ander in tugenten
  vor get.   | 
  
   <:6>Sie war eine Jungfrau, denn keine Kreatur hat einen Ruheplatz
  in ihrer Seele, sondern alleine Gott. Sie war ein geistlicher Mensch, denn
  alles, was sie tat in der Beziehung zwischen ihr und Gott, erfüllte sie der
  edelsten Tugend gemäß, die sie verstand und zu der sie von Gott angeleitet
  war. Sie war auch eine Gottesgebärerin, denn aus täglicher Gnade hat sie von
  Gott nie in ihrer Seele abgelassen.[9] Wer folglich Maria folgen will, ihr
  Leben ehren und zu ihrem Lob kommen will, muss eine Jungfrau sein, d.h., er
  muss frei von sich selbst und allen Dingen sein, falls er sich eher in der
  Kreatur als in Gott findet. Und wer es auch Maria recht machen will, der muss
  ein geistlicher Mensch sein, d.h., man muss eher Dinge loslassen um Gottes
  willen, als sich zuliebe an Dingen festhalten. Wer auch eine Gottesgebärerin
  sein will, darf nie ohne Gottes Liebe im eigenen Herz sein, so dass man sich
  schämte, wenn man eine andere Tugend bevorzugte.  | 
 
| 
   <:7>zwm dritten mal stuend maria awff in warer diemuetichait vnd in
  dem vernichten aller creatur. wann sy ward mit willen noch mit pegier noch
  mit pöser mainung nye periiert das ir yembt solt vntertan sein noch dienn
  durch irer heilichait willen. Sölcher diemuetichait gehörn drew ding zS.   | 
  
   <:7>Drittens stand Maria auf in wahrer Demut und in Verneinung
  jeglicher Kreatur. Denn sie wurde nie vom Willen, vom Begehren oder von üblen
  Absichten berührt, so dass For she was never touched by will, by desire or by
  bad intention, so dass ihr niemand untertan sein soll oder ihr wegen ihrer
  Heiligkeit dienen sollte. Zu solcher
  Demut gehören drei Dinge.   | 
 
| 
   <:8>Das erst ist icht. Der sol icht sein der sich in tugenten wil Mben also das er als das im leben pesezzen hab was er
  von got verstet vnd erchennt ee er es yembt offenbart.   | 
  
   <:8>Das erste ist Etwas. Der soll ein Etwas sein, der Tugenden so
  üben will, so dass er all das im Leben besessen hat, was er von Gott versteht
  und erkennt, bevor er es jemand erklärt.   | 
 
| 
   <:9>Das ander das der diemuetichait zS gehört ist nicht. Das ist das wir vns als des guets
  das got in vns würcht als vmb einn awgenplich vns selber nichts süllen zS aigen ob wir es halt nach seim allerliebsten willen [70va]
  volpringen. wann es ist sein vnd nicht vnser.   | 
  
   <:9>Das zweite, das der Demut zugehört, ist Nichts, d.h. dass wir
  von dem Guten, das Gott in uns tut, wir keinen Augenblick es als Eigenes
  betrachten, wenn wir es tatsächlich seinem Willen gemäß erfüllen, denn es ist
  das Seine und nicht das Unsere.  | 
 
| 
   <:10>Das tritt das zw der diemuetichait gehört ist nichts nicht.
  Das ist ein geistleichen menschen sol vasst missuallen so ander an im
  geergert wern von seins groben leben willen. vnd vmb das sol er sich
  tiemuetigen vnd sol der aller diemuetigisten Junchfrawn marie diener vnd
  nachuolger sein von der dy ersten wart sprechen. wirt erleucht. wann sy ward
  löbleich erlewcht da sy den willen gots volchömenleichen erchannt in dem
  volpringen der ee gesetz da sy als am hewtigen tag Jesum irn sun in den
  tempel opphert des sy zw chainer rainigung nicht pedarfft noch schuldig was.   | 
  
   <:10>Das dritte, das zur Demut gehört, ist Nichts des Nichts, d.h.
  ein geistlicher Mensch soll das Fasten missfallen, auch wenn andere Menschen
  sich wegen des ungehobelten Lebens ärgern. Und darum soll man sich selbst
  demütigen und der demütigste Diener der Jungfrau Maria werden und ein
  Nachfolger dessen sein, was die ersten Worte bedeuten: ‘werde erleuchtet’. Denn
  sie war auf lobende Weise erleuchtet, da sie vollkommen den Willen Gottes
  erkannte, als sie das Gesetz des Alten Testaments erfüllt, wenn sie am
  heutigen Tag ihren Sohn, Jesus, im Tempel opfert, auch wenn sie keinerlei
  Reinigung brauchte oder ihrer schuldig war.  | 
 
| 
   <:11>Maria dy Jundhfraw ward auch erlewcht da sy sich in rechter
  lieb aws ir selber zw got erhueb Mber alle creatur vnd Mber ir aigen vermügen. vnd vmb das enphieng sy ein
  sölhe freihait von got das sy chain sünt tuen mocht.   | 
  
   <:11>Maria, die Jungfrau, wurde auch erleuchtet, als sie sich über
  alle Kreaturen und über ihr eigenes Vermögen hinaus in rechter Liebe zu Gott erhob.
  Und hieraus erhielt sie eine solche Freiheit von Gott, dass sie nicht
  sündigen könnte.   | 
 
| 
   <:12>Sy ward auch erlewcht da sy in dem liecht gots erhaben ward in
  dem sy ir verstentichait in chainer mynnern lieb volpracht dann ob sy in dem
  selben punkcht solt gestarben sein. Dar vmb wer mariam dy Junchfrawn well ern
  der sol aws lieb den willen gots also pesitzen was er leidens vnd widerw(rtichait vber in verhengt das er des nymmer peger ledig
  ze sein. wann man list nyndert von ir das sy got peten hab das er sy leidens Mberhüeb.   | 
  
   <:12>Sie wirde auch erleuchtet, als sie in das Licht Gottes erhoben
  wurde, in welchem sie ihr Wissen in keiner geringeren Liebe vervollkommnete,
  als wenn sie genau in diesem Augenblick gestorben wäre. Wer also Maria, die
  Jungfrau, ehren möchte, soll den Willen Gottes auf eine Weise besitzen, dass,
  welches Leid und welche Widerwärtigkeit er auch immer über ihn verhängt, er
  nie darum bitte, davon frei zu sein. Denn man liest nirgends von ihr, dass
  sie Gott darum gebeten hätte, sie über das Leid hinaus zu heben.[10]  | 
 
| 
   <:13>Der namen Jerusalem pedewt tzwayerlay ein stat des frits vnd
  ein stat des ge[70vb]sichts. Vnd dy tzway hat an ir gehabt maria dy
  Junchfraw. wann sy hat in der warhait gantzen frid gehabt vnd ist auch dy
  stat in der got nach allem seim willen geworcht hat. Sy hat auch ein lawters
  peschawn gehabt im Mben der tugent werch wie sy got aws rechter
  lieb möcht genueg tuen. Im puech der lieb spricht dy prawt. Mein lieb ist mir
  vnd ich pin im. Das ist got ist einer liebhabunden sel so gar genueg das sy
  so pald nymmer pegern mag oder got sey ir ee peraitter ze geben, Als sand
  Augenstin spricht Got ist mir nahenter dann ich mir selber pin. vnd also ist
  der alm(chtig got vnser frawn so nahent gwesen das
  er das wesen irer sel ee geledigt hat von dem vermügen mit dem sy sich mit
  prechen möcht veraint haben ee dann sy es pegert vnd suecht.   | 
  
   <:13>Der Name Jerusalem hat zwei Bedeutungen, einen Ort des
  Friedens und einen Ort der Offenbarung. Und Maria besaß beide in sich. Denn,
  in Wahrheit, sie hatte vollkommenen Frieden, und sie ist der Ort, an welchem
  Gott seinem ganzen Willen gemäß handelt. Sie befand sich auch in einer reinen
  Schau, während sie die Werke der Tugend tat, da sie Gott aus rechter Liebe
  heraus genügen wollte. Die Braut sagt im Buch
  der Liebe:[11] ‘Mein Liebhaber gehört zu mir und ich zu
  ihm’, d.h. dass Gott genügt einer liebenden Seele so sehr, dass sie bald
  nicht mehr begehren kann, oder dass Gott eher ihr zu geben bereit ist,[12] wie der heilige Augustinus sagt:[13] ‘Gott ist mir näher als ich mir selber bin.’
  Darum war der allmächtige Gott unserer Frau so nahe, dass er ihre Seele von
  der Möglichkeit befreit hat, sich mit Schwächen zu vereinen, noch bevor sie es
  sich gewünscht oder darum gebeten hätte.  | 
 
| 
   <:14>Vnd zw dem hat sy wol sprechen mügen dy awgen meins frewnts
  haben mich anplikcht wann es haist wol ein anplikchen so sich das liecht gots
  in dy sel ergewst. Als Richardus spricht Mber das puech der tugent wann das götleich liecht dy
  sel durch get so wirt sy ir selber als vngesmach in allen irn wechen das sy
  sich selber nicht leiden mag in tugent vnd sy tugentleich ist sunder sy halt
  sich des götleichen gesmachen.   | 
  
   <:14>Und hierzu hätte sie sagen können: Die Augen meines Freundes
  haben mich angeschaut, denn das ‘Anschauen’ ist erwähnt, wenn das Licht
  Gottes in die Seele gießt, wie Richard über das Book of Virtues spricht: Wenn das göttliche Licht durch die Seele
  geht, dann missfällt sie sich in all ihren Aktivitäten, so dass sie sich weder
  in der Tugend noch im tugendhaft Sein ertragen kann, statt dessen hält sie
  sich daran, Gott zu mögen.   | 
 
| 
   <:15>Vnd dar vmb hat dy lieb Junchfraw maria wol [71ra] sprechen
  mügen mit dem weissagen. wer geit mir vedern als einer tawben das ich fliegen
  müg zw dem der mein sel lieb hat. Vnd ist als ob sy spr(ch wer geit mir sölhe vernufft mit der ich mich Mber alle creatur erhüeb vnd in tzeit Mber alle tzeit. Da von spricht sand Augenstin Mein sel
  ist da mer da sy lieb hat dann da sy dem leichnam das leben geit. Vnd also
  hat vnser fraw got als verre gevoligt das sy weder awff ir selber noch awff
  chainer creatur geruet hat mit chain lusst sunder sy wolt den allain haben zw
  lust der sich ir geben het.   | 
  
   <:15>Und aus diesem Grund hätte die geliebte Jungfrau Maria mit dem
  Propheten sprechen können:[14] ‘Wer gibt mir die Federn einer Taube, dass
  ich zu dem fliegen kann, der meine Seele liebt.’ Und es ist, als ob sie
  gesagt hätte: Wer gibt mir einen solchen Intellekt, durch den ich mich über
  alle Kreaturen hinweg und in der Zeit über alle Zeit hinaus erhebe. Hierzu
  sagt der heilige Augustinus:[15] ‘Meine Seele ist eher, wo sie liebt, als
  da, wo sie dem Leib Leben gibt.’ Und so ist unsere Frau Gott so weit gefolgt,
  dass sie ohne Begehren bei sich selbst oder einer Kreatur ruhte, und statt
  dessen den allein zur Lust haben wollte, der sich ihr gegeben hatte.  | 
 
| 
   <:16>vnd ein sölhe sel dy got so verre gevoligt hat das sy Mber sich selber erhaben ist vnd mit chaim lust awff ir
  selber noch awff chainer creatur ruet dy wil auch chainn lust haben von dem
  götleichen influs sunder sy wil got in lust selber haben. wann so dy sel von
  den dingen erledigt ist des ir gewissen chunschafft hat vnd des pild gots
  chain enpern hat so hat dy vernuft einn ledigen zS gang in dy ewig warhait. wann dy sunn der ewichait
  wirfft sich mit irm schein in dy sel vnd durch tringt ir chrefft also das ein
  yede chrafft perüert wirt mit den zS v(ln materleicher ding von der chikchung als
  sy natürleich dar zS gefüegt vnd gearnt sind. vnd das lieht der
  ewigen sunn erhebt all chrefft der sel vnd macht sy im gleich in eim gar
  vernüftigen pild. vnd wann dy sel das werch wesenleich leitt als es got
  wesenleich vernüftig würcht so wirt der sel vernufft ein liecht aller werich
  dy got von gnaden in ir würhund ist vnd wan dy vernuft also erhaben wirt als
  oben gesagt ist so erhebt sy all chrefft der sel Mber alle tzeitleiche ding das dannoch dy chrefft von
  den nydern dingen vngehintert pleiben vnd albeg zw nemen vnd nicht ab.  | 
  
   <:16>Und eine solche Seele, die Gott so weit gefolgt ist, dass sie
  über sich selbst erhoben ist und mit keinerlei Lust auf ihr selbst oder auf
  irgendeiner Kreatur ruht, diese will auch keine Lust auf göttlichen Einfluss haben,
  sondern sie will Gott selber lustvoll haben. Denn wenn die Seele auf diese
  Weise von den Dingen befreit ist, von denen ihr Gewissen eine gewisse Kunde
  hat, und Gottes Bild nicht entbehrt, hat der Intellekt einen freien Zugang zur
  ewigen Wahrheit. Denn die Sonne der Ewigkeit wirft sich selbst mit ihrem
  Schein in die Seele und durchdringt ihre Kräfte, so dass jede Kraft von dem
  akzidentellen körperlichen Ding durch das Gesandte berührt wird, da sie
  natürlich hinzugefügt und verdient sind, doch das Licht der ewigen Sonne
  erhebt alle Kräfte der Seele und macht sie sich selbst gleich in einem vollen
  intellektuellen Bild. Und wenn die Seele das Handeln dem Wesen nach empfängt,
  da Gott wesentlich und intellektuell handelt, wird der Intellekt der Seele
  vollkommen und wahrhaft ein Licht, das Gott gnadenhaft in ihr bewirkt, und
  wenn der Intellekt so weit erhoben wird, erhebt er alle Kräfte der Seele über
  alle zeitlichen Dinge hinaus, so dass die Kräfte dennoch von den niederen Dingen
  unbehindert bleiben und in jeder Hinsicht zu- und nicht abnehmen.   | 
 
| 
   <:17>Dar vmb spricht von ir sand iohanns im puech der tawgen. Ich
  sach ein weib pechlaitt mit der sunn vnd het den man vnter irn füezzen vnd
  het awff irm hawbt ein chran von tzweliff stern. wann dy sunn der
  grechtichait hat sy vmb geben vnd hat geschinn in irm heiligen leichnam vnd
  hat den man vnter ir füezz treten. Das ist dy alt slangen den tewfel mit
  allen irdischen dingen. Vnd ist chrönt gwesen mit den tzweliff stern der
  vadristen tugent. Das ist tiemuetichait. gedult vorcht. miltichait,
  parmhertzichait. mitleiden. m(ssichait. sterkch. weishait. glauben.
  hoffnung vnd lieb.   | 
  
   <:17>Darum sagt der heilige Johannes[16] von ihr im Buch der Dunkelheit:[17] ‘Ich sah eine Frau, mit der Sonne
  bekleidet, und sie hatte den Mond unter den Füßen und hatte eine Krone aus
  zwölf Sternen auf ihrem Haupt. Denn die Sonne der Gerechtigkeit hat sie
  umgeben und schien in ihren heiligen Leib und hat den Mond unter ihre Füße
  getreten.’ Dies ist die alte Schlange, der Teufel, mit allen irdischen Dingen.
  Und sie wurde gekrönt mit den zwölf Sternen der wichtigsten Tugenden, d.h. Demut,
  Geduld, Furcht, Milde, Barmherzigkeit, Mitleid, Mäßigung, Stärke, Weisheit,
  Glaube, Hoffnung und Liebe.  | 
 
| 
   <:18>Dar vmb wer marie well zS gesellt wern der Mb sich in den tzweliff tugenten awff das er ir mFg nachuolgen in das reich der himel vnd dy gab enphach
  dy got den sein [71rb] peraitt hat vnd sich dem geb der sich im geben hat da
  mit der geber vnd dy gab der würcher vnd das werch ainig sey. vnser herr
  ihsus christus der mit dem vater vnd mit dem heiligen geist alm(chtiger got ist Amen.  | 
  
   <:18>Wer also sich zu Maria gesellen will, der übe sich in den
  zwölf Tugenden, auf dass er ihr nachfolgenkann in das Himmelreich und die
  Gabe empfange, die Gott den seinen bereitet hat und sich dem gebe, der sich
  ihm gegeben hat, damit der Geber und die Gabe, der Handelnde und das Werk
  eins seien, unser Herr Jesus Christus, der der allmächtige Gott ist mit dem
  Vater und mit dem heiligen Geist. Amen.  | 
 
