Markus Vinzent's Blog

Wednesday 27 May 2020

Meister Eckhart und die zweite Generation (Paradisus anime intelligentis)


MEISTER ECKHART

und die nächste Generation


I

Predigten

1. Paradisus anime intelligentis – ‘Das Paradies der intellektuellen Seele’



Einleitung, Übersetzung und Anmerkungen

von

Markus Vinzent und Jana Ilnicka



Meister Eckhart, Homily T1,1*
[
Sievers/Strauch, Paradisus; HLY 1*, S 87]

Dominica I in Adventu Domini
‘Ecce, dies veniunt, dicit dominus, et suscitabo David germen iustum’



Inhalt und Struktur


Die beiden Versionen des Paradisus und Lo4 sind eng miteinander verwandt, auch wenn sie einige signifikanten Unterschiede aufweisen,[1] doch können Sie weiter unten parallel gesetzt werden und Inhalt und Struktur können hier gemeinsam skizziert werden.
Bevor Eckhart mit seinem Kommentar zum Vers aus Jeremia beginnt (Nr. 1), wendet er sich einem anderen Vers zu, den er Prov. 25,25 entnimmt (Ein guter Bote von einem fernen Land ist wie kaltes Wasser für eine durstige Seele“) (Nr. 2) und der ihm den Gedanken der Entfernung bietet, welchen er in der Antiphon des Magnifikats von der Tagesvesper fand (‘Ecce nomen domini venit de longinquo’, Is. 30:27). Aufgrund dieses zusätzlichen Verses gliedert sich die Predigt in drei große Teile (A–C):
A) Die Deutung von Prov. 25,25 (Nr. 3–7). Aufbauend auf Augustins Ausdruck vom Land der Ungleichheit“ betont Eckhart zunächst die Distanz zwischen dem sündigen Mensch und Gott; die Distanz zwischen dem Himmelreich Gottes als einem fernen Land und dem Sünder fordert einen Boten, der vom Himmel kommt (Nr. 3). Hiermit führt der Text das Thema vom Advent ein und erklärt, warum der Mensch der Ankunft eines Boten bedarf. Im weiteren Schritt erläutert Eckhart, warum der sündige, nicht der Mensch als solcher, in einem beklagenswerten Zustand lebt. Zur Verdeutlichung verweist er auf den hypothetischen Fall, dass „die allerschönsten Geschöpfe, die Gott geschaffen hat, aus dem göttlichen Licht heraus(genommen würden)“. Wenn das geschähe, würden selbst diese göttlichen Geschöpfe weder Wert noch Angenehmes empfinden, sondern es würde einem „vor ihnen grauen“. Die menschliche Distanz von Gott ist beklagenswert (Nr. 4). Der Zusatz in Lo4 in n. 5 scheint notwendig zu sein für das Verständnis des Textes und vermutlich eher zufällig im Laufe der Tradierung der Predigt in der Paradisustradition ausgefallen zu sein. Unterschiedlich hierzu mag vielleicht das Ende von n. 5 in Lo4 eine theologische Erweiterung darzustellen (in meschlicher natur, der vns losen solde von aller vnser iammerkeit). Ähnlich scheint auch die noch stärker theologisch orientierte Passage in n. 6 eine christologische Neufassung in Lo4 darzustellen (Wer ein trünk kaldes wassers gebit sime eben cristen in der ewigen libe, da got mensche ynne worden ist, dem werden alle sine sünde vorgeben). Und auch die folgende Passage, die im Paradisus fehlt, liest sich wie eine christologische Erweiterung des Textes von Lo4[2] (Wiszt ir, wy der mensche ettiswan gedenken vnd beten sal? Er sal sich vnd vor wen er beten wel mit allen sin sünden vnd gebrechen legen in dy wunden vnsers hern ihesu christi vnd sal sich vnwirdig dünken vnd sal sich beveln der wirdigen martir vnsers hern ihesu christi vnd sal sich opphern deme hymmelischen vater an sinem heyligen sune. Antwedir der hymmilische vater der müss sy beiden epnhan adir nicht).  
B) In einem weiteren Schritt bewegt sich Eckhart auf Jer. 23,5 zu. Er konzentriert sich auf die Einführung („Der Prophet spricht“) und kombiniert sie mit dem zweiten Teil des vorangegangenen Verses Prov. 25,25 („wie kaltes Wasser für eine durstige Seele“). Schon die Altväter waren in einem beklagenswerten Zustand und mussten laut zum Himmel schreien (Nr. 5). Wichtiger ist für Eckhart, dass alles mit Blick auf die eigene Seele gesagt ist; aus einem gewissen Selbstbewusstsein und Optimismus heraus, schreibt Eckhart, dass „wer einen guten Gedanken unserem Herrn, Gott, in der ewigen Liebe opfert, der wird gerettet“; in ähnlicher Kühnheit verwirft Eckhart die Angst vor dem Teufel, vor der Welt, dem eigenen Fleisch und Gott selbst. Er begründet diesen Mut mit dem Hinweis auf Christus, den er als „Fürsprecher“, „Verteidiger“, „Weisheit“ und „Macht“ des Vaters bezeichnet, gegen den nichteinmal der Vater selbst ankommen könne (Nr. 6). Diesen Gedanken von Kampf und Verteidigung entwickelt Eckhart weiter mit dem Bild von den drei Torhütern vor dem Paradies, der letzte gleichgesetzt mit dem beklagenswerten Zustand des Menschen. Diesen aber hat Christus mit seiner Menschwerdung auf sich genommen und damit die Sünde des Menschen vernichtet. Der Abschnitt endet mit einer wunderbaren Adventsbotschaft, wonach „das Himmelreich ohne jegliche Hüter offen(steht)“ und Eckhart schlussfolgert, dass der Mensch mutig Gott entgegentreten kann (Nr. 7).
C) Eckhart deutet seinen Übergang zur nächsten Gedanken an („Wir müssen noch das Wort bedenken, das er ebenfalls spricht“): „Ich will den Samen oder die Frucht Davids erwecken“, wobei die „gerechte Wurzel“ (‘die gerehten wurzeln’) ersetzt wurde mit „Samen oder Frucht“. Das letzte Bild scheint der Vorweihnachtszeit eher angemessen, leitet es doch hin zur Geburt Gottes und der Menschwerdung in Maria. Das Aufwecken erklärt Eckhart mit Joh. 5,4, wo vom Engel die Rede ist, der zu Zeiten das Wasser bewegt, um die Menschen zu heilen (Nr. 8). Ein weiterer Gedanke führt über die historischen Vorstellungen der Geburt in Maria und des Heilwassers aus Johannes hinaus und führt zur inneren Geburt Gottes in der Seele, die viel mehr als die heilsgeschichten Ereignisse biete, ja diese völlig in den Schatten stelle (Nr. 9).
Es lässt sich also feststellen, dass wir in Lo4 christologische Erweiterungen gegenüber der Paradisustradition lesen, und zwar insbesondere in n. 5 wie auch in nn. 7-8 – und es ist wenig wahrscheinlich, dass ein Redaktor solche christologisch-soteriologischen Passagen systematisch unterdrückt hätte, wären sie in seiner Textvorlage gestanden, noch können sie zufällig ausgefallen sein. Vielmehr zeigt sich damit eine redaktionelle Tendenz der Tradition, in der Lo4 steht, nämlich a) die Rolle Christi als Retter durch sein körperliches Leiden hervorzuheben, auch wenn solche Ansätze bereits im Paradisustext begegnen, wenn auch nicht so deutlich sind (folglich hebt F. Löser zurecht hervor, dass Eckhart nicht bestreitet, Christus sei der Weg zum Vater und darum prinzipiell durchaus auch die Erweiterungen in Lo4 auf Eckhart selbst zurückgehen könnten[3]). Allerdings setzt Lo4 den Leib und die Natur Christi deutlich ab von der Natur des Menschen, wobei letztere weder die rettende Macht noch die Reinheit der Engel besitzen (n. 7: des hat der mensche nicht), wohingegen im selben Zusammenhang davon die Rede ist (n. 7) dass das Kommen von Gottes Sohn auf Erden ‘daz er des menschen sünde ûf sich genomen hât, daz er sie vertilgete und den menschen behielte’, es lässt sich also doch eine gewisse Spannung zwischen dieser Aussage und der Weiterung in Lo4 erkennen. Gegen die Tendenz von Lo4 führt gerade der letzte Teil der Predigt (nn. 8-9) einen ‘kühnen’ Versuch aus, den Menschen mit Gott zu verbinden, also gerade nicht die Natur des Menschen von der Gottes zu unterscheiden. Gewiss hat Lo4 diesen Passus nicht weggeschnitten, in welchem von Gott gesagt wird, dass er durch seine eigene Natur die Wasser des Jordan bewegt hatte und den Menschen dadurch am mächtigsten gesegnet hatte, dass er sich in dessen Seele geboren hatte, doch die Differenzierung zwischen dem Sohn Gottes und der menschlichen Natur unterläuft dieses Predigtziel und der geistlichen Vereinigung, von der am Ende des Predigttextes die Rede ist.


Text and translation

<1:1>Ecce dies veniunt dicit dominus et suscitabo David germen iustum.

<1:1(20)Ecce, dies veniunt, dicit dominus, et suscitabo David germen iustum’.
<1:1>Ecce dies veniunt dicit dominus et suscitabo David germen iustum.
<1:1>‘Ecce, dies veniunt, dicit dominus, et suscitabo David germen iustum’.
<1:2>dise wort sprichit
Jeremias.
nemit war, die dage kumint, sprichit der herre, und ich wil irweckin di gerechtin worzelin Davidis.
<1:2>Der prophete Jeremias spricht: ‘Set dz tage sint komen, spricht got, ich wel irwecken dz frücht adir den samen dauid vnd dy frucht sal wise sin vnd sal vinden orteil vnd machen gerechtikeit in ertriche’.
<1:2>Dieses Wort spricht
Jeremias: „Erkennet, die Tage kommen, sagt der Herr, und ich werde die gerechten Wurzeln Davids erwecken.“
<1:2>Der Prophet Jeremias sagt: „Seht, die Tage sind gekommen, sagt Gott, und ich werde die Früchte oder den Samen Davids erwecken und die Frucht soll weise sein und soll Urteil finden und die Erde gerecht machen.“[4]
<1:3>Salomon sprichit:
ein gut bode von eime verrin lande ist also
kalt wazzir einir
dorstigin sele.
<1:3>Ouch spricht [h]er salomon, das ‘ein gut bote von eyme verren lande ist also ein kald wasser einer dorstigen sele’.
<1:3>Salomon spricht: „Ein guter Bote von einem fernen Land ist wie kaltes Wasser für eine durstige Seele.“
<1:3>Herr Salomon sagt auch: „Ein guter Bote von einem fernen Land ist wie kaltes Wasser für eine durstige Seele.“[5]
noch der achte der sunde so ist der mensche verre von Gode. dar umme ist ime daz himmilriche alse ein verre fremede lant, und disir bode Jeremias was fon deme himmile. sente Augnstinus sprichit fon yme selbir, du her noch unbekart was, daz her sich verre vant von Gode in eime fremedin lande der unglichheit.
Nach der achte der sünde so ist der mensche verre von gote. Dar vmme ist öm das hymmilrich also ein verre fremde land, vnd was deser bote von hymmele.
Sente Augustinus spricht von öm selbir, da er noch vnbeka[r]t was, das er ‘sich vand verre von gote in eyme fremden lande der vnglichnisse’.
Hinsichtlich der Sünde ist der Mensch fern von Gott. Darum ist für ihn das Himmelreich wie ein fernes, fremdes Land und dieser Bote Jeremias war vom Himmel. Der Heilige Augustinus spricht über sich selbst, als er noch nicht bekehrt war, dass er „sich fern von Gott befand in einem fremden Land der Ungleichheit“.
Hinsichtlich der Sünde ist der Mensch fern von Gott. Darum ist für ihn das Himmelreich wie ein fernes, fremdes Land und dieser Bote war vom Himmel. Der Heilige Augustinus spricht über sich selbst, als er noch nicht bekehrt war, dass er „sich fern von Gott befand in einem fremden Land der Ungleichheit“.[6]
<1:4>ez ist ein jemirlich
dinc daz ein mensche
von deme ist on den her nicht selic gesin inmac. neme man di allir schonisten creature di Got geschaffin hat, uz deme gotlichen lichte da si undir stein (wan alse verre alse alle dinc under
deme gotlichen lichte stein, alse verre sint si lustlich und behegelich), und were ez Godis wille und gestate her ez daz
si worden genomen uz deme gotlichen lichte und worden gewisit einer
            sele, si enmochte keine wolust
                       dar ane gehaben, sunder ir mueste da fare gruwin.





