2.
Johannes von Sterngassen
Auch dies ist work in progress. Es sollen die wichtigsten Schüler Eckharts vorgestellt und mit dem Lehrer verglichen werden, zum einen, weil ihre Schriften kaum greifbar und selten in modernes Deutsch übersetzt wurden, doch ihre Texte auch heute noch überaus lesenswert sind, und zwar nicht nur wegen des Vergleichs mit Eckhart, sondern als eigenständige Kunstwerke, homiletische Texte und spirituelle Literatur.
Auch Sterngassens mittelhochdeutsche Werke wurden noch nicht vollständig gesammelt, die untenstehende Sammlung bietet alle bisher bekannten Predigten von ihm.
Homily, T10 [Senner 3]
In epiphania Domini
‘Surge, illuminare Ierusalem’ (Is. 60:1)
Inhalt und Struktur
Dies ist eine meisterliche und zugleich programmatische Predigt von Johannes von Sterngassen, in der er eine systematisch-theologische und exegetisch klare Vorstellung entwickelt. Die Predigt beginnt mit dem zentralen Vers in Latein (‘Surge illuminare Ierusalem’, Is. 60:1), der dann ins Mittelhochdeutsche übertragen wird (‘Steh auf Jerusalem und werde erleuchtet’) (n. 1).
Der weitere Teil der Predigt gliedert sich in vier ungleiche Abschnitte. Zunächst beginnt der Prediger mit der Deutung von ‘Jersualem’, der ‘Stadt des Friedens’, die auf das Ruhen der Seele in Gott bezogen wird. Dieses Ruhen der Seele wird weiter erklärt (A). Der nächste Abschnitt reflektiert, warum man selbst und so viele Leute sich diesem Adel der Seele nicht oder so selten bewusst ist (B). Im nächsten Abschnitt wird grundsätzlicher gefragt, warum die Seele, die von solchem Adel ist, dennoch nicht die gleiche Macht Gottes hat, auch wenn sie in ihm ruht und von ihm gebildet wurde (C). Im letzten Abschnitt kommt Sterngassen auf sein Lieblingsthema der Reinheit bzw. der Reinheit des Herzens zurück (D).
A) ‘Jerusalem’ (nn. 2-14)
Die Grundstruktur dieses Passus besteht in einer Gliederung von Gottes Erschaffung der Seele ‘vor der Zeit’ (nn. 3-5), ‘in der Zeit’ (nn. 6-10), und ‘nach der Zeit’ (n. 11).
‘vor der Zeit’ (nn. 3-5): Der Adel der Seele bedeutet, dass sie a) ein Licht in Gottes Reinheit, b) ein Wort in Gottes Verstand und c) ein Leben in Gottes Innerlichkeit und Ewigkeit ist (n. 3).
Diese drei Qualifikationen werden schließlich aus zwei Perspektiven betrachtet, zum einen ‘vor der Zeit’, kontrastiert mit ‘in der Zeit’:
- ein Licht in Gottes Reinheit (‘vor der Zeit’: n. 4, ‘in der Zeit’: n. 7)
- ein Wort in Gottes Verstand (‘vor der Zeit’: n. 5, ‘in der Zeit’: nn. 8-9)
- ein Leben in Gottes Ewigkeit und Innerlichkeit (‘in der Zeit’: nn. 6.10-14)
B) Warum man so selten die Gnade von Gott empfangen kann (nn. 15-19)
C) Die Unfähigkeit der Seele, ein gleichmächtiges Wort wie der himmlische Vater zu sprechen (nn. 20-21)
Dies ist geistes- und theologiegeschichtlich der interessanteste Passus, in welchem der Prediger eine Reihe von Meistermeinungen diskutiert und über diese nachdenkt, um die Unfähigkeit der Seele im Verhältnis zu Gottes Macht zu reflektieren. Nur einer der aufgeführten Meinungen stimmt der Prediger zu, und dieser nicht einmal vollends, allerdings ohne seine Zurückhaltung ihr gegenüber offen zu legen: ‘Der Sohn ist vom Vater als Person, doch nicht aus dem Wesen geflossen. Dort im Wesen ist er drinnen geblieben. Alles, was der Vater als Person vermag, vermag auch der Sohn dem Wesen nach. Die Seele ist allerdings aus den Personen geflossen und ist hingegen nicht in ihnen dem Wesen nach geblieben. Sie hat ein fremdes Wesen durch das göttliche Wesen erhalten. Seht, diese Erklärung kann ich akzeptieren, wenn auch nicht ganz’ (n. 21).
Auch wenn der Prediger nicht vollends von dieser Meinung überzeugt ist, ist es doch die einzige, die er überhaupt für erwägenswert hält. Ihr zufolge gibt es die Unterscheidung zwischen Vater und Sohn, die darin liegt, dass der Vater nicht aus dem göttlichen Wesen, sondern von der Person des Vaters stammt, allerdings als solches Produkt doch dem Wesen nach im göttlichen Wesen verharrt. Folglich kann ihm die gleiche göttliche Macht zugeschrieben werden, die auch der Vater besitzt. Hier schließt sich die nächste Differenz an, nämlich die zwischen Seele und Gott. Denn zwar ist auch die Seele nicht aus dem Wesen, sondern aus den göttlichen Personen ausgeflossen, doch ist sie ihrem Wesen nach nicht im göttlichen Wesen verblieben, sondern, wie es heißt, wurde ihr ein eigenes, neues, ja ein fremdes Wesen verliehen. Diese Auffassung scheint in der Tat in einer gewissen Spannung mit anderen Aussagen Sterngassens hier und an anderen Stellen zu stehen, wenn er zuvor davon gesprochen hat, dass die Seele ‘ein Licht in seiner (Gottes) Reinheit und ein Wort in seinem Verstand und ein Leben in seiner Ewigkeit und Innerlichkeit’ sei (n. 3). Doch lässt sich beides dann harmonisieren, wenn man Sterngassen genau liest und erkennt, dass er bei diese Aussagen über die Seele für den Zustand ‘vor der Zeit’ gemacht hat, was durch die nachfolgenden Aussagen in nn. 4-10 bestätigt wird. Sobald er nämlich von dem Adel der Seele ‘in der Zeit’ spricht, sieht er nur mehr die Möglichkeit, dass das göttliche Licht in die Seele aufgrund von Gnade scheinen kann, weil sie nicht mehr ist, wie sie und vor allem was sie ‘vor der Zeit’ war (n. 6). Ihr ist lediglich die Möglichkeit gegeben, das göttliche Wort wieder zu erhalten, wenn ‘sie sich aus den Banden der sterblichen Kreatur herauswindet’ (n. 8) und durch Abgeschiedenheit zu Gott zurückfließt (n. 9).
D) Reinheit (nn. 22-25)
Diesen Gedanken greift der Prediger wieder mit n. 22 auf, dass wir uns zur Freiheit der Reinheit der Abgeschiedenheit zurückwenden und wir dann mit Gott ebenmäßig werden. Sterngassen rechnet also durchaus mit einer Ebenmäßigkeit von Geschöpf und Gott, jedoch ausschließlich ‘vor der Zeit’ und ‘nach der Zeit’ im Zustand der Abgeschiedenheit.
Die Predigt endet mit einem Gebet zu Vater, Sohn und Heiligem Geist (n. 26).
Der Kontext
Vergleicht man diese Predigt mit denjenigen
Eckharts, auch gerade mit dessen Predigten zum selben zentralen Vers Is. 60,1, werden schnell Parallelen und
Unterschiede deutlich. In einer ähnlich magistralen Predigt zum selben Vers (Hom. T10,1* [12*; Q14])
führt Eckhart seine Ansicht vor zur Relation von Gottes Macht und der der
Seele, wenn er schreibt: ‘wat got wircket, dat wirket der oitmoedege mynsche,
inde dat got is, dat is hey: eyn leuen inde eyn wessen’ (n. 7). Sterngassen
könnte sicher dem ersten Teil zustimmen – insofern er die Seele in ihrem
Zustand ‘vor der Zeit’ und ‘nach der Zeit’ betrachtet, eine Unterscheidung, die
Eckhart nicht nur unbekannt ist, sondern gegen seine eigene Vorstellung geht,
wonach die Zeit grundsätzlich als Kategorie Gott und der Seele unangemessen ist
– doch widerspricht, vermutlich ausdrücklich, Eckharts zweitem Teil, wonach die
Seele, die von Gott stammt, ‘ein Leben und ein Sein’ mit Gott ist. Es klingt
sogar so, als würde Sterngassen ausdrücklich der Auslegung des Eckhart
widersprechen wollen. Denn mit der Idee, dass der Sohn aus der Person, nicht
aus dem Wesen des Vaters geflossen ist, unterscheidet er sich in der
Trinitätslehre gegenüber Eckhart, der zwar nicht weniger annahm, dass der Sohn
aus des Vaters Person stammt, doch auch aus dessen Wesen, weil man Wesen und
Personhaftigkeit gerade nicht differenzieren darf, wie er wie folgt ausführt: ‘Das
Wirken der Personen ist ihr Gebären und Hervorbringen aller Dinge. Gebären
kommt allein dem Vater zu. Das Hervorbringen kommt der Trinität gemeinsam zu.[1] Was ist
das Wesen der drei Personen in der Trinität? Es ist das, was einfach alle Dinge
gänzlich in sich schließt aufgrund der Einfachheit und welches dennoch weder in
sich selbst noch mit ihm selbst gebiert oder gibt. Was das Wesen wesentlich
ist, sogar für sich selbst, das geschieht zusammen mit den Wirkungen der
Personen, deren Wesen es ist. Denn ohne es können sie weder wirken noch sein.
Denn sie wirken nicht als Drei, sie wirken in allen Dingen als Eins, denn sie
sind ein Gott, ein Wesen, eine Natur.’[2]
Text und Übersetzung
<:1>Surge
illuminare Ierusalem. Dise wort di spricht der heilige wissage her Isayas,
und di beduten sich also: Stant uf und wirt erluchtet Ierusalem.
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<:1>Surge
illuminare Ierusalem. Dieses Wort spricht der heilige Vorausschauende, Herr
Jesaja, und sie lauten nämlich: ‘Steh auf Jerusalem und werde erleuchtet.’[3]
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<:2>Ierusalem ist also vil
gesprochen als ein gesichte dez vrides, und beczeychnet di sele di in got ist
gevridet. Di mant unser herre durch den wissagen, daz si uf ste an die
betrachtunge der edelkeit in der si got hat gewirket und geformet. Wan er hat
si geformet an ym, mit im, und in im. Er hat si owch geformet vor der czit
und in der czit und nach der czit.
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<:2>Jerusalem bedeutet so viel wie
eine Erscheinung des Friedens, und es bezeichnet die Seele, die in Gott
Frieden gefunden hat. Sie wird von unserem Herrn ermahnt durch den
Vorausschauenden, dass sie aufstehe zur Kontemplation des Adels, in welcher
Gott sie geschaffen und geformt hat. Denn er hat sie nach ihm, mit ihm und in
ihm geformt. Er hat sie auch vor der Zeit, und in der Zeit und nach der Zeit
geformt.
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<:3>Daz got di sele hat geformet an
im vor der czit, daz ist di in got hat ein ungeformet bilde. Ny von schol man
pruven daz di sele ist ein licht in siner luterkeit, und ist ein wort in
siner vorstentikeit, und ist ein leben in siner ewikeit und innikeit.
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<:3>Dass Gott die Seele nach ihm
vor der Zeit geformt hat, bedeutet, dass sie ein ungeformtes Bild in Gott
besitzt. Hieran soll man sehen, dass die Seele ein Licht seiner Reinheit ist,
und ein Wort seines Verstandes ist und ein Leben in seiner Ewigkeit und
Innerlichkeit ist.
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<:4>Von erste: ist di sele ein
licht in siner luterkeit. Daz bewere ich also: Waz got wirket uz im, daz
bekent er vor yn im, und daz ist allez war von gote. Daz ist auch war von
alle dem daz nach beschedenheit wirket uz dem lichte der vernunftikeit. Seht
nu <dz> got di sele hat geworcht der keyn dinc wurket den uz der
beschedenheit dez lichtes gotlicher vornunftikeit, so hat er si auch bekant
von im selber. Er en mach aber in im selber kein dinc erkennen daz got nicht
en ist. Den an dem schowen sines gotlichen wesens, daz ein unzugenclich licht
ist, und ein licht da got inne wonet, da von ist die sele vor der czit ein
licht in siner luterkeit.
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<:4>Vom ersten: Dass die Sele ein
Licht seiner Reinheit ist, dies beweise ich wie folgt: Was Gott außerhalb
seiner selbst macht, das weiss er zuvor in ihm, und dies ist alles wahr bei
Gott. Und es ist auch war bei all dem, was nach seiner Bescheidenheit aus dem
Licht des Intellekts gemacht worden ist. Nun seht dass Gott die Seele
geschaffen hat, der nichts schafft, es sei denn aus der Bescheidenheit des
Lichts des göttlichen Intellekts, so hat er sie auch durch ihn selber
gekannt. Doch er kann nichts in ihm kennen, das er nicht ist. Durch die Schau
seines göttlichen Wesens, das ein unzugängliches Licht ist und ein Licht, in
welchem Gott wohnt, ist die Seele vor der Zeit ein Licht in seiner Reinheit.