  | |
[7] Is. 60:1. Liturgical context: Epistolar., Arch. 423ra–b. Zum Kontext vgl. Hom. T10,3*.
[8] Vgl. diesen Gedanken in Eckhart, Hom.
S28,2* [Pfeiffer 106], n. 25.
[9] Vgl. denselben Gedanken in Eckhart, Hom. 24,1* [Pfeiffer 107], n. 29: ‘wer die geschrift erfüllen wil,
der sol sich alsô halten, daz er gotes in sîner sêle niemer vermisse’.
[10] Vgl. die wörtliche Parallele in Eckhart, Hom. S28,2* [Pfeiffer 106], n. : ‘Unt dar umbe list man niendert,
daz si got habe gebeten, daz er sî lîdens überhebet hête’.
[11] Cant. 6:2: ‘Ego dilecto meo, et dilectus meus mihi.’
[12] Vgl. denselben
Gedanken in Eckhart, Hom. S69,1*
[91*, Q 41], n. 11: ‘Sît des gewis, daz got des niht enlæzet, er engebe uns al;
und hæte er sîn gesworn, er enkünde sîn doch niht gelâzen, er enmüeze uns
geben. Im ist vil nœter, daz er uns gebe, dan uns ze nemenne’; Hom. T7,2* [Jundt 1], n. 11: ‘sit got
wol waißt des wir notdurftig sigint vnd me beraitet ist zegebenne denn wir ze
nemenne’; Hom. T61,1* [Sievers 24],
n. 8: ‘her bereider ist zu geben dan wir bereide sin zu nemen’.
[13] Vgl. Augustinus, Confessiones
III c. 6 n. 11 (Verheijen 33,57): ‘Tu autem eras interior intimo meo et
superior summo meo’; vgl. auch Eckhart, Hom.
110* [Q 10], n. 2: ‘Als sant Augustînus sprichet: got ist der sêle næher,
dan si ir selber sî. Diu nâheit gotes und der sêle diu enhât keinen underscheit
in der wârheit. Daz selbe bekantnisse, dâ sich got selben inne bekennet, daz
ist eines ieglîchen abegescheidenen geistes bekantnisse und kein anderz. Diu
sêle nimet ir wesen âne mittel von gote; dar umbe ist got der sêle næher, dan
si ir selber sî: dar umbe ist got in dem grunde der sêle mit aller sîner
gotheit’; Hom. 66* [Q 71], n. 16:
‘daz got ein wâr lieht ist und der sêle ein enthalt und ir næher ist, dan diu
sêle ir selber sî’; Hom. 3* [Q 68], n. 4: ‘Ich bin des sô gewis als, daz ich ein mensche bin, daz mir niht als
“nâhe” ist als got. Got ist mir næher, dan ich mir selber bin; mîn
wesen hanget dar ane, daz mir got nâhe und gegenwertic sî’.
[14] Cant. 2:14-6; 3: ‘14 columba mea, in foraminibus petrae, in
caverna maceriae, ostende mihi faciem tuam, sonet vox tua in auribus meis: vox
enim tua dulcis, et facies tua decora. 15 [Sponsa.] Capite nobis vulpes
parvulas quae demoliuntur vineas: nam vinea nostra floruit. 16 Dilectus meus
mihi, et ego il ... quem diligit anima mea.’
[15] Ps.-Augustinus, or
rather Bernardus, De praecepto et
dispensatione, c. 20, n. 60, ed. Leclerq and Rochais, 292, 24–5: ‘Neque
enim praesentior spiritus noster est ubi animat, quam ubi amat’; dasselbe
Zitat, auch vermeintlich von Augustinus genommen, findet sich in Eckhart, Hom. T10,2* [13*; S 102], n. 12: ‘Wan sant Augustînus sprichet: “diu sêle ist mê dâ si minnet, dan dâ
si in dem lîbe ist, dem si doch leben gibet”’, in einer der Predigten zum
selben liturgischen Anlass wie die vorliegende Predigt; auch zu finden in
Eckhart, Hom. S59,5* [85*; S 93], n.
9: ‘Sant Augustînus sprichet: “diu sêle ist eigenlîcher dâ si minnet, dan dâ si
daz leben gibet”’, und in Hom. C5,2*
[103*; Q 6], n. 9: ‘Sant Augustînus sprichet: “dâ diu sêle minnet, dâ ist si
eigenlîcher, dan dâ si leben gibet”’.
[16] Denselben Titel gibt Eckhart der Offenbarung des Johannes in Eckhart, Hom. T1,3* [Pfeiffer 67.1], n. 12b.
[17] Rev. 12:1-4: ‘1 Et signum
magnum apparuit in caelo: mulier amicta sole, et luna sub pedibus ejus, et in
capite ejus corona stellarum duodecim: 2 et in utero habens, clamabat
parturiens, et cruciabatur ut pariat. 3 Et visum est aliud signum in caelo: et
ecce draco magnus rufus habens capita septem, et cornua decem: et in capitibus
ejus diademata septem, 4 et cauda ejus trahebat tertiam partem stellarum caeli,
et misit eas in terram: et draco stetit ante mulierem, quae erat paritura, ut
cum peperisset, filium ejus devoraret’.
Predigt T17,1* [Pfeiffer 18]
Text and translation
<:1>Scio hominem in Christo ante annos quatuordecim etc. Sant
  Paulus sprichet ‘ich weiz einen menschen, der wart vor vierzehen jâren
  verzuket in den dritten himel; weder daz in dem lîbe geschêhe oder niht, des
  einweiz ich niht, got der weiz ez wol’. 
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<:1> Scio hominem in Christo ante annos quatuordecim etc.[1]
  Der heilige Paulus sagt: ‘Ich kenne einen Menschen, der vor vierzehn Jahren in
  den dritten Himmel gehoben wurde; ob dies im Leib geschah oder nicht, das
  weiß ich nicht, Gott, der weiß es wohl’. 
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<:2>Ich spriche: wêre aber Paulus deheine wîle dâ gewesen, sô müeste lîp mit geiste geist worden sîn oder diu sêle müeste von dem lîbe gescheiden sîn. Doch schiet sîn sêle niht von dem lîbe, want si gap wesen dem lîbe, doch sach si got in ir unde sich in ime. 
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<:2>Ich sage: Wäre Paulus aber alle Zeit dort gewesen, dann wären Leib
  zusammen mit dem Geist Geist geworden, oder die Seele hätte sich von dem Leib
  trennen müssen. Doch
  trennte sich seine Seele nicht von dem Leib, denn sie verlieh dem Leib sein
  Sein, und sie sah ja Gott in ihr und sich in ihm.  
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<:3>Diu sêle hat drîe krefte: verstentnisse, wille und zornlicheit. Die drîe kefte einigent sich an die gotheit. Der wille heftet sich an got, daz
  er alliu dinc vermac; dâ grîfet got in götlich wesen unde gibet ir
  vermügentheit unde berhaftekeit. Daz verstentnisse heftet sich an den sun,
  daz si mit dem sune verstêt; denne verstêt si mit dem sune, sô si entbloezet wirt alles verstentnisses.
  Diu dritte kraft ist diu kriegende kraft, diu heftet sich an den heiligen
  geist. Diu kraft ist alwege kriegende nâch dem ursprunge, von dem si geflozzen ist, wand der heilige geist ein înleiter ist in die einikeit: dâ erfüllet er der sêle winkele alzemâle, dâ verliuset si zît unde stat in êwikeit, dâ ist si in der zît ob der zît und enhât doch diu sêle niht genüegede; und hête sie genüegede, sô hête si zît für êwikeit.  
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<:3>Die Seele besitzt drei Kräfte:[2]
  Vernunft, Wille und Zürnerin. Diese drei Kräfte sind in der Gottheit vereint.
  Der Wille heftet sich an Gott, so dass er alles vermag; dann greift Gott in das
  göttliche Sein und gibt ihm[3]
  Potentialität und Fruchtbarkeit.[4]
  Die Vernunft heftet sich an den Sohn, so dass sie mit dem Sohn erkennt; denn
  wenn sie mit dem Sohn versteht, wird sie von allem Verstehen entleert. Die
  dritte Kraft ist die zürnende Kraft, die heftet sich an den heiligen Geist. Diese
  Kraft strebt beständig auf hin zum Ursprung, aus dem sie kam, denn der heilige
  Geist ist ein Einlasser in das Einssein.[5]
  Dort füllt er jeden Winkel der Seele,[6]
  und sie verlässt Zeit und Raum in Ewigkeit, da ist sie in der Zeit und
  jenseits der Zeit, doch die Seele ist nicht damit zufrieden, denn wäre sie
  zufrieden, so hätte sie Zeit statt Ewigkeit.  
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<:4>Unt dar umbe sol man niht abe lâzen. Ez ist niht des menschen schult, swenne er stât in guoter bereitschaft und in vereinunge des willen, ob sich got denne
  birget und er mit im alliu dinc niht vermag und er tuot doch daz sîne, als diu sunne lât ûz ir lieht unde daz fiur lât ûz sîne hitze. Ein holzöpfellî mac sich niht enthalten, ez lâze ûz sîne siure, aber got vermac daz wol, daz er sich etwenne einer begerender sêle erziuhet, sô er ir doch vil nâhe ist. Dar umbe sol si doch niht verzwîvelen, si sol mit herzeclîcher begirde dicke ze gote sprechen: friunt
  aller liebester, wie lange sol ich dîn beiten? 
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<:4>Darum soll man nicht ablassen. Es ist nicht des Menschen
  Schuld, wenn man ordentlich vorbereitet da steht und in Einheit mit dem Willen,
  doch Gott verbirgt sich selbst und man kann nichts mit ihm anfangen, und er
  das Seine tut,[7]
  gerade wie die Sonne ihren Licht scheinen lässt und das Feuer seine Hitze
  ausstrahlt. Ein Holzapfel kann nicht anders als seine Bitterkeit
  herauszulassen, doch Gott kann es, er kann sich zurückhalten gegenüber einer
  verlangenden Seele, auch wenn er ihr ganz nahe ist. Darum soll sie nicht
  verzweifeln, sondern vielmehr in einer Herzensbegierde mutig zu Gott sagen: ‘Mein
  teuerster Freund, wie lange soll ich auf Dich warten?’[8]
   
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<:5>Nû sprichet er: dem lieben Kristô wart gegeben ein niuwer name: der ein von dem engel, der ander von sant
  Paulen, der dritte von dem himelschen vater. Der engel gab ime den namen Jêsû Kriste. Mit dem namen nande in Joseph unde Mariâ unde der name ist als vil gesprochen als das heil der welte. Der name
  wirt gegeben eime verwundeten menschen. Wir zarten joch ze vil. Danne wêre man heil von aller gebrechlicheit, sô man wêre ûf erhaben unde în geholt; denne wêre man ûf erhaben, sô man blôz und abegescheiden wêre. Wande an dem obersten gensterlîn, dâ man gotlich lieht enpfâhet, daz gescheidet sich niemer von gote
  unde wirt niht gemitelt. Swie doch liep und leit unde pîne zuovallet, daz berüeret niht wan die nidersten krefte.  
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<:5>Nun sagt er:[9] Christus wurde ein neuer Namen gegeben: einer durch den Engel, ein zweiter vom
  heiligen Paulus, der dritte vom himmlischen Vater. Der Engel gab ihm den
  Namen Jesus Christus. Joseph und Maria riefen ihn bei diesem Namen, und der Name
  bedeutet ‘Heil der Welt’.[10]
  Der Name wird einem Menschen gegeben, der verwundet ist. Ach, wir sind so gebrechlich!
  Denn wenn wir von allen Schwächen gerettet wären, wären wir erhoben und zurückgebracht
  worden; und wenn man aufgestanden wäre, wäre man nackt und abgeschieden. Denn
  der oberste Funke,[11]
  in welchem wir das göttliche Licht empfangen, trennt sich nie von Gott ist
  wird auch nicht vermittelt.[12]
  Was auch immer uns an Liebe, Leid und Leiden überkommt, diese berühren doch
  lediglich die niederen Kräfte.[13]
   
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<:6>Sant Paulus gab im drîe namen unde sprach, er wêre ein widerglanz des vater. Er sprichet: der verwunten sêle wirt gegeben daz verborgen himelbrôt. Wâ von ist si wunt? Daz ist von begirde. Waz ist begirde? Daz ist minne. Waz
  ist edeler denne begirde? want swaz man got bitet mit dêmuot unde mit begirde, des mag er niht versagen: er leitet die gerunge,
  diu mit dêmuot geverwet ist, in die triskamer der heiligen drivaltekeit.  
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<:6>Der heilige Paulus gab ihm drei Namen und nannte ihn ein Abglanz
  des Vaters,[14]
  er sagt, der verwundeten Seele wurde das verborgene himmlische Brot gegeben.[15]
  Woher kommen ihre Wunden? Sie kommen von der Begirde. Was ist Begirde? Sie
  ist Liebe.[16]
  What ist nobler als Begierde? Um was wir Gott aus Demut und Begierde bitten, kann
  er nicht verweigern.[17]
  Er führt die Begirde, die demütig gefärbt ist, in die Privatgemächer der heiligen
  Trinität.[18]
   
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<:7>Paulus nante in ouch unde sprach, er wêre ein berhaftekeit des vater unde gelîcheit in dem vater, wand er mit dem vater würket und ouch die persône gebirt. Ich spriche für wâr: diu sêle mac persône gebern, sô got lachet in sî und sî wider lachet in in. Bî eime gelîchnisse: als der vater lachet in den sun unde der sun wider in den vater
  unde daz lachen birt lust unde der lust birt fröide unde diu fröide birt
  minne unde diu minne birt persône unde persône birt den heiligen geist: alsô birt er mit dem vater.  
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<:7>Paulus nannte ihn auch die Fruchtbarkeit des Vaters und das Abbild des Vaters,[19]
  da er mit dem Vater handelt und die Personen hervorbringt.[20]
  Ich sage wahrlich, die Seele kann Personen gebähren, wenn Gott in sie hinein
  lacht und sie ihn zurück anlacht. Oder in einem Beispiel: wie der Vater in
  den Sohn lacht, und der Sohn zurück lacht in den Vater,[21]
  und dieses Lachen Lust hervorbringt, und Lust Freude macht und Freude Liebe
  entzündet und Liebe Personen zeugt, und Personen den heiligen Geist gebähren,
  auf diesem Weg gebirt er mit dem Vater.  
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<:8>Der dritte name was, dô er sprach, er wêre ein majestât der substancie gotes. Diu majestât ist daz wesen der substancie gotes, diu substancie ist diu
  ursprunglicheit der drîer persônen. Denne heizet diu sêle majestât, sô si wesen begibet: dâ sol man bekennen vater und vaterlicheit
  unde sun und sunlicheit und ir beider persône in einekeit begriffen. Der vater gab ime fünf namen âne wort.  
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<:8>Den dritten Namen, den er gab, war die Majestät der göttlichen Substanz.[22]
  Die Majestät ist das Sein der göttlichen Substanz. Diese Substanz ist der
  eigentliche Ursprung der drei Personen. Darum ist die Seele Majestät genannt,
  wenn sie Sein gibt: dann wird man den Vater und Väterlichkeit erkennen, den Sohn
  und die Sohnschaft, und beider Personen werden in Einem begriffen.[23]
  Der Vater gab ihm fünf Namen ohne Wort.  
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<:9>Daz uns got blôz behalte in im, des helf uns got. Âmen. 
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<:9>Auf dass uns Gott nackt in ihm hält,[24]
  möge Gott uns helfen. Amen. 
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Predigt T25,2* [Strauch V 379-82]
Text und Übersetzung
<:1>[59a]Scitis quid fecerim vobis etc. Unsere herre Jhesus
  Christus sprach zu synen jungeren: wißent ir was ich uch getan hann? 
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<:1>Scitis quid fecerim vobis etc.[1]
  Unser Herr Jesus Christus sagte zu seinen Jüngern: ‘Wisst Ihr, was ich Euch getan habe?’ 
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<:2>An diesen wortten gibbet er uns zuverstene dru dinge. Das eyn
  ist das wir wisende sullen sin an dem wortte da er sprach „wisset ir’? Das
  andere ist, wes wyr wißende sullen sin ann dem wort da er sprach: „wz ich
  getan han’. Das dritte ist, was das sy, dem er es getan hait an dem wortte da
  er sprach „uch’. 
 | 
  
<:2>Mit diesen Worten gibt er uns drei Dinge zu erkennen: Das erste
  ist, dass wir Wissende sein sollen,[2] denn er sagte: „Wisst Ihr?’ Das zweite
  ist, was wir wissen sollen, denn er sagte: ‘Was ich Euch getan habe’, und das
  dritte ist, wem er es getan hat, denn er sagte: ‘Euch’. 
 | 
 
<:3>Crisustimus spricht, das unsere herre zum ersten knyewete fur
  Judam, der yne verraden sulde, und zwug yme syne fuße. Das zwahen unsers
  herren syner jungern fuyß was [59b] eyn bereydunge zu dem sacrament,
  das er yn geben wulde. Da unser herre zu sanct Peter kquam, da enwulde er
  sich nyt laßen zwahen unsern herren und sprach: du ensalt mir der fuyß nyt
  zwahen, herre. Beda spricht: unsere herre kqueme zum ersten zu sanct Peter,
  und Judas hette sich durch synen freuel zu fure gesatzt, daz er zum ersten
  gezwagen wurde. Eyn andere heilige spricht, das sanct Peter gezwahen wurde zu
  aller lest, und das die andern jungern alle geswiegen hatten von
  eynualdigkeyt und von duffe ir wißheyt, want sie wischten das wol, das alle
  unsers herren wergk in dem besten wurden [60a] gethan. Do so
  bekantte sant Peter sin große unwirdigkeyt des dinstes von dem herren,
  darumbe sprach unsere herre: Peter, das ich nu tun, das enweystu nyt, du salt
  es aber hernach wißen. An den wortten engnungete noch sant Peter nit, sunder
  da er sprach: entzwahen ich dich nyt, du ensalt (380) | keyn deyl mit mir
  han. 
 | 
  
<:3>Chrysostomus sagt, dass der Herr zuerst vor Judas gekniet habe,
  der ihn später verraten sollte, und wusch seine Füße.[3] Dass unser Herr die Füße seiner Jünger
  wusch geschah als Vorbereitung für das Sakrament, das er ihnen schenken
  wollte.[4] Als unser Herr zum heiligen Petrus kam,
  wollte dieser nicht, dass ihm der Herr die Füße wusch und sagte:[5]  „Herr, Du sollst mir nicht meine Füße
  waschen’. Beda sagt:[6] Unser Herr kam zuerst zum heiligen Petrus,
  doch in seiner Schlechtigkeit hatte sich Judas bereits hingesetzt, so dass er
  seine Füße zuerst gewaschen bekam. Ein anderer Heiliger sagt,[7] dass Petrus als Letzter gewaschen wurde und
  dass alle anderen Jünger aus Einfachheit und aufgrund ihrer Weisheit stille
  geblieben waren, da sie rechterdings wollten, dass das Werk unseres Herrn an
  dem Besten getan werden sollte. Als der heilige Petrus seine große
  Unwürdigkeit für den Dienst des Herrn bekannt hatte, sagte unser Herr: ‘Petrus,
  was ich Dir jetzt tue, das verstehst Du nicht, doch Du wirst es später
  verstehen’.[8] Da die Worte jedoch für Petrus nicht
  ausreichten, sagte er: „Wenn ich Dich nicht wasche, kannst Du keinen Anteil
  an mir haben’.[9]  
 | 
 
<:4>nu mochte man fragen, ob an der gotheyt deyle were zu gebene.
  neyn nit! an der gotheit enist keyn deyle zu gebene, sunder an dem entphaen
  der creaturen so ist deyle, want an den creaturen da ist mee und mynner. des
  enist an der gotheyt nyt. da sprach sant Peter: herre, nyt alleyn die fuße,
  sunder handt und heubt. [60b] da antworttet unsere herre sant
  Petro und sprach: were gezwahen ist, der endarff nit dann das er die fuße
  zwahe. By den fußen ist uffgenomen die begerunge des menschen, want als die
  fuße den lichamen dragent, also dreyt die begerunge des menschen hertze und
  sele. Darumbe sprach unser herre: enzwahen ich nit din fuß, das ist enkeren
  ich nyt din begerunge zu mir, so ensaltu keyn deil mit myr hann, das ist, so
  enmagstu nit wonen in myr, want din begerunge muß dich leyden in mich. Eye,
  wie dicke die begerunge gereysset wurdt von godde und doch widder vermenget
  wurdt! [61a] Darumbe sprach sant Peter: herre, nit alleyn die fuyß,
  sunder auch hende und heubt. Bij der handt ist uffgenomen die verstentenisse
  und die redelichkeyt, bij dem heubt die meynunge, want die meynunge ist hoi
  mit allen wercke<n>, und als die wercke mit der hant gewircket werden
  unde geordent zu yrme ende, also als sie gewer<ck>en sollen liplich,
  also werdent alle geystlich wergk geordent mit dem verstentenisse und mit der
  redelichkeyt also als sie gescheen sullen geistlich. unde also als das heubt
  verderbet alle gliddere, also verderbet die meynunge al des menschen wercke.
  Alsus ist es, wan das verstentenisse und die redelichkeyt, die die werck
  zierent, in godde [61b] stediglichen dringent in abgenomenheyt
  alles hindernisses, so endarff der mensche nyt dann das er die begerunge hude
  vor anfelligen sachen, das sie nit vermenget werde. Herumbe sprach unsere
  here zu sant Peter: were getzwahen ist, der endarff nit dann das er die fuyß
  zwahe. 
 | 
  