noch jemirlicher
ist daz daz ein mensche
fon deme ist on den her kein wesin gehabin inmac.
allir jemirlichis ist
daz daz her fon deme ist der sin ewige selekeit
ist.
































<1:4>Es ist ein iemmerlich ding, das der mensche von dem ist, an den er nicht beheglich mag gesin. Neme man dy alle[r]schonsten creaturn, dy got geschaffen hat, vs dem götlichen lichte, da sy vndir sten – wan also verre als alle ding vnder dem götlichen lichte sten, also verre sint sy lusteclich vnd behegelich – vnd were es gotis wille adir gestatte er es, das sy worden genomen vs dem götlichen lichte vnd worden gewiset eyner der mynsten sele, sy mochte da keyne wollust noch behagunge an ön  haben, sünder ör müste da vor grüwen.





Noch iemmerlicher ist das, das der mensche von dem ist, ane den er kein wesen gehaben mag.

Aller iemmerlichst ist das, das er von dem ist, der sin ewige selikeit ist, vnd so krang ist worden, das er von syner eygen craft nimmer wedir czü gote komen mag vnd oüch nicht weis, wy er wider czü öm komen sal. Da clait [h]er dauid vnd spricht: ‘Ich ben verre von gote, wan ich in den sünden geborn ben, vnd ben so krang worden, das ich von myner craft nicht wider czü gote komen mag. Vnd habe dy oügen vorlorn, das ich nicht weis, wo ich wedir czü öm komen mag.’ Ein gut man der spricht in [h]er Jacobs buch: ‘Bricht ein mensche wider den andern, da mag er eyn menschen czü vinden, der öm das helffe bessern. Bricht aber der mensche wider got, der ist so hö vnd so vnmessig, das man kein menschen darczü vinden kan, der das gebessern moge. Wan noch der werdikeit des hern, an dem man missetüt, so müs sin dy besserunge.’
<1:4>Es ist beklagenswert, dass der Mensch entfernt ist von demjenigen, ohne den er nicht glücklich sein kann. Nähme man die allerschönsten Geschöpfe, die Gott geschaffen hat, aus dem göttlichen Licht heraus, unter welchem sie standen – denn so weit alle Dinge unter dem göttlichen Licht stehen, so weit sind sie wünschenswert und angenehm –, und wäre es Gottes Wille und erlaubte er es, dass man sie aus dem göttlichen Licht herausnähme und sie einer              Seele zuwiese, sie würde           
               nichts Angenehmes in ihnen finden, sondern es würde ihre vor ihnen grauen.

Noch beklagenswerter ist es, dass ein Mensch fern von dem ist, ohne den er kein Sein hat.[7]

Am stärksten beklagenswert ist es, dass er fern von demjenigen ist, der sein ewiges Glück ist.
<1:4>Es ist beklagenswert, dass der Mensch entfernt ist von demjenigen,[8] ohne den er nicht glücklich sein kann. Nähme man die allerschönsten Geschöpfe, die Gott geschaffen hat, aus dem göttlichen Licht heraus, unter welchem sie standen – denn so weit alle Dinge unter dem göttlichen Licht stehen, so weit sind sie wünschenswert und angenehm –, und wäre es Gottes Wille und erlaubte er es, dass man sie aus dem göttlichen Licht herausnähme und sie einer der kleinsten Seele zuwiese, sie würde keinen Wert und nichts Angenehmes in ihnen finden, sondern es würde ihre vor ihnen grauen.

Noch beklagenswerter ist es, dass der Mensch fern von dem ist, ohne den er kein Sein hat.[9]

Am stärksten beklagenswert ist es, dass er fern von demjenigen ist, der sein ewiges Glück ist, und dass er so schwach geworden ist, dass er aus seiner eigenen Kraft nie wieder zu Gott zu kommen vermag und auch nicht weiß, wie er wieder zu ihm kommen soll. Dies beklagt Herr David und spricht: „Ich bin fern von Gott denn ich bin in Sünden geboren und bin so schwach geworden, da ich aus eigener Kraft nicht wieder zu Gott zu kommen vermag. Auch habe ich die Augen verloren, so dass ich nicht mehr weiß, auf welchem Weg ich wieder zu ihm zu kommen vermag.“ Ein guter Mensch spricht in Buch des Herrn Jakob:[10] Wenn ein Mensch mit dem anderen zusammenstößt, mag er einen Menschen dabei finden, der ihm hilft, sich wieder zusammenzufinden. Doch wenn der Mensch mit Gott zusammenstößt, der so hoch und unermesslich ist, wird man keinen Menschen finden können, der sie zusammenfinden lässt. Denn an der Stellung des Herrn, den man verletzt hat, bemisst sich die Wiedergutmachung.“
<1:5>darumme was daz
ein gut botschaft daz
der prophete sprichit: sehit di tage cumint etc.









                               du di aldin vedere bekanten daz jamir da si inne waren, du schrigiten si mit irre begerunge in den himmel und worden in Got gegozzin mit irme geiste und lasin in gotlicher wisheit daz Got geboren solde werden.
<1:5>Darvmme was das eyne gute botschaft, das der prophete spricht: ‘Set dy tage sint komen, spricht got’, das got geborn wel werden von dem samen davidis. Das es got selbir gesprochen hat, das ist ein groz ding: ‘mogelicher ist das, daz hymel vnd erde sich wandele dan dy wort vnsers hern gewandelt mogen werden.Da dy alden veter bekanten das iammer, da sy an warn, da schrieten sy mit orer gerünge in das hymmilrich vnd worden in got geczogen mit orme geiste vnd lasen in göttlicher wisheit, das got geborn wolde werden in meschlicher natur, der vns losen solde von aller vnser iammerkeit.
<1:5> Darum war es eine gute Nachricht, dass der Prophet spricht: „Sehet, die Tage kommen etc.“,









als die Altväter ihre beklagenswerte Situation, in der sie sich befanden, erkannten, schrien sie ihr Anliegen in das Himmelreich hinein und wurden in Gott hineingezogen mit ihrem Geist und ließen in göttlicher Weisheit zu, dass Gott geboren werden sollte.
<1:5> Darum war es eine gute Nachricht, dass der Prophet spricht: „Sehet, die Tage sind gekommen, sagt der Herr“,[11] an denen Gott geboren werden wird aus dem Samen Davids. Dass es Gott selbst gesagt hat, ist eine bedeutende Sache: „Es ist eher möglich, dass sich Himmel und Erde verändern, als dass das Wort unseres Herrn verändert werden wird“.[12] Als die Altväter ihre beklagenswerte Situation, in der sie sich befanden, erkannten, schrien sie ihr Anliegen in das Himmelreich hinein und wurden in Gott hineingezogen mit ihrem Geist und ließen in göttlicher Weisheit zu, dass Gott geboren werden sollte in menschlicher Natur, der uns aus all unserem Klagezustand befreien sollte.
<1:6>dar umme was di botschaft gude alse
kalt wassir einer durstigen sele, wan daz ist wor daz Got gibit sin himmilriche umme einen kalden drunc wazzers. und an eime gudin herzin da mide ist ez gnuc, und wer einen guden gedanc opperit in der ewigin minne
da Got inne mensche ist worden,




der wirt behaldin.

darumme indarf der mensche nich forten den tufil noch di werlint
noch sin eygin fleis
noch unsin herrin Got.

       sent Paulus sprichit: der son ist uns gegebin zu einem vorsprechin.
di ein wisheit ist sines vaderis, der sal wisliche rede gebin for alle unse torheit und missedait. sente Paulus sprichit ouch: her ist uns gegebin zu einem vorvechtere,
der for uns sigevechten sal in allir unsir noit.
















wir sullin beiden der himmillische vadir musz unse gebeit inphain odir nicht.



wolde der vadir gegin uns vechtin, her informochtis nicht, wan di selbe gewalt und wisheit di der vadir hait, di hait der son glich mit yme, der uns gentzlich gegebin ist zu eime foryechtere und hait uns so dure irarnit daz her uns nicht vorlazin
inwil, und der vadir inmac ime nicht forsagin, wan her sin wisheit ist. her inmac ouch nicht gegin ime gevechtin, wan her sin craft ist. darumme indarf
der mensche nicht forten,
      her in muge mit allin sinen sachen kunliche zu
Gode gein.
<1:6> Darvmme was dy gute botschaft also ‘ein kald wasser eyner durstigen sele’. Wan das ist war: Wer ein trünk kaldes wassers gebit sime eben cristen in der ewigen libe,



da got mensche ynne worden ist, dem werden alle sine sünde vorgeben. Vnd ich neme es uff myne sele: Wer eynen guten gedanken vnserm hern gote opphert in der ewigen libe, der wirt behalden.
Darvmme darff der mensche nicht vorchten den tufel noch dy werlt noch sin eygen fleisch, noch vnsern hern got darf er nicht vorhten. Wan sente Pauwel spricht, das vns der son ist gegeben czü eynem vorsprechen; der ein wisheit ist des vaters, der sal wisliche rede geben vor alle vnser thorheit vnd missetat.
Andirswo spricht dy schrift; das ‘er vns gegeben ist czü eyme vorvechter, der vor uns segefechten sal in alle vnser not’.
Wiszt ir, wy der mensche ettiswan gedenken vnd beten sal? Er sal sich vnd vor wen er beten wel mit allen sin sünden vnd gebrechen legen in dy wunden vnsers hern ihesu christi vnd sal sich vnwirdig dünken vnd sal sich beveln der wirdigen martir vnsers hern ihesu christi vnd sal sich opphern deme hymmelischen vater an sinem heyligen sune. Antwedir der hymmilische vater der müss sy beiden epnhan adir nicht.