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<:5>Di sele ist auch ein wort in
seiner vorstentikeit, daz bewise ich also: in got mach kein dinc nicht
gevallen, daz got nicht en ist. Davon daz di sele in got ist also iz si auch
got. Nu iz si in gote also getragen uz sinem ewigen worthe, wan Sent Paulus
spricht Daz got alle dinc treyt uf dem worthe siner craft, Darumme ist di
sele ein worthe in siner vernunftikeit, wenne er spricht sein wort uz vornunftikeit.
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<:5>Die Seele ist auch ein Wort in
seinem Verstand, dies beweise ich wie folgt: Nichts kann in Gott gefallen,
das nicht Gott ist. Dadurch, dass sie in Gott ist, ist die Seele auch Gott.
Nun, sie ist in Gott aus seinem ewigen Wort getragen, wie der heilige Paulus
sagt, dass Gott alles durch das Wort seiner Macht trägt,[4]
weshalb die Seele ein Wort in seinem Intellekt ist, denn er spricht ein Wort
aus dem Intellekt.
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<:6>Dy sele ist auch ein leben in
seiner innikeit. Daz bewise ich also: di sele ist worden, wan allez daz, daz
da worden ist daz ist ein leben in got als sent Johannes spricht in dem
ewangelio. Nu bewiset dise rede nicht grose edelkeit an der sele vor ander
creature in got. Aber dise forme als er di sele hat geformet in der czit daz
bewiset groze edelkeit an der sele, wan in der ist ein luterkeit in di mach
luchten daz licht gotlicher clarheit. Iz auch in der sele ein vornunftikeit,
in di mach sprechen daz wort der driualdikeit. Iz auch in ir ein innikeit, in
di mach wurken daz leben der ewikeit.
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<:6>Die Seele ist auch ein Leben in
seiner Innerlichkeit, dies beweise ich wie folgt: Die Seele ist geworden, denn
all das, was geworden ist, ist ein Leben in Gott, wie der heilige Johannes im
Evangelium sagt.[5] Nun
spricht dieser Vers nicht von dem großen Adel in der Seele mit Blick auf
andere Kreaturen in Gott, sondern diese Form, der er der Seele gegeben hat,
als er sie in der Zeit formte, zeigt den großen Adel in der Seele, denn in
ihr ist eine Reinheit, in welche das Licht des göttlichen Glanzes scheinen
kann. Es gibt auch einen Intellekt in der Seele, in welchen das Wort der
Trinität sprechen kann. Es gibt auch eine Innerlichkeit in ihr, in welcher
das Leben der Ewigkeit wirken kann.
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<:7>Von erste ist mir ein
luterkeit, in di mach luchten daz licht gotlicher clarheit. Daz bewise ich
also: wan daz licht gotlicher clarheit daz leuchtet an czit und an stat und
die vornunftikeit math auch nicht schowen wenne an czit und an stat. Davon
math daz licht gotlicher clarheit in der luterkeit der sele leuchten und daz
ist ein luterkeit gotlicher glichen. Als der wissage spricht in dem salter iz
ist gezeichnet uf uns daz licht dines antlazzes herre.
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<:7>Aus dem ersten besitze ich eine
Reinheit, in die das Licht göttlichen Glanzes leuchten kann, dies beweise ich
wie folgt: Denn das Licht des göttlichen Glanzes scheint ohne Zeit und ohne
Ort und der Intellekt kann nicht schauen, es sei denn ohne Zeit und ohne Ort.
Darum kann das Licht des göttlichen Glanzes in die Reinheit der Seele
scheinen und dies ist eine Reinheit göttlicher Gleichheit. Wie der
Vorausschauende im Psalter sagt: ‘Auf uns ist eingezeichnet das Zeichen des
Lichtes Deines Angesichts, Herr’.[6]
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<:8>Iz ist auch in der sele ein
vornunftikeit in di math sprechen daz wort der driualdikeit, daz bewise ich
also: die sele mach von ir eygen art in ir selben ein wort bilden, der dinge,
der bekenntnisse, di scheffet an liplichen sinnen, und daz wort ist als edel
und also verborgen, daz ir nymant kan gewissen in der sele den di sele
aleyne. Also spricht der himelische vater sein ewic wort an underlaz. Also
mach daz wort der drivaldikeit in di sele der gnaden von dem himelischen
vater werde gesprochen. Davon spricht David in dem salter: ich wil horen waz
got in mir wille sprechen. Got hat nicht gesprochen den ein ewic wort daz
spricht er in di sele, so si sich gewindet uz den stricken der sterbende
creature und sich entzuhet der vorgenclichkeit allez lipliches anschines.
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<:8>Es gibt auch in der Seele einen
Intellekt, in welchen das Wort der Trinität
gesprochen werden kann, das beweise ich wie folgt: die Seele kann auf eigene Weise in ihr selbst ein
Wort bilden von den Dingen, des Erkennens, das geht ohne leibliche Sinne und
das Wort ist so edel und so verborgen, dass es ihr niemand yeigen kann in der
Seele, als allein die Seele. Folglich spricht der himmlische Vater sein
ewiges Wort ohne Unterbrechung. Darum kann das Wort der Trinität in die Seele
der Gnade von dem himmlischen Vater gesprochen werden. Hiervon spricht David
in dem Psalter: ‘Ich will hören, was Gott in mir sprechen will’.[7]
Gott hat nichts anderes als ein einziges ewiges Wort gesagt, dieses spricht
er in die Seele, da sie sich aus den Banden der sterblichen Kreatur
herauswindet und sich von der Vergänglichkeit aller Erscheinungen zurückzieht.
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<:9>Davon spricht er durch den
wissagen: Ich wil si leyten in di wustonunge, daz ist daz abkeren aller
creaturen, und wil denne sprechen zu irem herzen. Di sele di daz hatte
bevunden di sprach: Ayn liber hat mir zu gesprochen, davun ist mein sele
vlussic worden.
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<:9>Hiervon spricht er durch den
Vorausschauenden:[8] ‘Ich
will sie in die Wüste führen’, das ist das Abkehren von allen Kreaturen, ‘und
will dann zu ihrem Herz sprechen’. Die Seele, die dies gefunden hat, sprach:
‘Ein Liebender sprach zu mir, hierdurch wurde meine Seele fließend’.
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<:10>In der sele ist auch ein
innikeit in die sele mach wurken daz leben der ewikeit. Daz bewise ich also:
Leben ist dz lebens werewurken, daz alleredelste werc lebendes ist schowen
und bekennen. Als vil nu di gerunge dez widerwerfes edeler ist als vil ist
auch daz werc dez lebens an der schownge der vernunftikeit edeler. Nu ist got
daz aller beste widerwerf der sele innykeit an dem geiste und mach daz ewic
wesen worden gesprochen in einer wirdikeit und daz ist ein ewic leben. Davon
mach daz leben der ewikeit in der sele innykeit wirken. Wem got nu gibt diz
zu versuchen an dem geiste dem gibt er daz ewic leben zu versuchen wan der
geist macht lebende, als sent Paulus spricht. wirt zu im geflossen so ist daz
leben der ewikeit in der sele innykeit wirkende.
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<:10>Es gibt in der Seele auch eine
Innerlichkeit. Das Leben der Ewigkeit kann in die Seele hinein wirken. Dies
beweise ich wie folgt: Leben ist die Aktivität des Lebens, die edelsten
Aktivitäten des Lebens sind Schauen und Wissen. So sehr das Begehren nobler
ist als die Reflexion, desto nobler ist des Lebens Aktivität der Schau des
Intellekts. Nun ist Gott die vollends beste Reflexion der Innerlichkeit der
Seele im Geist und veranlasst, dass das ewige Sein in den Adel gesprochen
wird, und dies ist das ewige Leben. Hierdurch kann das Leben der Ewigkeit in
der Innerlichkeit der Seele wirken. Wem auch immer Gott dies im Geist zu
spüren gibt, dem gibt er das ewige Leben zu erspüren, denn der Geist ist
Lebensspender, wie der heilige Paulus sagt.[9]
Wenn man zu ihm fließt, dann wirkt das Leben der Ewigkeit in der
Innerlichkeit der Seele.
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<:11>Zu dem druten male so hat got
di sele geformet zu im nach der czit daz ist daz di sele schol werden mit
gote vereynet, wesenlich, eygenlich und genzlich.
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<:11>Drittens hat Gott die Seele
nach ihm selbst nach der Zeit geformt, was heißt, dass die Seele mit Gott
vereint werden soll, wesentlich, eigentlich und vollkommen.
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<:12>Iz schol di sele mit got
vereynet worden wesentlich. Daz schol geschehen an der schownge und nicht an
der wesunge, wan syn wesen mach nicht unser wesen worden sonder iz schol
unser leben worden. Darumme sprach unser herre Ihesus Christus: der dich
vater bekennet daz ist daz ewic leben, er sprach nicht daz ist das ewic
wesen.
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<:12>Die Seele soll wesentlich mit
Gott vereint werden. Dies soll in der Schau, aber nicht im Wesen geschehen,
denn sein Wesen kann nicht unser Wesen werden, sondern es soll unser Leben
werden. Darum sagte unser Herr Jesus Christus: ‘Wer Dich, Vater, kennt, das
ist das ewige Leben’, er sagte nicht: dies ist das ewige Wesen.
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<:13>Di sele wirt auch mit gote
vereynet eyungenlich, wan si mit allen anderen dingen dy got nicht sint uber
ein treit und mit ym alleine ist vereynet. Wan daz heyset eygen daz ein eygen
eygen zu gehoret. Darumme sprach sent Paulus: Ich habe mich eym verlobt.
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<:13>Die Seele wird auch eigentlich
mit Gott vereint, wenn sie über alle Dinge hinweggeht, die nicht Gott sind,
und allein mit ihm vereint wird. Denn das wird ‘eigentlich’ genannt, das
Eigentum eines Eigentümers ist. Darum sagte der heilige Paulus: ‘Ich habe
mich mit ihm verlobt’.[10]
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<:14>Di sele wirt auch mit gote
vereynet genzlichen, wan si mit aller vernunftikeit got in ir hat und in der
sterbunge des geistes enphindet si in sich den scheyn gotlichen lichtes, daz
gut dez alle herzen geren, und da mit vereynet werden an der libe, daz nimant
mach wider varen den deme er gibt daz gut siner selen. Als er vor sein iunger
do er in pat dise vereynunge und sprach daz si ein sein als wir.
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<:14>Die Seele wird auch vollkommen
mit Gott vereint, wenn sie Gott in sich hat mit all dem Intellekt und im
Streben des Geistes sie in sich selbst das Scheinen des göttlichen Lichts
spürt, das Gute, dass all Herzen berührt, und das in Liebe vereint ist, was
niemand erfahren kann, es sei denn wer das Gute der eigenen Seele hergibt,
wie er im Beisein seiner Jünger, als er um diese Einheit bat, dass sie eins
sein sollen ‘wie wir’.[11]
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<:15>Ach herre got synt nu got
sulche susliche rycheit in der edelkeit unser sele hat gepflanczet, daz di
sele hat ein selic nature daz si gnade von gotte mac enpfohen. Daz in der
gnade daz licht siner gotheit in der luterkeit der sele mach scheynen, und
daz wort der drivaldikeit in der vornunftikeit der sele mach sprechen und daz
leben der ewikeit in der sele innykeit mach wurken, waz meinet daz, daz wir
so gar selden darczu komen und daz uns di gnade so wenic wider wirt.
|
<:15>Oh Herr, Gott, es geschieht,
dass Gott solchen süßen Reichtum in den Adel unserer Seele gepflanzt hat, so
dass die Seele eine gesegnete Natur besitzt, damit sie Gnade von Gott
empfangen kann. Welche Bedeutung hat es, dass wir so selten dazu gelangen und
dass sich die Gnade so wenig in uns spiegelt, so dass das Licht seiner
Gottheit in der Gnade in die Reinheit der Seele scheinen kann, und das das
Wort der Trinität in den Intellekt der Seele gesprochen werden kann, und dass
das Leben der Ewigkeit in der Innerlichkeit der Seele wirken kann?
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<:16>Ditz bescheit her iii: Seht
daz ist dez schult, daz wir uns <nicht> zo abeschydenlich und nicht zo
luterlichen halten alz iz uns zugehort. Und daz wir uns selber also vremde
sein und uns nicht enthalten der invallenden creaturlichen bylden. Wo von
vindet ir daz? Daz sage ich ewch daz so vil luthe ist di mich nicht vernemmen
zo ich geistlichen predige. Iz ist dez schult, daz si noch nicht gelebt haben
als si horen.
|
<:16>Dies erläutert er: Seht, der
Grund hierfür liegt darin, dass wir uns nicht so abgeschieden und nicht so
rein halten, wie wir sollten. Und dass wir uns selbst fremd sind und uns
nicht der kreatürlichen Bilder, die über uns einstürmen, enthalten. Wie
erkennt man das? Dies werde ich Euch erklären, denn so viele Menschen
verstehen mich nicht, wenn ich geistlich predige. Das kommt daher, dass sie
noch nicht erlebt haben, was sie hören.
|
<:17>Wen ich sprich von innykeit,
wi schal mich der mensche vernemen dez herze zu male ist zu sprenget in manicvaldikeit.