<:4>Nun könnte man fragen, ob man von der Gottheit Teile geben
  könnte.[10] Nein, natürlich nicht! Es gibt keine
  Teile der Gottheit, die weggegeben werden könnten, stattdessen sind das, was
  Geschöpfe erhalten, Teile, da es bei Geschöpfen ein mehr und weniger gibt.
  Solches gibt es jedoch nicht bei der Gottheit.[11] Dann sagte der heilige Petrus:[12] „Herr, wasch mir nicht nur die Füße,
  sondern auch meine Hände und meinen Kopf’. Daraufhin antwortete unser Herr dem
  heiligen Petrus und sagte:[13] ‘Wer gewaschen ist, der bedarf nichts,
  außer dem Waschen der Füße’. Mit „Füßen’ wird das menschliche Begehren
  aufgegriffen, denn wie die Füße den Körper tragen, so bewegt das Begierde das
  Herz und die Seele des Menschen. Darum sagte unser Herr: ‘Wenn ich nicht
  Deine Füße wasche’, d.h. wenn ich Deine Begierde nicht auf mich ausrichte,[14] wirst Du an mir keinen Anteil haben, d.h. wirst
  Du nicht in mir wohnen, denn Deine Begierde muss Dich in mich hinein führen.
  In der Tat, auch wenn die Begierde von Gott fest herangezogen wird, sie
  verhängt sich doch wieder! Darum sagte der heilige Petrus: ‘Herr, nicht nur
  die Füße, sondern auch die Hände und den Kopf’.[15] Mit ‘Händen’ ist das Wissen und das
  Verstehen gemeint, mit ‘Kopf’ die Absicht, da die Absicht bei allen
  Handlungen eine Rolle spielt, und da Handlungen ausgeführt und ausgerichtet
  sind auf ihr Ziel, indem die Hände genutzt werden, da sie körperlich[16] auszuführen sind.[17] So sind alle
  geistigen Dinge vom Intellekt und Verstand bestimmt, denn diese müssen
  geistig ausgeführt werden. Und wie der Kopf die Gliedmaßen verdirbt, so
  verdirbt die Absicht alle menschlichen Handlungen.[18] Daraus folgt, dass dann, wenn der Intellekt
  und der Verstand, die die Handlungen schmücken, allmählich in Richtung Gott
  gedrückt werden, indem alle Hindernisse beseitigt werden, muss ein Mensch
  sich lediglich seine Begierde vor auffälligen Ursachen bewahre, so dass sie
  sich nicht verhängt. Darum sagte unser Herr zum heiligen Petrus: ‘Wer
  gewaschen ist, der bedarf nichts, außer dem Waschen der Füße’.[19] 
 | 
 
<:5>unsere herre sprach zu eynem male zu synen jungern: ist das ir
  nyt enessent das fleysche des menschen sones noch drinckent sin bluyt, so
  enmogent ir keyne leben in uch haben. Des worttes erschracken sin jungern und
  flohen von ym one sin apposteln, die blieben bij yme. want die jungern
  beduchte, das er gar dorliche gesprochen hette. Da sprach [62a] unsere
  herre zu synen apposteln: wollent ir auch von mir? da antwordt sant Peter:
  herre, was sal ich? wisestu mich von dir? du bist eynborn, ußer dir flußet
  daz wortte des ewigen lebens. uff das wortte „wisestu mich von dir?’ spricht
  sanctus Augustinus, so wise mich zu eym andern dich oder zu dir in eyner
  andern wise. Ylarius spricht: Es enwart nye besser ordenunge da<n> das der
  vader ist in dem sone und der sone in dem vatter unde sie beyde in dem
  heiligen geyst unde der heylige geyst in yne beyden und das die middelste
  persone menschlich nature an sich genomen hat und sie in sich an eyner
  personen vereynet hait. eyn styme [62b] sprach zu Sant Au(gu)styn:
  ich bin eyn (381) | spise der großen wash und du salt mich essen und ich
  ensal nyt gewandelt werden in dich, sunder du salt gewandelt werden in mich.
  also als die spise verwandelt und vernaturet wirt in dem menschen, also wurt
  menschliche nature mit der spisen, die got ist, verwandelt und vernaturet in
  gotlicher naturen. Ignacius, unser frauwen cappellan, wart geworffen in des
  lewen mundt. Da sprach er: ich bin Christi spise. Du salt mich wol zuriben,
  das er mich destabaß verdauwen moge. Die gotheit ist eyn condimentum gottes
  lichamen. Salomon spricht: Eyn cleyn gabe wurdt dicke siebenfalt [63a]
  also wurt gottes lichame in der selen, want sie entpfecht gotliche nature mit
  der gotheyt alzumal an dem lichame unsers herren mit dem ewigen lebene das
  sie entpfecht, want gotliche nature ist eyn burne des ewigen lebens und sie
  entpfecht eyn sune zwischen ir und godde und sie entpfecht eyn widdermachunge
  der gebrechen ame geyst. want gottes liachame gibt der selen zubekennen yren
  gebrechen, der sie vergessen hat, off das sie ir bichte tuwe, oder er gibt ir
  sicherheit, das sie yr vergeben sin. Er gibbet ir sußigkeyt, want sie  entpfecht von der eynungen synes mit der
  gotheyt. Er gibbet ir auch eyn gehugnisse Christi von syme sacrament [63b]
  das sie entpfecht. Er gibbet ir auch ye gegenwordige gnade von der
  heymelicheyt irs mit yme, als sie yne entpfecht. Er gibbet ir auch in ir
  selber, eyn glichnisse des ewigen lebens, want er ist der, als der prophete
  spricht, by dem alle dinge lebent. 
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<:5>Einmal sagte unser Herr zu seinen Jüngern: ‘Wenn Du weder den
  Leib des Menschensohnes isst noch sein Blut trinkst, kannst Du nicht Leben in
  Dir haben’.[20] Diese Worte ließen die Jünger
  erschrecken und sie flohen von ihm, nicht jedoch die Apostel, die bei ihm
  blieben.[21] Als die Jünger dachten, er hätte Unsinn
  gesprochen, sagte der Herr zu seinen Aposteln: „Wollt Ihr auch weg von mir?’[22] Darauf antwortete der heilige Petrus: ‘Herr,
  warum soll ich? Schickst Du ich weg von Dir? Du bist der Eingeborene, das Wort
  des ewigen Lebens fließt von Dir aus’.[23] Über das Wort ‘Schickst Du mich weg von
  Dir’ sagt der heilige Augustinus:[24] „Dann sende mich zu einem anderen Du,
  oder zu Dir auf andere Weise’. Hilarius sagt:[25] Es gab nie eine bessere Zuordnung als[26] dass der Vater im Sohn ist und der Sohn
  im Vater und dass beide im Heiligen Geist sind und der Heilige in ihnen
  beiden ist, und dass die mittlere Person menschliche Natur annahm, und dass
  sie sich in einer einzigen Person vereint haben. Eine Stimme sprach zum
  heiligen Augustinus:[27] ‘Ich bin die Speise, die groß ist, und
  Du sollst mich essen, und ich werde nicht in Dich verwandelt, sondern Du
  wirst in mich verwandelt’. Und wie dann die Speise verwandelt und im Menschen
  verdaut wird, so wird durch die Speise, die Gott ist, die menschliche Natur
  verwandelt und in göttliche Natur hineintransformiert. Der heilige Ignatius, der
  Hüterin unserer Frau, wurde in die Zähne der Löwen geworfen. Dabei sagte er:
  Ich bin die Speise Christi. Ihr sollte mich fest zerreiben, auf dass er mich
  leichter verdauen kann.[28] Die Gottheit ist ein Gewürz von Gottes
  Körper. Salomon sagt:[29] ‘Eine kleine Gabe wird reichermaßen
  siebenfach werden’. So wird Gottes Körper in der Seele sein, wenn sie die
  göttliche Natur mit der Gottheit empfängt, und zwar erkanntermaßen mit dem
  Leib unseres Herrn zusammen mit dem ewigen Leben, das sie erhält, da die
  göttliche Natur die Quelle ewigen Lebens ist,[30] und von ihr selbst und Gott empfängt sie
  einen Sohn, und sie erhält die Widerherstellung der Unzulänglichkeiten des
  Verstandes.[31] Denn Gottes Körper lässt die Seele ihre
  Unzulänglichkeiten erkennen, die sie vergessen hatte, so dass sie diese zugeben
  kann, oder es gibt ihr Sicherheit, dass ihr diese vergeben wurden.[32] Er gibt ihr Süße, wenn sie ihn empfängt,
  aufgrund seines Einsseins mit der Gottheit. Er gibt ihr auch eine Erinnerung
  an Christus durch das Sakrament, das sie empfängt. Jedesmal gibt er ihr auch
  eine gegenwärtige Gnade aufgrund der Intimität von ihr und ihm, wenn sie ihn
  empfängt. Er gibt ihr auch in ihr selbst ein Gleichnis ewigen Lebens, denn er
  ist, wie der Prophet sagt,[33] der Eine, durch den alle Dinge leben. 
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<:6>Unsere herre sprach, er sulde synen getruwen diener setzen uber
  alles sin gut. Augustinus sprach: Gottes eygen gutt ist sin eygen wesen.
  Paulus spricht: wer got zuhafftet, der wurdt eyn geyste mit godde. Hie von
  spricht der prophete: Herre, myn sele hait abgenomen in dem heile. Uff
  disselbe wort spricht sanctus Ambrosius: alse nymmet die sele abe, das sie
  seligkeyt verluset und wurdt me geyst dan sele. [64a] want sie
  magk so sere zunemen an gotlicher liebe, das sie zumale geyst wurdt. Auch
  spricht sanctus Augustinus, das die sele me sij da sie mynnet dann da sie
  leben gibbet. In Cantic. stet geschreben, das die liebe starcke sij als der
  dot, der die sele scheydet von dem libe. Ich sprechen aber, das sie
  tusentwerbe starcker sij dann der dot, want sie nymmet die sele ußer ir
  selber. Das spricht sanctus Dionisius, das die liebe setzet die sele ußer ir
  selber in das daz sie mynnet, want die liebe setzt das gemyntte in das das da
  mynnet und sie setzet das da mynnet in das gemynte. Auch spricht sanctus
  Dionisius, das die mynne machet gedeylt dingk eyn unge(64b)deyltes.
  Alsus eynet die liebe das das die liebe sele eyn wurdt mit godde. Herumbe
  sprache unsere herre zu synen jungern: wißent ir was ich uch gethan hann? und
  sprach auch: das ich nu tun, das enwissent ir nyt. ir sollent es aber hernach
  wißen, als er sprechen sulde, ir sijt mit ußeren und mit groben dingen so
  verbildet und so verblendet, das ihr der inneren dinge noch nyt erkennen
  konnent. 
 | 
  
<:6>Unser Herr sagt,[34] er soll seine getreuen Diener über all
  das Seine setzen. Augustinus sagt:[35] Das Seine Gottes ist sein Sein. Paulus sagt: Wer zu Gott steht wird ein
  Geist mit Gott. Hiervon spricht der Prophet:[36] Herr, das Heil meiner Seele ist geschwunden.
  Hierzu sagt der heilige Ambrosius:[37] Die Seele schwindet, wenn sie die
  Glückseligkeit verliert und mehr Verstand als Seele wird. Dann mag sie so
  sehr an göttlicher Liebe wachsen, dass sie dann Verstand wird. Auch Augustinus
  sagt, dass die Seele mehr ist, wenn sie liebt, als wenn sie Leben gibt.[38] Im Hohenlied steht geschrieben,[39] dass Liebe stärker als der Tod ist, der
  die Seele vom Körper trennt. Ich aber sage, dass sie tausendmal stärker als
  dieser ist, denn sie[40] trägt die Seele aus sich heraus. Dies
  sagt der heilige Dionysius,[41] dass die Liebe die Seele aus sich
  heraussetzt in das hinein, das sie liebt, denn Liebe setzt das, was geliebt
  wird in dasjenige, was es liebt, und sie setzt die Person, die liebt, in
  dasjenige, was geliebt wird. Der heilige Dionysius sagt auch,[42] dass Liebe eine geteilte Sache in ein
  ungeteiltes Eines verkehrt. Folglich vereint Liebe dies,[43] so dass die liebende Seele mit Gott eins
  geworden ist. Darum sagt unser Herr zu seinen Jüngern: ‘Wisst Ihr, was ich Euch getan habe?’[44]
  Und er sagte auch: ‘Was ich jetzt tue, das versteht Ihr nicht, doch Ihr
  werdet es später verstehen’,[45] wenn er sagen wird: Ihr seid
  aufgrund äußerer und grober Dinge so verbildet und verblendet, dass die
  inneren Dinge noch nicht erkennen könnt. 
 | 
 
<:7>Unsere herre sprach auch: das broit daz ich salle geben, das
  ist myn fleisch. Der (382) | propheta spricht, das der mensch aße der engel
  broit. Raphael sprach zu dem jungen Dobias: die spise die ich essen, der
  enmagstu nyt gesehen. Augustinus [65a] spricht: Es enwardt nye
  nature edeler dann die nature Christi sele. Das ist darumbe, want sie geeynet
  wardt mit der gotheyt. Es enwardt auch nye seele geschaffen luter creature zu
  sin, die also edel were na ir nature als der mynste engel der ye geschaffen
  wardt, want an syner ersten formen magk der engel got ansehen. des enmag die
  sele nyt. Sie muß zum ersten geeyniget werden in die forme des lichamen.
  Dionisius spricht: der engel ist eyn offenbarunge gotlichs liechtes, want
  durch yn schynet das gotlich liecht in die sele. Dionisius spricht auch, der
  engel sij eyn durchluchtig spiegel. Herumbe wan [65b] wir alle
  begeben als der engel, so sin wir als der engel luter, clare das gotlich
  liecht zu begriffen als der engel. 
 | 
  
<:7>Unser Herr sagte auch: ‘Das Brot das ich Euch geben werde, das
  ist mein Leib’.[46] Der Prophet sagt,[47] dass der Mensch des Engels Brot aß.
  Raphael sagte zum jungen Tobias:[48] Die Speise, die ich aß, kannst Du nicht
  sehen. Augustinus sagt: Kein Wesen war edler als das Wesen von Christi Seele.[49] Denn es war mit der Gottheit vereint. Doch
  keine Seele war geschaffen, dass sie einfach nur Geschöpf sein sollte, die so
  edel ihrem Wesen nach war wie der kleinste Engel, der je geschaffen wurde,
  denn in seiner ersten Ausformung kann der Engel Gott schauen. Das kann die
  Seele nicht.[50] Sie muss zuerst mit der Form des Körpers
  vereint werden. Dionysius sagt: der Engel ist eine Offenbarung von Gottes
  Licht, denn durch ihn scheint das göttliche Licht in die Seele.[51] Dionysius sagt auch, dass der Engel ein durchsichtiger
  Spiegel ist.[52] Wenn wir folglich weggeben, wie der
  Engel, dann sind wir so rein wie der Engel, um das göttliche Licht
  durchsichtig wie der Engel zu fassen. 
 | 
 
<:8>Vier stucke sal der lichame hann nach diesem libe.
  Subtiligkeyt. want were eyn stein oder eyn andere ding, was das were, also
  groß als alles erterich und das das ganze were an allen steden und were eyne
  sele darinne mit dem lichamen nach der ufferstendungen, die daruß wolde, sie
  fure daruß one alles hindernysse des lichamen. Das andere das ist clarheyt.
  Er sal siebenstunt clarrer werden dan die sonne wan sie noch siebenstunt
  clarer wurdt dan sie itzunt ist, ia tusentstunt [66a] wurt er
  clarrer. Das dritte ist lichtigkeyt, das ist das er uff der lufft gan magk
  als unsere herre hie bewisete uff dem wassere. Das vierde ist unlidelichkeyt,
  das ist das yne keyne fure gebornen enmagk noch keyn wassere erdrencken nach
  keyn wafen gewunden nach keynerley anfelligkeyt enmag yne nyt lidende
  gemachen. Die ersten dru die hatte unsere herre Jhesus Christus in syme
  dotlichen libe: subtiligkeyt da er von unsere lieben frauwen libe kquame,
  clarheyt da er syne<n> jungern uff dem berge erscheyn, lichtigkeyt da
  er uff dem wassere gingk. Diß hatten auch sin apposteln gesehen und
  enwischten doch [66b] nyt was es bedute. Des mochte er wol
  sprechen: wißent ir waz ich uch getan hann? Neyn! ir enwissent es noch nyt.
  Ir sollent es aber hernach wißen. 
 | 
  
<:8>Vier Dinge muss der Körper haben nach diesem Leben. Feinheit. Denn
  wenn ein Stein oder etwas anderes, was auch immer es ist, so groß wie das
  ganze Erdreich wäre und an alle Städte reichen würde, und es gäbe eine
  einzige Seele darin mit einem Körper nach der Auferstehung, und sie wünschte,
  aus diesem[53]
  herauszukommen, sie würde sich herausbewegen, ohne durch den Körper gehindert
  zu werden. Das zweite ist Helle.[54] Er muss siebenmal heller sein als die
  Sonne, wenn diese siebenmal heller ist als sie es jetzt ist, ja, er wird
  tausendmal heller sein. Das dritte ist Leichtigkeit. Dass er in der Luft sich
  bewegen kann, wie es unser Herr auf dem Wasser bewiesen hat.[55] Das vierte ist Leidensunfähigkeit. Das
  heißt, dass weder Feuer in gebären noch Wasser ihn ertränken kann, noch dass
  er durch eine Waffe überwunden oder durch irgendein Leiden ergriffen werden
  kann. Die drei ersten hatte unser Herr Jesus Christus in seinem sterblichen
  Körper: Feinheit, insofern er aus dem Körper unserer Frau stammt, Helle, als
  er seinen Jüngern auf dem Berg erschienen war, Leichtigkeit, als er auf dem
  Wasser ging. Das haben auch seine Apostel gesehen, doch sie konnten nicht
  ergreifen, was es bedeutete. Das wollte er ausdrücken: ‘Wisst Ihr, was ich Euch getan habe? Nein!
  Ihr wisst nicht, doch später, sollt Ihr wissen’.[56] 
 | 
 
<:9>Das wir uns und got bekennen muszen luterlich nach der ubersten
  warheit, des helff uns der der die warheyt ist. Amen. 
 | 
  
Predigt T27,2* [Pfeiffer 57]
<:1>Mortui enim estis et uita uestra abscondita est cum Cristo deo.
  Ad Colossenses III. Ir seyt todt/ vnd euwer leben ist verborgen mit Christo
  in got. Ware heiligkeit vnd g=tliche übung enmag keyn mensch in der
  warheit haben der nit in Christo gestorben ist/  
 | 
  
<:1> Mortui enim estis et uita uestra abscondita est cum Cristo deo.
  Ad Colossenses III.[10]
  Ihr seid tot und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. Wahre
  Heiligkeit und göttliches Handeln kann kein Mensch in Wahrheit besitzen, der
  nicht in Christus gestorben ist. 
 | 
 ||
<:2a>weger wer ein lebemeyster denne tusent lesemeyster aber lesen
  vnd leben e got dem mag nieman zG komen Solte ich eynen meyster sGchen von der geschrift den sGchte ich zG paris vnd in hohen schGlen vmbe hohe kunst Aber wolte ich fragen von
  vollekomenen leben Daz kunde er mir nit gesagen War solte ich danne gan alzGmale mergent danne in ein blos ledig nature die kunde
  mich vß gewisen dez ich sy fragete ir vorchten lGte waz sGchent ir an den toten gebeyne. War vmb sGchent ir nit daz lebendige heyltGm daz Gch mag geben ewig leben. Waz daz tot hat
  weder zG geben noch zG nemen. Vnd solte der engel got sGchen Ey got so sGchte er in niender den in eyner ledige
  blossen abgescheiden creature Alle vollekomenheit lit dar an daz man armGt vnd ellende vnd smacheit vnd widerwerdikeit vnd alles
  daz gefallen mag in allem trucke willekliche froliche ledekliche begirliche
  vnd berihtekliche vnd vnbewegenliche mNge lyden vnd do by blyben bitz an den dot ane alle war
  vmbe 
 | 
  