Wolde der vater keyn vns vrlegen, er vormochte es nicht, wan dy selbe gewalt vnd wisheit, dy der vater hat, dy hat der son glich mit om, der vns genczlich gegeben ist czü eyme vorvechter vnd hat vns so thüre irarnt, das er vns nicht verlaszen wel; vnd der vater mag öm nicht vorsage, wan er sin wiszheit ist. Er mag ouch gegen en nicht gefechten, wan er sin craft ist. Dar vmme darff der mensche got nicht vorhten, er moge mit allen synen sachen künlich czü gote gein.
<1:6>Darum war die Botschaft nämlich gut wie „ein kaltes Wasser für eine durstige Seele“. Denn es ist wahr, dass Gott sein Himmelreich um einen Schluck kaltes Wasser und in ein gutes Herz gibt, womit es genug ist, und wer einen guten Gedanken in der ewigen Liebe opfert, in welcher Gott Mensch geworden ist,




der wird gerettet.

Darum darf der Mensch weder Teufel noch Welt noch sein eigenes Fleisch fürchten, noch
unseren Herrn, Gott.

Sankt Paulus spricht: Der Sohn ist uns „als Fürsprecher” gegeben,
der eine „Weisheit” des Vaters ist, er soll weise fürsprechen trotz all unserer Fehler und Fehltritte.
Sankt Paulus sagt denn auch: Er wurde uns als Vorkämpfer gegeben, der für uns siegreich verteidigen soll in all unserem Elend.














Wir sollen bitten, glleich, ob der himmlische Vater unser Gebet empfangen muss oder nicht.



Wollte der Vater gegen uns kämpfen, er könnte es nicht, denn dieselbe Macht und Weisheit, die der Vater besitzt, die er hat der Sohn in gleicher Weise mit ihm, der uns gänzlich als Vorkämpfer gegeben ist und uns zu einem so hohen Preis erworben hat, dass er uns nicht loslassen will. Und der Vater kann ihm dies nicht versagen, da er seine Weisheit ist. Er kann auch nicht gegen ihn kämpfen, da er seine Macht ist. Darum darf der Mensch       nicht fürchten, sondern soll mutig mit all seinen Anliegen zu Gott gehen.
<1:6>Darum war die gute Botschaft nämlich „ein kaltes Wasser für[13] eine durstige Seele“. Denn es ist wahr,[14] dass jedem, der einem Mitchristen in der ewigen Liebe, in welcher Gott Mensch geworden ist, einen Schluck kaltes Wasser gibt,[15]alle seine Sünden vergeben werden.[16] Und ich halte meine Seele dagegen: Wer einen guten Gedanken unserem Herrn, Gott, in der ewigen Liebe opfert, der wird gerettet.

Darum darf der Mensch weder Teufel noch Welt noch sein eigenes Fleisch fürchten, noch darf er unseren Herrn, Gott, fürchten. Denn Sankt Paulus spricht:[17] Der Sohn ist uns „als Fürsprecher” gegeben, der eine „Weisheit” des Vaters ist, er soll weise[18] fürsprechen trotz all unserer Fehler und Fehltritte. An anderer Stelle sagt die Schrift:[19] Er wurde uns als Vorkämpfer gegeben, der für uns siegreich verteidigen[20] soll in all unserem Elend.
Wisst Ihr, wie der Mensch eigentlich verstehen und beten soll? Er soll sich vor jeden, für den er beten will, zusammen mit seinen Sünden und seiner Gebrechlichkeit in die Wunden unseres Herrn Jesus Christus legen und von sich selbst denken, dass er unwürdig ist, und soll sich dem würdigen Zeugen unseres Herrn Jesus Christus empfehlen, und er soll sich dem himmlischen Vater in seinem heiligen Sohn opfern. Der himmlische Vater muss entweder beide oder keinen aufnehmen.[21]
Wollte der Vater gegen uns kämpfen, er könnte es nicht, denn dieselbe Macht und Weisheit, die der Vater besitzt, die er hat der Sohn in gleicher Weise mit ihm, der uns gänzlich als Vorkämpfer gegeben ist und uns zu einem so hohen Preis erworben hat, dass er uns nicht loslassen will. Und der Vater kann ihm dies nicht versagen, da er seine Weisheit ist. Er kann auch nicht gegen ihn kämpfen, da er seine Macht ist. Darum darf der Mensch Gott nicht fürchten, sondern soll mutig mit all seinen Anliegen zu Gott gehen.[22]
<1:7>Du der mensche uz
dem paradise gestozin wart, da forsazte Got drigerleige hude.
                 daz eine was englicher nature, daz andere ein furie swert, daz dritte ist daz ez zu beiden enden sneit.
<1:7>Da der mensche üs dem paradize gestozen wart, da satczte got dryerley hute vor das paradisz. Das eyne was engelische natur, das ander ein furig swert, das dritte, das es czu beiden enden sneit.
<1:7>Als der Mensch aus dem Paradies verstoßen wurde, da setzt Gott drei Arten von Hütern ein.
Der erste war von engelhafter Natur, der andere ein glühendes Schwert, der dritte ein zweiseitiges Schwert.
<1:7>Als der Mensch aus dem Paradies verstoßen wurde, da setzt Gott drei Arten von Hütern vor das Paradies.[23] Der erste war von engelhafter Natur, der andere ein glühendes Schwert, der dritte ein zweiseitiges Schwert, von denen der Mensch keines besitzt.
engllcher nature bezeichint
lutirkeit.
                      du Godis son quam uf daz ertriche, der ein lutir spigil waz ane allin fleckin,



                                 der
brach di ersten huden uf und brach di unschult und lutirkeit in mensliche nature uf
daz ertriche. Salomon sprichit von Christo: her ist ein lutir spigil
ane ileckin.
Engelische natur beczeichent also vel also luttirkeit; des hat der mensche nicht. Da gotis son quam uff ertrich, der ‘ein spigel ist ane flecken, vnd ein antlitze vnd ein bilde des hymmilischen vaters’, an dem man genczlich gotis willen bekennen mag, der brach dy erste hüte uff vnd brachte vnschult vnt lutterkeit in menschlich natur uff das ertrich.
Die engelhafte Natur bedeutet Reinheit.

Als Gottes Sohn auf die Erde kam, der ein „reiner Spiegel ohne Flecken war




der beseitigte den ersten Hüter und brachte auf Erden Unschuld und Reinheit in die menschliche Natur.
Die engelhafte Natur bedeutet so viel wie Reinheit. Als Gottes Sohn auf die Erde kam, der ein „reiner Spiegel ohne Flecken ist, und ein Antlitz und Bild des himmlischen Vaters“, an welchem man gänzlich Gottes Willen ablesen kann, der beseitigte den ersten Hüter und brachte auf Erden Unschuld und Reinheit in die menschliche Natur. Salomon sagt zu Christus: „Er ist ein reiner Spiegel ohne Flecken“.[24]
Das furige swert bezeichint di gotlichin furigin minne, on di
der mensche nicht inmac zu            himmilriche kumin. di brachte Christus mit ume und brach die anderin hude,  
      wan her hatte mit der selbin minne den menschen lib er dan her
in geschuf, und ideo:  
          caritate perpetua dilexi te. Jeremias sprichit: mit ewigir minne hait dich Got geminnet.

Das furige swert beczeichent dy götliche furige libe, ane dy der mensche nicht mag czü dem hymmilriche komen. Da gotis sun quam, da brach er dy ander hute ouch uff, der den menschen lib hat gehabt mit ewiger libe e er y geschaffen wart.



Dy götliche libe brachte er mit öm uff dis ertrich.
Das glühende Schwert bedeutet göttliche glühende Liebe, ohne das der Mensch nicht in das Himmelreich kommen kann. Sie brachte Christus selbst mit und beseitigte den zweiten Hüter. Denn er hatte mit derselben Liebe den Menschen lieb, als er ihn schuf. Und deshalb: caritate perpetua dilexi te. Jeremias spricht: „Mit ewiger Liebe hat dich Gott geliebt“.[25]



Das glühende Schwert bedeutet göttliche glühende Liebe, ohne das der Mensch nicht in das Himmelreich kommen kann. Da Gottes Sohn kam, beseitigte er den zweiten Hüter, der den Menschen mit derselben ewigen Liebe geliebt hatte, noch bevor er ihn geschaffen hatte.
Die göttliche Liebe brachte er mit sich auf die Erde.
Di dritte hude was daz snidinde swert. daz was menslich jamirkeit.
di nam unsir herre uf sich an deme hohisten, alse Christus sprichit: vere languores nostros etc. werliehe her
sal tragin unse serde.
Dy dritte hute was das snydene swert; das was menschliche iammerkeit. Dy nam vnser herre uff sich an dem hösten. Dy schrift spricht von öm,
Der dritte Hüter war ein schneidendes Schwert, nämlich der menschliche Klagezustand. Den nahm unser Herr vollends auf sich, wie Christus sagt: „vere languores nostros ipse tulit“, „sicher wird er unsere Trauer tragen“.[26]
Der dritte Hüter war ein schneidendes Schwert, nämlich der menschliche Klagezustand. Den nahm unser Herr vollends auf sich. Die Spricht spricht von ihm,
dar umme ist her cumen uf daz ertriche daz her des menschen sunde uf sich genomen hait, daz her si fortiligite und den menschen behilde. abir nu ist daz himmilriche uffin on allirleige hude. darumme mac der mensche kunliche zu Gode gein.
das er darvmme komen ist uff das ertrich, das er des menschen sünde uff sich genommen hat, das er sy vortilgete vnd den menschen behilde. Vnd nü ist das hymmilrich uffen an allerley hute; darvmme mag der mensche künlich czu gote gen.
Darum ist er auf Erden gekommen, um die Sünden des Menschen auf sich zu nehmen, um sie zu vernichten und den Menschen zu retten. Doch nun steht das Himmelreich ohne jegliche Hüter offen; darum kann der Mensch mutig zu Gott gehen.
dass er darum auf Erden gekommen ist, um die Sünden des Menschen auf sich zu nehmen, um sie zu vernichten und den Menschen zu retten. Doch nun steht das Himmelreich ohne jegliche Hüter offen; darum kann der Mensch mutig zu Gott gehen.
<1:8>Daz wort
                       her ouch sprichit: 'ich wil irweckin in den samin Davidis oder di frucht.
<1:8>Ein wort sulle wir noch merken, das er spricht: ‘ich wel irwecken dy frucht dauidis’.
<1:8>Wir müssen noch das Wort bedenken, das er ebenfalls spricht: „Ich will den Samen oder die Frucht Davids erwecken“.
<1:8>Wir müssen noch das Wort bedenken, das er ebenfalls spricht: „Ich will den Samen oder die Frucht[27] Davids erwecken“.

der engil rurte in einer stunde des dagis daz wazzir. da von so gewannes so groze craft daz ez di lude gesunt machite von allirleige suchide.
Das mag man prüfen, das der engel in eyner stünde des tagis das wasser rürte. Da von gewan das wasser so groye craft, das es dy lute gesünd machte von allerley suchte.