So ich sprich von ewikeit, wi schal mich der mensche vernemen der alle sein
gunge zu male nimet an czit und an czitlichen dingen. So ich sprich von eim
luteren herczen wi schol mich der mensche vernemen dem alle dinc gemase seyn
in der innykeit siner sele zu verbergen. Iz ist nicht muglich, wan iz ist
nicht gnuk daz man di creature abscheyde an der habunge. Iet man mus si auch
sezcen uz der gerunge. Man mus auch uz triben uz der invallenden bildunge di
di sele also sverlich vernichtet und vormitelt. Daz man geistliche dinc nicht
vornimt.
|
<:17>Wenn ich von Innerlichkeit
spreche, wie soll mich jemand verstehen, wenn das Herz in Vielfältigkeit
zersplittert ist. Wenn ich von Ewigkeit spreche, wie kann mich jemand
verstehen, der mit ganzem Wunsch die Zeit und zeitliche Dinge begehrt. Wenn
ich von einem reinen Herzen spreche, wie kann mich jemand verstehen, dem alle
Dinge genehm sind, so dass sie von der Innerlichkeit der eigenen Seele
verborgen sind. Dies ist nicht möglich, denn es reicht nicht, sich selbst in
seinem Benehmen von den Kreaturen abzuscheiden, man muss sie auch aus dem
eigenen Begehren entfernen. Man muss sie auch aus den einfallenden Bildern
vertreiben, die die Seele mit so großen Schwierigkeiten nur aufgibt und
übermittelt, so dass man spirituelle Dinge nicht versteht.
|
<:18>Waz maynet aber daz, daz noch
derselben luthe so vil sit? Daz si nicht geistliche dinc vernemen, und doch
gerne davon sprechen?
Antwort der Maister. Seht daz ist ein
sache. Daz in yn ist eyn begerunge di mus werden volbracht in yn nach der
czit in der ewikeit, nach der begirde der si in yn empfinden, und irriten si
sich selber nicht mit dynen dingen si mechten iz in der czit ynne werden.
|
<:18>Welche Bedeutung hat es, dass
es so viele dieser Menschen gibt? Dass sie spirituelle Dinge nicht verstehen
und doch gerne von diesen sprechen? Die Meister antworten: Seht, der Grund
hierfür ist, dass in ihnen ein Begehren vorhanden ist, das sie in sich am
Ende der Zeit, in der Ewigkeit, erfüllt haben wollen, gemäß dem Begehren, das
sie in sich verspüren, und sie würden es mögen, sich dessen in der Zeit
bewusst zu sein, ob sie in diesen Dingen nicht irren.
|
<:19>Ach und wester ir wes ir ewik
selber hindert, und waz ir mochte ewiger worheit bekennen ob ir steten wliz
herte und utet euers inneren menschen. Irret ir euch selber nicht ir mocht di
dinc wissen di allen den sint verborgen, di sich nicht voliclich ledigen und
bloz haben geseczet in di vriheit der abenscheydenheit dez ufcrigenden
geistes di den gnaden nachvolgen, und auch der warheit zu vorschin, di allen
leuten unmuglich ist zu wissen, zu erkennen. Als der meister spricht: Alle
di, di sich aller dinge unwissende haben und von allen dingen kern, di mugen
si ervorchin. Wan swenne di sele an czit und an zcitlichen dingen nicht
haftet und uf genumen wirt an den geist, so vermach si also grose dinc und
wisset daz, daz si gotlichen werken harte nahen wirt zu treten.
|
<:19>Ach, und wüsstet Ihr, wovor
Ihr Euch selbst ewig bewahrt und was Ihr über die ewige Wahrheit wissen
könntet, ob Ihr mit steter Anstrengung Euren inneren Menschen besessen und
bewahren konntet. Wenn Ihr Euch selbst nicht täuschen würdet, könntet Ihr um
die Dinge wissen, die von allen verborgen sind, die sich so nicht befreien
und sich selbst in die Freiheit der Abgeschiedenheit des zürnenden Geistes
setzen konnten und der Gnade folgen, und würden die Wahrheit hervorbringen,
die jedem zu kennen und zu wissen verschlossen ist. Wie der Meister sagt: All
diejenigen, die von diesen Dingen nichts wissen und sich von allen Dingen
abwenden, können es erfahren. Denn wenn die Seele nicht an der Zeit und an
zeitgebundenen Dingen hängt und von dem Geist getragen wird, ist sie wirklich
großer Dinge fähig und erkennt, dass sie sich göttlicher Aktivität äußerst
nähert.
|
<:20>Nu wundert mich daz di sele
hat so vil gotlicher glichen und grose edelkeit und daz si doch nicht mach
gesprechen ein also creftic wort als der himelisch vater.
Etliche maistere sprechen iz sey dez
schult, daz in got ist wesentlich, daz ist in der sele nicht wesentlich.
Alayn iz ist in ir byldenlich, und wan si iz auch nicht wesentlich in ir
beschlossen hat. Davon mach di sele got nicht gelich wurken dez enacht ich
nicht. Wan man lege der sele abe allez daz, daz ir zu ist geleit, so iz si
wesenlich nach got gebildet. Und doch mach si nicht also ein creftic wort
geprochen als der himelisch vater.
Di andern maistere sprechen also: Daz got
ist sein wesen, und daz hat er von im selber allez. Aber allez daz di sele
ist, daz hat si von got empfangen, und davon mach si sich gote nicht gelichen
an irn werken. Da widersprich ich zumale allezamt daz sich daz nicht
enhindert. Wan der sun hat auch von dem vater allez daz empfangen daz er ist
und wirket doch glich dem vater, wan er und der vater gyzen uz den heiligen
geist mit glicher craft, und davon mach si auch daz nicht gehindern.
|
<:20>Nun bin ich aber überrascht,
dass die Seele so viele gottgleiche Dinge und einen großen Adel besitzt und
dennoch nicht ein gleichmächtiges Wort sprechen kann wie der himmlische Vater.
Viele Meister sagen, dass der Grund
hierfür darin liegt, dass Gott wesenhaft ist, während die Seele nicht
wesenhaft sei. In ihr gibt es lediglich etwas wie ein Bild und weil sie es
auch nicht wesentlich umfängt. Ich missachte den Grund, dass die Seele nicht
wie Gott handeln kann. Denn wenn man von der Seele alles wegnimmt, was hier
hinzugefügt wurde, ist sie dem Wesen nach wie Gott geformt. Und dennoch kann
sie ein Wort nicht so mächtig sprechen wie der himmlische Vater.
Die anderen Meister sprechen wie folgt: Dass
Gott ein Wesen sei, das er durch sich selbst habe, während alles, was die
Seele besitzt, hat sie von Gott empfangen, und darum kann sie nicht in ihren
Handlungen wie Gott werden. Dies bestreite ich gänzlich, da dies keinerlei
Hindernis darstellt. Denn der Sohn hat ebenfalls alles, das er ist, vom Vater
empfangen und doch handelt er wie der Vater, wenn er und der Vater mit
gleicher Macht den Heiligen Geist ausgießen, so kann auch sie nicht hierdurch
gehindert sein.
|
<:21>Mer ein wort treit in im einen
sin, daz di sele hindert an dem mir ein wenic genuget und doch nicht gar. Dz
ist daz der sun ist uz gevlossen uz dem vater personlich, und nicht uz dem
wesen. Der er ist inne bliben in dem wesen. Allez daz daz der vater vor mach
personlichen, daz vor mach auch der son wesenlichen. Aber di sele ist uz
gevlossen von den personen, und ist nicht in inen bliben an dem wesen. Sy hat
empfangen, ein vromde wesen geursprungit von gotlichem wesen. Seht an dirre
berichtunge genuget mir ein wenic und doch nicht gar.
|
<:21>Ein Wort, das ich eher, wenn
auch nicht ganz akzeptiere, erklärt das Problem etwas besser, dass die Seele
gehindert sei. Dies lautet, dass der Sohn vom Vater als Person, doch nicht
aus dem Wesen geflossen ist. Dort im Wesen ist er drinnen geblieben. Alles, was
der Vater als Person vermag, vermag auch der Sohn dem Wesen nach. Die Seele
ist allerdings aus den Personen geflossen und ist hingegen nicht in ihnen dem
Wesen nach geblieben. Sie hat ein fremdes Wesen durch das göttliche Wesen
erhalten. Seht, diese Erklärung kann ich akzeptieren, wenn auch nicht ganz.
|
<:22>Nu nim ich wider di rede zu
handen von der luterkeit. Sich von der vragt ein iunger sinen maister und
sprach: Waz in aller beheglichkeit wer an dem menschen.
Do antwurt der maister und sprach: Ir behait
aller beste an allen leuthen di luterkeit dez herczen. Do sprach der iunger:
Iu warumme behait ewch di luterkeit dez herczen vor anderen tugenten? Do
sprach der maister: Da ist di luterkeit dez herczen an etlicher weyse edler
denne minne oder bekenntnisse. Do sprach der iunger: Wie mach daz gesein? Do
sprach der maister: Da ist mannic bekennde und mannic mynnende hercze
gevallen, aber kein luter hercze gevil nye.
Davon sprach ein maister: So ich mich ube
an bekenntnysse so vind ich daz mir got ungruntlich ist. So ich mich ube an
der mynne so vind ich daz mir got unbegrifflich ist. Ker ich mich aber in dy
vriheit der luterkeit miner abscheydenheit so vind ich daz mir got ebenmessic
ist.
|
<:22>Nun komme ich wieder auf das
Konzept der Reinheit zurück. Seht, hierzu fragte ein Schüler seinen Meister
und sagte: Welches Genügen gibt es im Menschen?
Da antwortete der Meister: Bewahrt die
Reinheit des Herzens als das Allerbeste in allen Menschen. Dann sagte der
Schüler: Warum bevorzugst Du die Reinheit des Herzens gegenüber allen anderen
Tugenden? Dann sagte der Meister: Weil die Reinheit des Herzens in vielfacher
Hinsicht edler ist als Liebe und Wissen. Dann sagte der Schüler: Wie kann
dies sein? Dann sagte der Meister: Weil viele wissende und liebende Herzen
gefallen sind, doch niemals fiel ein reines Herz.
Hierzu sagte ein Meister: Wenn ich mich
übe im Erkennen, entdecke ich, dass Gott unerkennbar ist. Wenn ich mich im
Lieben übe, entdecke ich, dass Gott unfassbar ist. Doch wenn ich mich der
Freiheit der Reinheit meiner Abgeschiedenheit zuwende, finde ich, dass Gott
mir ebenmäßig ist.
|
<:23>Man list von eynem weysen
maister der gync zu einem schuler der lernt in der schul der gotheit. Do
vragt er in woran er sich uben scholde.
Do antwort er ym und sprach: Ich pyn ein
gottes minner. Do sprach der meister: Waz hastu trostes von dyner minne? Do
sprach der iunger: Ich pin in grossen sorgen und arbeit. Ich pin in steter
vorchte, daz ich icht verliz daz ich minne. Und ye mer ich minne ye minder
ich myner minne getrouwe. Do ginc er vorbaz und vragt ein andern, wi is um yn
stunde. Do sprach er: Ich pin ein gotes schower. Do vragt yn der maister wi
iz ym gyn<c>e. Do sprach er: Ye mer ich bekenne ye mer ich vinde daz
mir got unbekant ist. Do van byn ich in erleyten: ye tiffer ich in meynem
sowe versinke, ye tiffer und minner ich versteh. Do ginc <er> aber
vorbaz und vragt ein andern wes er pflege. Do antwort er und sprach: Ich pin
ein luterer und pflege eyns luteren herczen. Do sprach er: Ich enwyz nicht
waz ich mer sprech, den daz ich an got han allez daz ich wil und dez myn
hercze gigert. Da sprach der weise maister: Ich wil s<w>eigen und
horen, waz got in mir welle sprechen, und wil kern in di muglichkeit meiner
abscheydenheit. Da vind ich daz sich got in mir vereinet. Ein guter mensche
waz hi zu komen an der vriheit der luterkeit sines geistes und ward alz nahen
vereinet mit gote und in gote. Daz er an liplichen oren hort ein stimme di
sprach zu im: Du bist ich und ich bin Du.
|
<:23>Man liest von einem gelehrten
Meister, der zu einem Schüler ging, welcher in der theologischen Fakultät
studierte. Dann fragte er ihn, was er üben sollte.
Da antwortete er ihm: Ich bin ein
Gottliebender. Da sagte der Meister: Was für einen Trost erhälst Du von der
Liebe? Da sagte der Schüler: Ich bin in tiefer Sorge und Mühe. Ich bin
beständig voller Angst, dass ich etwas von dem verlieren würde, was ich liebe.