<:2c> van alle
  synen gebreken lusten enn eygensuckelicheit ende die niet enen auge
  geuen wille en heuet alle dingen hoe swaer die oeck syn die ophem vallen
  moegen doer god toe lyden eer hy der vermaninge gods niet gehoersam en solde
  syn of volbrengen mitten werken derr hy den wil gods in bekenden soe voel syn
  menschelicke cranckheit gehengt of geleysten mach mer welck mensche in lyden
  onverduldich wort beuonden sulcke druck enn lyden en brengt hem niet die
  boosheit toe mer het apenbaert die sunde der onverduldicheit die in hem
  verborgen was Hem geschyet als enen coperen ouersyluerden pennynck eer hym
  dat vuer coemt soe schynt hy ganse enn claer syluer toe syn mer wann eer hy
  coemt in dat vuer dat vuer en maect hem niet coperen dan het bewyst enn
  apenbaert dat hy niwen dich coperen is 
 | 
  
<:2a>Wertvoller wäre ein einziger Lebemeister als tausend
  Lesemeister, doch weder Lesen noch Leben kann jemand zugeschrieben werden, es
  sei denn Gott. Sollte ich nach einem Meister der Schrift suchen, würde ich
  nach ihm wegen der herausragenden Bildung an der Universität in Paris suchen.
  Würde ich ihn jedoch nach dem vollkommenen Leben befragen, könnte er mir
  keine Antwort geben. Wohin sollte ich dann gehen? Bemerkt vollends, nirgendwo anders hin als in die
  blosse, nackte Seele, sie könnte mir erklären, wonach ich sie fragte: ‘Was
  suchst Du in den toten Gebeinen’.[11] Warum suchst Du nicht nach gelebter
  Heiligkeit, die Dir ewiges Leben geben kann, was Tod weder geben noch nehmen
  kann. Und sollte der Engel nach Gott suchen, er würde nach ihm nirgendwo
  anders suchen als in einer nackten, blossen, abgeschiedenen Kreatur. Alle
  Vollkommenheit hängt an dem Willen dass man Armut, Elend, Verschmähtsein und
  Widerstände willentlich, fröhlich, nackt, verlangend, recht und unbewegt zu
  erleiden und darin zu verharren bis in den Tod ohne jegliches Warum. 
 | 
  
<:2c>seiner kranken Lust und Selbstsucht und der keine
  Aufmerksamkeit richten und haben möchte auf irgendetwas, wie schwer es auch
  sei. Dies sind auch jene Leute, die oft im Leiden um Gottes willen fallen
  können, so lange sie Gottes Geboten nicht treu sind, sie in Taten zu erfüllen. Wer kann in der Erkenntnis Gottes so
  verhangen und belastet von der eigenen menschlichen Schwäche sein, vielmehr,
  der Mensch, der so ungeduldig im Leiden erfunden wurde, dem dient solcher
  Druck im Leiden nicht, vielmehr hat das Böse die Sünde der Ungeduld, die in
  ihm verborgen war, offenbart. Ihm geschieht, wie einem silberbeschichteten Kupferpfennig,
  der, bevor er ins Feuer gehalten wird, vollkommen wie Silber zu sein scheint.
  Mehr noch, sobald er ins Feuer gerät, macht das Feuer aus ihm nicht Silber,
  so dass dies erweist, dass er jetzt vollends Kupfer ist. 
 | 
 
<:3>Ein lerer
  sprichet: ja, richer got, wie wol mir wirt, so min minne fruht gebirt! Unser herre sprichet zuo einer ieglichen minnenden
  sele ich bin iu mensche worden, daz ir mir got werdent. Werdent ir mir niht
  göte, als ich uch mensche worden bin, so tuont ir mir unrehte. Mit miner
  götlicher natiure wonte ich in iuwer menschlicher natiure, also daz mines götlichen
  gewaltes nieman verstuont unde daz man mich sach wandelen als einen andern
  menschen. Also sullent ir iuch mit iuwer menschelicher natiure verbergen in
  mine götlichen nature, daz iuwer menschlichen krankheit an iu nieman bekenne
  unde daz iuwer leben zemale götlich si, daz man an iu niht bekenne wan got.   
 | 
  
<:2>Ein
  Meister sagt: ja, reicher Gott, wie wohl wird mir, da meine Liebe eine Frucht
  gebirt.[12]
  Unser Herr sagt zu einer jeden liebenden Seele: Ich bin für Euch ein Mensch geworden,
  damit Ihr für mich Gott werdet. Werdet ihr mir nicht Gott, dann tut Ihr mir
  Unrecht. Mit meiner göttlichen Natur wohnte ich in Eurer menschlichen Natur, so
  dass niemand meine göttliche Kraft verstand und man mich wie einen anderen
  Menschen wandeln sah. Genauso sollt Ihr Euch mit Eurer menschlichen Natur in
  meiner göttlichen Natur verbergen, so dass niemand Eure menschliche Schwächen
  in Euch erkenne und dass Euer Leben gänzlich göttlich sei, so dass man in
  Euch nichts anderes als Gott erkenne.  
 | 
 ||
<:3>Unde daz enlit <n>iht dar an, daz wir süezer worten unde
  geistlicher geberden sien unde daz wir tragent einen grozen schin von
  heilikeite vor den lFten unde daz unser name verre und wite
  getragen werde unde daz wir groezliche geminnet sin von den gotesfriunden
  unde daz wir von gote also verwenet unde verzartet sien, daz uns des dunke,
  daz got aller creature vergezzen habe unz an uns alleine, unde daz wir wenen,
  swes wir von gote begeren, daz ez iezuo allez si geschehen. Nein ez, niht!
  Diz enist niht, daz got von uns heischet: ez get allez anders. 
 | 
  
<:3>Dies aber liegt nicht darin, dass wir süße Worte und geistliche
  Handlungen gebrauchen und einen großen Anschein von Heiligkeit erwecken und
  davon, dass unser Name fern und weit getragen wird und dass wir besonders
  geliebt werden von den Gottesfreunden und dass wir von Gott verwöhnt und
  verzärtelt werden, so dass es uns erscheint, als vergesse Gott alleine
  unseretwegen alle Kreaturen und dass wir glauben, dass alles, worum wir Gott
  bitten, es jederzeit alles geschieht. Nein, dies ist nicht so! So ist es
  nicht, was Gott von uns will, das ist alles anders. 
 | 
 ||
<:5a>Es ist ein
  anders daz got von Gch haben wil Er wil daz ir in leiden fry
  vnd vnbeweget stet. Vnd daz Gch die sprechent ir sint valsch vnd
  vngerecht vnd  
Gch uweren gGten lGmet benement  
vnd sy Gch des verzihent daz uwers libes notdurft wol bedank
   
vnd ir in uwerm grossen vntrost trost sGchet in vnserm lieben herren ihsu christo vnd er sin
  >gen vor Gch beslGtzet vnd sin antlitz van Gch keret vnd er denne dGt als er Gch weder sehen noch h=ren welle denne sollent ir Gch lan als sich vnser herre ihsus christus lies an
  dem crFtze  
do er sprach got min got myn wie hastu mich gelassen den du vnschuldig
  weist 
 | 
  
<:5b>Er meinet,  
daz wir vrilich und unbeweget funden werden, so man uns sprichet, daz wir
  valsche und unwarhafte liute sien und swaz man von uns gesprechen mac, da mit
  wir unsers guoten liumden beroubet werden, und niht alleine daz man uns übele
  sprichet, mer: ouch daz man uns übel tuot und man uns abeziuhet die helfe,
  der wir zuo unsers libes notdürfte niht enbern mügen, und niht alleine an der
  notdurft zergenclicher dinge, mer: ouch daz man uns schaden tot an unserm
  libe, daz wir siech werden oder swaz pine daz ist, diu uns ze liplicher
  arbeit gefürdern mac, unde so wir in allen unsern werken getuon daz
  allerbeste, daz wir erdenken künnen, so uns daz die liute kerent zuo dem
  aller boesten, daz sie erdenken künnent, unde daz wir daz niht alleine von
  den menschen liden, mer: ouch von gote, also daz er uns enziuhet sinen
  gegenwürtigen trost unde so er rehte tuot, als ein mure zwischen uns und ime
  gemachet si, unde so wir mit unsern arbeiten zuo ime komen, trost unde helfe
  suochen daz er denne gegen uns tuot, als er siniu ougen vor uns beslieze,  
also daz er uns weder sehen noch hoeren welle und er uns alleine lat stan
  vehten in unsern noeten, als Kristus von sinem vater gelazen wart: sehent,
  hie solte wir uns in siner götlichen nature verbergen, daz wir also
  ungeneiget stüenden in unserm untroste, uns mit dekeiner sache ze behelfenne
  wan alleine mit dem worte, daz Kristus sprach vater, aller din wille werde
  vollebraht an mir. 
 | 
  
<:4a>Gott will etwas anderes von Euch haben. Er will, dass ihr frei
  und unbewegt seid. Und dass ihr selbst denen sehr wohl dankbar seid, die von euch
  behaupten, dass ihr falsch und unwahrhaft seid und euch eures guten Rufes
  beraubt  
und euch auch das absprechen, das euer Leib braucht 
und ihr in eurem großen Untrost Trost bei unserem lieben Herrn Jesus
  Christus sucht, und er seine Augen vor euch verschließt und sein Gesicht von euch
  kehrt und er dann so tut, als wolle er euch weder sehen noch hören, und sollt
  ihr euch lassen wie unser Herr Jesus Christus sich am Kreuz gelassen hat,  
als er sprach: ‘Mein Gott, mein Gott, wie sehr hast Du mich verlassen,
  von dem Du weißt, dass er unschuldig ist’.[13] 
 | 
  
<:4>Er will, dass wir frei und unbewegt gefunden werden, wenn man
  von uns behauptet, wir seien falsche und unwahrhafte Leute und was man von
  uns behaupten kann, da wir unseres guten Rufes beraubt werden, und nicht
  allein, dass man von uns übel spricht, sondern auch dass man uns Übles antut
  und man uns die Hilfe abzieht, auf die wir für die Notwendigkeiten unseres Körpers
  nicht verzichten können, und zwar nicht nur mit Blick auf die vergänglichen
  Dinge, sondern auch dass man uns etwas Körperliches antut, dass wir krank
  werden, oder welch anderer Schmerz uns zu körperlicher Mühe zwingt. Und
  während wir in all unserem Bemühen das allerbeste tun, was wir uns erdenken können,
  verdrehen uns die Leute dies zum Schlimmsten, was sie sich erdenken können. Doch
  dies erleiden wir nicht allein von Menschen, sondern auch von Gott, indem er
  uns seinen gegenwärtigen Trost entzieht. Und er tut tatsächlich so, als wäre
  eine Mauer zwischen uns und ihm errichtet, und wenn wir mit unserer Mühe zu
  ihm kommen, Trost und Hilfe suchen, dann stellt er sich gegen uns, da er seine
  Augen vor uns schließt, als wolle er uns weder sehen noch hören, und er uns
  stehen und alleine in unserer Verzweiflung kämpfen lässt, gerade wie Christus
  von seinem Vater verlassen war: Sehet, in seiner göttlichen Natur sollen wir
  uns verbergen, dass wir auf diese Weise ungebeugt in unserer Ungetröstetheit
  stehen und uns nichts anderem bedienen als des Wortes, das Christus sprach: ‘Vater,
  Deine Wille geschehe in mir’.[14] 
 | 
 
<:6a>hier nun
  war daz grvndlose ellende. Vnd ein vergessen vnd nit wissen aller
  geschaffener ist es ein vrsprvng gotlicher eynunge 
 | 
  
<:6a>Hier nun war das grundlose Elend, und es ist ein Vergessen und
  ein Nichtwissen aller, die geschaffen wurden, ein Ursprung göttlicher Einung. 
 | 
  ||
<:7a>Es ist
  kein bilde so g=tlich als dGt dir dryge schaden Es ber?bet luterkeit vnd benymmet friheit vnd verbirget
  gotliche wenheit vns ist in der sele daz enweis vmbe den lip nit der lip weis
  auch vmbe es nyt dez darf sich nieman ein nemen daz er es begryffe in sin
  nature Es gezogen werden durch sin nature vnd Fber alle creature wenn daz wirt geoffenbart vns
  avemaries lag ich spreche oder vns ?gen blickes lang Do mag man mer applas geben den
  alle bebeste der heiligen cristenheit die sich hie nye vernomen 
 | 
  
<:7a>Kein Bild ist so göttlich, dass es nicht dreifachen Schaden
  zufügt. Es raubt die Reinheit, nimmt die Freiheit und verbirgt das göttliche
  Wesen. Es gibt etwas in der Seele, das weiß um den Leib nicht, noch weiß der Leib
  um dieses. Niemand kann annehmen, dass man es in seiner Natur erfasst. Es ist
  durch seine Natur und jenseits aller Kreaturen gezogen, wenn es uns für die
  Länge eines Avemarias, ich sage, für einen Augenaufschlag, offenbart ist. Da
  kann mann mehr Ablass ausgeben als alle Päpste der heiligen Christenheit, die
  hierzu nie etwas verlauten ließen. 
 | 
  ||
<:8a>etteliche
  lGte die kFment vnd wellent alles wort haben vnd minnent mich
  denne ein iegliches also es ist. Wisten sy waz sy sGchten sy teten sin nit Ein lebender der warheit ist
  besser denne alle fragen Ein sterber ist mir werder denne alle leber myt
  eigenschaft gebunden. Eya nement myner worte war durch got daz disen weg
  niemant mag gan er habe sich denne zG grvnde vernommen vnd verlan 
 | 
  
<:8a>Viele Leute kommen und möchten die gesamte Ansprache erhalten
  und lieben mich für alles, wie es ist. Wenn sie wüssten, wonach sie suchen, sie
  würden das ihre nicht tun. Ein Mensch der die Wahrheit lebt ist besser als
  alle, die fragen. Ein Mensch, der stirbt, ist wertvoller als alle, die mit leben,
  gebunden an ihre Eigenschaften. Ach, versteht meine Worte durch Gott, dass
  niemand diesen Weg gehen kann, es sei denn man hat gründlich verstanden und
  sich selbst losgelassen. 
 | 
  ||
<:9a>Der lGte ist gar wenig da die da kFmen Fber verstentliche sch?wunge vnd Gber vernvnftige begryffunge vnd wer doch der
  menschen eins got worden der da stvnde svnder alle begryffvnge formeklicher b<i>ldvnge denne zehen dusent menschen die ir selber
  gebruchent inbildelicher sch>wunge vnd in vernvnftiger begryffvnge.
  Wan die warheit mag sy nit begryffen vor irem behelfe verstanden al vergangen
  al hat keynen begryf noch keynen versFche in zit noch in ewikeit hie en ist noch liep noch
  leit aller begryfnGs abewege so han ich daz mynne alles
  begeben. In diser hohen vollekomenheit begriffent sich die heilige eynikeit zG disem leben han ich mynne Ich armen wa sint mynne
  synne die so gar ber?bet stan ich habe weder war noch nach
  enbildete sache du bist bloß in widernemunge ist der dot. 
 | 
  
<:9a>Es gibt wenig Menschen, die da über die rationale Schau und
  über rationales Verstehen hinauskommen, doch der Mensch ist eins mit Gott
  geworden, der da ohne Begreifen förmlicher Bilder auskommt, anstelle von
  zehntausend Menschen, die sich selbst erfreuen anhand einer von Bildern geleiteten
  Schau und einem rationalen Verstehen. Denn man kann die Wahrheit nicht
  mithilfe ihres Intellekts greifen. Alles, was gänzlich vergangen ist, hat
  weder Begriff noch Möglichkeit, sei es in der Zeit oder in der Ewigkeit, hier
  ist weder Liebe noch Leiden. Allen Verstehens beraubt, habe ich all das
  aufgegeben, was ich bin. In dieser hohen Vollkommenheit hat sich die heilige
  Einung selbst erkannt. Dieses Leben liebe ich. Ich armer, wo sind meine Sinne,
  die so beraubt sind! Ich besitze weder die Wahrheit, noch habe ich eine klare
  Vorstellung. Du bist nackt. Der Tod ist ein Zurücknehmen. 
 | 
  ||
<:10a>Wer diser
  warheit sol werden innen der mNß haben hohe mynne Er mNß sich haben in vollekvmener luterkeyt vnd in
  vollekomener abgescheidenheit vnd mGß sich werffen vnder sich vnd vnder got vnd wider
  alle creaturen. Vnd mGs in mvgelich dvncken daz alle creature
  wider in sin vnd sol nieman wider in sin den vßgenomen einen senfmFtigen hertzen vnd wer daz hat dem sol offenbar
  werden daz dem grosten pfaffen verborgen ist der dazG paris in die schFle ye kam der es myt leben nie besas. Wer dise wege
  sol vinden der mGß hohe sprungen Nber alles das myttel ist daz sich begryffet daz
  heilige iht. Wie wenig noch daz gewortet ist daz man sol komen von iht in
  nicht do sich blosheit hat begryffen vnd alle bilde sint gewichen in dirre
  nehesten vergangenheit da vil lihte nieman zG komen mag oder komet yemant dar zG der mGs allen den verborgen sin die daz nit
  ensint wan es ist vnbekant dem der es da ist eya wie gar verborgen es denne
  ist allen den die hie vmbe nit wissen do blosheit ir selbes vergeht daz ist
  uber alle iht da alle iht endent 
 | 
  
<:10a>Wer dieser Wahrheit inne werden soll, der muss die äußerste Liebe
  besitzen. Sich selbst muss man in vollkommener Reinheit halten und in
  vollkommener Abgeschiedenheit und sich selbst unter sich und unter Gott und
  gegen alle Kreaturen werfen. Man muss damit rechnen, dass alle Kreaturen
  gegen einem sind, und wäre niemand gegen einen, dann wird nur dem, der ein barmherziges
  Herz besitzt offenbart, was dem höchsten Geistlichen, der jemals an die Universität
  zu Paris kam, verborgen blieb. Wer diese Wege entdecken will, muss hoch über
  alles hinwegspringen, was Mittel ist, womit das Heilige etwas ergriffen wird.
  Wie wenig kann man es aussprechen, dass man vom Etwas zum Nichts kommen soll,
  wo die Nacktheit sich selbst ergriffen hat und alle Bilder in die nächste
  Vergangenheit gewichen sind, wohin vielleicht niemand gelangen kann, oder wenn
  jemand hin gelangen könnte, muss er all jenen unbekannt bleiben, denn es ist
  dem, der da ist, unbekannt. Ach, wie vollständig ist es all denen verborgen,
  die nicht von ihm wissen, da Nacktheit sich selbst auslöscht. Dies ist
  jenseits von allem Etwas, wenn alles Etwas ein Ende findet.   
 | 
  ||
<:11a>eya wa sol
  der erleiden da zit helle hymelrich ist vergangen da enmag yemant nyemant
  erlangen Eya waz man vff disem wege bGtet do alle ding stant vff yrem nye Eya daz yeman so
  wise were der mir hie helle oder hymelrich neme oder gebe wie gGt dem zG volgen were do man sich nit wider neme sint
  zefriden in mynen verluste vff ihtes niht han ich ein kosten dein selben wil
  ich mich lan solte hymel vnd erde vergan wer mich nimet vß slag vnd vß klag
  verflGchet sy der der daz habe wer verderben
  welle an mir der stoße baste den rigel fGr vnd sy innen ledig bitz in den dot dar vmb han ich
  kein not. 
 | 
  