Der Engel rührte das Wasser zu einer bestimmten Tageszeit auf. Daraus erhielt es eine solche Macht, dass die Menschen von allen möglichen Krankheiten heilte.
Hierbei ist zu beachten, dass der Engel das Wasser zu einer bestimmten Tageszeit aufrührte.[28] Daraus erhielt es eine solche Macht, dass die Menschen von allen möglichen Krankheiten heilte.
vil grozir ist daz daz Godis son rurte mensliche nature in
unsir vrowin libe.
da fon ist al
mensliche nature selic wordin.
Vel groser ist das, das gotis son rürte menschliche natur in vnser frowen libe.
Da von ist alle menschliche natur selig worden.
Bedeutender ist es aber, dass Gottes Sohn die menschliche Natur im Leib unserer Frau berührte. Hiervon ist die gesamte menschliche Natur glücklich geworden.
Bedeutender ist es aber, dass Gottes Sohn die menschliche Natur im Leib unserer Frau berührte. Hiervon ist die gesamte menschliche Natur glücklich geworden.
noch grozir selekeit ist daz daz Got mit siner eigenen nature rurte daz wazzir in deme Jordane, do her gedauft wart. da mede hait her craft gegebin allin wazzirin alse, wan der mensche
getauft wirt, daz her gereinegit wirt fon allin sinen sunden und wirt eyn kint              Godis.
Noch groser selikeit ist das, das got mit syner eygenen natur rürte das wasser in dem iodan, da er getaufft wart. da mete hat er craft gegeben allen wassern; wan der mensche getoüft wirt, das er gereyniget wirt von allen syn sünden vnd wirt ein kind vnsers hern godis.
Noch größeres Glück ist es, dass Gott durch seine eiggene Natur das Wasser des Jordans berührt hat, als er getauft wurde. Dadurch hat er alle Wasser bemächtigt, so dass der Mensch, wenn er getauft wird, von all seinen Sünden gereinigt wurd und ein Kind                   Gott, wird.
Noch größeres Glück ist es, dass Gott durch seine eiggene Natur das Wasser des Jordans berührt hat, als er getauft wurde. Dadurch hat er alle Wasser bemächtigt, so dass der Mensch, wenn er getauft wird, von all seinen Sünden gereinigt wurd und ein Kind unseres Herrn, Gott, wird.
di allir groiste selekeit
ist daz daz Got geborin und geoffinbarit wirt
in der sele an einer geistlichen einnunge. da fon wirdit der mensche seliger dan der lip unsis herrin Ihesu Christi one sine sele und one sine gotheit, wan ein iclich heilege sele ist edelir wan der totliche lip unsis herrin Ihesu Christi.
Dy aller grosyte selikeit ist, das got geoffenbart vnd geborn wirt in der sele an eyner geistlichen eynünge. Da von wirt dy sele seliger dan der lib vnsers hern ihesu christi (an sin godheit vnnd an sine sele), wan ein selige sele ist edeler dan der tötliche lib vnsers hern ihesu christi was.
Das allergrößte Glück ist es, dass Gott in der Seele in einer geistlichen Einung geboren und offenbar wird. Hiervon wird die Seele glücklicher als der Leib unseres Herrn Jesu Christi ohne seine Seele und ohne seine Gottheit, denn eine jede glückliche Seele ist edler als der tote Leib unseres Herrn Jesu Christi war.
Das allergrößte Glück ist es, dass Gott in der Seele in einer geistlichen Einung geboren und offenbar wird. Hiervon wird die Seele glücklicher als der Leib unseres Herrn Jesu Christi ohne seine Seele und ohne seine Gottheit, denn eine jede glückliche Seele ist edler als der tote Leib unseres Herrn Jesu Christi war.
<1:9>Di innewendige
geburt Godis an der sele ist ein follinbrengunge allir ire selikeit, und
di selikeit frumit ir
me dan daz unsir herre mensche wart in unsir
frowin sente Merien
libe, und dan daz her daz wazzir rurte. waz Got ie geworchte oder geteit durch den menschin, daz inhulfin nicht alse
umme eine bonen, her inworde forenit mit Gode an einer geistlichin foreinunge, da Got
geborin wirdit in der sele und di sele geborin wirdit in Gode, und hirumme hait Got alle sine werc geworcht.
<1:9>Dy inwendige gebort gotis an der sele ist ein volbrengen aller orer selikeit, vnd dy selikeit fromet ör mer, dan das vnser herre mensche wart in vnser frowen sente marien libe vnd den das her das wasser rurte.
Alle die ding mochten ör nicht gefromen, sy worde voreint mit gote.
<1:9>Die innere Geburt Gottes in der Seele ist ein Vollzug all ihres Glückes und das Glück bereitet ihr mehr als die Tatsache, dass unser Herr Mensch wurde im Leib unserer Frau, der heiligen Maria, und dass er das Wasser berührte. Was Gott je erwirkt und getan hat durch den Menschen, das dient ihm nicht mehr als eine Bohne, es sei denn er vereine sich mit Gott in einer geistlichen Einung, da Gott geboren wird in der Seele und die Weele in Got geboren wird, denn darum hat Gott all sein Werk geworkt.
<1:9>Die innere Geburt Gottes in der Seele ist ein Vollzug all ihres Glückes und das Glück bereitet ihr mehr als die Tatsache, dass unser Herr Mensch wurde im Leib unserer Frau, der heiligen Maria, und dass er das Wasser berührte. All diese Dinge könnten ihr nichts nützen, wenn sie nicht mit Gott vereint würde.
<1:10>daz uns daz gesche, des helfe uns Got. amen.
<1:10>Das alle deze ding an vns geschen, des helfe vns got. Amen.
<1:10>Dass uns dies geschehe, des helfe uns Gott! Amen.
<1:10>Dass uns all diese Dinge geschehen, des helfe uns Gott! Amen.



Florentinus von Utrecht, T1 [Sievers/Strauch, Paradisus 2]

Dominica I in Adventu Domini
‘Benedictus qui venit in nomine domini’ (Matth. 21:9)

                
 

Inhalt und Struktur



Die Predigt beginnt mit dem zentralen Vers, Matth. 21,9 zuerst auf Latin, dann in deutscher Übersetzung (n. 1), dann konzentriert sich die Auslegung auf den ersten Begriff ‘benedictus’.
A) ‘Benedictus’ (n. 2)
Der eine Gesegnete ist dreifach gesegnet, zum einen ‘in seinem Wesen’, dann in ‘seinem Sein’, und schließlich ‘in seinen Gaben und der Gnade, die er uns gibt’. Folglich ist er gesegnet durch seinen Vater, seine Mutter und schließlich durch das Geben an uns.
B) Einheit und Einzigkeit (n. 3)
Nachdem der Prediger die größtmögliche und unübertreffliche Einheit von Vater, Sohn und Geist dargelegt hat, fragt er, warum denn alleine die Person des Sohnes die Menschheit angenommen habe. Seine Antwortet lautet, weil die drei zwar eins im Wesen, der Natur und im Gottsein sind, jedoch nicht als Personen. Der Sohn habe aber als Person eine einzige Person und durch sie die menschliche Natur angenommen, nicht aber als göttliches Wesen.
C) ‘Benedictus qui venit’ (nn. 4-11)
Die längste Passage legt das ‘gesegt, der kam’ in drei Teilparagraphen aus: a) Gott ist voller Barmherzigkeit (n. 4); voller Gerechtigkeit (nn. 5-7); und voller Weisheit (nn. 8-11).

Der Kontext


Die nachfolgende Predigt, die wie die voranstehende Eckharts auf den ersten Adventssonntag geht, entwickelt zum Teil parallele Gedanken, allerdings verbunden mit unübersehbaren Unterschieden bzw. sogar deutlichen Kontrasten. Während beide Predigten den Advent als Spanne zwischen Sünde und Erlösung sehen und Hoffnung auf die Befreiung setzen, entwickelte Eckhart eine präsentische Erlösung durch die Gottesgeburt der Seele, innerhalb derer Christus keine mediale Rolle spielt, sondern letztlich Ausdruck der göttlichen Annahme der gesamten menschlichen Natur darstellt. Mit diesem Konzept kontrastiert die Predigt des Florentinus gleich in zweierlei Weise. Zum einen hebt er stark hervor, dass es gerade keine Herabkunft des Sohnes ist in seinem göttlichen Wesen, weil dann ja Vater und heiliger Geist ebenfalls die menschliche Natur angenommen hätten, und zum zweiten, dass die Annahme der menschlichen Natur durch eine einzige Person zu geschehen habe, weil Christus eben gerade als eine einzige Person Mensch geworden sei und nur so in der Annahme der menschlichen individuellen Natur, auch die gesamte Natur in Vater und heiligen Geist bringen konnte. Christus wird darum ausdrücklich als der Mittler herausgestellt mit Berufung auf 1Tim. 2:5. An der einzigen Stelle, an der Eckhart diese Stelle in seinem Werk heranzieht, im Johanneskommentar, spricht auch Eckhart von der Gerechtigkeit, doch Christus, der Gerechte, ist derjenige, durch den die Gerechtigkeit sich selbst ausspricht.[29]
            Die Folie, gegen die die Predigt des Florentinus hier also spricht, ist Eckharts Überlegung, wonach Vater, Sohn und heiliger Geist nicht individuell, sondern im göttlichen Wesen als Einer handeln, dass also der göttliche Akt immer nur ein einziger sei. Wir werden weiter unten in Predigt 5 der Paradisussammlung von Franke von Köln sehen, dass auch dieser gegen diese Vorstellung von Eckhart Stellung beziehen wird, und zwar in ausdrücklicher Aufnahme und Umschrift der diesbezüglich markanten und pointierten Predigt Eckharts, die irritierender Weise bislang auch noch unter dem Namen des Franke von Köln umläuft, weil sie mit seinem Namen versehen von F. Pfeiffer im Jahr 1851 gedruckt wurde, auch wenn sie 1864 durch W. Preger Eckhart zurückgegeben wurde.[30]