Und je mehr ich liebe, desto weniger traue ich meiner Liebe. Dann ging er
weiter und frage einen anderen, wer er sei. Da sagte er: Ich bin ein
Gottschauender. Da frage ihn der Meister, wie es ihm ginge. Da sagte er: Je
mehr ich schaue, desto mehr entdecke ich, dass mir Gott unbekannt ist. Das
lässt mich leiden: Je tiefer ich in meine Schau versinke, desto tiefer und
weniger verstehe ich. Dann ging er weiter und frage einen weiteren, womit er
sich beschäftige. Da antwortete er und sagte: Ich bin ein Reiner und
beschäftige mich mit einem reinen Herzen. Da sagte er: Ich weiß nicht mehr,
was ich sagte, außer, dass ich alles besitze, was ich wünsche, und dass mein
Herz nach Gott begehrt. Da sagte der gelehrte Meister: Ich will schweigen und
hören, was Gott in mir sprechen will und will mich dem Vermägen meiner
Abgeschiedenheit zuwenden. Dort entdecke ich, dass Gott sich mit mir vereint.
Ein guter Mensch ist hierzu gelangt in der Freiheit der Reinheit seines
Geistes und war so nahe mit Gott und in Gott vereint, dass er mit seinen
leiblichen Ohren eine Stimme zu ihm sprechen hörte: Du bist ich und ich bin
Du.
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<:24>Nu vragen mich etliche leuthe,
waz ich damit meine daz ich luterkeit lobe uber bekenntnysse und uber mynne
und uber gnade. Daz sage ich nu: waz dise driu dinc gutes an yn haben daz
vind ich zu male mit ein ander an eim luteren herczen vil edler den ir
ytliches daz sich an ym selber begrifen hat. Daz bewer ich also: Bekenntnysse
mach mich schowen, luterkeit macht mich got gliche wesen. Gnade macht mich
gotes wurdic, luterkeit di vereinet got mit mir. Minne macht mich got lip
sin, luterkeit vereynet mich mit gote.
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<:24>Nun fragen mich viele Leute,
was ich damit bezeichne, dass ich die Reinheit über Wissen und über Liebe und
über Gnade hinaus lobe. Hierzu sagte ich: Die gute Sache, die diese drei
Dinge in sich besitzen, finde ich gänzlich in einem reinen Herzen noch viel
edler als was ich in ihnen ergreife. Dies beweise ich wie folgt: Wissen führt
mich zum Schauen, Reinheit macht mich Gott gleich im Wesen. Gnade macht mich
Gottes würdig, Reinheit vereint mich mit Gott. Liebe bringt mich dazu, Gott
zu lieben, Reinheit vereint mich mit Gott.
|
<:25>Was ist den ein luter hercze?
Des antwort ein maister und sprach: das hercze ist recht luter daz kein dinc
in ym mach erliden, davon iz der werlde wol gevellet. Wer aber aller dinge
als luter ist daz er der werlde nicht gevellet, der behaget gote wol. Und wer
ym also wol behaget, dem wil er daz himelrich geben, und sich selber
ewichlich czu schowen. Dovan sprichet unser herre Ihesus Christus in dem
Ewangelio: Selic sint di lutern herczen, wan si schullen got schowen.
|
<:25>Was ist ein reines Herz? Hierzu
antworten die Meister und sagen: Dasjenige Herz ist wahrhaft rein, das nichts
erleidet, was die Welt erfreuen würde. Wer von allen Dingen gereinigt ist, so
dass er von der Welt nicht gemocht wird, der ist Gott gemäß. Und wer ihm
gemäß ist, dem will er das Himmelreich und sich selbst zur ewigen Schau geben.
Hiervon spricht unser Herr Jesus Christus im Evangelium: ‘Gesegnet sind die
eines reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.’[12]
|
<:26>Des helfe uns der vater und
der sun und der heilige geist.
|
<:26>Hierzu verhelfe uns der Vater
und der Sohn und der Heilige Geist.
|
Predigt, S28 [Senner 2]
In annuntiatione dominica, die 25 martii
‘Wc
unser fr>we teti do der engele zG ir kam’ (Lc. 1:26-38)
Inhalt und Struktur
Der Text ist rhetorisch durchgestaltet und von poetischer Natur und lest sich wie das Fragment einer Homily, einer Quaestio oder eine Collatio. Er ist die Antwort zu einer Initialfrage, die sich an Luc. 1:26-38 anlehnt (n. 1). Es werden 21 Stücke anfangs erwähnt (n. 2), die wohl eher symbolisch zu verstehen sind, da mehr als diese Zahl an Charakteristiken im folgenden Text aufgezählt werden.
Diese Stücke lassen sich leicht gruppieren:
A) ‘Si sas’ (n. 2)
B) ‘Ir ... was’ (n. 3)
C) ‘Ein/Der ... was’ (n. 4)
D) ‘Si was/Ir was ...’ (n. 5)
mit der weiteren Frage ‘Wo ist dc lant der friheit’ (n. 6)
E) ‘Si sc ...’ (n. 7)
F) ‘In einer/eime ...’ (n. 8)
G) ‘Ir ... an der’ (n. 9)
Der Text beginnt mit einer Kontrastierung von Maria, die ‘in der
Zeit zeitlos’, ‘als eine Kreatur unkreatürlich’, ‘in ihrem Leib jungfräulich’
ist (n. 2). Die nächste Gruppe zeigt, wie sie in Geist und Seele völlig auf
Gott ausgerichtet ist und von diesem geformt wurde (n. 3). Gleichwohl aber
deckt sich diese Auffassung mit der voranstehenden Predigt von Sterngassen, die
die Kreatur dennoch nicht vom selben göttlichen Sein sein lässt, denn, wie die
nächste Gruppe zeigt, sitzt Maria dennoch weiterin in der Schule, um zu lernen
(n. 4), und dies, obwohl gesagt wird, dass sie ‘die Liebe zu allen Kreaturen abgelegt’
hatte, ‘on allen Kreaturen befreit und alleine in
Gott vernarrt’ war, ‘mit dem
Geist Gottes vereint’ war, ‘mit ihrem Leib auf Erden und ... mit dem Geist im
Himmelreich’ war und ‘im Land der
Freiheit’ saß (n. 5). Maria hatte also ihre Abgeschiedenheit erreicht (n.
6), ‘saß in der Klause der Innerlichkeit und der
Zelle der Abgeschiedenheit, ... (und) im Haus der göttlichen Gewissheit’, jedoch
hebt Sterngassen weiterhin hervor, dass sie sich noch immer in der Schule
befand, bei dem ‘Meister der höchsten Wahrheit’ (n. 7). Dieser Unterschied
zwischen Maria und dem Göttlichen wird schließlich untermauert mit dem
Gedanken, dass sie ihre Gottesschau ‘in einer Finsternis’ erlebt, auch wenn es
am Ende noch heißt: ‘Ihre Seele ruhte allzeit in der Ewigkeit und wohnte in der
Gottheit’ (n. 9).
Der Kontext
Vergleichen wir diesen Text Sterngassens mit
Eckhart, erkennen wir erneut Parallelen und Unterschiede. Während Sterngassen
von Maria alleine spricht und sie aus den übrigen Kreaturen heraushebt, betont
Eckhart immer wieder, dass Maria ein Modellfall für die Kreaturen darstellt und
trotz all ihrer Vorzüge nicht aus diesen herauszulösen ist. Umgekehrt
allerdings betont Sterngassen die Differenz zwischen Maria oder ihrer Seele im
perfekten Stand der Abgeschiedenheit und dem göttlichen Licht, während Eckhart
hier die univoke Gleichheit zwischen göttlichem Sein und Marias und des
abgeschiedenen Menschen mit dem Sein Gottes betont.
Text und Übersetzung
<:1>Ich bin dicke gevraget, wc
unser fr>we teti do der engele zG ir kam
|
<:1>Ich wurde nachdrücklich
gefragt, was unsere Frau getan habe, als der Engel zu ihr kam.[13]
|
<:2>Si hatte xxi stuck an ir.
Si sas in der cit uncitlichn.
Sie sas ein creature uncreaturlichn.
Sie sas in dem lip juncfr=welithe.
|
<:2>Sie besaß 21 Dinge:
Sie saß in der Zeit zeitlos.
Sie saß als eine Kreatur unkreatürlich.
Sie saß in ihrem Leib jungräulich.
|
<:3>Ir sele was gotf=rmlithen.
Ir geiste was gotschowende.
Ir andacht wac himelrFwig.
Aller ir usser wandel wc himelfar.
Ir sele was grosmFtig.
Ir was nithletz nit under got gros.
Ir herze was entzFndet mit der warheit.
|
<:3>Ihre Seele war gottförmlich.
Ihr Geist war Gott schauend.
Ihre Ausrichtung ruhte auf dem Himmel.
All ihre äußeren Bewegungen waren auf den
Himmel ausgerichtet.
Ihre Seele war großmütig.
Was geringer als Gott war galt ihr als
unbedeutend.
Ihr Herz war entzündet von der Wahrheit.
|
<:4>Ein luter conciencie was ir schGle.
Der himel was ir celle.
Diu gotheit wc ir leczie.
Diu ewig warheit was ir meisterin.
|
<:4>Ein reines Gewissen war ihre
Schule.
Der Himmel war ihre Zelle.
Die Gottheit war ihr Klassensaal.
Die ewige Wahrheit war ihre Lehrmeisterin.
|
<:5>Si wc allen creaturen entminnet
unt was alleine gote geminnet.
Si was von allen creaturen gefriget unde
was alleine an gote verstaret.
Ir geist wc mit dem geiste gotes geeinet.
Si wc uf der erde mit dem lip unde wc mit
dem geiste im himelrich.
Sie sc in dem lande der friheit.
|
<:5>Sie hatte die Liebe zu allen
Kreaturen abgelegt und war allein Gott in Liebe verbunden.
Sie von allen Kreaturen befreit und
alleine in Gott vernarrt.
Ihr Geist war mit dem Geist Gottes
vereint.
Sie war mit ihrem Leib auf Erden und war
mit dem Geist im Himmelreich.
Sie saß im Land der Freiheit.
|
<:6>Wo ist dc lant der friheit? In
aller creaturen abgescheidenheit, da lit das land der sele friheit, und in
dem lande der friheit lit d stat der luterkeit.
|
<:6>Wo ist das Land der Freiheit? In
der Abgeschiedenhet von allen Kreaturen, da liegt das Land der Freiheit der
Seele, und im Land der Freiheit liegt die Stätte der Reinheit.
|
<:7>Si sc in der close der innekeit
vnd in der zelle der abgescheidenheit.
Si sc in dem huse der g=tlichen sicherheit.
Si sc in der schGle der trivaltikeit unde horte leren den meister der
obresten warheit.
|
<:7>Sie saß in der Klause der
Innerlichkeit und in der Zelle der Abgeschiedenheit.
Sie saß im Haus der göttlichen Gewissheit.
Sie saß in der Schule der Trinität und
hörte Meister der höchsten Wahrheit lehren.
|
<:8>In einer vinsternusse schowete
si ein lcht.
In eime swigenne horte si ein wort.
In einer rGwe bevant sie eines werks.
|
<:8>In einer Finsternis schaute sie
ein Licht.
In einem Schweigen hörte sie ein Wort.
In einer Ruhe entdeckte sie ein Handeln.
|
<:9>Ir sele rGwete alle cit in der ewikeit unde wonte an der
gotheit.
ir genFgede wc an der g=tlichen vollekomenheit.
Got erkenen und minnen und got sehen, dc
kan niemer bestehen, ein herze wc da denn also frie, dac es enrthe wo alle creature si, wan wer den lten gevallen wil der versmahet got.
|
<:9>Ihre Seele ruhte allzeit in der
Ewigkeit und wohnte in der Gottheit.
Ihr genügte die göttliche Vollkommenheit.
Gott zu erkennen und zu lieben und Gott zu schauen, das kann nie geschehen,
es sei denn ein Herz wäre so frei, dass es den Ort verließe, an dem alle
Kreaturen sind, denn werden Menschen gefallen will, der wird Gott verachten.
|
Predigt, S59,1 [Wackernagel 63; Senner 7]
‘In
allen dingen han ich ruowe gesuochet vnd han an nichte ruowe funden’ (Eccl. 24:11)
Inhalt und Struktur
Die Predigt bietet zunächst den zentralen Vers Eccli. 24:11 in Latein, danach in mittelhochdeutscher Übersetzung, die gefolgt wird von einer steilen Aussage, dass die Ruhe nirgendwo anders gefunden werden kann als ‘im Nichts’ (n. 1). Wie man dem kritischen Apparat entnehmen kann, wurde diese Aussage in E2 modifiziert und das ‘Nichts’ ersetzt durch ‘in dem erbe mines herren vnn mines gottes’, auch wenn der weitere Text der Predigt zeigt, dass ‘im Nichts’ das Thema der gesamten Predigt ist.
Was ‘im Nichts’ bedeutet, erklärt der Prediger in n. 2, ist ist nämlich die ‘bloße Gottheit’. Folglich stellt sich die Frage, wie man in der bloßen Gottheit ruhen kann, und die dialogische Antwort lautet: Gehe über Dich selbst hinaus, und, wie in einem Spiegel, schaue Gottes Schau (n. 3).
Dies vermag die Seele, denn sie ist nach der Gottheit geformt (nn. 4-5).