<:11a>Ach, was soll der erleiden, da Zeit, Hölle, Himmelreich
  vergangen sind. Dort kann niemand jemand werden. Ach, was kann man auf diesem
  Weg anbieten, wo alle Dinge in ihrem Nichts stehen? Ach, wäre doch einer so weise,
  der mir hier Hölle oder Himmelreich nähme oder gebe, wie gut könnte man dem
  folgen, da man sich nichts wieder nähme. Ich wäre zufrieden mit dem kleinen
  Verlust von Etwas. Es kostete nicht einem selbst. Wenn ich mich selbst lassen
  will, soll Himmel und Erde vergehen, so soll der verflucht sein, der mich weg
  nimmt von dem Schlag und weg von dem Klagen, der mich verderben will, der
  soll so gut als möglich den Riegel vorschieben und innerlich nackt sein bis
  in den Tod. Darum fehlt mir nichts. 
 | 
  ||
<:12b>Got ist ein sogetan wesen, daz man niht baz bekennet denne
  mit nihte. Wie mit nihte? Daz man abe lege allez mitel, niht alleine die welt
  versmahen unde tugende haben, mer: ich muoz die tugent lazen, sol ich got
  sunder mitel sehen; niht also, daz ich die tugent versmehe, mehr: diu tugent
  sol in mir wesenlich sin und ich sol ob der tugende wesen. Wan so des
  menschen gedank enkein dinc niht enrüeren mac, dan aller erste rüeret er got. 
 | 
  
<:12b>Gott ist ein solches Wesen, das man überhaupt nicht kennt,
  außer durch das Nichts. Wie durch das Nichts? Auf dass man alle Mittel fahren
  lässt, nicht alleine, dass man die Welt verschmäht und Tugenden besitzt,
  sondern vielmehr muss ich auch die Tugenden fahren lassen, wenn ich Gott ohne
  Medium sehen will. Nicht, dass ich die Tugenden verschmähe, sondern die
  Tugenden sollen in mir wesentlich sein, und ich soll jenseits der Tugenden
  sein. Erst dann, wenn nichts mehr das Denken des Menschen berühren kann, dann
  berührt er Gott. 
 | 
 ||
<:13b>Ein heidenischer meister sprichet, daz nature über nature
  niht enmac. Da von mac got von keiner creature bekant werden. Sol er bekant
  werden, daz muoz geschehen in einem liehte über nature. 
 | 
  
<:13b>Ein heidnischer Meister sagt, die Natur könne nicht über die Natur
  steigen. Folglich kann Gott von keiner Kreatur erkannt werden. Wenn er denn
  erkannt werden soll, dann muss dies in einem Licht jenseits der Natur sein. 
 | 
 ||
<:14b>Die meister habent eine vrage, waz daz meine, so got die sele
  erhebe über sich selber und über alle creature und er si heim gefüeret in
  sich selber, war umbe enedelt er denne den lip niht, daz er der irdischen
  dinge niht bedörfte? Diz berihtet ein meister – und ich wene, ez si sant
  Augustinus – unde sprichet also: wenne diu sele kumet zuo der götlichen einunge,
  denne aller erst ist der lip volkomenlich dar zuo komen, daz er alliu dinc
  niezen mac ze gotes eren. Wan durch den menschen sint alle creature uz
  geflozzen, unde waz der lip redeliche der creaturen geniezen mac, daz ist der
  sele niht ein abeval, mer: ez ist ein zuovluz ir wirdekeit, wan diu creature
  enmöhte edelern widerfluz niht vinden, in ir ursprunc wider ze komenne, denne
  in dem gerehten menschen, der ie einen ougenblik siner sele gestatte, daz er
  uf gezogen wart in götlicher einunge. Wan zwischen gote und der sele ist denne
  dekein hindernüsse, und also verre diu sele gote volget in die wüestenunge
  der gotheit, also verre volget der lip dem lieben Kristo in die wüestenunge
  des willigen armüetes, und als diu sele vereinet ist mit der gotheit, also ist
  der lip vereinet mit würkunge gewerer tugende in Kristo. So mac der himelsche
  vater wol sprechen ‘diz ist min lieber sun, in deme ich mir selber wol
  gevalle’; wan er hat niht alleine in die sele geborn sinen eingebornen sun,
  mer: er hat si selbe geboren sinen einbornen sune. 
 | 
  
<:14b>Die Meister haben eine Frage: Was bedeutet es, wenn Gott die
  Seele über sich selbst und über alle Kreaturen erhebt und sie heim zu sich
  trägt, warum veredelt er dann nicht den Körper, so dass dieser keine
  irdischen Dinge mehr benötigte? Dies berichtet ein Meister, und wenn ich mich
  recht erinnere ist es Augustinus, der wie folgt spricht: Erst wenn die Seele
  in die göttliche Einung gelangt, erst dann wird der Leib auf vollkommene
  Weise hinzugefügt, so dass er alle Dinge um Gottes Ehre willen genießen kann.
  Denn wegen des Menschen sind alle Kreaturen ausgeflossen, und was der Leib
  zurecht von den Kreaturen genießt, ist kein Abfall für der Seele, im
  Gegenteil, es erhöht noch ihren Adel, denn die Kreaturen können keinen edleren
  Rückfluss finden, um zurück in ihren Ursprung zu kommen als in dem gerechten
  Menschen, der seiner Seele je einen Augenblick erlaubte, in die göttliche
  Einung gezogen zu werden. Dann gibt es kein Hindernis zwischen Gott und der
  Seele, und so weit die Seele Gott in die Wüste der Gottheit folgt, so weit
  folgt der Leib dem geliebten Christus in die Wüste der gewollten Armut, und
  so weit die Seele mit der Gottheit vereint ist, so weit vereint sich der Leib
  mit dem Handeln der erprobten Tugenden in Christus. Darum kann der himmlische
  Vater sehr wohl sprechen: ‘Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich mir
  selber wohl gefalle’. Denn er hat seinen Sohn nicht nur in die Seele geboren,
  mehr noch, er hat sie selbst als seinen eingeborenen Sohn geboren. 
 | 
 ||
<:15b>Eya, von dem aller tiefesten herzen! Mensche, waz mac dir
  herte oder scharpf gesin durch in ze lidenne, wenne du rehte betrahtest, daz
  der, der da was in der forme gotes und in dem tage siner ewikeit in dem
  schine der heiligen unde der da vor geborn was ein schin und ein substancie
  gotes, daz der kam zuo dem karcher unde zuo dem lime diner smeckenden nature,
  diu also unreine ist, daz alliu dinc, swie reine sie sint diu ir genahent,
  diu werdent smeckende und unreine, und er doch durch dinen willen genzliche dar
  in wolte gestecket werden? Waz ist niht süeze durch in ze lidenne, swenne du
  ze semen liesest alle die bitterkeit und alles des lasters, daz uf in viel?
  welich schande und laster er leit von den fürsten unde von den rittern und
  von den boesen knehten unde von allen den, die den weg uf und nider giengen
  für das kriuze? wie diu klarheit des ewigen liehtes verspiuwen unde
  verspottet unde geitwizet wart? 
 | 
  
<:15b>Ach, aus dem tiefsten Herzen! Mensch, was kann für Dich hart
  oder scharf sein, für ihn zu leiden, wenn Du recht betrachtest, dass
  derjenige, der da in der Gestalt Gottes war und am Tag seiner Ewigkeit in dem
  Schein der Heiligen, und der davor als Abglanz und Substanz Gottes geboren
  war, dass der in den Kerker kam und zu dem Lehm Deiner übelschmeckenden
  Natur, die so unrein ist, dass alle Dinge, gleich wie rein sie sind, wenn sie
  sich ihr nähern, übelschmeckend und unrein werden, und er doch um Deiner
  Willen wegen gänzlich in sie gesteckt werden wollte? Was ist nicht süß, für
  ihn zu leiden, wenn Du alle Bitternis und alle Laster sammelst, das ihn befiel?
  Welche Schande und Laster leidet er von den Fürsten und von den Rittern und
  von den bösen Knechten und von all denjenigen, die den Kreuzweg auf und nieder
  gingen? Als der Glanz des ewigen Lichts bespuckt und verspottet und
  lächerlich gemacht wurde?   
 | 
 ||
<:16b>Eya, wie ein groz unverschult barmeherzikeit und wol bewertiu
  minne, diu mir an keiner stat nie volkomenlicher beweret wart als an der
  stat, da der minne kraft durch sin herze brach! Also mache dir ein gebündelin
  von myrren van  aller hande bitterkeit
  dines herren und gotes unde laz ez alle zit zwischen dinen brüsten wonen und sich
  an unde beschowe sine tugende, wie fürderlich er din heil in allen sinen
  werken zuo hat braht, unde sich, daz du im mit dem selben gelte widermezzest
  sinen schemelichen lesterlichen tot und sine pin lidende nature, mit der er
  ane schulde für dine schulde geliten hat, als ez sin eigen schulde were, als
  er selber sprichet in dem propheten von siner pine, da er sprichet ‘sehent,
  diz lide ich von minen schulden’, unde wa er sprichet von der fruht siner
  werke, da sprichet er ‘sehent, disen richtuom sulnt ir besitzen von iuwern
  werken!’ unde nennet unser sünde sine sünde unde siniu werc unseriu werc, wan
  er hat unser sünde gebezzert, gelick als er sie selbe gewürket hete, unde wir
  besitzen die verdienunge siner werke rehte als wir sie gewürket haben. Unde diz
  sol unser arbeit ringe machen, wan der guote ritter klaget siner wunden niht,
  so er den künig an siht, der mit ime durch ine verwundet ist. Er biutet uns
  ein tranc, daz er vor getrunken hat. Er enbiutet uns niht, er habe ez e
  vorgetan oder geliten. Dar umbe sulle wir groze minne ze liden han, wan got
  nie niht anders getet die wile er uf ertriche was. 
 | 
  
<:16b>Ach, was für eine große, unverschuldete Barmherzigkeit und wohl
  bewährte Liebe, die mir an keinem anderen Ort vollkommener geprüft wurde, als
  die Kraft der Liebe sein Herz durchbrach! Mach Dir folglich ein Bündel aus
  all der Bitternis Deines Herrn und Gottes und lass es allezeit zwischen
  Deinen Brüsten wohnen und betrachte und siehe seine Tugend, wie hilfreich er
  Deine Rettung durch all seine Handlungen bewerkstelligt hat und siehe, dass
  Du ihm mit derselben Gegenleistung seinen schamvollen, lästerlichen Tod und
  den Schmerz seiner leidenden Natur zurückbezahlst, mit der er unschuldig für
  Deine Schulden gelitten hat, wie wenn es seine Schuld wäre, wie er im
  Propheten von seinem Schmerz spricht, wenn er sagt: ‘Sehet, dies leide ich
  für meine Schulden’, und wo er von den Früchten seiner Handlungen spricht, wenn
  er sagt: ‘Sehet, diesen Reichtum sollt Ihr wegen Eurer Werke besitzen’. Und
  er nennt unsere Sünden seine Sünden und sein Werk unser Werk, denn er hat
  unsere Sünden gut gemacht, als wenn er sie selbst getan hätte, und wir
  besitzen den Lohn seiner Handlungen, als wenn wir sie getätigt hätten. Und
  dies sollte unsere Mühe klein machen, denn der gute Ritter beschwert sich
  nicht über seine Wunden, während er auf den König schaut, der mit ihm und
  durch ihn verwundet ist. Er bietet uns einen Trunk an, den er zuvor getrunken
  hat. Er bietet uns nichts an, es sei denn er habe es zuvor erlitten. Gerade
  darum sollten wir eine große Liebe zum Leiden haben, denn Gott hat nie etwas anderes
  getan, als er auf Erden war. 
 | 
 ||
<:17b>Daz wir also unser menschliche nature und alle unser
  krankheit in götlicher nature verbergen und verlieren, daz an uns niht funden
  werde dan der luter got, des helf uns got. Amen. 
 | 
  
<:10>Auf dass wir unsere menschliche Natur und all unsere Schwächen
  in der göttlichen Natur verbergen und verlieren, und dass nichts in uns
  gefunden wird als der reine Gott, des helfe uns Gott. Amen. 
 | 
 ||
Predigt T29/5,1* [Nemes, 2012]
Feria V post Dominicam resurrectionis Domini
‘Maria stunt uswendig by dem grabe’ (Ioh. 20:11)
<:1>[29v] Maria stunt uswendig by dem
  grabe also stot geschriben in dem ewangelio Johannis   | 
  
   <:1>‘Maria stand außerhalb beim Grab’, wie es geschrieben steht
  im Evangelium des Johannes.[3]
    | 
 
| 
   <:2>NG
  lossent vns eben lGgen wie maria magdalena stunt vnd wo sF stunt Maria stvnt by den fFssen Jesu v?l ruwen by dem crFtze v?l liebe by dem grabe v?l truwe vnd stetikeit jn der wFste v?l gnode vnd volkummenheit. Daz j waz ein zeichen worer bGsse Daz ij ein zeichen worer minne vnd eines mitlidens Daz iij
  ein zeichen [30r] worer beharlicheit Daz iiij ein zeichen einer endeberlichen
  volkummenheit  | 
  
   <:2>Nun
  lasst uns sehen, wie Maria Magdalena stand und wo sie stand. Maria stand an
  den Füßen Jesu, voller Ruhe am Kreuz, voller Liebe am Grab, voller Vertrauen
  und Beständigkeit in der Wüste, voll Gnade und Vollkommenheit. Das erste war
  ein Zeichen wahrer Buße, das zweite ein Zeichen wahrer Liebe und eines
  Mitleidens, das dritte ein Zeichen wahrer Beharrlichkeit, das vierte ein
  Zeichen entbehrender Vollkommenheit.  | 
 
| 
   <:3>Maria wz gestanden in richtGm t=rlich jn sch=ne Mppiklich jn adel hachfertiklich jn jugent
  nerriklich aber also sF sich bekerte zG dem ersten so bekante si dz Jhsus wz in symonis hus zG dem anderen mol sG kam zG im zG dem dritten sF stunt hindenan zG dem iiij sF viel zG den fFssen Jesu dovon kam nie kein m=nsch on grosse gnade zG den v sF weinete zG den vj sF wGnsch vnd trFcknet vnd salbete zG den vij sF kFssete also bekante sF sich sFchen vnd den artzot vnd schammete sich vor
  den ?gen Jesun vnd enwete vnd det genGg vnd hette vaste liep   | 
  
   <:3>Maria
  stand töricht im Reichtum, üppig in der Schönheit, stolz im Adel und närrisch
  in der Jugend, aber als sie sich bekehrte, erkannte sie erstens, dass Jesus
  im Haus des Simon war,[4] zweitens kam
  sie zu ihm,[5]
  drittens stand sie hinter ihm,[6] viertens fiel
  si zu Füßen Jesu,[7]
  dies geschah niemandem ohne große Gnade, fünftens weinte sie,[8] sechstens
  wischte und trocknete und salbte sie,[9] siebtens
  küsste sie, folglich wusste sie, dass sie nach dem Arzt suchte und war vor
  den Augen Jesu beschämt und erkannte und tat genug und hatte eine starke
  Liebe.  | 
 
| 
   <:4>Maria stunt by dem crFtze in der worheit sF stunt an dem crFtze gecrFtziget wann Jhses Cristus leit dz crFtze an dem rFcken Maria in dem hertzen Cristus [30v]
  Cristus an sinem libe maria in der selen Jehsus Christus geheftet mit nagelen
  maria an dz crFtze genegelt mit minne vnd der nagel der got
  vnd m=nsch zG sammen heftet in ein person der selbe negelte maria an
  dz crFtze vnd dz ist der einige nagel dar mit ein
  ieglich andehtige sel sich heftet zG got Also Paulus sprach Ich bin geheftet an dz crFtze vnd der selige ygnatius sprach min minne ist gecrFtziget   | 
  
   <:4>Maria
  stand am Kreuz der Wahrheit. Sie stand gekreuzigt am Kreuz, denn das Kreuz
  lag auf dem Rücken Jesu Christi, Christ im Herz Marias, auf dem Körper Christi,
  in der Seele Marias, Jesus Christus, festgemacht mit Nägeln, Maria an das
  Kreuz genagelt durch Liebe. Und der Nagel, der Gott und Mensch in einer
  Person zusammenbindet, derselbe nagelte Maria an das Kreuz, und dies ist der
  eine Nagel, durch den jede aufmerksame Seele sich selbst an Gott festmacht. So
  sagte Paulus:[10]
  ‘Ich bin an das Kreuz geheftet.’ Und der gesegnete Ignatius sagte:[11] ‘Meine Liebe
  ist gekreuzigt.’[12]  | 
 
| 
   <:5>maria stunt by dem grabe dz wz ein zeichen
  worer truwe vnd beharlicheit wenn da die jungeren einweg gingen do bleip sF vnd stunt vnd weinete wer stot der ist eines gGten willen vnd wer weinet der bekennet sich vnvolkummen
  vnd sF neigete sich ein gGt williger m=nsch neiget sich ge[31r]horsam zG sin vnd demFtig maria stunt vnd neigete sich gGter wille ist nit eigen er ist gemein   | 
  
   <:5>‘Maria
  stand beim Grab’, was ein Zeichen der Treue und Beharrlichkeit war. Während
  dort die Jünger weggingen, blieb sie und stand und weinte.[13]  Wer steht, hat einen guten Willen, und wer
  weint, bekennt seine Unvollkommenheit. Und sie verneigte sich. Ein Mensch
  guten Willens verneigt sich, um gehorsam und demütig zu sein. Maria stand und
  verneigte sich.[14] Ein guter
  Wille ist nichts individuelles, sondern etwas gemeinsames.   | 
 
| 
   <:6>vnd sF sach zwen engel in wissen kleideren sitzen einen zG den h=bten Es ist lieht von obenan vnd einen zG den fFssen es ist fFrsFchtikeit hie nidenan Die engel sprochen
  mulier quit ploras wip war vmb weinestu wo do ist wore vstende der selen do
  sol man fr=lich sin also dz ewangelium sprichet Es ist
  fr=de in den engelen wenn sich der sFnder bekert   | 
  
   <:6>Und
  sie sah zwei Engel in weißen Kleidern sitzen,[15] einer am
  Kopf, das Licht von oben ist, und der andere an den Füßen, das Sorge für das
  Untere ist. Die Engel sagten:[16] ‘Mulier,
  quid ploras’, ‘warum weinst Du?’ Wo ein wahres Verstehen der Seele ist, soll
  man sich freuen, wie das Evangelium sagt: ‘In den Engeln ist Freude, wenn
  einer Sünder sich bekehrt.’[17]  | 
 
| 
   <:7>maria sprach sF hant mir minen herren enweg genummen vnd weis nit war
  sF in geleit haben wer weis wo trost ist so er
  der selen verborgen ist vnd sF kerte sich vmb vnd sach hinder sich
  crisostumus der heilge lerer sprichet dz die engel vf stunden vnd ersamklich
  sich neigeten gegen vnserm herren do [31v] dz maria sach do lGgete sF hinder sich wer do kem gegen den die engel
  vf stunden vnd sF sach vnsern herren Jhsum ston vnd wuste nit
  dz es Ihsus wz dig vnd vil ist es die worheit do du nit weist vnd dz machet
  dinn kleiner gl?be Ijesus sprach wip war vmb weinestu wenn sGchestu maria wande es wer ein gartener also er ?ch ist vnd sF sprach herre hastu in hie dannan genumen so
  sage mir war hastu in geleit so wil ich in nemen vnd enweg tragen also ob sF wolte sprechen du hast in villFcht nit gern in dinen garten sage mir wo ist er ich
  habe in gern ich wil dir sin ab helffen   | 
  