Text und Übersetzung


<:1>Benedictus qui venit in nomine domini. her ist gebenedigit der da cumit in deme namen des herren.
<:1>‘Benedictus qui venit in nomine domini’. Gesegnet ist der, der kommt im Namen des Herrn!’[31]
<:2>he ist gebenedigit in sime wesine, daz he inphangin hait von sinem vadere in der ewekeit. he ist gebenedigit in der zit in deme wesine daz he inphangin hait von siner muder libe. he ist ouch gebenedigit in sinen gabin und gnadin, di her uns gibit. sent Augustinus sprichit [7r]: der vadir und der son und der heilegeist di sint ein in der nature und in deme wesine und sin daz obirste guit', alse wir sprechin mit dem munde und geloubin in disime lebine und sullin bekennen in deme ewegin lebine.
<:2>Er ist gesegnet in seinem Wesen, das er von seinem Vater in Ewigkeit erhalten hat. Er ist gesegnet in der Zeit in seinem Sein, das er von seiner Mutter erhalten hat. Er ist auch gesegnet in seinen Gaben und der Gnade, die er uns gibt. Der heilige Augustinus sagt: ‘Der Vater und der Sohn und der Heilige Geist, sie sind eins im Wesen und sind das höchste Gut’, wie wir mit unserem Mund sagen, in diesem Leben glauben und im ewigen Leben erkennen sollen.
<:3>sent Augustinus und sente Ambrosius di sprechin daz ein persone ist in der anderen, der vadir in deme sone und in deme helegen geist und der son in deme vadere und in deme heilegen geist und der heilege geist in deme vadere und in deme sone, und ist dise einunge so groiz daz kein grozir gesin inmac. sint dan daz di dri personen ein sint in deme gotlichen wesine, wie mac daz gesin daz di persone des sones menschliche nature hait an sich genummen und nicht der vadir oder der heilegeist? respondeo: alleine der son daz selbe ist daz der vadir ist, he in ist doch nicht di der vader ist, daz ist persone. Johannes und her sint wol glich, wan si habint eine menscheit, si in sint abir nicht glich an den personen, wan der eine mac wol etwaz habin an siner personen, alse groze und varwe, daz der ander nicht inhait. der son ist daz der vader ist, in deme wesine, he inist doch nicht di di der vader ist, an der personen. wan he ist ein andir an der personen dan der vadir, wan der son enist nicht vadir. hette der son di menscheit an sich genomen in deme daz her Got ist oder nature oder wesin, so were der vader und der helegeist also wol mensche worden alse der son. mer wan he di menscheit an sich nam alse her di ist, daz ist persone, so mochte her ein icliche nature an sich han genomen an den vader und an den heilegen geist.
<:3>Der heilige Augustinus und der heilige Ambrosius sagen, dass die eine Person zusammen mit der anderen ist, der Vater im Sohn und im heiligen Geist, und der Sohn in dem Vater und in dem heiligen Geist, und der heilige Geist in dem Vater und in dem Sohn, und dass diese Einheit so groß sei, dass es keine größere geben könne. Wenn nun diese drei Personen eins im göttlichen Wesen sind, wie kann es sein, dass die Person des Sohnes, doch nicht der Vater oder der heilige Geist, menschliche Natur an sich genommen hat? Respondeo:[32] Der Sohn allein ist dasselbe, was der Vater ist, und doch ist er nicht, was der Vater ist, nämlich Person. Johannes und er sind wohl gleich, denn sie haben eine einzige Menschheit, doch sie sind nicht gleich mit Blick auf die Personen, denn der eine kann wohl etwas als Person besitzen, zum Beispiel Größe oder Farbe, was der andere nicht hat. Der Sohn ist, was der Vater dem Wesen nach ist, jedoch ist er nicht derselbe, den der Vater als Person ist, denn er ist ein anderer der Person nach als der Vater, denn der Sohn ist nicht der Vater. Wenn der Sohn die Menschheit auf sich genommen hätte, indem er Gott oder Natur oder Wesen wäre, dann wäre der Vater oder der heilige Geist gerade so wie der Sohn Mensch geworden. Mehr noch, weil er die Menschheit an sich genommen hat, wie er sie ist, nämlich als Person, konnte er jegliche Natur in sich nehmen in den Vater und in den heiligen Geist.
<:4>Benedictus qui venit. wan Got fol barmeherzikeit ist, so fugite ur daz wol daz her einer iclichen creature also vile gebe alse si ir ummir inphahin mochte, und noch deme daz der mensche in di sunde gefil, so was her alle zit da zu gefugit daz her irlosit mochte [7v] werdin, wan auch Got den menschen fol machit hatte in siner nature, daz her nicht me inphain mochte. hette he urne icht me gegebin, so were he da uz gevallin, daz he nicht were ein mensche gewest, wan di meistere sprechin daz der mensche von naturen da zu gemachit ist daz he Got bekenne und minne und sin ewecliche gebruche, und daz urne daz naturlich si, daz bewisit man himide. in deme beginne alse der sunder gnade inpheit, daz enist nicht wonder oder zechin, wan her von nature zu  gnadin gefugit ist: daz ist ein zeichin daz ein blinder sehinde wirt, wan der enist nicht me gefugit zu deme gesichte. abir wan der mensche von nature zu der gnade gefugit ist, daz hait her da fon daz her daz bilde Godis an sich hait. und darumme fugite daz sinir barmeherzikeit, alse her un folmachit hatte in der nature, daz her un auch folmachite in der gnade.
<:4>Benedictus qui venit. Da Gott voller Barmherzigkeit ist, hat er es wohl gefügt, dass er jeder Kreatur so viel geben würde wie diese zu empfangen fähig ist, und als der Mensch in die Sünde fiel, wurde er auf alle Zeit verdammt, herum zu irren ohne Ziel, denn Gott hatte den Menschen vollkommen in seiner Natur gemacht, so dass er nicht noch mehr empfangen konnte. Hätte er ihnen etwas mehr gegeben, dann wäre er herausgefallen, so dass er nicht mehr Mensch gewesen wäre, denn die Meister sagen, dass der Mensch von Natur gemacht sei, Gott zu erkennen und zu lieben und ihn ewig zu brauchen, und das dies seiner Natur entspräche, wie man aus dem Folgenden sehen kann. Als der Sünder am Anfang die Gnade erhielt, gab es keine Wunder und Zeichen, denn er war von Natur aus mit der Gnade verbunden. Es ist ein Zeichen, wenn ein Blinder zu sehen beginnt, denn er war nicht mehr mit seinem Gesicht verbunden. Doch dass der Mensch von Natur aus mit der Gnade verbunden ist, stammt von dem Besitz des Bildes Gottes in ihm. Und darum fügt sich dies seiner Barmherzigkeit, denn er hat eine Allmacht in seiner Natur, dass er ihn auch voll der Gnade machte.
<:5>Ez fugite ouch siner gerechtikeit, wan gotlich gerechtikeit hait daz gestetigit daz sunde muz gebezzerit werden; und du al menslich kunne Godis vigint waz, so inmochte der mensche nicht gebezzerin. wer bezzerin solde, der muiste ein mittel er sin schussin Gode und dem menschen, also daz he were frunt Godis und des menschen, und kein mensche waz daz Godis frunt were. dar umme fugite he daz siner gerechtikeit daz der queme di beide frunt were <godis und> des menschen, daz he mit siner heilegen menscheit wolde bezzerin for di sunde und frunt Godis were, daz her gebezzerin mochte, wan her Got was.
<:5>Es fügt sich auch seiner Gerechtigkeit, denn göttliche Gerechtigkeit führt dazu, dass Sünde gerechtgerückt werden muss. Doch da alles menschliche Können Gottes Feind war, konnte der Mensch nicht zurechtgerückt werden. Der zurechtrücken sollte, musste ein Medium sein zwischen Gott und dem Menschen, das heißt, ein Freund Gottes und des Menschen, aber es gab keinen Menschen, der ein Freund Gottes war. Also ordnete er in seiner Gerechtigkeit an, dass derjenige kommen sollte, der ein Freund von beiden war, Gottes und des Menschen, dass durch seine heilige Menschheit er der Rechtrücker von Sünde und Freund Gottes würde, so dass er zurechtrücken könnte, da er Gott war.
<:6>ez inmochte ouch kein creature gebezzerin, wan ein iclich creature Gode pflichtit was und ist allis des si ist und formac. und wo mide dan? sente Bernhart: libe herre, waz getun ich daz ich dir gedanke? allis das ich formac, des bin ich dir pflichtit und schuldic umme daz all eine daz du mich geschaffin haist. wo mide sal [8r] ich dan dir des dankin daz du mich widir gemachit haist?
<:6>Denn es vermochte keine Kreatur, zurechtzurücken, da jede Kreatur von Gott für all dass abhängt, was sie ist und was sie zu tun vermag. Womit dann? Der heilige Bernhard (sagt): Lieber Herr, was tue ich, wofür ich Dir danken soll? Bei allem, was ich zu tun vermag, bin ich Dir verpflichtet und bin es Dir schuldig, allein schon dafür, dass Du mich geschaffen hast. Weswegen soll ich Dir dann danken, dass Du mich neu geschaffen hast?
<:7>solde ein mensche tusint jar lebin, he in mochte Gode nummir follindankin daz he in geschaffin hait. ez fugite ouch siner gerechtikeit hirumme, wan he herin Adammen unsterplich hatte gemachit, di wile her stunt in siner unschult; und daz hatte he ubirnaturlichen; und du he in di sunde gefiel, solde he wider uf stein, des in formochte he nicht fon siner nature, wan iz waz pobin sin nature. wan kein dinc inmac werdin irhabin pobin sin nature wan fon deme der di nature geschaffin hait.
<:7>Sollte ein Mensch tausend Jahre lang leben, dann könnte er Gott doch nicht vollends dafür danken, dass er ihn geschaffen hat. Es fügt sich zu seiner Gerechtigkeit, dass er Adam unsterblich geschaffen hat, als er unschuldig war. Und dies war er auf eine übernatürliche Weise. Als er aber sündigte, sollte er wieder aufstehen, was er aufgrund seiner Natur nicht zu tun vermochte, denn dies ging über seine Natur hinaus, da nichts die eigene Natur übersteigen kann, es sei denn derjenige, der die Natur geschaffen hat.
<:8>Ez fugite ouch siner wisheit daz he selbir fonde di allir beisten wise zu erlosine den menschen. hette he daz keiner creature gegebin daz si erloist hette den menschen, so inwere der mensche nummir follin selic wordin. hette in ein engil irloist, so hette der mensche ummer me darumme deme engele zu dankene gehait und inwere ime nicht glich gewest, wan Christus sprichit in deme ewangelio: di lude sullint werdin alse di engele Godis.
<:8>Dass er den wahrlich besten Weg gefunden hat, die Menschen zu retten, fügt sich zu seiner Weisheit. Hätte er nicht einer der Kreaturen die Möglichkeite gegeben, den Menschen zu retten, wäre der Mensch niemals gesegnet worden. Wenn ihn ein Engel gerettet hätte, hätte der Mensch ihm allzeit danken müssen, und er wäre nicht wie dieser gewesen, doch Christus sagt im Evangelium: Die Menschen sollen werden wie die Engel Gottes.
<:9>Warumme ouch Godis son den menschen irloist habe und nicht den engil, da sint file rede und sage fon. ein eist: wan der engil ein fol licht hatte und zu male mit ein andir und ane mittil bekante, darumme waiz her minner zu inschuldigine wan der mensche, des bekentnisse dinstere waz, alse daz her ein noch deme anderen muiste bekennen, nu dit nu daz, und radis bedorfte.
di nature sinez willin was auch also daz her frie ist, und waz alse daz her kisin mochte. aber alse her gekorin hait, so steit sin wille und ist also gestedigit daz her nummir dar abe gekeren noch ein andir gekisin mac.
<:9>Warum also Gottes Sohn und nicht der Engel, den Menschen gerettet hat, wird von vielen diskutiert und besprochen. Eine Stimme sagt: Weil der Engel ein vollkommenes Licht besaß und zusammen, jedoch ohne Medium, erkannte, darum muss er weniger zurechtrücken, während des Menschen Erkenntnis getrübt war und er darum eine Sache nach der anderen lernen musste, jetzt dies und das, und er Rat brauchte.
Überdies war die Natur seines Willens frei und sie war so gestaltet, dass er wählen konnte. Doch sobald er gewählt hatte, war sein Wille klar und so festgelegt, dass er niemals mehr von ihm abweichen oder seine Entscheidung ändern würde.
<:10>hirumme du her sich da zu korte daz he Gode glich wolde sin, du wart he nidir geslagin in di helle und inmochte nummirme wider gekerin. abir des menschen wille mac kisin. alse her gekorin hait, dar noch mac he da [8v] fone kerin und abir ein andir kisin, also daz der engil sinen willin mac kerin for und nicht noch und der mensche beide for und noch. du her Adam di sunde geteit, du enwas kein mensche dan noch dan her und Eva, und hette in Got fortumit, so were al menslich geslechte forlorn daz fon ieme kumen solde, und daz in hette siner gerechtikeit nicht gefugit daz der arme mensche fortumit were gewest e dan her geborin were. abir di engile warin alle mit ein geschaffin. wan ouch allir menschen geslechte nature was in deme ersten menschen Adam, und were her forlorn, so were alle mensliche nature zu nichte wordin, und daz in hette nicht gefuigit siner gerechtikeit, di eime iclichin gibit alse her dirarnet. und also in was ez nicht umme den val der engile, alleine ir ein teil vilen, so bestunden doch di anderen.
<:10>Als er sich folglich entschieden hatte, wie Gott zu werden, hat es ihn in die Hölle verschlagen, und hatte nicht mehr die Möglichkeit, herauszukommen. Und doch kann der menschliche Willen wählen. Auch wenn er einmal gewählt hat, kann er danach von dieser Entscheidung abrücken und eine andere Entscheidung treffen. Während der Engel seinen Willen nach vorne richten kann, aber nicht rückwärts, kann der Mensch beides, ihn nach vorne und nach rückwärts ausrichten. Als Adam sündigte, gab es keinen anderen Menschen außer ihm und Eva, und wenn Gott ihn hätte verschwinden lassen, wäre die gesamte Menschheit, die von ihm hätte stammen sollen, verloren gegangen, doch dies hätte sich nicht seiner Gerechtigkeit gefügt, dass der arme Mensch verschwunden wäre, bevor er geboren wäre. Doch die Engel waren mit ihm geschaffen. Da das gesamte Menschengeschlecht im ersten Menschen, Adam, gegenwärtig war, und wenn er verloren gegangen wäre, wäre die gesamte menschliche Natur zerstört worden, was ebenso sich zu seiner Gerechtigkeit nicht gefügt hätte, die jedem gibt, was er verdient. Darum war es eben nicht wegen des Falls der Engel, denn nur einige von ihnen fielen, während andere überlebten.
<:11>Di leiste sache und di allir beiste was: wan di engile gereckit warin uf daz ende, des inmochte her nummirme wider gekerin. alse noch deme tode so ist der mensche cumen uf daz ende da her bliben muiz, dannen her nummer gekerin mac. wan abir der mensche noch waz uf deme wege du her di sunde geteit, darumme mochte he wider cumen zu gnaden, und nicht der engil. daz disir herre queme uf daz ertriche, des was noit, wan kein mensche so wol getun
mochte, he inmuiste hinnidir varin zu der helle. abir nu steit daz himmilriche uffin genzliche.
<:11>Der augenscheinlichste und wirklich beste Grund ist: Da die Engel sich auf das Ziel ausgerichtet hatten, war es ihm unmöglich je zurückzukommen. Nach dem Tod, jedoch muss der Mensch zum Ziel kommen, wo er verbleiben muss, und von woher er niemals zurückkommen kann. Doch solange der Mensch auf dem Weg zum Sündigen ist, kann er, aber nicht ein Engel, zur Gnade zurückkehren. Wenn der Herr nicht auf die Erde gekommen wäre, hätte der Mensch in die Hölle gehen müssen, denn kein Mensch kann sich recht verhalten, doch jetzt steht das Himmelreich gänzlich offen.
<:12>biden wir unsin herren etc. 
<:12>Lasst uns den Herrn bitten etc.