Ruhe finden bedeutet, dass man zu seinem eigenen Ort gekommen ist (n. 6). Und da der Ort der Seele, in und an dem sie geboren wurde, die Gottheit ist, so soll sie darin Ruhe finden. Außerhalb dieses Ortes wird sie sterben (n. 7). Als gottförmiges Sein ist sie allmächtig und ewig, jedoch nicht auf dieselbe ungeschaffene Weise wie Gott, sondern auf ihre geschaffene Weise (n. 8), nicht als eine, die wie Gott aktiv ist, sondern für die Gottes Aktivitäten immer Passivitäten bedeuten (n. 9).
Context
Sterngassen muss Eckharts Predigten für den
selben Festtag und zum selben Vers gekannt haben, denn er wählt denselben
Bibelvers als Zentralstellt, benutzt dasselbe Beispiel, wonach die natürlichen
Dinge an dem ihnen eigenen Ort zur Ruhe kommen (n. 6),[1]
und er fügt, wie Eckhart, dieselben beiden weiteren Schriftverse hinzu, Eccli.
24:13 (‘In Iacob inhabita, et in Israel hereditare’) und Eccli. 24:15 (‘Et sic in Sion firmata sum’).[2]
Gleichwohl stellt er gerade seine andere
Grundposition vor, mit der er sich deutlich von Eckhart unterscheidet. Während
Eckhart lange darüber reflektiert, wie Gott seine Ruhe in der Seele finden
kann, klingt dies bei Sterngassen anfangs nur kurz an, doch die gesamte Predigt
geht zum Thema, wie die Seele in Gott Ruhe finden kann. Und auch dieses Ruhen
unterscheidet sich von der bei Eckhart konzipierten. Für Eckhart heißt Ruhen
ein vollkommenes, gegenseitiges Einssein von Gott und Seele,[3]
wobei der eine im anderen ruht (‘Dâ widerruowet got und diu sêle
widerruowet in gote’[4]),
Sterngassen hingegen hebt die Differenz zwischen Gott und der Seele hervor.[5]
Gut thomistisch sagt er, dass Gott der Seele nur soviel geben kann, wie die
Seele aufnehmen kann. Auch wenn Sterngassen an dem Eckhartschen Gedanken
festhält, dass die Seele allmächtig und ewig ist, stellt er heraus, dass Gottes
Aktionen für die Seele Empfangenes darstellt, und er lässt die Homilie geradezu
auf die Formulierung dieser Differenz von aktiv und passiv hinauslaufen: ‘Was in Gott ein Handeln ist, ist in mir ein
Empfangen. Was in Gott Sprechen ist, soll in mir ein Hören sein. Was in Gott
ein Formen ist, soll in mir ein Schauen sein.’
Text und Übersetzung
<:1>In omnibz requiem quesivi. In
allen dingen han ich rGwe gesGchet vnn han doch an nichte rGwe funden
|
<:1> In omnibz requiem quesivi. ‘Ich
habe in allem Ruhe gesucht’,[6] aber ich fand eine Ruhe im Nichts.
|
<:2>Nu sprichet si Ich in han an
nichte ruowe fGnden denne an nichte Dz nichte an dem dF sele rGwe findet dz ist blosse gotheit Siehe lFte hant manig lege girde vnd sunderlich fr?wen die kint bere sint DF sele die von dem g=tlichen worte swanger vnd kintber worden ist DF hat manger lege glust Etwenne glust si die creatur
zeversmehennde Etwenne ir selbes nature zevertrettende Etwenne lustet si an
der driualtikeit sich zeverbende Vnn enkan doch niena rGwe vinden denne an nichte
|
<:2>Nun sagt sie, ich habe in
nirgendwo anders Ruhe gefunden als im Nichts. Dieses Nichts, in welchem die
Seele Ruhe gefunden hat, ist die bloße Gottheit. Siehe, Leute haben alle
möglichen Bedürfnisse, insbesondere Frauen, die ein Kind tragen. Die Seele,
die vom göttlichen Wort schwanger geworden ist und ein Kind trägt, hat
vielerlei Bedürfnisse. Manchmal wünscht sie sich, die Kratur zu verschmähen,
manchmal ihre eigene Natur nieder zu treten, manchmal will sie sich mit der
Trinität verbinden, und doch kann sie nirgendwo anders Ruhe finden als im Nichts.
|
<:3>Da von sprichet mir der der
alle ding geschaffen hat das er in mir rGwe Da von spricht si wie sol ich in dir rGwen So spricht er Du solt wonen in Iacob Iacob
sprichet ein ringer vnn meinet der mensche der in got rGwen sol der mGs .e. ringen vnn Pberwinden Alle ding Hab ich mich selber Pberwunden so han ich alle ding Pberwunden Der hat sich selber Pberwunden den einkein ding geneigen mag ze liebe
noch ze leide DM solt och rGwen in isrl. in isrl ist ein schowunge gotlicher
schowe. vnd in dem bestetiget sint in syon Syon ist ein spiegel
|
<:3>Hiervon spricht derjenige, der
alles geschaffen hat, dass er in mir ruhe. Hierauf sagt sie, wie soll ich in
Dir ruhen. So spricht er:[7]
‘Du sollst in Jakob leben’. Jakob wird übersetzt als Ringer und bedeutet,
dass der Mensch, der in Gott ruhen soll, zunächst ringen und über alles
hinaus kommen muss. Wenn ich über mich selbst hinaus gekommen bin, bin ich
über alles hinaus gekommen. Der Mensch ist über sich hinausgekommen, der von
nichts angezogen wird, sei es positiv oder negativ. Du sollst auch in Israel
ruhen. ‘In Israel’ bedeutet eine Schau der göttlichen
Schau, was auch bestärkt wird mit ‘in Zion’.[8] Zion bedeutet ein Spiegel.
|
<:4>DM bist gebildet nach der gotheit dM tuest das bilde nach dir vnn in dir Swie ein
ieklich ding ist an sime wesende dar nach wFrket es Min sele ist got formelich an irem wesende
Da von ist si al vermMgende vnn ir werk ist ewig alles dz got wFrken mag dz mag si liden got mag nicht mere wirken
den si liden der mag mer noch minre Alle Pnser meister kFnent nit vinden weder gottes kraft grosser si oder
der sele vermFgen Hab ich denne al vermFgen so ensol ich niemer vf geh=ren ich gewinne alle ding Swz minre ist
den alle ding dz ist minre denne ich DF sele lidende got sh?wet der sint alle ding ze enge vnn zekleine da von
wundert mich dz ein sele der alle ding ze kleine sint dz dF vf dekeiner creatur gerGwen mag Da von wan ich mir selber vnwert bin Da von
sin mir kleinF ding ellM wert Wer ich mir selber gros nichtes nicht wer mir
gros Wer ich mir selber wert ellM ding werin mir vnwert
|
<:4>Du bist der Gottheit gemäß geformt. Du schaffst das Bild nach Dir selbst. Wie etwas dem Sein nach ist, so handelt
es. Meine Seele ist gottförmig in ihrem Sein. Hierdurch ist sie allmächtig
und ihre Handlungen sind ewig. Alles, was Gott tun kann, kann sie empfangen.
Gott kann nicht mehr tun, als was sie empfangen kann, auch wenn er mehr oder
weniger tun könnte. Keiner unserer Meister kann herausfinden, ob Gottes Kraft
oder das Vermögen unserer Seele größer ist. Wenn ich die Allmacht hätte,
würde ich nicht ruhen, bis ich alles erreicht hätte. Was weniger als alles
ist, ist weniger als ich. Der Seele, die die Schau Gottes empfangen hat, sind
alle Dinge zu eng und zu klein. Darum stelle ich fest, dass eine Seele, der
alle Dinge zu klein geworden sind, sich nicht auf einer Kreatur ausruhen
kann. Denn wenn ich meiner selbst unwürdig bin, sind auch kleine Dinge für
mich wertvoll. Wenn ich in meinen eigenen Augen groß bin, wäre nichts groß
für mich. Wenn ich mich meiner selbst würdig erachte, wären mir alle Dinge
wertlos.
|
<:5>Seneca der meister sprichet
Swer got fFrchtet den fFrchten allF ding Swer got nit fFrchtet der fFrchtet ellF ding Swer got forchtig ist der ist gotlich. Swer
gotlich ist der ist gotte heimlich Swer got heimlich ist der ist von gottes
partie Swer von gottes partie ist der vermag ellF ding
|
<:5> Der Meister Seneca sagt: Wer
Gott fürchtet, wird von allem gefürchtet. Wer Gott nicht fürchtet, der
fürchtet alles. Wer Gott fürchtet ist göttlich. Wer göttlich ist, ist mit
Gott vertraut. Wer mit Gott vertraut ist, gehört zu Gottes Haushalt. Wer zu
Gottes Haushalt gehört, der vermag alles.
|
<:6>Es rGwent natFrlich ding so si koment an ir stat Es rGwent vehelich creaturen so ir gerunge volbracht
werdent Ieklich creatur rGwet an ir stat Nim den stein vnn wirf in
in den luft er gerGwet niemer er kome wider zG der erden Wa von ist dz Da ist erde sin vatter land
luft ist sin ellende Ein jeklich ding rGwet in der stat vs der es geborn ist DF stat vs der ich geborn bin dz ist dF gotheit DF gotheit ist min vatterlant Hab ich vatter in der
gotheit Nein ich hab nicht alleine vatter da Mer ich hab mich selber da .e.
ich an mir selber wGrde Do wz ich in der gotheit geborn were
gottes wort einest in mir gesprochen al dF welt behFbe mich nit ich klFme vf bis an die gotheit
|
<:6>Natürliche Dinge ruhen, wenn
sie zu ihrem Ort gelangen. Tiere ruhen, wenn ihre Bedürfnisse erfüllt sind.
Jede Kreatur ruht an seinem Ort. Nimm einen Stein und wirf ihn in die Luft.
Er wird nicht ruhen, bevor er wieder auf die Erde gekommen ist.[9]
Woher das geschieht? Denn die Erde ist das Vaterland, während die Luft fremd
ist. Alles ruht an seinem Ort, wo es geboren wurde. Der Ort, an welchem ich
geboren wurde, ist die Gottheit. Die Gottheit ist mein Vaterland. Habe ich
einen Vater in der Gottheit? Nein, dort habe ich nicht nur einen Vater, mehr
noch, ich habe dort mich selbst. Bevor ich selbst wurde, war ich in der
Gottheit geboren. Wenn das Wort Gottes je in mir gesprochen worden wäre,
würde mich die gesamte Erde nicht faszinieren, ich würde hinauf zur Gottheit
klettern.
|
<:7>Swenne ein jeklich ding lang vs
siner stat ist es verdirbet Wirf den vogel in das wasser er ertrinket wirf
den visch in den luft er verdirbet Der visch ist in dem wassser geborn wasser
ist sin naturlicheit Bistu vsser got geborn wilt du leben vsser gotte Werlich
du stirbest Ist din Nbunge zergangklich Ich gel?be niemer dz du sist geislich Ist din leben geilich
din Nbunge ist g=tlich Sch?wen ewig friheit ist nicht anders denne von im
selber gevriget wesen
|
<:7>Wenn etwas für lange Zeit
außerhalb seines Ortes ist, geht es zu Grunde. Wirf einen Vogel ins Wasser,
er ertrinkt. Wirf einen Fisch in die Luft, er geht zu Grunde. Der Fisch ist
im Wasser geboren, Wasser ist seine natürliche Umgebung. Wenn Du aus Gott
geboren bist, und Du willst außerhalb Gottes leben, wirst Du sterben. Ist
Dein Handeln vergänglich, werde ich niemals glauben, dass Du geistlich
siehst. Ist Dein Leben geistlich, ist Dein Handeln göttlich. Die ewige
Freiheit schauen ist nichts als von ihm selbst befreit worden zu sein.
|
<:8>DF sele hat ein got formelich wesen wand si nach im
gebildet ist Si hat ein al vermFgende wesen want swz got hat in ewikeit
in einer vngeschaffener wise das hat si in der zit in einer geschaffener wise
Nicht en mag mich sat machen want dz mich vol mag machen Dem gothungerinen
menschen smeket nicht want blosse gotheit Wil ich der dingen gern so sin si
girlich Aber in in selber sint si nit girlich Wer ich gottes vol nichtes
nicht achtet ich aller der welte Swer dirre welte achtet dz ist ein zeichen
dz er sin selbes hat verachtet Swer sin selbes achtet der hat aller dingen
verachtet
|
<:8>Die Seele hat ein gottförmiges
Sein, denn sie ist nach ihm geformt. Sie hat ein allmächtiges Sein, denn was
Gott in der Ewigkeit in einer unerschaffenen Weise kann, das kann sie in der
Zeit auf eine geschaffene Weise. Nichts kann mich zufrieden stellen, es sei
denn, was mich füllt. Dem nach Gott hungernden Menschen schmeckt nichts
anderes als die bloße Gottheit. Wenn ich Dinge begehre, dann ziehen mich
diese an. Doch in sich sind sie nicht anziehend. Wenn ich voll von Gott wäre,
würde ich nichts in der Welt beachten. Wer die Welt beachtet, bietet ein
Zeichen, dass er sich selbst verachtet. Wer auf sich selbst achtet, verachtet
alle Dinge.