   <:7>Maria
  sagte,[18]
  Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt
  haben. Wer weiß, wo man Trost finden kann, wenn er der Seele verborgen ist? Und
  sie drehte sich um und schaute hinter sich. Chrysostomus, der heilige Lehrer,
  sagt, dass die Engel aufstanden und sich ehrsam vor unserem Herrn verneigten.
  Als Maria dies sah, schaute sie hinter sich, wer da kommen würde,[19] für den die
  Engel aufstünden, und sie sah unseren Herrn Jesus da stehen, aber sie wußte
  nicht, dass es Jesus war. Die Wahrheit, die Du nicht kennst, ist groß und
  vielfältig, und das liegt an unserem geringen Glauben. Jesus sagte:[20] ‘Frau, warum
  weinst Du, wen suchst Du?’ Maria dachte, er könnte der Gärtner sein, was er
  ja auch ist, und sie sagte:[21] ‘Herr, wenn
  Du ihn weggetragen hast, sag mir, wohin Du ihn gelegt hast, und ich will ihn
  wegtragen’, als wollte sie sagen: Du hast ihn vielleicht ungerne in deinem
  Garten, sag mir, wo er ist, ich habe ihn gerne, ich will dir helfen ihn los
  zu werden.  | 
 
| 
   <:8>Ijesus sprach maria do sF vnser herre nante do kerte sF sich zG im vnd sprach raby meister Jhsus sprach rFr mich nit an ich bin noch nit vf gangen zG minem [32r] vatter du wilt mich heben vnd nit lassen
  dz geschiht erst so ich vf kum zF minem vatter gang vnd sage minen brFderen ich wil vf gon zG minem vatter vnd zG uwerem vatter zG minem got vnd zG uwerem got vnd maria verkFndete dz den jungeren vnd sprach also hat er mir geseit
  dz ist dz ewangelium   | 
  
   <:8>Jesus
  sagte:[22]
  ‘Maria’. Als unser Herr sie rief, drehte sie sich zu ihm und sagte: ‘Rabbi, Meister’.
  Jesus sagte:[23]
  ‘Berühr mich nicht, denn ich bin noch nicht zu meinem Vater hinaufgegangen.
  Du willst mich halten und mich nicht gehen lassen, dies wird nur dann
  geschehen, wenn ich zu meinem Vater gekommen bin, gehe und sag meinen
  Brüdern, dass ich zu meinem Vater und zu Eurem Vater aufsteige, zu meinem
  Gott und zu Eurem Gott.’ Und Maria verkündete dies den Jüngern und sagte:[24] ‘So hat er
  zu mir gesprochen, dies sei das Evangelium’.  | 
 
| 
   <:9>NG kum ich vf den synne miner ersten wort also
  ich sprach maria stunt maria stunt in einem schowen der worheit in minnen der
  ewikeit in ab scheiden in der friheit   | 
  
   <:9>Nun
  komme ich zur Bedeutung meines ersten Wortes, als ich sagte: Maria stand. Ich
  sagte: Maria stand in einer Schau der Wahrheit, im Liebe der Ewigkeit, in
  Abgeschiedenheit, in der Freiheit.  | 
 
| 
   <:10>maria stunt in einem schowen der worheit vnd
  die worheit wart sF jnnen drFveltiklich zG ersten so nam sF die worheit von der vswendikeit der welte oder der
  besch=pfde wenn die creatur vnd die welt sprichet
  vnd seit die worheit von ir selber mit irem wFrcken nemlich ich blende dich wenn ich bin liplich
  dinen willen krFmbe ich wenn ich zFhe dich [32v] zG mir vnder sich vnd din hertze vervnreinige ich vnd din
  jnnerlicheit ersch=pf ich din hertze mache ich vnfride sam vnd
  vnstet vnd ber?be den geist siner friheit dz seit die welt
  von ir selber vnd entpfindet dz ein iegliches dz in der welt vmb got dar vmb
  stunt maria magdalena in der wFste in ab gescheidenheit   | 
  
   <:10>Maria
  stand in einer Schau der Wahrheit, und die Wahrheit war in ihr auf dreifache
  Weise: Erstens nahm sie die Wahrheit von der äußeren Welt oder den Kreaturen,
  da die Kreatur und die Welt spricht, und die Wahrheit aus sich selbst heraus
  durch ihre Handlungen spricht: denn ich blende Dich, weil ich körperlich bin,
  ich beuge Deinen Willen, denn ich ziehe Dich zu mir, unter Dich, und ich
  beschmutze Dein Herz, und ich schöpfe Dein Inneres aus, ich mache Dein Herz
  unfriedlich und rastlos und beraube Deinen Geist seiner Freiheit. Dies sagt
  die Welt über sich selbst und alles in der Welt um Gott bemerkt dies. Darum
  stand Maria Magdalena in Abgeschiedenheit in der Wüste.  | 
 
| 
   <:11>die ander worheit entpfindet der m=nsch von sinem geist inwendig wenn so der m=nsch noch der selen ist die glichnis der gotheit dz
  bilde der heilgen drFvaltikeit dar vmb des geistes friheit mit
  zit nit wurt gemessen an kein stat beslossen vn keiner creatur bezwungen vnd
  ir apgrunde von keiner creatur ergrFndet vnd ir jnnerlihceit nit denn von got er fFllet dar vmb in ir jnnerlicheit nieman denn got sol sin
  vnd ir sol got [33r] all ding sin ie neher dem ie worer also wz der geist
  marie magdalenen also v=l vnsers herren Jhsu dz sF alle zit wz wo vnser herre Jesus wz vnd wast doch nit
  wo er wz dar vmb wuste su nit wo ir geist wz also sF sich selber nit wuste do erschein ir die worheit
  Jehsus.   | 
  
   <:11>Ein
  Mensch spürt die zweite Wahrheit durch den eigenen inneren Sinn,[25] wenn der
  Mensch der Seele gemäß ist, dem Gleichnis der Gottheit, dem Bild der heiligen
  Dreivaltigkeit. Darum war die Freiheit des Geistes nicht zeitlich bemessen
  und ist nicht im Raum eingeschlossen, noch durch irgendeine Kreatur
  bewältigt, und ihr Abgrund ist nicht durch irgendeine Kreatur ergründet, noch
  ist ihr Inneres durch irgendetwas anderes erfüllt als Gott. Darum soll
  niemand in ihrem Inneren sein außer Gott, und für sie soll Gott alles sein,
  je näher zu ihm, desto wahrer. Folglich war der Geist Maria Magdalenas so von
  unserem Herrn Jesus Christus erfüllt, dass sie immer dort war, wo unser Herr
  Jesus war, auch wenn sie nicht wusste, wo er war. Darum wusst sie niciht, wo
  ihr Geist war. Und als sie selbst nicht um sich wusste, da erschien ihr die
  Wahrheit Jesu.  | 
 
| 
   <:12>Die dritte worheit ist von obenan von got
  vnd ist drFvaltig von ersten dz got in keinen
  beschaffenen mittel ist sFhtiklich volkummenlich zG den anderen dz sich got einem reinen hertzen nit mag
  verbergen zF dem dritten dz keinem m=nschen wol ist des hertze nit ein faltiklich in got
  geordent ist   | 
  
   <:12>Die
  dritte Wahrheit kommt von oben, forn Gott, und ist dreifach: Erstens, dass
  Gott durch keine geschaffene Mittel vollkommen ersichtlich ist, zweitens,
  dass Gott sich vor einem reinen Herz nicht verbergen kann, drittens, dass
  niemand glücklich sein kann, dessen Herz nicht einfältig in Gott angelegt ist.  | 
 
| 
   <:13>NG vmb einer besseren besliessung willen so
  nim ich drF ding dar jnne des m=nschen volkummenheit stot dz erste ist schowen die
  worheit dz ander liep haben daz dritte ab scheiden vnd lassen   | 
  
   <:13>Um
  eines besseren Endes willen greife ich drei Dinge auf, worin die
  Vollkommenheit des Menschen besteht. Das erste ist die Schau der Wahrheit,
  das zweite, zu lieben, das dritte, Abscheiden und Loslassen.  | 
 
| 
   <:14>zG dem schowen dienet sitzen rGwe swigen vnd [33v] h=ren Also maria sas by den fFssen Jhsun vnd horte sine wort   | 
  
   <:14>Dem
  Schauen dienen Sitzen,[26] Ruhe,
  Schweigen und Zuhören. Darum sagt saß Maria zu Füßen Jesu und lauschte seinen
  Worten.   | 
 
| 
   <:15>zG volkummener liebe stat sin sel geben vnd im
  selbes vs gon also maria det in den noch volgen Cristi vnd sGchen also ob sF on in nit m=hte leben   | 
  
   <:15>Zu
  vollkommenen Liebe gehört es, seine Seele zu geben und aus dem Eigenen
  herauszugehen, und das tat Maria, indem sie Christus folgte und suchte, als
  ob sie nicht ohne ihn leben könnte.  | 
 
| 
   <:16>dz gr=ste im abscheiden ist gemeinlich keinen zitlichen
  keinen irdenschen vnd beschaffenen dingen synne vnd gemGt geben also maria magdalena in der wFste dz leben marien magdalenen entpfFlhe ich dir zG betrachten vnd wie sF tegelich zG vij malen von den engelen erhaben vnd do
  horte engels gesang vnd wart himmelschlichen gespiset   | 
  
   <:16>Die
  Größte in der Abgeschiedenheit besteht gewöhnlich darin, weder Sinn noch
  Verstand auf irgendetwas Zeitliches, Irdisches oder Geschöpfliches
  auszurichten, wie Maria Magdalena in der Wüste. Ich empfehlt Dir, das Leben
  der Maria Magdalena zu betrachten und wie sie täglich siebenmal von den
  Engeln emporgehoben wird und dort den Gesang der Engel hört und himmlisch
  ernährt wird.  | 
 
| 
   <:17>NG etwz ist zG mercken by den w=rtelin maria vnd etwz by dem w=rdelin raby dz ist meister maria ist also vil
  gesprochen also erlFhtet wann magdalena also balde sF horte dz wort maria do sprach sF raby dz ist meister wenn er ist der meister der h=hsten [34r] worheit dar vmb an zG schowen der h=hsten gFte dar vmb sol man in lieb han der h=hsten volkummenheit dar vmb sol man im noch volgen   | 
  
   <:17>Nun
  soll man auf etwas bei Wörtchen ‘Maria’, und auf etwas bei dem Wörtchen ‘Rabbi’,
  d.h. ‘Meister’, achten. Maria bedeutet so viel wie ‘erleuchtet’, denn sobald
  Magdalena das Wort ‘Maria’ hörte, sagte sie ‘Rabbi’, d.h. ‘Meister’, denn er
  ist der Meister der höchsten Wahrheit. Um also das höchste Gut zu schauen,
  soll man folglich ihn in höchster Vollkommenheit lieben und ihm nachfolgen.  | 
 
| 
   <:18>dar vmb meister der worheit ler mich dich
  finden meister der gFte ler mich dich liep han meister der
  volkummenheit ler mich dir noch volgen vnd alle ding durch dinen willen
  lassen also lere alle dinn leptage vnd las nit abe so ergriffestu in also die
  andehtige sel sprach Jch han in ergriffen vnd los in nit
  [34r] bitz er mich in fFret in sinen winkeller des ewigen lustes vnd fr=den amen   | 
  
   <:18>Darum,
  Meister der Wahrheit, lehre mich Dich zu finden, Meister der Güte, lehr mich,
  Dich zu lieben, Meister der Vollkommenheit, lehr mich, Dir nachzufolgen und
  alle Dinge um Deinetwillen zu lassen, also lehre alle Deine Tage und höre
  nicht auf, dann wirst Du ihn ergreifen. Die aufmerksame Seele sagt also: Ich
  habe ihn ergriffen, und lass ihn nicht gehen, bis er mich in seinen
  Weinkeller[27]
  der ewigen Lust und Freude führt. Amen.   | 
 
[3] Ioh. 20:11: ‘Maria autem stabat ad monumentum foris, plorans. Dum ergo fleret, inclinavit se, et prospexit in monumentum.’
[4] Vgl. Luc. 7:36-50 (Matth. 26:6-13, Marc. 14:3-9, Ioh. 12:1-8),
esp. Luc. 7:37: ‘Et ecce mulier, quae
erat in civitate peccatrix, ut cognovit
quod accubuisset in domo pharisaei’.
[5] Vgl. Matth. 26:7: ‘accessit
ad eum mulier.’
[6] Vgl. Luc. 7:38: ‘et stans
retro secus pedes ejus.’
[7] Vgl. Ioh. 11:32: ‘Maria
ergo, cum venisset ubi erat Jesus, videns eum, cecidit ad pedes ejus.’
[8] Vgl. Luc. 7:38: ‘lacrimis
coepit rigare pedes ejus.’
[9] Vgl. Luc. 7:38: ‘capillis
capitis sui tergebat, et osculabatur pedes ejus, et unguento ungebat.’
[10] Vgl. Gal. 5:24: ‘Qui autem
sunt Christi, carnem suam crucifixerunt.’
[11] Vgl. also the use of Ignatius in Eckhart, Hom. T25,2* [Strauch V], n. 5.
[12] So IgnRom. 7.
[13] Der gleiche Gedanke, der dem (Pseudo-)Origenes zugeschrieben wird,
findet sich in Eckhart, Hom. 29/5,2*
[35*; Q 56], n. 2: ‘Origenes
sprichet: si stuont. War umbe stuont si, und die aposteln wâren gevlohen?’ (‘Origen says: She was standing. Why did she
stand, and the apostles had fled?’); vgl. hierzu Ps.-Origenes, Homilia super ‘Maria stabat’, ed. Basileae, 1545, II 319: ‘Maria autem
stabat ad monumentum foris plorans, et quasi desperando sperans, et sperando
perseverans. Petrus et Ioannes timuerunt et ideo non steterunt. Maria autem non
timebat, quia nihil suspicabatur sibi superesse quod timere deberet. Perdiderat
enim magistrum suum, quem ita singulariter diligebat, ut praeter ipsum nihil
posset diligere, nihil posset sperare. Perdiderat vitam animae suae, et iam
sibi melius arbitrabatur fore mori quam vivere, quia forsitan inveniret
moriens, quem invenire non poterat vivens, sine quo tamen vivere non valebat.’
[14] Vgl. Eckhart, Hom. 29/5,1 [34*; Q 55], n. 7: ‘Alsô enmac got niht würken dan in dem
grunde der dêmuot; wan ie tiefer in der dêmuot, ie enpfenclîcher gotes’ (‘Thus, God cannot act except in the
ground of humility; because the more deeply humble, the more receptive one is
of God’).
[15] Vgl. Ioh. 20:11: ‘et vidit
duos angelos in albis sedentes, unum ad caput, et unum ad pedes, ubi positum
fuerat corpus Jesu.’
[16] Vgl. Ioh. 20:13: ‘Dicunt ei
illi: Mulier, quid ploras?’
[17] Vgl. Luc. 15:10: ‘gaudium
erit coram angelis Dei super uno peccatore poenitentiam agente’ and Luc. 2:10: ‘Et dixit illis angelus:
Nolite timere: ecce enim evangelizo vobis gaudium magnum.’
[18] Vgl.Ioh. 20:13: ‘Dicit eis:
Quia tulerunt Dominum meum: et nescio ubi posuerunt eum.’
[19] Vgl.Ioh. 20:14: ‘Haec cum
dixisset, conversa est retrorsum, et vidit Jesum stantem: et non sciebat quia
Jesus est.’
[20] Vgl.Ioh. 20:15: ‘Dicit ei
Jesus: Mulier, quid ploras? quem quaeris?’
[21] Vgl.Ioh. 20:15: ‘dicit ei:
Domine, si tu sustulisti eum, dicito mihi ubi posuisti eum, et ego eum tollam.’
[22] Vgl.Ioh. 20:16: ‘Dicit ei Jesus: Maria. Conversa illa, dicit ei: Rabboni (quod
dicitur Magister).’
[23] Vgl.Ioh. 20:17: ‘Dicit ei
Jesus: Noli me tangere, nondum enim ascendi ad Patrem meum: vade autem ad
fratres meos, et dic eis: Ascendo ad Patrem meum, et Patrem vestrum, Deum meum,
et Deum vestrum.’
[24] Vgl.Ioh. 20:18: ‘Venit Maria
Magdalene annuntians discipulis: Quia vidi Dominum, et haec dixit mihi.’
[25] Vgl. Eckhart, Hom. 29/5,1* [34*; Q 55], n. : ‘Dar umbe stuont Marîâ, daz si deste verrer
möhte gesehen umbe sich, ob iendert ein bosche wære, dâ got under verborgen
wære, daz si in dâ suochte. Daz ander: si was enbinnen sô gar gerihtet in got
mit allen irn kreften; dar umbe stuont si von enbûzen’.
[26] Der parallele
Gedanke begegnet wiederum in Eckhart, Hom.
29/5,1* [34*; Q 55], n. 7, vgl. weiter oben die Einführung zur Predigt.
[27] See Luc. 22:18: ‘Dico enim vobis quod non bibam de generatione vitis
donec regnum Dei veniat.’
Predigt T38,1* [Strauch IX 388-90]
Text and translation
<:1>[230a]Emitte
  spiritum tuum Der prophete sprichit Sende uß dynen geyst  
 | 
  |
<:2>Nu wollen wir sehen wie der prophete ware haben moge
  Da er sprichet sende uß dynen geyst Man enmag nit senden wen das zusendene
  ist Ich mag mich selbere wol geben ich enmag mich nit senden Der sone und der
  heilige geyst sin zusendene und nit der vatter want er von nyemande enist   
 | 
  
<:2>Nun wollen wir sehen, wie der Prophet recht haben kann, wenn er
  sagt: ‘Sende aus Deinen Geist’. Man kann nicht den senden, der sendet. Ich
  kann mich wohl selbst geben, doch kann ich mich nicht senden. Der Son und der
  Heilige Geist sind zu senden, doch nicht der Vater, denn er stammt von
  niemandem.  
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<:3>Eyn meyster was der hieß Arrianus Der sprach das der
  vatter were eyn sache des sones und des heiligen geystes das enmag nyt gesin.
  Wande was da gesachet wurdt das geht ußer dem der es da sachet und geht in
  eyn andere nature Du bist eyn [230b] und din wercke das du wirckest get in eyn
  andere nature Darumb bistu eyn sache des wercks Ist es dan also das die sache
  eyn ist und das da gesachet wurdt vellet in eyn andere nature Sachte dann der
  vatter den sone und den heyligen geyste so musten sie auch fallen in eyn
  andere nature so musten sie mynnere sin dann der vatter so musten sie creature sin in dieseme ist der
  doit Sanctus Augustinus der deht viel syner macht darzu und er enkonde yen
  nye bringen ußer diesem unglauben. Unde alle die hie Inne lebent die heyssent
  noch Arriani  
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<:3>Es war ein Meister mit Namen Arius.[4] Er sagte,
  dass der Vater die Ursache des Sohnes und des heiligen Geistes sei. Das kann nicht sein. Denn was verursacht wurde, kommt aus dem, der da
  die Ursache ist und geht in eine andere Natur. Du bist der eine und das Werk,
  das Du hervorbringst, wird von einer anderen Natur sein. Darum bist Du die Ursache Deines Werks. Darum ist die Ursache die eine
  Sache und was verursacht worden ist, ist von einer anderen Natur. Hätte der
  Vater den Sohn und den heiligen Geist verursacht, hätten diese von einer
  anderen Natur sein müssen, sie müssten weniger als der Vater sein, sie
  müssten Kreaturen sein, in denen es Tod gibt. Der heilige Augustinus tat sein
  bestes, doch er konnte ihn nicht aus diesem Unglauben herausholen. Und all
  diejenigen, die immernoch in ihm leben, heißen Arianer. 
 | 
 