Hane, der Karmelit, T4,4.6 [Sievers/Strauch, Paradisus 3]

Feria IV post dominicam IV in Adventu Domini
‘Gaudete in domino semper’ (Phil. 4:4)

                
 

Inhalt und Struktur

Die Predigt hat eine klare, didaktische Struktur. Sie beginnt mit dem Zentralvers


Phil. 4:4 in Latein und einer leicht interpretierenden Übersetzung von
‘in domino’ mit ‘in Gott’ (n. 1).

Danach gibt sie eine Gliederung vor von 6 Punkten vor, die die weitere Predigt entsprechend strukturiert. Pseudo-Dionysius folgend wird dargelegt, was dieses ‘in Gott’ denn bedeute:
1) Gott öffnet die Seele (n. 3);
2) Gott sammelt die Seele und führt sie zu sich (n. 4);
3) Gott kehrt die Seele um (nn. 5-7);
4) Gott bewegt die Seele (n. 8);
5) Gott eint die Seele (n. 9);
6) God nimmt die Seele in sich hinein (n. 10).
Die sechs Teile sind in gewisser Hinsicht hierarchisch angelegt, wenn auch nicht strikt und systematisch. Denn einige wiederholen die Bewegung von dem, was die Seele ist zu dem, was die Seele sein soll. Denn bereits im ersten Punkt wird gesagt, dass die Seele unbefleckt sei. Und im zweiten Punkt wird erwähnt, dass Gott in der Seele geboren werden wird. Die ausführlichsten Überlegungen bietet Punkt 3 (folglich über 3 Nummern) zum Thema der Konversion der Seele, die nicht sündigt, nicht einmal sündigen kann oder will. Die Entwicklung der Seele geschieht durch das ‘Schmecken’ Gottes erst, dann durch das Erkennen von ihm und gipfelt in einem Erfahren Gottes. Letztere wird erläutert am Beispiel von Paulus und seiner Erfahrung, in den dritten Himmel emporgehoben zu werden. Sobald die Seele die Erfahrung des Paulus gemacht hat, wird sie Gott in seinem Wesen schauen. Im nächsten Schritt führt diese Erfahrung die Seele zu einer erschütternden Selbsterfahrung, weil sie ihre Kleinheit gegenüber der Größe Gottes erkennt. Die nachfolgenden zwei Punkte entwickeln das Einssein der Seele mit Gott. Zunächst in Punkt wird gesagt, wie die Seele vom göttlichen Licht durchleuchtet wird, in Punkt sechs, dass sie selbst sogar das göttliche Licht wird.


Kontext


Zweifelsohne, von ersten beiden Nichteckharttexten des Paradisus ist diese den Gedanken und der Semantik Eckharts die stärker verwandte. Dennoch lassen sich schnell deutliche Unterschiede zu Eckhart feststellen, die ein eigenständiges Profil von Hane, dem Karmeliten, zeichnen. Erstens ist es seine Fokussierung auf die Sünde in den nn. 5-7 und auf Erfahrung, die mit der Bewegung der Seele hin zum Einssein mit Gott verbunden wird. Wichtiger aber noch ist seine Interpretation des Paulus, der in den dritten Himmel emporgehoben wird. Auch Eckhart zieht dieses Beispiel heran, sogar öfter in den verschiedenen Predigten, doch verwendet er es durchgehend, nicht um herauszustellen, dass die Seele Gott in seinem Glanz und in seiner Herrlichkeit sieht, wie es hier geschieht, sondern um den Verlust letzter Kenntnis und Gewissheit zu verdeutlichen.[33] An der einen Stelle, an der er nahe an die vorliegende Predigt herankommt, führt er Gedanken Augustins an, denen gegenüber er sich zuvor kritisch geäußert hat: ‘Diesen Vers deutet der heilige Augustinus und sagt:[34] dass der heilige Paulus in den dritten Himmel emporgehoben wurde, bedeutet nichts anderes als die drei Arten von Kenntnis in der Seele. Die erste ist eine Kenntnis der Kreaturen und aller Dinge, die dem Menschen gegenwärtig sind, welche man mit den fünf Sinnen erhalten kann. In dieser erkennt man Gott nicht vollständig, dess sie sind grob. Die zweite ist die geistige Erkenntnis, die man ohne Gegenwärtiges besitzen kann, etwa gerade wie ich um einen Freund weiß, den ich zuvor gesehen habe, der aber über tausend Meilen entfernt ist. Ich muss ihn allerdings mithilfe von Ähnlichkeiten, etwa Kleidung, Profil, Ort und Zeit kennen; das ist ebenfalls grob und basiert auf Materiellem. Mit solcher Erkenntnis kann ich Gott nicht erkennen; man kann ihn weder aufgrund von Ort, Zeit oder Farbe erkennen. Der dritte Himmel ist reine, geistige Erkenntnis, wo die Seele allen gegenwärtigen Dingen und von allen leiblichen Dingen entrissen wird. Dort hört man keinen Ton und erkennt ohne Materielles: darin ist weder Weiß noch Schwarz oder Rot. In dieser reinen Erkenntnis kennt die Seele Gott vollkommen wie er eine Natur und dreifaltig den Personen nach ist.[35] In der Tat erinnert die vorliegende Predigt an die sechs Grade, die Eckhart in seiner Predigt Vom edlen Menschen auf Augustinus basierend entwickelt hat. Auch dort findet sich vorweg der Gedanke, dass es bereits im ersten Schritt um den edlen, den innersten Menschen geht, und auf der vierten Stufe findet man die Seele, die über ihre Nähe zu Gott erschrickt.[36]