|
<:9>Der rGwet der aller bewegunge ist ber?bet Wer dekein creatur zemal vnbeweglich dF wer got Got ist dar vmbe got dz er vnbeweglich ist
Want alle creaturen beweglich vnn vnrGwig sint da von mag ich niemen rGwen denne in gotte Ist dz kein creatur din rGwe dF ist din got Es rGwent verstendige creaturen niergent denne an irem wFrkende dF liphaftige ding nement abe in iren werchen Was ist
das ende mines wFrkendes Dz in got ist ein wFrken dz sol in mir sin ein liden Dz an got ist ein
sprechen dz sol in mir sin ein h=ren Dz an got ist ein bilden dz sol in mir sin ein
sch?wen
|
<:9>Wer jeglicher Bewegung beraubt
ist, ruht. Wenn eine Kreatur völlig unbewegt wäre, wäre sie Gott. Gott ist
Gott, weil er unbewegt ist. Denn alle Kreaturen sind beweglich und ruhelos,
daher kann ich nirgends als in Gott ruhen. Wenn keine Kreatur Deine Ruhestatt
ist, dass ist Gott die Deine. Vernünftige Kreaturen ruhen nie, es sei denn in
ihrem Tun. Körperliche Dinge lassen in ihrem Tun nach. Wann höre ich mit dem
Tun auf? Was in Gott ein Handeln ist, ist in mir ein Empfangen. Was in Gott
Sprechen ist, soll in mir ein Hören sein. Was in Gott ein Formen ist, soll in
mir ein Schauen sein.
|
[1] Eckhart, Hom. S59,1* [81*; Q 60], n. 13: ‘Ze dem vierden mâle suochent alle crêatûren von natiurlîcher
begerunge ruowe; sie wizzen ez oder enwizzen ez niht, sô bewîsent sie ez an irn
werken. Dem steine enwirt diu bewegunge niemer benomen, die wîle er ûf der erde
niht enliget, er enkriege iemer ze der erde’ (‘Fourth, all creatures seek ‘a
repose’ by natural desire; whether or not they know it, they prove it in their
actions. Never can
movement be removed from a stone, when it does not rest on the earth, it is
tending towards the earth’).
[3] Eckhart, Hom.
S59,1* [81*; Q 60], n.
12: ‘swenne si genzlîche vereinet wirt in gote und
ertoufet in götlîcher natûre, sô verliuset si alle ir hindernisse und krankheit
und unstæticheit und wirt zemâle verniuwet an einem götlîchen lebene und wirt
geordent an allen irn siten und tugenden nâch götlîchen siten und tugenden’ (‘when she is completely united in God and baptized in the divine nature,
she loses all her impediments and weakness and inconstancy and becomes completely
renewed in a divine life and becomes ordered in all her customs and powers
according to divine customs and powers’).
[4] Eckhart, Hom. 59,2* [82*; S
110], n. 9.
[5] Dazu passt die Vorstellung aus Sterngassens Kommentar der Sentenzen I d. 3 q. 2 a. 1, wonach das Wesen der
Seele mit ihren Vermögen identisch ist, sich also das Wesen der Seele von dem
Gottes unterscheidet.
[6] Eccli. 24:11: ‘et in his omnibus requiem quaesivi ...’ The context
of the text is Eccli. 24:11–20 and can be
found in Collectarium, Arch. f.
433vb: ‘In die (assumptionis beatae Mariae). Lectio libri Sapientie. In
[Et in his Vg.] omnibus requiem quesivi, et in hereditate Domini morabor. Tunc
precepit, et dixit (434ra) michi creator omnium: et qui creavit me, requievit
in tabernaculo meo, et dixit michi: In Iacob inhabita, et in Israel hereditare,
et in electis meis mitte radices. (add.
Vg.: Ab initio, et ante secula,
creata sum, et usque ad futurum seculum non desinam, et in habitatione sancta
coram ipso ministravi) Et sic in Syon firmata sum, et in civitate sanctificata
similiter requievi, et in Iherusalem potestas mea. Et radicavi in populo
honorificato, et in partes Dei mei hereditas illius, et in plenitudine
sanctorum detentio mea. Quasi cedrus exaltata sum in Libano, et quasi cypressus
in monte Syon: quasi palma exaltata sum in Cades, et quasi plantatio rose in
Iherico: quasi oliva speciosa in campis, et quasi platanus exaltata sum iuxta
aquam in plateis. Sicut cinamomum, et balsamum aromatizans odorem dedi: quasi
mirra electa dedi suavitatem odoris’.
[7] Vgl. Eccli. 24:13: ‘In Iacob inhabita, et in Israel
hereditare’.
[9] Vgl. Aristoteles, Phys. VIII
t. 32 (Θ c. 4 255b13–7); Th. Aqu., In Ioh. lect. 8 n. 6 (II 392b); Eckhart, In Ioh. n. 225 (LW III 188,13–5): ‘Exemplum est de forma
gravitatis, quae dat gravi primo quidem esse grave, consequenter tendere vel
inclinare deorsum et tandem actu moveri deorsum et finaliter quiescere
deorsum’; vgl. Eckhart,
Hom. S59,1* [81*; Q 60], n. 13 (Text
weiter oben).
Predigt, S59,2 [Senner 6]
In
die assumptionis beatae Mariae, 15 augusti
‘Maria
Magdalena sas zG den fuessen unsers herren und horte sine
wort’ (Luc. 10:40-2)
Inhalt und Struktur
Die Predigt beginnt mit dem Zentralvers (Luc. 10:40-2) in mittelhochdeutscher Übertragung und der Szene, in der Maria zu Füßen des Herrn sitzt (n. 1). Dann wird Martha eingeführt mit ihrer Klage beim Herrn, er solle ihre Schwester auffordern, ihr in ihrem Bemühen zu helfen. Hierauf antwortet Christus mit dem berühmten Wort, dass nur eine Sache notwendig sei. Sterngassen deutet dieses Wort als Aufforderung, dass man Gott schauen und erfahren soll. Nach einer theologischen Grundlegung dessen, was Seligkeit für Gott, Christus und die menschliche Seele heißt, wobei er auf den Unterschied zwischen Aktion und Kontemplation zu sprechen kommt, kommt der Prediger auf Maria zurück. Die Predigt hat folglich zwei große Teile:
A) Selig zu sein: Gott, Christus, die Seele (nn. 2-6)
Zunächst wird der Kontrast zwischen beseligen und beseligt werden auf die Relation zwischen Gott und Christus hin gedeutet. Während Gott nur deshalb selig ist, weil er das ewige Wort spricht, ist Christus selig, weil er dieses ewige Wort hört (n. 2), eine auf Anhieb für nizänische Ohren etwas fremd klingende Unterscheidung, die man subordinatianische missdeuten könnte. Doch folgt Sterngassen der traditionellen antiapolinaristischen Theologie, die den Sohn nicht aus des Vaters Wesen, sondern aus dessen Person kommen sieht und vor allem Christus eine menschliche Seele zuschreibt.
Die selbe Unterscheidung zwischen Akteur oder Sprecher, Gott, und Hörer und Erfahrende Gottes, wird auf die Kreaturen angewendet (n. 3), auch wenn wir wissen, dass Sterngassen in Predigt T10 sehr wohl zwischen Christus und den Kreaturen unterscheidet. Doch erwähnt er hier in n. 4 nocheinmal die Unterscheidung, die er bereits in n. 2 gemacht hatte, wonach die ‘Seele Christi ... nie gesegnet gewesen (wäre), hätte sie nicht auf das ewige Wort gehört’. Folglich steht nicht nur der Leib Christi der Gottheit gegenüber, sondern auch die Seele Christi, eine erneute antiapolinaristische Betonung.
N. 5 hebt hervor, dass Gottes Sprechen meine Seligkeit ist, also nicht nur diejenige Christi, sondern auch die der Kreaturen. Und Sterngassen ist grundsätzlich optimistisch, dass, was Gott spricht, er auch tut, wobei er wiederholt, dass Gottes Sprechen seine Seligkeit ist.
Auch n. 6 klingt zunächst befremdend und wie ein Umweg in der Argumentation. Der Prediger führt Pseudo-Seneca ein, wonach niemand gesegnet und reich sein kann. Wenn man Dient, selbst dem Guten, macht abhängig und unfrei, während Seligkeit Freiheit voraussetzt. Durch Gott gesegnet zu sein ist also kein Zustand, der einem unfrei macht, sondern reine Kontemplation, reines Hören und reines Gott-Erfahren in Freihiet.
B) Hören auf sein Wort (nn. 7-9)
In diesem zweiten Abschnitt wird Maria wieder eingeführt und in drei Unterabschnitten, die nicht eigens angekündigt werden, danach gefragt, was alles schwiegen muss, wenn Gottes Wort gehört werden soll.
1) Alle Dinge müssen in mir schweigen (n. 7)
2) Ich muss in mir schweigen (n. 8)
Und, höchst paradox:
3) Das ewige Wort muss in sich schweigen (n. 9)
Kontext
Nicht nur der zentrale Vers, sondern auch die
Diskussion von Aktion und Kontemplation, von Sprechen und Schweigen legen es
nahe, Sterngassens Predigt mit denjenigen Eckharts zum selben Festtag zu
vergleichen, besonders seine Hom.
S59,1-5 [81* = Q60; 82* = S 110; 83* = Q 2; 84* = Q 86; 85* = S 93].
Wie zuvor wird duetlich, dass Sterngassen die
Texte Eckharts zu kennen scheint, die er bisweilen nutzt, wenn er etwa davon
spricht, dass Gottes Handeln sein Sprechen sei (n. 3).[14]
Und dennoch merken wir ebenso deutliche Unterschiede zwischen den beiden
Dominikanern, ja auch Gegenpositionen, die Sterngassen bezieht. Es fällt etwa
der scharfe Kontrast auf, den Sterngassen formuliert für die Seele Christi
gegenüber dem göttlichen ewigen Wort, wie wenn hier von zwei verschiedenen
Instanzen zu sprechen wäre. Gewiss baut er auch hier auf Eckhart auf, doch er
radikalisiert dessen Ansicht und trägt sie in eine andere Richtung weiter.
Eckhart etwa verweist darauf, dass ‘wenn Gott sich zurückzöge auf das
Seine, würden alle Kreaturen vernichtet werden. Wenn Gott das Seine von der
Seele Christus zurückziehen würde, wo ihr Geist mit der ewigen Person vereint
ist, wäre Christus nichts als eine bloße Kreatur. Daher bedarf man wirklich des
Einen’.[15]
Eckhart ist also der festen Überzeugung, dass der Geist von Christi Seele so
fest mit der ewigen Person vereint ist, dass Gott sich nie von dieser
zurückziehen würde und könnte. Sterngassen folgt hier der antiapolinaristischen
Tradition, zieht diese aber noch weiter aus, wonach der Inkarnierte, der
Gott-Mensch und der Mensch-Gott nicht nur in seinem Leib sterblich, sondern
auch in seiner Seele menschlich war und beides dem ewigen Wort gegenüber
gestellt werden müsste.
Weitere
Parallelen und Unterschiede fallen auf. Während Sterngassen und Eckhart sicher
darin übereinstimmen, dass ‘alle Dine in mir schweigen’ müssen, und ‘dass ich
in mir selbst still sein muss’,[16]
wenn ich das ewige Wort hören will,[17]
und auch dass Gott notwendigerwesie die Natur dessen, der schweigt, füllen muss,[18]
so liest man doch nirgends, dass das ewige Wort selbst und die Trinität in sich
schweigen würde, da für Eckhart Gott das Wort unablässig spricht. Auch wenn er
sagen kann, das Licht Gottes ‘Gott ist ein Licht, das in sich selbst in einer
stillen Stille schwebt’, so ist er doch ein Licht, das immer scheint, immer
aktiv und dynamisch ist und der mit seinem einzigen Wort alle Dinge ausspricht.[19]
Wenn Sterngassen ausführt, dass der Vater ‘im ewigen Wort’ nicht spricht, sondern
‘nur das blosse Wesen’ spricht, verbindet er mit dem Eckhartschen Gedanken,
dass das göttliche Wesen aktiv ist, also nicht als reine Ruhe und inaktiver
Grund gedacht werden kann, den darüberhinaus führenden Gedanken, wonach das
göttliche Wesen von der väterlichen Person zu unterscheiden sei, eine
Vorstellung, die Eckhart ausdrücklich bestritten hat.