<:4>Nu enIst doch der sone nyt von yme selbser und er
  enist auch nyt von materien und enIst auch nyt von nydde [231a]
  sunder er ist von dem vatter komen und ensal ich dann nit sprechen das der vader sij eyn sache des
  sones Neyn du ensalt es nit sprechen Er enist nyt eyn sache des sones Er ist
  sin anbedynne  
 | 
  
<:4>Nun ist der Sohn weder durch sich selbst noch aus der Materia,
  noch von Nichts, sondern er ist aus dem Vater gekommen. Soll ich dann nicht
  sagen, dass der Vater eine Ursache des Sohnes ist? Nein, dies sollst Du nicht
  sagen! Er ist nicht die Ursache des Sohnes, er ist sein Ursprung.[5]  
 | 
 
<:5>Eyn ander meyster der hieß Sabellius der sprach der
  vader ist nyt eyn sache des
  sones Sunder der vader get uß als eyn sache in yr werck Also bin ich
  ußgegangen in die kunst von artzetien So spricht man der lesemeyster ist eyne
  artzet gen ich aber uß in die kunste von recht so sprichet man der
  lesemeyster ist eyn vorspreche Also bin ich ußgegangen in myne wercke und bin
  dasselbe in myme wercke das ich in myr selber byn Alsus [231b]  sprich er dann das der vater sij ußgegangen
  und hat an sich genomen menschliche nature und da er sprichet das er an sich
  genomen habe menschlich nature da sij er sone und in yem selber so sij er
  vatter und da da er uns heyliget da sij er heligeyst und da uß ensij nyt dann
  personen und alsus wil er das
  nyt dann eyn persone in der gotheyt sij  
Diese zwen
  widdersprechen cristenglauben Want wir sprechen und gleuben das drij personen
  sin an der gotheyt  
 | 
  
<:5>Ein anderer Meister heißt Sabellius. Er sagte, dass der Vater
  nicht die Ursache des Sohnes ist, sondern der Vater geht aus als Ursache in
  ihr Werk. So ging ich aus in die Kenntnis des Mediziners. Folglich sagt man: Der
  Lesemeister[6] ist ein
  Mediziner. Wenn ich in die Kenntnis des Rechts ausging, würde man sagen: Der Lesemeyster ist ein Anwalt. So ging
  ich aus in mein Werk und bin derselbe in meinem Werk, der ich in mir selbst
  bin. So sagt er, dass der Vater herausgegangen ist und menschliche Natur auf
  sich genommen hat und wie er sagt, dass er menschliche Natur auf sich
  genommen hat, sei er Sohn und in sich selbst sei er Vater, und da er uns
  heiligt, sei er heiliger Geist und daher gibt es keine Personen, sondern
  folglich will er nicht, dass da mehr als eine einzige Person in der Gottheit
  ist. 
Diese beiden widersprechen dem christlichen Glauben, denn wir sagen und
  glauben, dass es drei Personen in der Gottheit gibt. 
 | 
 
<:6>Er sprichet sende uß Nu merkent den ußgang des sones
  von dem vater und nement eyn glichnisse in uch selber. Wanne du in dich
  selber siehest und sichst in eyne warheyt So ist mee warheyt der [232a]
  du nyt begriffen enhaist in dirre warheyt das kommet von gebrechen Were es
  aber also das myn kunst begriffen mochte alle die warheyt zumale die myner vernunfft mogelich
  ist zubegriffene und die warheyt also were das sie erfullen mochte die
  mogelicheyt der vernunfft so endorffte sie nyt ußer ir selber sehen nach
  keyner andern warheyt dan were warheyt und kunst glich Also ist der sone
  ußgegangen von dem vattere Als eyn kunst in der der vatter begriffet alle sin
  warheit nach sin selbest maiß nyt das er uns gemessen sij er ist uns unmeßig
  Er ist aber yem selber gemeßig in der kunst begriffet der vatter alle sin
  warheyt Daz [232b]  ist das
  wordt des vader das ist warheyt und kunst glich Darumbe enmagk nyt eyn ander
  sone gesin in der gotheyt  
 | 
  
<:6>Er
  sagt: ‘Sende aus’. Nun
  achtet auf den Ausgang des Sohnes vom Vater und nehmt ein Beispiel von Euch
  selbst. Wenn Du in Dich selbst siehst und siehst in eine Wahrheit, so ist
  mehr Wahrheit in dieser Wahrheit, die Du nicht begriffen hast. Das resultiert aus Schwäche. Geschähe es aber, dass meine
  Kenntnis alle Wahrheit zusammen ergreifen könnte, die mein Intellekt  ergreifen kann und die Wahrheit so wäre,
  dass sie das Vermögen des Intellekts vervollkommnen könnte, dann könnte sie
  nicht über sich hinaus nach einer anderen Wahrheit Ausschau halten. Dann wären Wahrheit und Kenntnis ein und
  dasselbe. So ist also der Sohn vom Vater
  ausgegangen als Kenntnis, in welcher der Vater all seine Wahrheit begreift
  gemäß seinem eigenen Maß, nicht dass er nach uns gemessen würde (uns
  gegenüber ist er unermesslich), sondern er ist sich selbst gegenüber gemessen.
  In dieser Kenntnis begreift
  der Vater all seine Wahrheit. Das ist das Wort des Vaters, da sind Wahrheit und Kenntnis ein und
  dasselbe. Darum kann kein anderer Sohn
  in der Gottheit sein.[7]
   
 | 
 
<:7>Das werck unser vernunfft das ist eyn ander dann
  unser vernunfft also enist es in godde nyt Der sone der ist geboren in der naturen ußer der personen des vattere
  davon enist der sone nyt eyn ander dann der vader an der naturen me eyn
  andere persone. Was machet underscheyt der personen daz duht wercke das
  scheydet den sone von dem vatter nach der personen Das werg das ist die
  geberunge des vader das er geberet den sone das driddet den vatter alleyn ane
  und die geborenheyt die drittet den sone [233a] an on aleyn das
  scheydet den sone von dem vater  
 | 
  
<:7>Die Arbeit unseres Intellekts ist verschieden von unserem
  Intellekt, doch so ist es nicht in Gott. Der Sohn ist aus der Person des
  Vaters der Natur nach geboren, wodurch der Sohn der Natur nach nicht ein
  anderer ist als der Vater, sondern vielmehr eine andere Person. Worin besteht
  der Unterschied der Personen?[8] Es ist das
  Werk, das den Sohn vom Vater trennt gemäß der Personen. Das Werk ist das
  Gebähren des Vaters. Dass er den Sohn gebiert ist dem Vater allein
  zuzuordnen,[9]
  und geboren zu werden ist dem Sohn allein zuzuordnen, dies unterscheidet den
  Sohn vom Vater.[10]  
 | 
 
<:8>Nun han wyr zwo personen wo merken wir nu den
  heyligen geyst als ich edes sprach Das der vatter in syner kunste begriffe
  alle sin warheyt und der sone widergiht den vatter derselben warheyt wande
  sie an yme natuerlich uß geboren ist und er sie von dem vatter natuerlich
  entpfangen haidt wanne dann die warheyt mynniglich ist und gut ist und nyt
  alleyn gut ist me die gude selber Wande sich dann der vatter und der sone
  begriffent in eyner warheyt so enmag der begriffe nyt gesin sunder große
  luste des geht uß der heylige geyst als eyne lustliche gude von yen beiden
  [233b] Nit von zweyn angengen me von eyme anegeende wande wo wart
  ye warheyt die werlich were und mynnentlich were sie enmuste gemynnet werden.
  Wande dan vernunfft vurgeht und mynne nach des muß das bekant ist und gut ist
  gemynnet werden Nun hann wir drij personen  
 | 
  
<:8>Nun haben wir zwei Personen, doch wo sehen wir den heiligen
  Geist? Wie ich es gesagt habe. Dass der Vater in seiner
  Kenntnis all seine Wahrheit begreift und der Sohn dieselbe Wahrheit dem Vater
  spiegelt, denn sie ist natürlich aus ihm geboren und er hat es natürlich vom
  Vater erhalten, denn dann ist die Wahrheit liebenswert und gut, doch nicht
  nur got, sondern das Gute selbst. Wenn dann der Vater und der Sohn sich
  gegenseitig in einer einzigen Wahrheit begreifen, kann das Begreifen nicht
  ohne große Lust sein, aus der der heilige Geist hervorgeht als ein lustvolles
  Gutes der beiden. Nicht aus zwei Ursprüngen, sondern aus einem, denn wo da je
  Wahrheit war, die wahr und liebenswert ist, die muss geliebt werden. Denn
  wenn der Intellekt vorangeht und die Liebe folgt, muss das, was erkannt und
  was gut ist geliebt werden. Nun haben wir drei Personen.    
 | 
 
<:9>Hie dragen wir entzwey mit den Kriechen die wollent
  das der sone sij alleyne von dem vatter und der heylige geyste alleyn von dem
  sone Die Kriechen vergehen driher personen und wir enfinden nyt dann zwo in
  yren reden Was scheydet nu den heyligen geyst von dem sone das duht wergk.
  Were nu der heyligeist alleyn von dem sone so enwere [234a] keyn
  werck des vatter zu dem heiligen geyst so enwere da nyt underscheydes des
  vader und des heyligen geystes Alsus enfinden wir nyt dann zwo personen in
  der gotheyt und die Kriechen vergehen drier personen  
 | 
  
<:9>Hierin unterscheiden wir uns von den beiden Griechen, die den
  Sohn allein aus dem Vater und den heiligen Geist allein aus dem Sohn sein
  lassen. Die Griechen meiden die drei Personen, und wir finden nicht mehr als
  zwei in ihren Worten. Was unterscheidet nun den Sohn
  vom heiligen Geist? Es ist das Werk. Wenn der heilige Geist aus dem Sohn alleine wäre, würde der Vater nicht
  mit Blick auf den heiligen Geist handeln, folglich gäbe es keinen Unterschied
  zwischen dem Vater und dem heiligen Geist. Folgich finden wir nicht zwei
  Personen in der Gottheit, und die Griechen meiden die drei Personen.  
 | 
 
<:10>Die anderen Kriechen sprechen der heyligeyst sij
  alleyn von dem vadere und nyt von dem sone Inguße nu der vadere den heyligen
  geist alleyne so enwere keyne werck des sones zum heyligen geyst so enwere da
  nit underscheydes so
  enwere der sone und der heylige geyst eyne Also enhette wir aber nyt dann zwo
  personen  
 | 
  
<:10>Die anderen Griechen sagen, dass der heilige Geist allein aus
  dem Vater komme und nicht aus dem Sohn. Wenn der Vater allein sich in den
  heiligen Geist gösse, würde der Sohn nicht mit Blick auf den Geist wirken,
  und folglich gäbe es keinen Unterschied und der Sohn und der heilige Geist
  wären eins. Dann hätten wir nicht mehr als zwei Personen. 
 | 
 
<:11>Nu spricht der sone zu dem vatter. Vatter ich
  bekennen dir dyner gebordt daz du mich geboren haist da enhan [234b]
  ich nyt (myt) bide zuthun Aber das du den heyligen geyst ingußest daz ist myn
  also wol alß dyn Und alle die wercke die du wirckest in der gotheyt und an
  den creaturen die wircken ich myt dir davon engiessen ich den heyligen geyst mit dir  
 | 
  
<:11>Nun spricht der Sohn zum Vater: Vater, ich weiss von Deiner
  Geburt, dass Du mich geboren hast –  da
  habe ich mit zwei zu tun – doch dass Du Dich in den heiligen Geist gießt, das
  tue ich wie auch Du. Und all das Wirken, das Du in der Gottheit und in den
  Kreaturen tust, das tue ich mit Dir, wodurch Ich den heiligen Geist mit Dir
  ausgieße.   
 | 
 
<:12>Also sprechent unsere meystere das der vader und der
  sone ingiessen den heiligen geyst nit als zwen angenge Als der personen zwo
  sin me als eyn eynige angenge
  und der personen muß doch zwo sin und sint doch nit me dann eyn anegenge des
  heyligen geistes wande sie beyde ingiessent den heyligen geyst ußer eyner
  macht  
 | 
  
<:12>Folglich sagen unsere Meister, dass der Vater und der Sohn den
  heiligen Geist nicht als zwei Ursprünge, da es zwei Personen sind, ausgießen,
  sondern vielmehr als ein einziger Ursprung, auch wenn es zwei Personen sein
  müssen, doch sind sie nicht mehr als ein Ursprung des heiligen Geistes, denn
  beide gießen den heiligen Geist aus als eine Kraft.[11] 
 | 
 
<:13>Das wir bekennen und mynnen diese warheyt als es [235a]
  lobelich an uns der ewigen warheyt sij des helff uns die hochgelopte
  drivaldigkeyt Amen 
 | 
  
<:13>Dass wir diese Wahrheit verstehen und lieben, da sie der
  ewigen Wahrheit lobenswert in uns ist, des helfe uns die hochgelobte Trinität.
  Amen. 
 | 
 
Predigt T44,2
[Strauch VI 382-3]
Inhalt und Struktur
Der Prediger beginnt, indem er den Kernvers im Mittelhochdeutschen wiedergibt (n. 1), welchem er seine trinitarische Deutung im Anschluss an den Schrifttext anfügt. Er widerspricht schließlich mit seiner Predigt in einer langen Antwort den Meistern, die die Vorstellung von der Trinität aus dem Glauben allein ableiten wollen, während Eckhart, typisch für seine Position, sie aus allen Dingen ableitbar sein lässt, indem er gewiss an Naturwissenschaften, Logik und schriftbasierte Theologie denkt (n. 2). Um dies zu beweisen, beruft er sich auf Hilarius von Poitiers, wie dieser von Augustinus in dessen De trinitate zitiert und ausgelegt wurde.
               Denn nach Augustinus verband Hilarius die Ewigkeit mit dem Vater, die Schönheit mit dem Sohn und das Lebendige mit dem heiligen Geist. Aus dieser dreifachen Benennung leitet sich die Struktur des Rests der Predigt ab (n. 3):
1) Die Ewigkeit des Vaters (n. 3)
2) Die Schönheit des Sohnes (n. 4)
3) Die Lebendigkeit des heiligen Geistes (nn. 5-6)
Die Predigt schließt mit dem wichtigen Hinweis darauf, dass die Seele diesen drei Zeugen im Himmel zugerechnet werden soll (n. 7).
Die Predigt schließt mit einem kurzen Gebet an Vater, Sohn und heiligen Geist. 
               
 
Text und Übersetzung
<:1>[186v]
  Sanctus Johannes sprichet das dri gezuge sint in dem hymmel die den hymmel
  erluchtent Der vatter und das wordt und der geyste Die drij sint das eyn got
  sij 
 | 
  
<:1>Der heilige Johannes sagt,[1]
  dass es drei Yeugen im Himmel gibt, die den Himmel erleuchten: Der Vater und
  das Wort und der Geist. Diese drei sind so, dass sie ein Gott sind.   
 | 
 
<:2>das bewisent alle dinck Als die meytsre
  sprechent Aber wie drij personen in eym wesene sij das enwardt noch vonden
  noch verstanden also als es ist in dieseme leben Me das behalden wir mit
  unserme glauben  
 | 
  
<:2>Das
  beweisen alle Dinge.[2]
  Wenn die Meister sagen: Doch wie die drei Personen in einem Wesen sind, das
  wurde nicht verstanden, wie es in diesem Leben sich verhält, wir lernen es vielmehr aus
  dem Glauben.   
 | 
 
<:3>Es spricht eyn groß heylige sanctus Ylarius
  Von den drihen person und gibbet ewigkeyt dem vatter und schonheyt dem sone
  unde [187r] lustigkeyt dem heiligen geyst Und warumbe aber das sij daz man ewigkeyt dem vader gipt und der
  sone und der heylige geist als ewigk sint als der vatter Das ist darumbe want
  der vader eyn ewig angehende ist des sones und des geystes und er keyn (383)
  begynne von yen enhait Was aber ewigkeyt sij das ist also zuversten das
  allewege alleyne ist und nymmer anders enwurdt von kunfftigem nach von vergangenen dingen und also ymmer alleyn ist
  wesende sunder alles wandel Nach dirre ewigkeyt solde sich der geyst glichen
  dem vadere daran das er auch alleynes beliebe
  und nymmer gewandelt enwurde von keynen wan[187v]delhafftigen
  dingen die in der zit sint Also sol der geyst sin gezuge hann an ewigkeyt
  ußen zit zu wesene der unwandelhafften dinge  
 | 
  
<:3>Ein großer Heiliger, der heilige Hilarius, spricht von den
  drei Personen und schreibt dem Vater die Ewigkeit und dem Sohn die Schönheit
  und dem Heiligen Geist die Lebendigkeit zu.[3] Warum man nun aber dem Vater
  Ewigkeit zuschreibt, der Sohn und der Heilige Geist von gleicher Ewigkeit wie
  der Vater sind,  hängt daran, dass der
  Vater ewig der Anfang des Sohnes und des Geistes ist, und er selbst keinen Anfang
  durch sie hat. Was aber Ewigkeit ist, muss man als das verstehen, was immer
  alleine ist und niemals durch künftige oder vergangene Dinge gewandelt wird, also folglich immer allein und
  ohne Wandel ist. Gemäß dieser Ewigkeit soll der Geist mit dem Vater gleich
  sein, indem auch er allein bleibt und niemals durch irgendetwas in der Zeit
  Wandelbares gewandelt wird. So soll der Geist sein Zeuge haben, außerhalb der
  Zeit der unwandelbaren Dinge zu sein. 
 | 
 
<:4>Das andere das Ylarius sprichet das der sone
  sij eyn schonheyt des vatter was ist schonheyt Die dinge die groß sint und
  wol gelidert sin und uberzogen sint mit guder farben Da inne hat der mensch
  eyn grosser hertz sprichet Basilius wande der mensch hait friheyt des hertzen
  Diese friheyt enmag man nyt hann dan als
  des mensche cleyn geachten kan alle vergenckliche dinge Daz kommet von
  großen hertzen Das horet auch zu schonheit das man wol gelidt sij Die sele enhait keyn
  gelidt want [188r] sie eyn geist ist Darumbe sind ir gliddere
  zunemene an den dogenden Wanne das die woil geordent sint an dem geyste so
  ist die sele schone. Viel lude sint die die reynigkeyt mynnent und ubent sich
  in hasse und sint starcke an eyner dogende unde sint krang an der andern daz
  enist nit eyn wolgeordent sele davon enmag sie nit schone geheyssen. Wanne
  aber die dogende woil geordent sint ir igliche uff yr punckte so verdribent
  sie alle undogende hievon ist die sele schon Zu schonheit horet auch schon
  farbe damyt enist es nit gnug das sich der mensch ube in allen dogenden er
  enube sie in der formen der [188v] mynnen die recht gestelltenisse
  gibt allen dogenden Das heysset dogende geubet in der mynnen das sie nit an
  uns geubet enwerden dann durch die luttere gottes mynne  
 | 
  