Text and translation


<:1>Gaudete in domino semper. sent Paulus sprichit: frowit uch in Gode alle zit.
<:1> Gaudete in domino semper.[37] Der heilige Paulus sagt: ‘Freut Euch in Gott allezeit.’
<:2>di glose sprichit: in Gode, daz si ein werc des heilegen geistes. sente Dionisius sprichit: seis stucke sint da mide di sele cumen sal uf ir hoistes.
<:2>Die Glosse sagt: ‘in Gott’, das heißt, ein Werk des heiligen Geistes. Der heilige Dionysius sagt: ‘Es gibt sechs Dinge, womit die Seele auf ihr Höchstes kommen soll.’
<:3>daz erste ist daz Got di sele offinet, alse he sprichit in Cantica: du mir uf, min frundinne, tu mir uf, min tube, tu mir uf, min unbefleckite! herre, sprichis du dine unbefleckite, di wile si noch in den sunden lit? - ja, si ist mine unbefleckite in minir ewigin forsichtikeit. wanne dan di sele bekennit irin schadin und den gebrechin den si hait inphangin fon den sunden, so vellit si ires selbis in jamir und wirdit willic und offinet sich Gode zu allin zidin.
<:3>Das erste ist, dass Gott die Seele öffnet, wie er im Hohenlied sagt:[38] ‘Öffne mir, meine Freundin, öffne mir, meine Taube, öffne mit, meine Maekellose.’ Herr, Du sagst Deine Makellose, obwohl sie in Sünden liegt? ‘Ja, sie ist meine Makellose in meiner ewigen Vorausschau. Wenn dann die Seele ihren Schaden und ihre Schwäche erkennt, die ihr durch die Sünden beigebracht wurden, wird sie in Trauer über sich verfallen und wird sich allezeit Gott verfügbar machen und öffnen.
<:4>Zu dem anderen male so samenit Got di sele und zuhit si mit den nidersten creften uz allir manicvaldikeit uf zu den ubirsten creften und heftit si mit der ubirsten craft an Got. der vadir wirkit gewaldicliche in der sele und der son wisliche mit der warheit und der heilege geist guitliehe mit der gude. dan wirt Got geborin in der sele, alse her sich ir offinbarit in einer nuwen wise mit eime gotlichin lichte. sente Augustinus sprichit: wan di begerunge inphengit wirt mit der minne, so wirt Got geborin in der sele. der heile geist ist ein inphengere der minne. di frucht des heilegen geistes daz ist licht und minne und freude und fride.
<:4>Das zweite ist, dass Gott die Seele so sammelt und sie mit den niedersten Kräften aus all ihrer Vielfalt heraus hinauf zu den obersten Kräften zieht und sie mit der obersten Kraft an Gott heftet. Der Vater wirkt mächtig in der Seele und der Sohn weise mit der Wahrheit und der heilige Geist gnädig mit Güte. Dann wird Gott in der Seele geboren, wie er sich ihr in neuer Weise offenbart hat mit einem göttlichen Licht. Der heilige Augustinus sagt: Wenn das Begehren mit Liebe empfangen wird, dann wird Gott in der Seele geboren. Der heilige Geist ist der Empfänger der Liebe. Die Frucht des heiligen Geistes ist ein Licht und Liebe und Freude und Friede.
<:5>Daz dritte ist daz Got die sele ummekerit. dan kerit di Got zu ime und zu ir selbir, alse her sich ir offinbarit in eime gotlichen lichte mit eime nuwin bekentnisse. wan in unwissintheit ist man Gode verre, mit bekantheit und mit lichte so nekint man sich uffe Got. sente Paulus sprichit: ir sit cumen von deme vinstirnisse zu deme lichte; nu wandelit in deme lichte alse kinder des lichtes. dan so cumit di sele mit lichte und mit bekentnisse Gode also nahe daz si keine sunde intuit, sundir si inmac ir nicht getun. nicht alleine daz si ir nicht getun inmuge, mer si cumit ir in eine forgezzenheit, wanne si schowit ane die warheit. Davit sprichit: smeekit und schowit! nicht insprach he: schowit! zu dem ersten schowit und smeekit dar noch! someliche wollint fligen er si vederen gewinnen. wer da wil schowin er dan her smeckit, der schowit unordinliche und unendeliche. darumme sprichit her: smeckit und schowit!
<:5>Das dritte ist, dass Gott die Seele umkehrt. Dann kehrt sie Gott zu ihm und zu ihr selbst, wie er sich ihr in einem göttlichen Licht mit einer neuen Erkenntnis offenbart. Denn in Unwissenheit ist man Gott fern, mit Erkenntnis und mit Licht kommt man Gott näher. Der heilige Paulus sagt:[39] ‘Ihr seid von der Finsternis zuum Licht gekommen. Nun wandelt in dem Licht als Kinder des Lichts’. Dann kommt die Seele zusammen mit dem Licht und mit Erkenntnis Gott so nahe, dass sie nicht sündigt, ja nicht einmal sündigen kann. Nicht nur will sie nicht sündigen, vielmehr gelangt zu einem Vergessen, denn sie sieht die Wahrheit. David sagt:[40] ‘Schmecke und sieh!’ Er sagte nicht zuerst ‘Siehe’, und dann ‘Schmecke’. Manche möchten fliegen, bevor sie Federn bekommen haben. Wer zuerst Schauen möchte vor dem Schmecken, schaut nicht der Ordnung gemäß und ohne Ziel. Darum sagt er: ‘Schmecke und sieh!’
<:6>Also sal die sele Got smeckin in allin iren werkin daz alle ire werc suze werdin und senfte. also smeckit si und schowit Got one wanc; so si me smeckit, so si me schowit; und so si me schowit, so sich Got me in si senkit. Augustinus: da si mide schowit, da mide smeckit si et e contrario. und daz ist daz bilde da mide Got di sele noch ime selber gebildit hait.

<:6>Darum soll die Seele Gott schmecken in all ihren Werken, so dass all ihre Werke süß und genehm werden. So schmeckt sie und sieht sie Gott ohne Zwang. Je mehr sie schmeckt, desto mehr schaut sie, und desto mehr sie schaut, desto mehr sie schaut, desto mehr sinkt Gott in sie. Augustinus: ‘Womit sie schaut, damit schmeckt sie und vice versa’. Und dies ist das Bild, mit dem Gott die Seele nach sich selbst geformt hat.
<:7>Alsus teit sente Paulus, du her in den dritten hirnrnil gezuckit wart und sach di heimelichkeit Godis. wan da mide he sach, da mide horte he et e contrario. he sach daz wort daz ewicliche von deme vadere ist geborn, da alle dinc uzgefiozzin sin. also schowit die sele Got an siner clarheit und an siner hoheit. dan so cumit di sele so hoch daz si Got schowit an sinen wesine.
<:7>Das tat der heilige Paulus, als er in den dritten Himmel emporgehoben wurde und die Intimität Gottes sah. Denn womit er sah, damit hörte er und vice versa. Er sah das Wort, das ewig vom Vater geboren ist, als alle Dinge ausgeflossen waren. So schaute die Seele Gott in seinem Glanz und in seiner Höhe. Auf diese Weise gelangt die Seele zu solcher Höhe, dass sie Gott in sineme Wesen schaut.
<:8>In den vierden male so bewegit Got di sele, und di sele bekennet fon nature daz bilde Godis an ir und stigit uber sich selbir und smeckit Got. so wirt si widir nider geslan in sich selbir uf ir naturliche krancheit, daz si anesihit sine grozheit und ire cleinheit. dan so cumit daz gotlich licht und durchschinet ire naturliche craft und ruckit si forbaz fon irre naturlichen craft in eine ubirnaturliche craft und ruckit si ouch uz irme naturlichen lichte in ein ubir naturlieh licht. also bewegit Got di sele. Job sprichit: herre, du haist din licht mir geoffinbarit, und in dime lichte offinbaritis du mir daz ich daz besitzin mac. du irschrac ich fon allemime herzin und min herze wart bewegit uf ein andir stait. Paulus: alsus wandelit he si von clairheit in clarheit.
<:8>Das vierte ist, dass Gott die Seele bewegt, und die Seele von Natur aus das Bild Gottes in ihr erkennt, und sie klettert über sich selbst hinaus und schmeckt Gott. Dann wird sie aber in sich zurückgeworfen auf ihre natürliche Schwäche, da sie seine Größe und ihre Bescheidenheit schaut. Und so kommt das göttliche Licht und scheint durch ihre natürliche Kraft in einer übernatürlichen Kraft und rückt sie auch aus ihrem natürlichen Licht in ein übernatürliches Licht. Auf diese Weise bewegt Gott die Seele. Ijob sagt:[41] ‘Herr, Du hast mir Dein Licht geoffenbart, und in diesem Licht offenbarst Du Dich mir, so dass ich es besitzen kann. Dann war ich von ganzem Herzen erschrocken und mein Herz wurde in einen anderen Zustand versetzt’. Paulus:[42] ‘So wandelt er sie von Herrlichkeit zu Herrlichkeit’.
<:9>Zu dem funften male so enigit Got die sele. wan dan cumit daz gotliche licht und nimit di formen der sele und zuhit si in di formen Godis und enigit und formit si also in Got daz si daz gotliche licht also durchschillen hait daz si sich itzunt nicht bekennit an irre naturlichin craft, mer si bekennit sich an dem gotlichen lichte. dissis ist ein glichnisse an der sunnen. alse si schinit uffe di dinc da si iren widerslac an hait, so nimit si di dinc di si irhebin mac, und zuhit si in sich. alse wir sehin an deme schine der sunnen, der da schinit in di luft und durchclerit di luft, daz si nicht schinet luft, mer si schinit alse ein schin der sunnen, also hait daz gotliche licht di sele durchschinen, daz si sich selbe nicht bekennit dan an deme gotlichen lichte. sente Paulus sprichit: ich biden Christum und sinen vadir daz her uch gebe sinen heilegen geist und irluchte uch uwir herze, daz ir bekennit di warheit.

<:9>Fünftens, eint Gott die Seele. Denn dann kommt das göttliche Licht und nimmt die Form der Seele und zieht sie in die Formen Gottes und vereinigt und formt sie so in Gott, dass das göttliche Licht auch durch sie scheint, so dass sie sich nicht länger in ihrer natürlichen Kraft kennt, sondern vielmehr sich im göttlichen Licht kennt. Nimm das Beispiel der Sonne. Wenn sie auf etwas scheint, gibt es eine Reflexion von ihr, so nimmt sie das Ding, das sie aufnehmen kann und zieht es in sich selbst hinein. Wie wir bei dem Sonnenstrahl sehen können, der durch die Luft scheint und die Luft erleuchtet, so dass er nicht als Luft leuchtet, sondern vielmehr als Sonnenstrahl, auf diese Weise erleuchtet das göttliche Licht die Seele, so dass sie nicht sich selbst erkennt, es sei denn im göttlichen Licht. Der heilige Paulus sagt:[43] ‘Ich frage Christus und seinen Vater, auf dass er Dir seinen heiligen Geist gibt und Dir Dein Herz erleuchtet, auf dass Du die Wahrheit weißt.’
<:10>Zu dem seisten male holit Got die sele uber und nimit si an sich, also daz si daz gotliche licht alleine nicht durchschinet, mer si ist selbir ein gotlich licht. glichir wis alse der da neme einen cristallin oder einin berillum und hilde di in di sunnen, so forlorn si al ir gestaltnisse und worden glich deme lichte. Dyonisius: di engile sint ein durchschinic spigil gotlichis lichtis, di einen schowin in den anderen daz gotliche licht. also sint di seligin sele durchschinen mit eime durchschinigin lichte, und daz selbe licht daz di einen durchschinet, daz durchschinit ouch die anderen. dit ist daz sente Paulus sprichit: vrowit uch, wan Got ist uch nahe. rogemus etc.
<:10>Sechstens, trägt Gott die Seele hinüber und nimmt sie in sich selbst hinein, so dass nicht nur das göttliche Licht durch sie scheint, sondern sie vielmehr selbst göttliches Licht wird. Gerade wie wenn jemand einen Kristall oder einen Beryll nähme und ihn gegen die Sonne hielt, sie würden all ihre Form verlieren und wie Licht werden. Dionysius: Die Engel sind transparente Spiegel des göttlichen Lichtes, die einen sehen in den anderen das göttliche Licht. Auf gleiche Weise sind die gesegneten Seelen durchlässig durch ein durchscheinendes Licht, und dasselbe Licht, das durch die einen scheint, das scheint auch durch die anderen. Dies ist es, was der heilige Paulus sagt:[44] ‘Freut Euch in Gott, denn Gott ist Euch nahe.’ Rogemus etc.