Text und Übersetzung
<:1>Maria Magdalena sas zG den fuessen unsers herren und horte sine wort do
sprach Martha Herre hast du nFt achte dz ich vnmGssig bin, heis, dz si mir helfe Do sprach XRC zG ewiger selikeit h=ret nicht den eines Dz ist sch>wen niezen vnn liden got
|
<:1>Maris
Magdalena saß zu Füssen unseres Herrn und hörte auf seine Worte. Da sprach
Martha:[20] ‘Herr, bemerkst Du nicht, dass ich mich mühe, heiß Sie doch,
dass sie mir hilft.’ Da sagte Christus: Zur Seligkeit gehört nur eines,
nämlich die Übung des Schauens und des Erfahrens Gottes.
|
<:2>Got enwere nicht selig enwere
er nicht dz ewig wort sprechen dz XRC enwere nicht selig enwere er nicht dz
ewig wort h=rende
|
<:2>Gott wäre nicht selig, wäre er
nicht derjenige, der das ewige Wort spricht. Christus wäre nicht selig, wäre
er nicht derjenige, der das ewige Wort hört.
|
<:3>aller creaturen wesen lit an
iren wFrkende Swenne in wFrken enget so enmFgen si ?ch nFt me wesen da von ist gotes wFrken sin wesen Enwere er nFt wFrkende so enwere er nit wesende vnn sin wFrken dz ist sin sprechen Got enkan nicht wFrken denne dz ewig sprechen SFln wir wesen so mGssen wir wFrken Vnn Mnser wFrken dz ist das ewig wort h=ren
|
<:3>Das Sein aller Kreaturen hängt
an ihrem Tun. Würde ihr Tun verkümmern, wären sie nicht länger Seiende.
Gleichermaßen ist Gottes Tun sein Wesen. Wäre er nicht einer, der tut, wäre
er kein Wesen und sein Tun ist sein Sprechen. Gott kann nichts anderes Tun
als ein ewiges Sprechen. Sollen wir Seiende sein, so müssen wir etwas tun.
Und unser Tun ist das Hören des ewigen Wortes.
|
<:4>dF sele XI dF wz niemer vmbe selig Wand dz si dz ewig wort wz h=rende XPC wz vereinet mit der gotheit dz man mocht sprechen
Got mensch vnn mensche got vnn doch mochte ein trophe der gotheit sin
geflossen in den lip Der lip were vnt=tlich wesen man mochte XPM nit get=det haben
|
<:4>Die Seele Christi wäre nie
gesegnet gewesen, hätte sie nicht auf das ewige Wort gehört. Christus war mit
der Gottheit eins, so dass man sagen kann: Gott Mensch und Mensch Gott. Und
könnte doch ein Tropfen der Gottheit in den Leib geflossen sein, der Leib
wäre unsterblich. Man hätte Christus nicht töten können.
|
<:5>Dz ist min selikeit dz got in mir
spreche Swa got sprichet dz wFrket er got ist selig als vil er ist dz
ewig wort sprechende
|
<:5>Das ist meine Seligkeit, dass
Gott in mir spricht. Was Gott spricht, das tut er. Gott ist so sehr gesegnet,
wie er derjenige ist, der das ewige Wort spricht.
|
<:6>Seneca sprichet gel?be mir Es mag niema selig vnd rich wesen RichtGm diser welte machet nFt selig ob man dem gGte dienet Dienen ich dem gGte so han ich die friheit verlorn wand es bekFmbert vnn entfridet mich Bin ich entfridet so enbin
ich nFt selig Swer mit gotte bekFmbert ist der mag aller dinge gebruchen ze gottes
eren Bin ich min selbes vngeweltig so enbin ich nicht selig Der is sin selbes
gewaltig Des alle creaturen sovil nicht enhant dz si in neigen mFgen ze liebe oder ze leide Der ist nicht selig der
sinen richtGm in gotte nicht enkan genemen Min
selikeit ist nicht anders denne dz ich got blosselich sch>we vnn h=re vnn lide
|
<:6>Seneca sagt:[21]
Glaube mir, niemand can gesegnet und reich sein. Der Reichtum dieser Welt
macht einem nicht glücklich, selbst wenn man dem Guten dient. Wenn ich dem
Guten diene, habe ich meine Freiheit verloren, denn es bekümmert micht und
macht mich unfrei. Wenn ich unfrei bin, bin ich nicht gesegnet. Wer sich um
Gott kümmert, kann sich aller Dinge um Gottes willen bedienen. Wenn ich nicht
der Herr meiner selbst bin, bin ich nicht gesegnet. Die Person ist ein
Meister ihrer selbst, für die keine Kreatur so viel besitzt, dass sie sie
lieben oder von ihr leiden lässt. Diejenige Person ist nicht selig, die ihren
Reichtum nicht von Gott empfangen kann. Meine Seligkeit ist nichts als reine
Schau, Hören und Gott Erfahren.
|
<:7>Maria horte sinF wort Sol ich gottes wort h=ren ellF ding mGssen in mir swigen Einer ieklichen creature
volkomenheit Springet in die andren vs Sol got sprechen in mir es mGs sin dz alle creaturen in mir swigen hastu ich dz
in dir spricht da swiget got Swa got sprichet Da mGssent ellF ding vs sin gesprochen
|
<:7>Maria hörte auf sein Wort. Wenn
ich Gottes Wort hören will, müssen alle Dinge in mir schweigen. Die
Vollkommenheit einer jeden Kreatur springt auf andere über. Wenn Gott in mir
sprechen soll, müssen alle Dinge in mir still sein. Wenn Du etwas in Dir
hast, das spricht, wird Gott still sein. Wenn Gott spricht, muss alles andere
zu sprechen aufgehört haben.
|
<:8>Dz ander ist Ich mGs in mir selber swigen swenne es get an blosse
gotheit so mGs ich swigen Dz wort in dem ich nach
gotte got gebildet bin entspriche ich nicht got spricht es in mir Der wissage
sprichet in dem salter tG uf den munt, ich wil in fullen.
Nature enmag nit erliden dz dekein ding
si lere WFrket dz nature an naturlichen dingen So tG den munt vf diner sele er mGs von getwange gotes vol werden
|
<:8>Die zweite Sache ist, dass ich
in mir selbst still sein muss, denn wenn es in die blosse Gottheit geht, muss
ich still sein. Das Wort, durch das ich als Gott nach Gott gebildet werden,
spricht in mir, wenn ich Gott nicht gemäß bin. Der Weise sagt im Psalter: ‘Öffne Deinen Mund, ich werde ihn füllen’.[22]
Die Natur kann es nicht ertragen, dass sie etwas leert. Wenn die
Natur in natürlichen Dingen wirkt, dann öffne den Mund Deiner Seele: Notwendigerweise
muss er von Gott gefüllt werden.
|
<:9>Dz dritte dz ewig wort mGs in ime selber swigen Inrekeit der selikeit lit
niergen an denne ansch?wende blosse gotheit Sprichet icht in dir
so swiget got Dz heize ich creaturen sprechen die wil de kein creature ir
bilde in dich gewerfen mag alle creature mGssen in der gotheit swigen DF drivaltikeit mGs in ir selber swigen In dem ewigen worte ist nicht
der vater sprechende In dem ewigen wort ist nicht sprechende want blos wesen
Were gottes persone ab geslagen noch denne bestGnde er vf blossen wesende Dz ist min selikeit dz ich
got mit gotte sch>we Got du solt sprechen vnn ich sol liden
Du solt bilden in dem ewigen worte Vnn ich solt sch>wen
|
<:9>Die dritte Sache: Das ewige
Wort muss in sich schweigen. Die Innerlichkeit der Seligkeit findet sich
nirgend anders als in der Schau der blossen Gottheit. Wenn etwas in Dir
spricht, dann ist Gott still. Das nenne ich eine Kreatur, die nciht will,
dass eine Kreatur sein Bild in Dich setzt. Alle Kreaturen müssen in der
Gottheit schweigen. Die Trinität muss in sich selbst schweigen. Im ewigen
Wort spricht nicht der Vater. Im ewigen Wort, spricht nur das blosse Wesen. Wenn
Gottes Person abgehauen wäre, würde er dennoch auf dem blossen Wesen ruhen. Das
ist meine Seligkeit, dass ich Gott mit Gott schaue. Gott, Du sollst sprechen
und ich soll empfangen. Du sollst in dem ewigen Wort wirken und ich soll
schauen.
|
Predigt, Z1 [Senner 1]
‘Diu
unwandelbarkeit und diu abegescheidenheit’
Inhalt und Struktur
Das Predigtfragment beginnt mit dem Thema Unwandelbarkeit und Abgeschiedenheit (n. 1). Doch erst mit dem nächsten Thema kommt Sterngassen zu seinem eigentlichen Anliegen, der Reinheit (n. 2). Die Reinheit führt weiter als Unwandelbarkeit und Abgeschiedenheit, sie gebiert sogar Abgeschiedenheit, während der Intellekt lediglich die Erkenntnis der Dinge lehrt. Reinheit aber lehrt Gott wahrnehmen und zusammen mit Gott nicht-zu-wissen (n. 3).
Der Bezug zum Kontext
Auch wenn dies nur ein kurzes Fragment ist,
kann man es doch als weitere Fortführung und Differenzierung zu Eckhart lesen.
Während Eckhart Abgeschiedenheit als die Bedingung sah, Gott in sich
hineinzuziehen, ist es bei Sterngassen die Reinheit, die der Abgeschiedenheit
vorgeordnet wird und sogar Abgeschiedenheit erst hervorbringt. An die Stelle
eines intellektuellen Aktes – auch wenn beide gemeinsam haben, dass das
Erkennen Gottes ein Nichterkennen mit Gott ist – so steht doch an der Stelle
von Erkenntnis bei Sterngassen ein Wahrnehmen Gottes in der Innerlichkeit.
Text und Übersetzung
<:1>Dv vnwandelberkeit vnd dv
apgescheidenheit aller creatren. Das setzet mich in das nechste der
gotheit. vnd in das hohste der vollekomenheit.
|
<:1>Die Undwandelbarkeit und die
Abgeschiedenheit von allen Kreaturen versetzt mich in die größte Nähe der
Gottheit und in die höchste Vollkommenheit.
|
<:2>luterkeit dFt mich aller dinge vergessen. vnn mit der lvterkeit
ist got alle wege in mir beslossen. lvterkeit machet mich mit got ein formig.
lvterkeit dM twinget mich in die inwendekeit der
creature. Luterkeit ist ein blos apscheiden aller creaturen. Nieman mag got
vernemen wan der eines lvteren herzen ist In der lFterkeit bevindet man gotes alleine.
|
<:2>Reinheit lässt mich alle Dinge
vergessen und mit Reinheit ist Gott gänzlich in mir enthalten. Reinheit macht
mich eingestaltig mit Gott. Reinheit, sie zwingt mich zur Innerlichkeit der
Kreatur. Reinheit ist ein blosses Abscheiden von allen Kreaturen. Niemand
kann Gott wahrnehmen, es sei denn man hat ein reines Herz. In der Reinheit
findet man Gott allein.
|
<:3>Verstentnisse leret mich allM ding bekennen. Lvterkeit dNt mich got schowen. Lvterkeit machet das got in mir
wirt gefangen. Lvterkeit tNt mich got vernemen. vnd mit got niht
wissen. Luterkeit gebirt abgescheidenheit ein lvter mensche sol haben ein
liechte vargebern. Lvterkeit die genMget an got alleine.
|
<:3>Der Intellekt lehrt mich, alle
Dinge zu erkennen. Die Reinheit lässt mich Gott schauen. Die Reinheit, dass
Gott von mir erfasst wird. Reinheit lässt mich Gott wahrnehmen und zusammen
mit Gott nicht-wissen. Die Reinheit gebirt Abgeschiedenheit. Einem reinen
Menschen soll es leicht fallen, wegzugeben. Die Reinheit, ihr genügt Gott
allein.
|
Predigt, Z2 [Senner 5]
‘Der
wissage sprichet in dem saltere: Alle creaturen fragent mich wer got si?’ (Ps. 42:2; 148:7-12)
Inhalt und Struktur
Die Predigt beginnt mit einer Kombination von zwei Psalmen (42:2 and 148:7-12) und der Frage, wo Gott sei (n. 1). Der erste Ort, an dem man Gott zu suchen hat, ist das eigene Innere (n. 2). Auch wenn alle Kreaturen nur vergängliches Nichts sind, in Gott sind sie unauflösliche Freude. In n. 3 spricht der Prediger direkt zu Gott und steigert den Text in eine Beschreibung der Einheit von ihm und Gott. Er erwähnt, dass er vom heiligen Geist geführt ‘Gott in Gott’ erkennt, dass er sich selbst vergisst und so von sich weg in das göttliche Du und das göttliche Du in ihn gelangt, eine außergewöhnliche Beschreibung der Einung mit dem Göttlichen (nn. 4-5). Der gottgeformte Mensch ist derjenige, dessen Seele vollkommen göttlich geformt ist (n. 6).
Kontext
Auch bei Eckhart finden sich solch dichte
Stellen, in denen er von der göttlichen Einung mit der Seele die Rede ist, und
am deutlichsten erinnert der Text an Eckhart, Hom. T41,7* [55*; Q 80], n. 8, wo es heißt: ‘Dâ sint die crêatûren ein in dem
einem und sint got in gote; an in selben sint sie niht’. Oder etwa Hom. T59,1* [62*; Q 83], n. 6: ‘Dv´ solt
alzemal entzinken diner dinisheit vnd solt zer fliesen in sine sinesheit vnd
sol din din vnd sin sin éin min
werden als genzlich, das dv´ mit ime verstandest ewiklich sin vngewordene istikeit
vnd sin vngenanten nitheit’. Und Hom.