<:4>Das Zweite, was Hilarius sagt: Dass der Sohn eine Schönheit
  des Vaters ist. Was ist Schönheit? Die Dinge, die groß sind, haben eine feine Gestalt und tragen gute
  Farben. Hierin, sagt Basilius, hat ein Mensch ein großes Herz, wenn man die
  Freiheit des Herzens besitzt. Diese Freiheit kann man nur haben, wenn der
  Mensch alle vergänglichen Dinge als etwas Geringes betrachtet. Das kommt aus
  einem großen Herzen. Es gehört auch zur Schönheit, dass man eine feine
  Gestalt besitzt. Die Seele besitzt keinen Leib, denn sie ist ein Geist. Darum
  sind ihre Glieder die wachsenden Tugenden. Denn wenn diese im Geist wohl geordnet
  sind, ist die Seele schön. Es gibt viele Menschen, die lieben Reinheit, doch
  üben Hass und sind stark in einer Tugend, doch schwach in einer anderen. Das
  ist keine wohl geordnete Seele, und hierdurch wird sie nicht schön genannt
  werden. Wenn jedoch die Tugenden wohl geordnet sind und eine jede an dem
  Punkt ist, wo sie sein soll, vertreiben sie die Untugenden und hierdurch ist
  die Seele schön. Auch Farbe gehört zur Schönheit. Es reicht nicht, dass ein
  Mensch alle Tugenden übt, man soll sie auch in Form der Liebe üben, die allen
  Tugenden die rechte Form verleiht. Tugenden in Liebe zu üben heißt, dass sie
  in uns nur geübt werden aus der reinen Liebe Gottes heraus. 
 | 
 
<:5>Das dritte das Ylarius sprichet von dem
  heiligen geyst dem man die lust gibt daran auch die sele ym zu geglichet
  wurdt Hie von sprichet sanct Bernhardt Wanne der mensch dar zu komet das yen
  des lustet das wenig oder nyemant gelustet Das ist schmacheyt unde schande
  und verworffenheyt und das glich gutlich und frolich verdreget das ist eyn stucke
  der rechten lust daran die sele geglichet ist dem heyligen geyste  
 | 
  
<:5>Das Dritte, das Hilarius sagt: Dass die Seele auch dem heiligen
  Geist, dem man Lust zuschreibt, gleich geworden ist. Hiervon spricht der
  heilige Bernhard: Wenn ein Mensch sich dafür begeistert, wofür wenige
  Menschen oder niemand Lust hat, nämlich beschämt, geschändet und verworfen zu
  werden, und erträgt dies gleichermaßen gut und freudig, das ist das ein Stück
  rechter Lust, womit die Seele dem heiligen Geist angeglichen wird. 
 | 
 
<:6>Eyn andere punckte der rechten [189r]
  wolluste Davon auch sanct Bernhardt sprichet Das ist suyßer und eyn zeichen
  der rechten wollust Wanne der mensch also lebet in dieser wernlt das er
  stediglich zunymmet in dieser
  in großheyt der gnaden  
 | 
  
<:6>Ein weiterer Punkt der rechten Lust: Auch hiervon spricht der
  heilige Bernhard: Das ist süßer und ein Zeichen wahrer Lust, wenn ein Mensch
  in dieser Welt lebt, so dass man ständig in ihr mit Blick auf die Größe der
  Gnade wächst. 
 | 
 
<:7>Also gezugent diese dri in der selen an dem
  sie ist zugefuget den drihen gezugen die da gezuge sint in dem hymmel von den
  sanctus Johannes spricht  
 | 
  
<:7>Folglich zeugen diese drei in der Seele, indem sie den drei
  Zeugen hinzugefügt ist, die die drei Zeugen im Himmel sind, von denen der heilige
  Johannes spricht. 
 | 
 
<:8>Das wir mit yme selig sin des helff uns got
  der vatter und der sone und der heilige geyst Amen 
 | 
  
<:8>Dass wir mit ihm selig sind, dazu verhelfe uns Gott, der Vater,
  und der Sohn und der heilige Geist.. Amen. 
 | 
 
Homily T61* [Sievers 24]
<:1>Daz hummelriche ist glich eim konnige etc. der sime sone ein
  wirtschaf machte  
 | 
  |
<:2>Bi
  disser wirtschaf ist uns bezeichent die ewige selikeit und selikeit ist
  froude wan sich die lude allermeist frauwen an eim dinge daz (ist) wirtschaf
  dor umb ist die ewige fraude und selikeit bezeichent bi der wirtschaft disse
  froude loufet zusammen an vier dingen daz ein ist war bekentnisse daz sich
  d(i)e werlichen bekennen die zusammen gehoren; daz ander ist eintreichtikeit
  des willen; daz dritte ist ein ordenunge daz men iglichen setze noch siner
  wirdikeit daz virde genuge der spise daz men iglichem gebe des sin herz geret
  daz sprichet unser herre selber alle dinge sin bereit heizet sie kommen zu
  der hochzit  
 | 
  
<:2>Mit
  dieser Hochzeit wird uns die ewige Seligkeit bedeutet, und die Seligkeit ist
  Freude. Denn wenn Menschen von einer Sache äußerst erfreut sind, dass ist es
  eine Hochzeit. Folglich sind Freude und Seligkeit mit dieser Hochzeit angedeutet.
  Diese Freude führt zu vier Dingen: Das eine ist Erkenntnis, so dass wirklich
  diejenigen, die zusammengehören, sich kennen; das zweite ist die
  Übereinstimmung des Willens; das Dritte ist die Ordnung, so dass jede Person
  gemäß ihrer Ehre platziert ist;[2] die vierte
  ist eine ausreichende Menge an Speisen, so dass jede Person erhält, wonach ihr
  Herz begehrt. Dies drückt unser Herr selbst aus: ‘Alle Dinge sind bereitet’,[3] ladet sie
  ein, zur Hochzeit zu kommen.  
 | 
 
<:3>god
  ist selber die spise da von spricht die schrift an der offenbaronge diner ere
  so werde ich gesadet daz ouch die stede wit si daz nimant zu spade kommen
  moge da von sprechen die knecht des konniges als du wilt her daz ist geschen
  sundern do sint noch stede daz himmelrich ist als wit daz da nimant zu spade
  kommen mag her envinde stede gnug des enist uf erterich nicht da begeret ein
  iglicher mer zu enphan dan her vortienet habe daz ist durch der eren rum
  unser unbescheidenheit aber in dem hummelrich engert men des nicht da wer eim
  menschen ein pine daz her mere enphing dan her wert ist daz ist durch die
  warheit der bekentenisse her eneischet ouch nimant daz von eme ist wan her
  rechent iclich sich sines (frundes) froude de(i)z sin selbes froude sin daz
  ist durch die einunge der liebe 
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<:3>Gott
  ist selber die Speise. Hiervon spricht die Schrift, dass durch ich durch die Offenbarung
  deiner Ehre platziert werde.[4] Dass es
  ausreichend Plätze gibt, so dass niemand zu spät kommt, hiervon sprechen die
  Knechte des Königs: Wie Du, Herr, sagtest, wurde es getan, so dass noch
  Plätze vorhanden sind. Das Himmelreich ist so weit, dass niemand zu spät
  kommen kann, da man immernoch genügend Plätze findet. Dies ist auf der Erde
  anders, wo jede Person mehr zu erhalten versucht als sie verdient, was aus
  der Hochschätzung der Ehre in unserer Unbescheidenheit resultiert. Im
  Himmelreich jedoch strebt man nicht danach. Dort wäre es schmerzvoll für
  jemanden, wenn man mehr erhielte als man wert wäre, was aus der Wahrheit der
  Erkenntnis herrührt. Auch greift man nicht nach dem, was einem gehört, da man
  davon ausgeht, dass alles, was einem erfreut, dieselbe Freude des eigenen
  Freundes ist aufgrund der Einheit, die die Liebe stiftet. 
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<:4>Zum
  andern male sollen wir prufen in wilcher acht die sollen sin die zu der
  godlichen ere sollen kommen daz erste ist daz her schone solle sin daz andere
  daz her edel si daz dritte daz her riche si daz wirde daz her wise si das
  funfte daz her starg si daz seste daz her von eim guden gemute si daz
  siebende daz he lange lebe und gesunt si  
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<:4>Zweitens,
  sollen wir sehen, welche Aufmerksamkeit diejenigen besitzen sollen, die zu
  den göttlichen Ehren gelangen sollen: Die erste ist, dass man schön sein soll;
  die zweite, dass man edel sein soll; die dritte, dass man reich sein soll; die
  vierte, dass man weise sein soll; die fünfte, dass man mächtig sein soll; die
  sechste, dass man von guter Gesinnung sein soll; die siebte, dass man lange
  leben und gesund sein soll.  
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<:5>alle
  disse sieben dinge sint vollenkommelichen an dem brudegamme unsem hern Jesu
  Cristo da zu jegen sal sin brud die sele ouch sieben dinge haben  
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<:5>All
  diese sieben Dinge finden sich in vollkommener Weise bei dem Bräutigamg,
  unserem Herrn Jesus Christus. Um dahin zu gelangen, soll auch seine Braut,
  die Seele, sieben Dinge besitzen.  
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<:6>unser
  herre Jesus Cristus ist also schone daz sich sonne und man an siner schon
  vorwundern dar zujegen sal sin brud (sin) rein an gedanken an worten und an
  werken an sich selben mag sie nicht klar sin sundern sie ist luter und ir
  luchtikeit wirt erluchtet von unsers hern klarheit also die sonne erluchtet
  die tufe  
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<:6>Unser
  Herr, Jesus Christus, is nämlich so schön, dass Sonne und Mond sich über die
  seine wundern. Hierzu soll seine Braut rein in Gedanken, Worten und Werken
  sein. Aus sich heraus kann sie nicht leuchten, sondern sie ist rein und ihr
  Glanz leuchtet auf durch den Glanz unseres Herrn, wie die Sonne die Tiefe
  erleuchtet. 
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<:7>zum
  andern male ist unser herre edel her hait einen vatter in dem hummelrich an
  mutter und uf dem erterich had her ein mutter an vatter und dor umb ist sin
  adel also wunderlichen daz sin ni kein mensche begrifen mochte also der
  prophete sprichet wer kan sin gebed wol gereden dar zujegen sal sin brud
  haben erwirdikeit daz sie sich zihe mit ere wirdikeit poben allez daz daz
  minner ist dan god daz sie god eren moge als (en) alle eren (mit) tun und
  laizen und lidene also god sines selbes ere suchet an alle sinen werken daz
  sie also godes ere suche an alle eren werken  
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<:7>Zweitens
  ist unser Herr edel. Er hat einen Vater im Himmelreich ohne Mutter und auf
  Erden eine Mutter ohne Vater, und darum ist sein Adel so wunderbar, dass ihn
  niemand je erfassen kann. Darum sagt der Prophet: Wer kann sein Gebet äußern?
  Hierzu soll seine Braut einen Adel haben, so dass sie sich ehrenhaft über all
  das hinwegzieht, was weniger als Gott ist, so dass sie Gott ehrt mit all den
  Ehren, indem sie handelt, sein lässt und leidet, wie Gott seine eigene Ehre
  in all seinen Handlungen sucht, also dass sie Gottes Ehre in all ihren
  Handlungen sucht.  
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<:8>zum
  dritten male ist unser herre rich als die schrift von eme sprichet daz hummel
  und erde ist sin und allen creaturen gibet her wesen und leben dar zujegen
  sal sin brud haben friheit daz sie alle eres herzen sorge sal legen an en wan
  daz ist groze missedruwe eines menschen der sich zu gode lezet daz her fochte
  daz her vorterbe daz her god nicht entruwet der also oberflozlichen milde ist
  und riche daz her bereider ist zu geben dan wir bereide sin zu nemen  
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<:8>Drittens
  ist unser Herr reich, wie die Schrift von ihm sagt, nämlich dass Himmel und
  Erde sein sind und er allen Kreaturen Sein und Leben gibt. Hierzu soll die
  Braut Freiheit besitzen, so dass sie all ihre Herzensanliegen in ihn legt,
  denn es ist ein großes Misstrauen, wenn jemand, der sich selbst auf Gott
  einlässt, Angst hat zu verderben, dass man Gott nicht vertraut, der so an
  Güte überfließend und reich ist, dass er eher bereit ist zu geben als wir
  bereit sind zu empfangen. 
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<:9>daz
  virde ist sin wisheit die ist so klar daz sie dorchluchtet aller herzen grund
  und nicht enist vor sinen ougen vorborgen dar zujegen sal sin brut alle zit
  und an allen steden an er zucht und an er hude (sin) wer ein man ober hundert
  mile und wuste wol allez daz sin frauwe tede si dorfte wol daz sie sich also
  hude daz sie sunder schemede dorft vor sin angesicht gen  
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<:9>Das
  vierte ist seine Weisheit. Sie ist so leuchtend dass sie durch den Grund
  aller Herzen scheint und nicht vor seinen Augen verborgen ist. Hierzu soll
  die Braut zu allen Zeiten und an allen Orten angezogen und auf der Hut sein. Wenn
  ein Mann mehr als hundert Meilen weg wäre und alles wüsste, was seine Frau
  tun würde, dann täte sie gut daran, wenn sie auf der Hut wäre, dass sie ihm
  unter die Augen treten könnte ohne Scham. 
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<:10>zum
  funften male ist unser herre starc wan von eme sin alle dinge und her hait
  auch alle werg volnbracht und alle unse sunde gebezzert und uns behudet an
  unser wirdikeit [selikeit ist an em] da zujegen sal sin brut groz hoffenunge
  haben sie ensal kein anvechtunge haben ader forchte noch krankheit allez daz
  sie nicht envormag daz vormag her vollenkommelichen als die schrift sprichet
  daz dem menschen unmogelich ist daz ist gode mogelich  
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<:10>Fünftes
  ist unser Herr mächtig, denn durch ihn sind alle Dinge, er hat alle Werke
  vollbracht, unsere Sünden vergeben und uns in unserem Adel geschützt. Hierauf
  soll seine Braut eine feste Hoffnung haben, keinen Zauder noch Angst oder
  Schwäche. Jegliches, dessen sie nicht vermag, vermag er vollständig, wie die
  Schrift sagt, dass ‘was dem Menschen unmöglich ist, das ist Gott möglich’.[5] 
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<:11>daz
  seste daz her von eim guden gemude ist dor umb heizet en die schrift ein lam
  an den ni flecken funden wart nikeines zornes noch raiche her ist eim
  iglichen herzen noch siner acht her kan einen iglichen menschen gehalden noch
  sinen seden dar zujegen sal sin brut sin senftmudig und geduldig daz sie
  allez daz virtragen kunne dorch die forchte des toides dar zujegen sal sin
  brut haben frilich und frolich vorziunge aller dinge die wandelthaftig sin
  und vorgenglich sin wan volnkommelicheit der sele lit an vier dingen  
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<:11>Sechstens,
  dass er von einer guten Gesinnung ist. Darum nennt ihn die Schrift ein ‘Lamm,
  an dem niemals ein Makel gefunden wurde’,[6] weder
  irgendein Zorn noch Rache. Er hat Ansehen für ein jegliches Herz, er kann
  jeden Menschen gemäß seiner Haltung stützen. Hierzu soll seine Braut sanftmütig
  und geduldig sein, so dass sie alles durch die Todesangst hindurch ertragen
  kann, hierzu soll seine Braut frei und glücklich sein, alle wechselnden und
  vergänglichen Dinge zu missachten, denn die Vollkommenheit der Seele hängt an
  vier Dingen:  
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<:12>daz
  erste daz sie nommer so libes nicht enhabe ez ensi er also lip zu lazene als
  zu halden dar an lit vorzigunge allerleigen wollust daz ander daz er nommer
  kein pine so groze zukommen enmag die god an sie geleget hait sie ensi er
  also lipe alle zu liden also zu vormiden dorch daz i(n)necliche widdergolt
  siner pine daz dritte daz godes gerechtikeit also suze si als sin
  barmherzikeit an er selber also (an) ander(n) lude(n) wan vil lude lieben und
  minnen godes recht an andern luden und anen selber ist (ez) bitter und swar
  unde enbekennen daz nicht daz god also volnkommen ist an siner gerechtikeit
  als an siner barmherzikeit dit shmecket wol der prophete da her spricht herre
  din orteil sin suze ober alle honing dem die orteil und gerecht unsers hern
  godis nicht ensmeckete(n) der enhait ouch keinen dang zu dem ungemache und zu
  dem widdermude wer willichen iz vorhengenisse god(es) lidet der hait
  vorziegen sines eigens willen zu dem virden male frauwet sich die
  vollenkommelich se(le) aller godes gabe also ser an andern luden als an er
  selber daz kommet von luter liebe und von vorzerunge eres eigen nutzes von
  dissen virn dingen wirt die sele alzumal getragen uz er selber und wirt
  bestediget in gode 
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<:12>Das
  erste, dass sie nicht länger einen solchen Körper haben soll, es sei denn sie
  lässt den Körper, statt an ihm festzuhalten. Dies ist alle möglichen Lüste zu
  missachten. Das zweite, dass niemals so viel von Gott verursachtes Leid ihn
  erreichen kann, dass es ihr nichts ausmachte all das zu leiden, um sie zu
  missachten durch die innere Vergeltung seines Schmerzes. Das dritte ist, dass
  Gottes Gerechtigkeit so angenehm ist wie seine Barmherzigkeit, mit ihr wie
  mit anderen Menschen, denn viele Menschen lieben und begehren Gottes
  Gerechtigkeit für andere Leute, doch sich selbst gegenüber finden sie sie
  bitter und hart und erkennen nicht, dass Gott in seiner Gerechtigkeit ebenso
  vollkommen ist wie in seiner Barmherzigkeit. Dies hat der Prophet gespürt,
  wenn er sagt: ‘Herr, Deine Urteile sind so süß wie Honig’.[7] Wem auch
  immer die Urteile und die Gerechtigkeit unseres Herren, Gott, nicht gefallen,
  lässt sich nicht auf Ungemach und Unpässliches ein; wer zustimmend leidet,
  was Gott veranlasst hat, missachtet seinen eigenen Willen. Viertens, dass die
  Seele sich selbst der Gaben Gottes in anderen Menschen ebenso erfreut wie in
  sich selbst, das kommt aus reiner Liebe und aus dem Aufgeben, die eigenen
  Interesse zu verfolgen. Durch diese vier Dinge wird die Seele vollkommen aus
  sich selbst herausgetragen und in Gott platziert. 
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<:13>des
  helf uch und mir der vatter son heiliger geist amen 
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<:13>Hierzu
  helfe Euch und mir der Vater, Sohn, der Heilige Geist. Amen. 
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5 ir luchtikeit] er luchtikeit K2,
  Si; 
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