[1] On these, and their interpretation see F. Löser, LE IV 150-69.
[2] Similarly DW IV I 6. 14.
[3] See F. Löser, LE IV161-4.
[4] Ier. 23,5: Ecce dies veniunt, dicit Dominus: et suscitabo David germen iustum.“ Der liturgische Kontext steht in Collectarium, Arch. f. 43va–b: Dominica prima in adventu domini, ad utrasque vesperas et ad laudes et ad IIIa capitulum: Ecce dies veniunt, dicit Dominus: et suscitabo David germen iustum: et regnabit rex, et sapiens erit: et faciet iudicium et iustitiam in terra.“ Breviarium, Arch. f. 87ra–b: Dominica prima in adventu domini sabbato precedenti … Capitulum: Ecce dies veniunt, dicit Dominus: et suscitabo David germen iustum: et regnabit rex, et sapiens erit: et faciet iudicium et iusticiam in terra. R/ Missus est.“
[5] Lo4 beginnt: Von dauidis samen irweckunge. Der prophete Jeremias spricht: Set dy tage sint komen, spricht got, ich wel irwecken dy frücht adir den samen dauid vnd dy frucht sal wise sind vnd sal vinden orteil vnd machen gerechtikeit in ertriche; Prov. 25,25: Aqua frigida animae sitienti, et nuncius bonus de terra longinqua.“ Die Antiphon des Magnificat der Vesper: Breviarium, Arch. f. 87rb: III. Ymnus. Conditor … V/: Rorate … Ad Magn. antiphona: Ecce nomen domini venit de longinquo et claritas eius replet orbem terrarum.“
[6] Aug., Confessiones VII 10, 16, ed. Verheijen, 103, 17: et inveni longe me esse a te in regione dissimilitudinis.
[7] wesenwird im Folgenden regelmäßig übersetzt mit Sein.
[8] Auch wenn es nicht ausdrücklich gesagt wird, muss das von dem doch als fern von dem“ gelesen werden, so auch L. Sturlese.
[9] wesenwird im Folgenden regelmäßig übersetzt mit Sein.
[10] Dies scheint kein Zitat zu sein, erinnert aber an Jak. 4,11-12 (vgl. auch Röm. 14,4), falls der Text nicht aus einer unbekannten Rechtsquelle entnommen ist, so F. Löser, LE IV 158.
[11] Ier. 23,5; vgl. den unterschiedlichen Anfang des Zitats in n. 2, nemet war/erkennet; hier beginnt Eckhart das Zitat mit sehet/sehet; der Schluss folgt Lo4.
[12] Vgl. Matth. 24,35 und Luc. 21,33; vgl. auch Matth. 5,18 und Luc. 16,17.
[13] Eckhart versteht den Genitiv in einem doppelten Sinn von und anstelle von. Das kalte Wasser, das jemand aus Liebe einem anderen bietet, der durstig ist, ist das kalte Wasser, das Gott durch die Inkarnation dem Menschen gibt, der es der durstigen Seele anbietet. Aus sich selbst heraus hätte die sündige Seele dieses Wasser nicht. Der Gebende (die anbietende Person und Gott) ist zugleich Geber und doppelter Empfänger (der Durstige und der Anbieterthe).
[14] Dar umbe … Wan: die Zeichensetzung ist gegenüber der kritischen Edition von DW geändert.
[15] Matth. 10:42: Et quicumque potum dederit ei ex minimis istis calicem aquae frigidae …
[16] Ein strukturelles Gliederungsmerkmal im Text, dass der Autor mit seiner Interpretation von Prov. 25,25 zuende gekommen ist.
[17] Vgl. I Cor. 1:24; I Ioh. 2:1–2: advocatum habemus apud Patrem, Iesum Christum iustum: et ipse est propitiatio pro peccatis nostris. Lo4 hat: Andirswo spricht dy schrift“.
[18] der sol wîslîche rede geben:Futur des Verbs.
[19] DW IV bezieht sich auf Ps.–Cyprian, zitiert in Eckhart, Sermo XLV n. 461 (LW IV 382): Christus, qui semel vicit pro nobis, semper vincit in nobis, vgl. auch die nächste Anm.
[20] L. Sturlese ad loc. verweist auf das Opfer Christi als propitiatio  (I Ioh. 2:1–2 ) und sein Selbstopfer; hierzu vgl. auch Eckhart, Sermo V/2, n. 49 (LW IV 47) „‘vita’, non solum est vita unius hominis, sed, quantum in se est, totius mundi”, ad quam sufficiens est mors Christi, Ioh. 2: ipse est propitiatio pro peccatis nostris etc.’
[21] DW IV auf der Basis des Paradisus bietet: Wir suln beiten, der himelische vater muoz unser gebet enpfâhen oder niht“.
[22] mit allen sînen sachen bezieht sich auf die obige Metapher von Christus als des Menschen Verteidiger.
[23] Vgl. Gen. 3,24: Eiecitque Adam: et collocavit ante paradisum voluptatis Cherubim, et flammeum gladium, atque versatilem (versatilis verstanden als zweischneidig findet man auch in der Summa Britonis, s.v. Versatilis, ed. Daly 825–6: qui nomine gladii non cuiuslibet sed versatilis dicitur, id est utrobique secantis. Eine abweichende Deutung bietet Hugo a Sancto Caro, Postilla, ad loc., I, f. 12a: gladius versatilis dicitur quia potest removeri.
[24] Sap. 7,26: speculum sine macula (von Christus ausgesagt in Eckhart, In Ioh. n. 27 [LW III 21]: Sap. 7, … dicitur de sapientia sive verbo dei quod est ‘speculum sine macula’, ‘emanatio’ ‘dei sincera’. Vgl. auch die Glossa Ordinaria i. h. l.: [speculum] In quo videtur pater. Qui videt me videt et patrem). Auf den Engel bezogen in Ps.–Dionys., v. infra Hom. 4* [Q 77], n. 3.
[25] Ier. 31:3: Et in charitate perpetua dilexi te.
[26] Is. 53:4: Vere languores nostros ipse tulit. Man beachte Eckharts futurische Aussage anstelle des Perfekts der Vulgata.
[27] germen = wiedergegeben als wurzeln wird hier ausgelegt als Samen oder Frucht.
[28] Ioh. 5:4: Angelus autem Domini descendebat secundum tempus in piscinam: et movebatur aqua. Et qui prior descendisset in piscinam post motionem aquae, sanus fiebat a quacumque detinebatur infirmitate.
[29] Eckhart, In Ioh. n. 171 (LW III 140, 10-11): ‘Iustus enim verbum est iustitiae, quo loquitur et quod loquitur et clamat ipsa iustitia’.
[30] Vgl. W. Preger, ‘Ein neuer Tractat Meister Eckharts und die Grundzüge der Eckhartischen Theosophie’ (1864).
[31] Matth. 21:9.
[32] I.e. ‘I answer’.
[33] See Eckhart, Hom. T7,1* [9*; S 101], n. 26: ‘Dô er in den dritten himel gezucket wart in die kuntschaft | (363) gotes und gesehen hâte alliu dinc und dô er wider kam, dô enwas ez im nihtes niht vergezzen. Mêr: ez was im sô verre inne in dem grunde, dar sîne vernunft niht înkomen enmohte. Ez was im bedecket’ (‘As he was lifted into the third heaven to the message of God and had seen all things and come back, he had forgotten nothing; rather, it was so far deep in the ground that his intellect could not enter. It was concealed’); Hom. T40,1* [48*; Q 61], n. 3: ‘Diz bekante sant Paulus wol, dô er gezücket wart in den dritten himel und sach sôgetâniu dinc, diu man niht volsprechen enmac, und rief mit lûter stimme: ‘ô, dû hôher rîchtuom der wîsheit und der kunst gotes, wie unbegrîfelich sint dîniu urteil, und wie gar ungruntlich sint dîne wege!’ (‘Saint Paul knew this well when he was lifted into the third heaven and saw those things that one cannot fully speak about, and cried with a loud voice:  ‘O, you high richness of wisdom and of God’s knowledge, how incomprehensible are your judgements and how unexhaustible are your ways!’); Hom. T41,7* [55*; Q 80], n. 5: ‘Ich enspriche niht von gnædiclîchem verstânne, wan ein mensche möhte als verre gezogen werden von gnâden, daz er verstüende, als sant Paulus verstuont, der in den dritten himel gezucket wart und sach sôgetâniu dinc, diu man niht volsprechen enmuoz noch enmac. Ouch, als er sie sach, alsô enmohte er sie niht geworten; wan, swaz man verstân sol, daz muoz man verstân an der sache oder an der wîse oder bî dem werke (‘I do not speak of grace–ful knowledge, because a man could be seized by grace so far as to know, as Saint Paul knew who was caught up into the third heaven and saw those so–called things which you should not nor can fully speak about.  Moreover, when he saw them, he could not even express them in words; because what is to be understood, must be understood in the causes or in a mode or in its action’).
[34] Augustinus, De Genesi ad litteram XII, c. 34, ed. Zycha, 432, 1–10: ‘Si ergo caelum primum recte accipimus hoc omne corporeum generali nomine quidquid est super aquas et terram, secundum autem in similitudine corporali quod spiritu cernitur … tertium uero quod mente conspicitur ita secreta et remota et omnino abrepta a sensibus carnis atque mundata ut ea, quae in illo caelo sunt, et ipsam dei substantiam uerbumque deum, per quod facta sunt omnia, per caritatem spiritus sancti ineffabiliter ualeat uidere et audire: non incongruenter arbitramur et illuc esse apostolum raptum’.
[35] Eckhart, Hom. T40,1* [48*; Q 61], n. 4: ‘Der dritte himel ist ein lûter geistlich bekantnisse, dâ diu sêle entzücket wirt allen gegenwürtigen dingen und lîphaftigen dingen. Dâ hœret man sunder lût und bekennet sunder materie; dâ enist noch wîz noch swarz noch rôt. In disem lûtern bekantnisse bekennet diu sêle got genzlîche, wie er ein ist an der natûre und drîvaltic an den persônen’; similarly also Hom. S46,1* [78*; Q 23], n. 8; Hom. 59,4* [84*; Q 86], n. 12.
[36] See Eckhart, On the Noble Man (DW V 111, 22-112, 24).
[37] [37] Phil. 4:4. Lectionar., Arch. f. 422vb: ‘Dominica quarta. Ad Philippenses [4, 4–7]. Fratres [> Vg.]. Gaudete in domino semper: iterum dico gaudete. Modestia vestra nota sit omnibus hominibus: Dominus prope est. Nichil solliciti sitis: sed in omni oratione, et obsecratione, cum gratiarum actione petitiones vestre innotescant apud Deum. Et pax Dei, que exsuperat omnem sensum, custodiat corda vestra, et intelligentias vestras in Christo Ihesu domino nostro [domino nostro > Vg.]’.
[38] Cant. 5:2: ‘Aperi mihi, amica mea, columba mea, immaculata mea.’
[39] Phil. 5:8: ‘Eratis enim aliquando tenebræ: nunc autem lux in Domino. Ut filii lucis ambulate.’
[40] Ps. 33:9: ‘Gustate et videte’.
[41] See Job 29:3: ‘Quando splendebat lucerna ejus super caput meum, et ad lumen ejus ambulabam in tenebris’
[42] 2Cor. 3:18: ‘ transformamur a claritate in claritatem.’
[43] Eph. 1:16-18: ’16 ... faciens in orationibus meis: 17 ut Deus Domini nostri Jesu Christi, Pater gloriæ, det vobis spiritum sapientiæ et revelationis in agnitione ejus, 18 illuminatos oculos cordis vestri, ut sciatis quæ sit spes vocationis ejus, et quæ divitiæ gloriæ hæreditatis ejus in sanctis.’
[44] Phil. 4:4-5: ‘4 Gaudete in Domino semper: iterum dico gaudete. 5 Modestia vestra nota sit omnibus hominibus: Dominus prope est.’

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