T10,1* [12*; Q 14], n. 9: ‘. wat is hoede? ewicheit. ich hayn mych dich inde
dich mych eweclichen geboren. nochtant in genoeget den edelen oitmoedegen
mynschen da myt neit, dat hey der eynege geboren sun is, den der vader
ewenclichen geboren hait, hey in wylt och vader syn inde treden in de selue
gelicheit der eweger vaderschafft inde geberen den, van dem ich [ewen] Ewenclichen
geboren byn’. Und Hom. T21,2* [21*; Q
49], n. 10: ‘In disem worte sprichet der vater mînen geist und dînen geist und
eines ieglîchen menschen geist glîch dem selben worte. In dem selben sprechenne
bist dû und ich ein natiurlich sun gotes als daz selbe wort’. Und die berühmte Hom. S59,4 [84*; Q 86], n. 11: ‘Dâ
von sprach er ze ir: ‘des einen ist nôt’, niht zwei. Ich und dû, einstunt
umbevangen mit êwigem liehte, ist einez, und zwei-einez ist ein brinnender
geist, der dâ stât ob allen dingen und under gote an dem umberinge der êwicheit’. Gerade ein
solcher Vergleich zeigt, dass Sterngassen intimer und persönlicher redet,
während Eckhart trotz aller Beschreibung der Einheit noch eine gewisse
Außenperspektive einhält. Andererseits aber geht Eckhart über die
Einheitsbeschreibung Sterngassens hinaus, indem er nicht nur von einer Einheit
der Kreatur mit Gott, sondern geradezu von einem Rollentausch der beiden
spricht, in welchem er beansprucht, dass die Einheit nicht ausreicht, sondern
der so in die Einheit genommene auch die Vaterrolle übernehmen will.
Text und Übersetzung
<:1>Der von Sterngassen der sprach
dz der wissage sprichet in dem saltere: Alle creaturen fragent mich wer von got
si?
|
<:1>Der von Sterngassen sprach,
dass der Vorausschauende im Psalter sagt: ‘Alle Kreaturen fragen mich, wo
Gott sei.’[23]
|
<:2>Do gieng ich in mich selber
unde ich nam war dz alle creaturen ein vergenglich italkeit an ir selber ist
und dz alle creaturen ein unbresthafte wune in der gotheit ist, und bevant dz
das liecht des g=tlichen antlices in mir geformet wz, und
merchte daran dz diu fr=licheit unendig in miner innekeit
beslossen was, und war in mir ein dyapsalma, dz ist ein stilleswigen aller
uswendigen dinge, und ein rGwe allerinwendigen dinge, und kant in mir
ein himelrGrendes sfzen und min verstentnisse wart entbildet min geist
wart entmittelet und min andacht wart entmantelet und persone mines gemGtes wart vernederet. Ich vand in mir ein aller dinge
vergessen und ein mines selbes vermissen und ein dich got alleine wissen.
|
<:2>Da ging ich in mich selber und
nahm wahr, dass alle Kreaturen ein vergängliches Nichts in sich selbst sind
und dass alle Kreaturen eine unzerstörbare Freude in der Gottheit sind, und
spürte, dass das Licht des göttlichen Antlitzes in mir gebildet wurde und
bemerkte hierdurch, dass die Fröhlichkeit in meiner Innerlichkeit grenzenlos
umschlossen war und in mir ein Diapsalma bildete,[24] d.h. ein Stillschweigen aller
äußerlichen Dinge und eine Ruhe aller innerlichen Dinge, und bemerkte in mir
ein himmelrührendes Seufzen, und mein Wissen wurde geleert, meine Kenntnis
unkenntlich, mein Geist von allen Mitteln befreit und mein Gebet entkleidet
und die Gestalt meines Sinnes gedemütigt. Ich hatte in mir das Vergessen
aller Dinge entdeckt und ein Aufgeben meines eigenen Selbst und ein Wissen um
Dich, Gott, allein.
|
<:3>Do bevant ich: Ist dir elliu
zit als mir etwen ist, so ist es billich dz du got bist. Wer mir alweng als
mir etweng ist, mich dunket ich were got als du got bist. Do kam ich mich ein
mich in dir vergessen unde min vernunft wart in dich gegeistet, unde von dem
heiligen geiste wart ich gefFret in den grunt, da der sun inne
gebildet ist, unde da erkande ich got in gotte unde des vaters nature in dem
sune unde des sunes persone in dem vater unde des heiligen geistes persone in
dem vater unde in dem sune.
|
<:3>Da entdeckte ich: Wenn Du
allzeit so bist wie ich manchmal bin, dann bist Du zurecht Gott. Wenn ich
immer wäre, wie ich manchmal bin, so ahne ich, dass ich Gott wäre, wie Du
Gott bist. Da geschah es mir, dass ich mich selbst in Dir vergass und mein Intellekt
in Dir vergeistigt wurde, und ich wurde vom Heiligen Geist in den Grund
geführt, in welchem der Sohn gebildet wurde und dort erkannte ich Gott in
Gott und die Natur des Vaters im Sohn und die Person des Sohnes im Vater und
die Person des Heiligen Geistes im Vater und im Sohn.
|
<:4>Es kam in mich ein bersch>wen und ein Fberbegeren und ein Fberverstan. Ich vand in mir ein aller dinge
vergessen und ein min selbes vergessen und dich got alleine wissen. Do kam in
mich ein schowen diner ewikeit und ein bevinden diner selikeit. Ich vand mich
allein an dir verstarret. Do kam ich von mir ich mich an dir und dich in mir.
Ich vand mich ein wesen mit dir. Ich vand dich ob mir. Ich vand mich mit dir
durformig. Ich vand mich mit diner ewikeit umbslossen, und vand dz du elli
din selikeit hast in mich gegossen. Ich vand mich mit dir das wesen wesende
und das wort sprechende und den geist geistende.
Unde der vater was in miner sele
almechtig unde der sun alwissende unde der heiligen geist alminnende.
|
<:4>Mich überkam ein
Hinüberschauen, und ein Hinwegbegehren und ein Mehr-als-Verstehen. Ich
entdeckte in mir, dass alle Dinge vergessen wurden, dass ich mein Selbst
vergesse und um Dich, Gott, allein weiß. Dann gelang mir eine Schau Deiner
Ewigkeit und ein Bemerken Deiner Seligkeit. Ich fand mich, dass ich in Dich
allein vernarrt war. Da gelang ich von mir zu mir in Dir und zu Dir in mir.
Ich fand mich selbst als ein Wesen mit Dir. Ich fand Dich jenseits von mir.
Ich fand mich durchformt mit Dir. Ich fand mich umschlossen von Deiner
Ewigkeit und fand dass Du in mich all Deine Seligkeit gegossen hattest. Ich
fand mich zusammen mit Dir als das seiende Wesen, als sprechendes Wort und
als atmender Geist.[25]
Und der Vater war allmächtig in meiner Seele und der Sohn allwissend und der
Heilige Geist allliebend.
|
<:5>Ach ewiges liecht g=tlicher klarheit wand du in miner innekeit bist,
wand du ob allen dingen bist bis mir das du bist ein abkeren von allen dingen
in das unsprechliche liecht das du luterlichen an dir selber bist.
|
<:5>Oh ewiges Licht göttlicher
Klarheit, da Du in meiner Innerlichkeit bist, da Du jenseits von allen Dingen
bist, bist Du mir ein Du, bist eine Abkehr von allen Dingen in das
unaussprechliche Licht, das Du rein in Dir selbst bist.
|
<:6>Er sprach wz ein gotformlich
mensche were und sprach: sin sele diu ist vol g=tlicher formen. Und sprach Alle g=tlich formen die sint formelos und usser g=tlichen formen vliesset unmessig begerunge, die man
mit enkeiner wise usgesprechen enkan, und wrkent drier leige werk an der sele. Sie minnent
anebevinden und bekennent sunder wissen und grFndent ane ende.
|
<:6>Er sagte, was ein gottgeformter
Mensch sei und sprach: Seine Seele ist voll göttlicher Formen. Und er sagte:
Alle göttliche Formen sind formlos, und aus den göttlichen Formen fließen
maßlose Begierden, die man in keiner Weise in Worte fassen kann, und sie
bewirken dreierlei Dinge in der Seele. Sie lieben unbemerkbar und erkennen
ohne zu wissen und bieten einen Grund ohne Begrenzung.
|
[1] Vgl. Eckhart, Q. Par. VII
(LW V Suppl.), 464,1: ‘potentia est essentiale et commune tribus’; dagegen
argumentiert Johann Franke, Pr. 5 des Paradisus (19: ‘sint den male daz di werc der heiligin drivaldikeit
ungeteilit sin, so ist ein vrage ob der heilige geist alleine worchte du he den
lichamen machite und ob der son alleine worchte du her mensliche nature an sich
nam. respondeo: noch der ordenunge gibit man deme sone daz eine und deme
helegen geiste daz andere’).
[2] Eckhart, Pr. S32,1* [Pr. VIII
Pfeiffer, 1851; W. Preger, 1864], n. 9: ‘daz werc der personen daz ist daz si
uzberen unde geben alliu dinc diu geberunge gehoeret den vater an alleine diu
uzgebunge gehoeret die drivaldikeit an gemein waz ist wesen der drier personen
in der drivaldikeit das ist das einveldiclich alle dinck zemal an im beslozzen
hat nah einvaldikeit unde doch weder enbirt noch engibet an im selber noch mit
yme selber. Was das wesen weselich weset iteme dan ym selber das geschicht mit
sampt der wirkunge der personen der wesen es ist. Want sie one es widder
wircken nach gesin mogen. Want sie enwirckent nit als dry sie wirkent als eyner
an allen dingen want sie sint eyn got eyn wesen eyn nature.’
[3] Is. 60:1. Liturgischer Kontext: Epistolar., Arch. 423ra–b: ‘In epiphania domini Lectio Ysaie prophete
[60, 1–6]. Surge illuminare Iherusalem:
quia venit lumen tuum, et gloria Domini super te orta est. Quia ecce tenebre
operient terram, et caligo populos: super te autem orietur Dominus, et gloria
eius in te videbitur. Et ambulabunt gentes in lumine tuo, et reges in splendore
ortus tui. Leva in circuitu oculos tuos, et vide: omnes isti congregati sunt,
venerunt tibi: filii tui de longe venient, et filie tue de latere surgent. Tunc
videbis, et afflues, et [et > Vg.]
mirabitur et dilatabitur cor tuum quando conversa fuerit ad te multitudo maris,
fortitudo gentium venerit tibi: inundatio camelorum operiet te, dromedarii
Madian et Effa: omnes de Saba venient, aurum et thus deferentes, [+ et Vg.] laudem Domino annuntiantes’. It is
interesting that Eckhart takes the last element (‘be illumined’) as passive,
while traditionally this is understood as active (we thank Patricia Impey for
drawing our attention to this).
[5] See Ioh. 1:3-4: ‘3 omnia per ipsum facta sunt et sine
ipso factum est nihil quod factum est 4 in ipso vita erat et vita erat lux
hominum.’
[8] See Os.
2:14: ‘ducam eam in solitudinem et loquar ad cor eius.’
[10] See 2Cor. 11:2: ‘aemulor enim
vos Dei aemulatione despondi enim vos uni viro virginem castam exhibere Christo’;
Os. 2:19: ‘sponsabo te mihi.’
[13] See Lc.
1:26-38.
[17] See, for example, Eckhart, Hom.
S79,2* [108*; Q 52], n. 3; S23,1* [69*; Q 45], n. 11; 26,1* [70*[ Q 73], n. 8;
T10,2* [13*; S 102], n. 22.
[20] The context
of the text is Luc. 10:38–42 and can be
found in Collectarium, Arch. f.
453ra: ‘In die (assumptionis). Secundum Lucam. In illo tempore intravit Ihesus
[Factum est autem, dum irent, et ipse intravit Vg.] in quoddam castellum: et mulier quedam Martha nomine, excepit
illum in domum suam. Et huic erat soror nomine Maria, que etiam sedens secus pedes Domini, audiebat verbum illius.
Martha autem satagebat circa frequens ministerium: que stetit, et ait: Domine,
non est tibi cure quod soror mea reliquit me solam ministrare? Dic ergo illi, ut me adiuvet. Et respondens dixit illi Dominus: Martha, Martha, sollicita es, et
turbaris erga plurima. Porro
unum est necessarium. Maria optimam partem elegit, que non auferetur ab ea’.
[21] See Ps.-Seneca = Martinus Baracensis, Liber de moribus 103; Publius Syrus, Sententiae, ed. S. Woelfflin (Leipzig, 1869), 144; Auct. Arist. 23,26, p. 281.
[23] See Ps. 148:7-12: ‘7 Laudate
Dominum de terra, dracones et omnes abyssi; 8 ignis, grando, nix, glacies,
spiritus procellarum, quae faciunt verbum ejus; 9 montes, et omnes colles;
ligna fructifera, et omnes cedri; 10 bestiae, et universa pecora; serpentes, et
volucres pennatae; 11 reges terrae et omnes populi; principes et omnes judices
terrae; 12 juvenes et virgines; senes cum junioribus, laudent nomen Domini.’
[24] According to Gregory of Nyssa, the diapsalma
‘is a pause that occurs suddenly in th emidst of the singing of a psalm in
order to receive an additional thought that is being introduced from God’, see
Greg. Nyss., On the Inscriptions of the
Psalms 2,10,115-16,121-22.
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